Dichter und Rathswachtmeister

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Fr. Helbig
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Dichter und Rathswachtmeister
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 268–271
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[268]
Dichter und Rathswachtmeister.


Auf dem Friedhofe von Jena, nach dem wir die Leser dieser Blätter schon öfter geführt haben, steht hart an der Ostwand der St. Johanniskirche ein aus Sandstein geformter Gedenkstein, der in goldenen Lettern dem unter ihm Gebetteten folgendes Distichon nachruft:

Jenas edelstem Sohne, deß goldenem Munde entströmte
     Treu im Frieden und Krieg manches unsterbliche Lied.

Ueberrascht von diesem hohen Lobespsalter, der dem Schläfer unter der Erde nicht bloß unsterblichen Dichterruhm nachredet, sondern ihn auch unter die Edelsten einer Stadt reiht, die der edlen Söhne so viele schon gehegt, forscht der Leser nach der Person des also Gefeierten und findet auf dem Steine einen Namen verzeichnet, den er wohl selbst noch nie vernahm und nach dem er vergebens die Literaturgeschichten und Nachschlagebücher durchsuchen würde. Der Name lautet: Wilhelm Treunert.

Wenn er selbst auferstünde und sein eigener Leser würde, gewiß der schlichte Mann schüttelte sein breitgestirntes Haupt und seinem volllippigen, einst so liederreichen Munde entströmte ein: „Zuviel, Ihr Freunde, zuviel!“ Aber trotz dieser starken Ueberschwenglichkeit einer liebevollen Pietät war immerhin dieser Wilhelm Treunert eine echte Poetennatur. Und wenn nach einem, wenn wir nicht irren, Goethe entstammenden Ausspruche jedes gute Gedicht ein Gelegenheitsgedicht ist, so war er auch ein guter Dichter, der sich den unbekannten und namenlosen Schöpfern unserer Volkslieder würdig zugesellt. Dann aber – und daß dem also sei, davon hoffen wir den Leser noch zu überzeugen – ist es gerecht, daß die Nachwelt mehr von ihm erfahre, als sie seither wußte, und die „Gartenlaube“ wieder eine jener stillvergessenen Ehrenschulden abtrage, deren sie schon so viele gezahlt.

Daß Treunert nicht ein großer Dichter wurde, daran ist neben der Bescheidenheit seines eigenen allem Vordrängen abholden Wesens vielleicht nur das Eine schuld, daß ihm, „des Volkes armem Sohne“, jene geistige Durchbildung versagt blieb, deren selbst das größte Genie zu einem wahrhaft vollendeten Schaffen nicht entbrechen kann.

Es sind überhaupt nur – die Masse thut es ohnedies nicht – drei Bändchen Gedichte und ein „Rundgemälde von Jena“, eine größere Dichtung in vier Gesängen, welche Treunert schüchtern in die Welt gehen ließ. Das erste erschien 1836 auf Andrängen von Freunden und Gönnern, das zweite 1852 in Folge eines ehrenden Nachrufs der Dorfzeitung, welche den Dichter bereits den Todten zugesellt hatte, um, wie er sagt, kund zu thun, daß er noch lebe, und das dritte 1862 als sein wahrer Todesstrauß, besorgt von Freundeshand kurz nach des Dichters Ableben. Die ganze Sammlung trägt den Titel „Mein Gärtchen an der Saale“. Wenn darin auch nicht, wie der Dichter meint, „schön’rer Zone [269] Blüthen am Kunstspaliere prangen“, so finden sich dort desto mehr jener „frischen Wiesenblumen“, auf welchen der Himmelsthau echter ungekünstelter Poesie liegt.

