Deutscher Samariter-Verein

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Textdaten
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Autor: Friedrich von Esmarch
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Titel: Deutscher Samariter-Verein
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 236-238
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Deutscher Samariter-Verein.

Mit gerechtem Stolze darf die medicinische Wissenschaft und vor Allem die Chirurgie auf die letzten Jahrzehnte ihrer Entwickelung zurückblicken; denn was heutzutage in der Behandlung der Wunden und in der Sicherheit der Operationsmethoden geleistet wird, gehört wahrlich zu den glänzendsten Errungenschaften des menschlichen Geistes, deren Wohlthaten jahraus jahrein Tausenden von Unglücklichen zu Theil werden.

Leider sind aber diese Fortschritte bei den täglich vorkommenden plötzlichen Unglücksfällen noch gar wenig zur Geltung gelangt, und darum verbluten und verkrüppeln noch heute zahllose Verunglückte, [237] denen die richtige Hülfe nicht sofort geleistet werden konnte; darum gehen so Viele zu Grunde, welche hätten gesunden müssen, wenn sie vom Augenblick ihrer Verunglückung an zweckmäßig behandelt worden wären.

Es ist daher im höchsten Grade wünschenswerth, daß die Kenntniß der ersten Hülfe bei den mannigfaltigsten Verletzungen, welchen die Menschen bei der Ausübung ihres Berufes zu Lande und zu Wasser ausgesetzt sind, nicht allein auf ärztliche Kreise beschränkt bleibe, sondern zum Gemeingut aller Derer werde, die Herz genug haben, dem Nächsten in Noth und Gefahr die erforderliche Hülfe zu leisten.

Die Lösung dieser hohen Aufgabe, welche den lautersten Gefühlen der Humanität ihren Ursprung verdankt, ist vor wenigen Jahren in einem fremden Lande mit glücklichem Erfolge angestrebt worden, und wir wenden uns im Nachstehenden an den weiten Leserkreis der „Gartenlaube“, um ihn zur regen Mitthätigkeit an ähnlichem Wirken in unserem deutschen Vaterlande wachzurufen.

Als im August vorigen Jahres Aerzte aus aller Herren Ländern zu dem großen internationalen medicinischen Congreß in London erschienen waren, wurden in dem Garten des berühmten Kensington-Museums vor einer großen Zuschauermenge aus allen Gesellschaftsclassen seltsame, höchst interessante Uebungen abgehalten, die ohne Zweifel bei dem größten Theil der Leser der „Gartenlaube“ ein gelindes Befremden, bei Allen aber sicher auch gerechtes Erstaunen hervorgerufen hätten. Es wurden dort in drei Abtheilungen je drei Männer auf den Rasen gelegt, welche Verunglückte vorstellen sollten. An die Schulter eines jeden war ein Zettel geheftet, auf welchem eine beliebige der häufig im Leben vorkommenden Verletzungen notirt war.

Hierauf erschienen auf dem Platze einige Männer, die zum Theil mit Tragbahren versehen waren; je zwei von ihnen eilten sofort zu einem Verunglückten, untersuchten denselben, das heißt lasen den Zettel, legten den für die angedeutete Verletzung zweckmäßigen Nothverband an, lagerten den Verbundenen auf die Tragbahre und trugen ihn in dem vorgeschriebenen Tempo von dem Platze fort. Jeder von diesen Nothhelfern hatte in der Tasche ein dreieckiges Tuch oder ein großes Schnupftuch, welches er in der passendsten Weise zu verwenden wußte. Mit großer Sicherheit benutzten ferner Alle die verschiedensten Gegenstände, welche sie gerade bei der Hand hatten, wie Büchsen und Seitengewehre, Regenschirme und Spazierstöcke oder von den Bäumen gebrochene Zweige, um diejenigen Glieder der improvisirten Verunglückten, welche nach dem Wortlaut des betreffenden Zettels gebrochen sein sollten, zu schienen.

In anderen Fällen, in denen die Verunglückten für Ertrunkene oder Erstickte galten, wurden von den herbeigeeilten Nothhelfern künstliche Athembewegungen an dem Körper derselben eingeleitet.

In Deutschland hatte man schon seit vielen Jahren ähnliche Schauspiele bei den Friedensübungen der Sanitätstruppen gesehen, hier aber, im Garten des Kensington-Museums, waren es Leute aus allen Ständen, Polizisten, Soldaten des Freiwilligencorps, Maschinenarbeiter, Eisenbahn- und Postbeamte, Kaufleute und Andere, welche diesen Dienst der ersten Hülfe in der Noth versahen.