Wenn er sein Gärtchen an die Saale verlegt, so deutet er damit selbst an, daß die meisten seiner Gedichte auf einem rein localen Boden entsprossen sind. Und so war es auch. Treunert war in erster Reihe der Dichter seiner Vaterstadt, er war der Stadtpoet von Jena. Sein Ehrgeiz fand darin volle Befriedigung. In den fünfzig Jahren, da er in Jena lebte und dichtete, ist wohl kaum Jemand von irgend welcher Bedeutung dort zu Grabe getragen worden, dem er nicht einen letzten Reim in’s Grab nachgesungen, so daß die Todten um ihn her es fast nöthiger gehabt hätten, ihm zu danken, als die Lebendigen. Keine Hochzeit wurde in den bürgerlichen Kreisen Jenas gefeiert, der nicht Wilhelm Treunert in einem gedruckten „Carmen“ eine poetische Folie verlieh. So vieler anderer privater Veranlassungen nicht zu gedenken, ertönte zu den Festessen und Stiftungstagen der mannigfachen geschlossenen Gesellschaften nach „bekannter Melodie“ das Festlied aus Treunert’s Feder. Die Jenaer Universität hat es schon aus chronikalischem Interesse nicht für unwerth gehalten, die zwei starke Foliobände und einen Quartband bildende Sammlung dieser Gelegenheitsgedichte ihren Regalen einzuverleiben. Obwohl hierbei oft mehr das liebe Brod, als die innere Weihe den dichterischen Impuls lieh, wußte Treunert doch der trockenen Vorlage in vielen Fällen eine poetische Seite abzugewinnen und dem Alltäglichen das Sonntagskleid der Poesie überzuhängen oder doch einen frischen kecken Humor hineinzuwerfen, wie zum Exempel in einem Festlied zum Martinsessen der Schützengesellschaft (1840), in welchem er eine kühne Verbindung zwischen Doctor Luther und der Martinsgans herstellte, indem er anführte, wie jener die Gänse, namentlich ihre Schwänze und Schwingen gar hochgehalten habe, denn

D’raus nahm er sich die Waffen,
Womit er Tück’ und Trug
Der hinterlist’gen Pfaffen
Totaliter erschlug;

und dann fortfährt:

Von einer tücht’gen Feder
In einer tücht’gen Hand
Wird früher oder später
Die Lüge übermannt;
Und um der Thorheit Schanze
Zu stürmen frei und frisch,
Gilt mehr als Schild und Lanze
Ein guter Flederwisch.

Mit jedem Neujahr sandte er unter der Firma „des Höchstgestellten“ im Orte, des hoch oben in der grünen Haube des mächtigen Michaeliskirchthurms thronenden Stadtthürmers, einen poetischen Gruß an sein liebes Jena, dem er mit der Treue eines Kindes anhing. Wie poetisch ist es, wenn er da diesen Thürmer sagen läßt:

Allstündlich tönt bei Nacht und Tag
Mir in das Ohr der Glocke Schlag;
Allstündlich ruft ihr Mund mir zu:
Mensch, wie mein Schall vergehest du.

Doch wenn ein Jahr nun ist vollbracht
Und Zwölfe schlägt’s um Mitternacht,
Dann tret’ ich still an’s Fensterlein
Und schaue in die Nacht hinein.

Da unten Dunkel nah und fern,
Da oben leuchtet Stern an Stern,
Und um mich her ein leises Wehn,
Als hörte man die Zeit vergehn.

Ich blicke sinnend lang’ hinaus,
Dort unten kenn’ ich jedes Haus .
Und die d’rin wachen oder ruhn –
Ich will für sie das Beste thun.

Ich will mit festem Gottvertraun
Dem neuen Jahr entgegenschaun,
Will beten, daß es allerwärts
Recht froh begrüße jedes Herz.
u. s. f.