Die anwesenden, zum Theil sehr angesehenen Aerzte waren von den überraschenden Leistungen jener freiwilligen Helfer in der Noth in hohem Grade befriedigt, und wohl Manche verließen den genannten Schauplatz mit dem festen Vorhaben, diese in England großgezogene Institution auch in ihrem Vaterlande zur Geltung bringen zu helfen. So möchten denn auch diese Zeilen dazu beitragen, durch Gründung von Samariterschulen, in welchen im obigen Sinne die Leistung der ersten Hülfe bei Unglücksfällen gelehrt würde, diese humanitären Bestrebungen auf den deutschen Boden zu verpflanzen. Bevor wir aber auf diese Frage näher eingehen, möge im Nachstehenden ein kurzer Bericht über die auf diesem Gebiete durch die unermüdliche Friedensthätigkeit des Johanniterordens in England erzielten Erfolge Platz finden.

Auf der Generalversammlung des genannten Ordens am Johannistage 1877 wurde beschlossen, die Aufgaben desselben zu [238] erweitern und namentlich Maßregeln zu treffen, mittelst welcher bei plötzlichen Unglücksfällen den Kranken und Verwundeten die erste Hülfe in höherem Maße gewährt werden könne, als dies bisher der Fall gewesen. Dies sollte durch die Gründung einer mit dem Johanniterorden in Verbindung stehenden Ambulance-Association erreicht werden, und so wurden bereits im Februar 1878 zu diesem Zwecke von den Ordensmitgliedern 2230 Pfund Sterling gezeichnet; nachdem sich die Gesellschaft alsdann constituirt hatte, ging man unter der Leitung des Majors Duncan und des Capitain John Furley sofort an die Gründung von Verbandlehrschulen. Das englische Volk nahm diese Neuerung mit großem Enthusiasmus auf – schon nach sechs Monaten hatte sich die Bewegung über ganz Großbritannien ausgebreitet.

Besonders günstig gestalteten sich die Verhältnisse in Woolwich, wo eine große Zahl von Bürgern und Militärpersonen, sowie intelligenten Handwerkern des berühmten Arsenals sich der Ambulancegesellschaft angeschlossen hatte. Hier wurde daher die erste Centralschule für den Unterricht im Anlegen des ersten Verbandes und in der ersten Pflege der Verwundeten errichtet, und um jeden Schein religiöser oder politischer Tendenzmacherei zu vermeiden, wählte man in den Localausschuß Geistliche aller Confessionen und den jeweiligen Parlamentsabgeordneten des betreffenden Bezirkes zum zweiten Vorsitzenden, ein Grundsatz, der auch bei der Begründung anderer Centralhülfsstationen mit dem besten Erfolge durchgeführt wurde. Höhere Militärärzte erklärten sich in Woolwich bereit, den Unterricht zu ertheilen, und nachdem alsdann die angemeldeten Schüler in je drei Classen für Frauen und Männer eingetheilt worden waren, begannen die Curse, von denen jeder sechs Wochen dauerte und in einer allwöchentlich abgehaltenen zweistündigen Vorlesung bestand.

In den fünf ersten Vorlesungen wurden die Zuhörer zunächst mit dem Bau des menschlichen Körpers, mit dem Blutumlaufe, der Athmung etc. vertraut gemacht; ferner wurden ihnen die Unterschiede zwischen den Blutadern und Pulsadern (Venen und Arterien) und den verschiedenen Blutungen erläutert, wobei die gebräuchlichen Mittel zur Stillung derselben angegeben wurden; hierauf wurden den Schülern auch die Knochenbrüche und Verrenkungen nebst den verschiedenen Arten ihrer Behandlung, die Bewußtlosigkeit, die Ohnmacht und ihre Ursachen, die Trunkenheit und Vergiftung, sowie das Rettungsverfahren bei Ertrunkenen und Erstickten geschildert. Bis dahin war der Unterricht für die Frauen- und Männerclasse durchaus derselbe. In der letzten Vorlesung aber erhielten die Frauen einen besondern Unterricht in der Krankenernährung, in der Erwärmung und Lüftung der Krankenzimmer und in der Anwendung des Thermometers; sie empfingen Anleitungen über eine zweckentsprechende Bewachung der Kranken, über vernunftgemäßes Verbinden der Wunden, über richtiges Auflegen von Umschlägen und vorschriftsmäßiges Wechseln der Betttücher, sowie schließlich über das kunstgerechte Aufheben und den Transport hülfloser Patienten.

Der besondere Unterricht für die Männer bestand dagegen in Schilderung des Aufhebens und Fortschaffens Kranker oder Verletzter auf Tragbahren, mittelst Eisenbahnwagen oder auf Landfuhrwerken.