Auch sonst umrankt er fast alle großen und kleinen Ereignisse seiner berühmten Vaterstadt mit den Blüthenzweigen der Poesie. Da gilt sein Gruß bald dem bekannten Fuchsthurme, der jetzt der Waller reiche Menge wieder schaut, wie sie einst zum Marienbilde nach Ziegenhain pilgerte, nur ist ihr Heiliger jetzt Gambrinus und sein Heilmittel das „gelbe Bier“, bald den Linden, welche Jena im duftenden Kranze umgeben, bald der Nixe der Saale, die nur sein Dichterauge leibhaftig geschaut. Bald fällt sein Blick auf das immerblühende Röschen am Pulverthurme, das trotz aller herbstlichen Mahnung nicht zu Bett gehen will, bis der Winter es gewaltsam mit seiner weißen Decke zudeckt. Vor Allem aber sind es die Jena kesselartig umschließenden eigenartig geformten Berge, namentlich in ihrer kleidsamen Sommertracht, „den grünen Rock voll Blüthensterne mit goldnem Rübsenband gestickt“, die er feiert. Ja, er unternimmt sogar das bedenkliche Wagniß einer poetischen Ehrenrettung des auf ihnen gebauten Weines. Das „große Wasser“, von welchem das Saalthal vielfache Heimsuchung erleidet, begeistert ihn zu einer hübsch erfundenen Legende.

Die Natur ist es überhaupt, welche seiner dichterischen Phantasie die meiste Nahrung verleiht. Ihr hängt sein Herz mit ganzer Liebe an. In den „Blättern von der Saale“, dem Jenaer Localblatt, begrüßte er alljährlich im Frühlinge ihr Erwachen und im Herbste ihren Schlummer, während der Winter den Born seiner Dichtung fast immer verschloß oder nur Seufzer der Sehnsucht ihm entlockte. Schon das erste blaue Fleckchen am Januarhimmel nährt seine Seele mit Lenzeshoffnung, denn:

Das ist ein blaues Fensterlein,
Da guckt der Himmel blinzelnd ’rein.

Er fragt die Erde: Ist es Zeit?
Doch sie im weißen Schlummerkleid,
Sie bittet leise: Schweig doch still!
Ich noch ein Weilchen schlafen will.

Da schiebt er’s Fenster wieder zu
Und spricht: So träume denn in Ruh!
Doch wird es nicht mehr ferne sein,
Dann komm’ ich und da bist du mein.

Wen erinnerte dieses Gedicht nicht an die alemannischen Dichtungen Hebel’s, der es auch liebt, der todten Natur Sprache und Person zu geben.

Wenn der Frühling in’s Land gekommen ist, dann jauchzet Treunert’s Dichterherz laut auf. Verschwenderisch theilt der Lenz seine Gaben aus an Alle, auch an die Armen und Kranken, nur zwei Herzen gehen dabei leer aus, da sie schon selbst Alles haben; das eine ist das Herz das von dem Himmelsglanze der ersten Liebe erfüllt ist, und das zweite ist das reiche Dichterherz, das in seinem Lied dem Frühling selbst erst seine Wonnen alle lieh. Aus dieser kindlichen Hingabe an die Natur hatte sich Treunert auch einen rührend frommen Glauben gewonnen und bewahrt. Er fand in dem Walten der Natur überall die Daseinsspuren der Gottheit, eine Vertrauen erweckende Schöpfergüte und ein Aufgehen des Zeitlichen im Ewigen. Da ruft er am Frühlingssonntag aus:

Schwebe mit, mein leises Beten,
In des Himmels Aether hin,
Hin zu ihr der ew’gen Güte,
Die so groß in jeder Blüthe,
Als im Weltall ruft: Ich bin.

Auch über den harten Schmerz, den er beim Verlust des erstgeborenen Kindes seiner geliebten Pflegetochter empfand, half ihm dieser Glaube tröstend hinüber. Das Gedicht: „Das kleine Grab“ überschrieben, würde allein schon hinreichen, Treunert’s Dichtertalent zu bekunden. Es lautet:

Ein Kindergrab, so niedrig und so klein!
Ein von der Erde kaum erhabner Hügel!
Hoch über ihn hinweg im Sonnenschein
Tanzt noch der Schmetterling auf zartem Flügel.

Und doch ein Berg, ach! ein Gebirg sogar,
Das weithin strecket seine dunkeln Schatten.
Wo ist die Aussicht, die so lieblich war?
Wo sind die weiten hoffnungsgrünen Matten?