Alle diese Vorträge waren mit praktischen Uebungen verbunden; hier lernten die Schüler vor Allem größere Blutungen momentan zu stillen, um die Verblutung des Kranken, bevor der herbeigerufene Arzt erschienen ist, zu verhüten; sie erfuhren, wie man mit dem dreieckigen Tuche zweiunddreißig verschiedene Verbände in einfacher Weise anzulegen vermag, wie man dieses Tuch im Nothfalle durch ein Taschentuch ersetzen kann, wie man bei gebrochenen Knochen Seitengewehre, Büchsen, Regenschirme, Spazierstöcke, Baumzweige, Zeitungen u. dergl. m. zu provisorischen Schienenverbänden, welche das Glied in der normalen Lage erhalten sollen, benutzen darf; hier übten sie sich in der Hervorrufung der künstlichen Athmung, durch welche Erstickte und Ertrunkene in’s Leben zurückgebracht werden; hier lernten sie Tragbahren benutzen und im Nothfalle aus Stangen und Brettern solche herstellen; hier endlich wurden sie mit dem Transport Verletzter auf weite Entfernungen hin vertraut gemacht.[1]

Um aber dem Unterricht einen wirklichen Erfolg zu sichern, wird in den englischen Schulen am Schluß des Lehrcurses eine scharfe theoretische und praktische Prüfung mit den Schülern abgehalten, und die Bestehung derselben befähigt den mit einem Zeugniß entlassenen „Helfer in erster Noth“ zur activen Mitgliedschaft des Ambulance-Departements des Johanniterordens.

Von Woolwich aus verbreitete sich die Bewegung in kurzer Zeit über ganz England, und in London allein wurden sechsunddreißig Schulen für die Verwundetenpflege in’s Leben gerufen. Hier richteten die Behörden ihr Augenmerk besonders darauf, daß die Polizeimannschaften nach dieser Richtung hin ausgebildet würden, und dies sollte man wahrlich auch bei uns beherzigen. Es ist die Pflicht des Schutzmannes, bei Unglücksfällen an Ort und Stelle zu erscheinen; was nützt es ihm aber, wenn er nicht versteht, dem Verunglückten die erste Hülfe angedeihen zu lassen, wenn er den Halberstickten nicht in’s Leben zurückzurufen weiß, den Verwundeten verbluten läßt? Ferner betheiligten sich an den Lehrcursen Eisenbahn- und Postbeamte, sowie Fabrikarbeiter, und in den Grubendistricten Englands wurde die Begründung dieser Schulen von der Bevölkerung mit wahrem Jubel angenommen.

Es vergeht schon heute fast kein Tag, an dem nicht in England irgend ein Nothhelfer in zweckmäßiger Weise einem Verunglückten beigesprungen wäre, und wenn England in einen Krieg verwickelt und der Johanniterorden auf den Schlachtfeldern sein hohes Friedenswerk auszuüben berufen würde, dann hätte es sicher an tüchtigen Freiwilligen, die den leidenden Kriegern Hülfe zu bringen im Stande sind, keinen Mangel.

Durch diese schlagenden Erfolge des Auslandes ermuthigt, hat der Verfasser vorliegenden Artikels es unternommen, auch das deutsche Volk mit den Grundsätzen der ersten Hülfe in der Noth vertraut zu machen, und zu diesem Zwecke im Februar des laufenden Jahres die erste Samariterschule in Kiel in’s Leben gerufen. Die gegen 800 Personen zählende Zuhörerschaft folgte den Vorträgen mit großer Aufmerksamkeit und nahm den thätigsten Antheil an den praktischen Uebungen, welche nach jeder Vorlesung von zwölf jüngeren Aerzten in den verschiedenen Vorlesungsräumen der Universität geleitet wurden.

Auch die englische Ambulance-Gesellschaft zeigte ein warmes Interesse für unsere Bestrebungen, und wir hatten die Ehre, in der Kieler Samariterschule Herrn John Furley als Gast zu begrüßen, dem vor Allen das Verdienst gebührt, die englischen Verbandlehrschulen mit geschaffen und in wahrhaft großartiger Weise organisirt zu haben.

Schließlich wurde am 5. März in Kiel ein Verein für die Förderung der Samaritersache von angesehenen Männern der Stadt gegründet und zunächst ein Ausschuß gewählt, welcher die Statuten des Vereins entwerfen und einen Aufruf zum Beitritt an das deutsche Volk veröffentlichen wird.[2]

Hoffen wir, daß diesen ersten deutschen Samaritern die nöthige Unterstützung nicht fehlen wird, daß Private und Behörden die Agitation in weitere Kreise tragen werden! Ein hohes Friedenswerk, ein Werk der Nächstenliebe ist es, um dessen Bethätigung es sich handelt; ihm dürfen sich die Herzen unserer Landsleute nicht verschließen.

Kiel, Ende März.

Esmarch.
  1. Die „Gartenlaube“ wird voraussichtlich schon in den nächsten Nummern dies Alles ihren Lesern an einigen Beispielen darzuthun versuchen.
  2. Die Mitgliedschaft dieses Vereins kann schon jetzt erworben werden, und zwar durch die Zahlung eines Jahresbeitrages von mindestens einer Mark. Wer aber auf einmal zwanzig Mark einzahlt, der erlangt hierdurch lebenslängliche Mitgliedschaft. Die Anmeldung kann direct bei dem Schatzmeister (Herrn Consul von Bremen in Kiel) erfolgen, worauf nach Entrichtung des Beitrages die Satzungen des Vereins dem Einsender zugestellt werden.