Wo ist um ferne Höh’n der milde Glanz?
Die Blüthenpracht, belebt vom Gotteshauche?
Ach Alles hat das kleine Grab so ganz
Als hoher Berg verdeckt dem Menschenauge!

Doch tritt hinauf! – Hoch über Zeit und Raum
Trägt die gewalt’ge Höh den Blick hinüber,
Und keinen Schatten wirft der Erdentraum
In dieses Licht der Ewigkeit herüber.

Es führt hinauf des Glaubens Zuversicht:
Der Liebe geht die Liebe nicht verloren,
Auch unser lieber kleiner Schläfer nicht. etc.

[270] Nun ist wohl auch die Neugier gerechtfertigt, die begehrt, Etwas über unseres Dichters persönliche Verhältnisse zu erfahren.

Wilhelm Treunert war ein Kind des Volkes in des Wortes herbster Bedeutung. Seine Mutter war „Aufwärterin bei Studenten“ und erhöhte diesen kargen Verdienst durch Schreiben von Mahn- und Gevatterbriefen sowie durch Gelegenheitsgedichte, die sie gleichzeitig auch an ihre Adressen beförderte. Die Geschichte seines Vaters verliert sich in Mythe und Legende.

Seine Mutter war bis zu seinem zehnten Jahre seine eigene und einzige Lehrmeisterin im Rechnen, Schreiben, Lesen. Darüber hinaus ging ihre Bildung nicht. Und das war zu jener Zeit für eine Tochter des Volkes immerhin schon viel. Neben diesem Mangel an eigentlicher Schulbildung entbehrte auch sonst noch Treunert’s Kindheit und erste Jugend aller Freude und all des gewöhnlichen Kinderglücks. Seine Mutter wurde durch ihre Erwerbsgeschäfte den ganzen Tag über dem Hause entfremdet. Sie ließ den armen Knaben, als er kaum aufrecht stehen konnte, ganz allein in der verschlossenen Stube zurück, nachdem sie ihm am Morgen die karge Tagesnahrung hingesetzt hatte. Wahrhaftig rührend klingt die Schilderung, welche Treunert in einem seiner späteren Gedichte von dieser Verödung seines Kindeslebens entwirft:

Ein Knabe war so arm und bloß,
Daß seine Mutter ihn verschloß.
Zum Ausgeh’n fehlten ihm leider
Die allernöthigsten Kleider.

Und Fensterscheiben trüb und blind
Die zeigten kaum dem armen Kind,
Das kläglich eingeschlossen,
Die spielenden Jugendgenossen.

Wie sehnt es sich, wie härmt es sich,
Wie weint es oft so bitterlich.
Wenn draußen die Gassen blinkten
Und hell und freundlich winkten.

Doch eines Tages, wunderbar,
Ein andrer Knabe bei ihm war,
Geschmückt mit weißen Gewändern,
Und gold’nen, grünen Bändern.

Er kam wohl auf dem Sonnenstrahl?
Man wußt’ es nicht; doch alle Mal,
Wenn er kam zu dem armen Knaben,
Sie prächtig gespielet haben.

Der Engel, der zu dem armen einsamen Knaben kam, war der Engel der Poesie. Die Einsamkeit wurde die Nährmutter seiner Phantasie. Und daß er sich diese Einsamkeit oft selbst noch vereinsamte, daß er, wie alle phantasiebegabten Kinder, für die Poesie der stillen Winkel schwärmte, davon meldet ein Ereigniß, das einmal das Stillleben seiner Kindheit unterbrach. Als seine Mutter eines Abends heimkam, fand sie den Knaben in der Stube nicht vor. Schreiend und wehklagend läuft sie auf die Straße und bietet die Nachbarschaft auf. Da findet sie endlich nach längerem Suchen den Knaben in einer Ecke unterm Bette sitzend und still und ruhig schlafend.

Indeß hatte unser kleiner Wilhelm außer dem Engel, der täglich zu ihm kam, auch noch einen reellern Spielgenossen. Das war ein zahmer Hamster. Seine Liebe für diesen einzigen Freund, für dieses einzige Besitzthum seiner Kindheit war eine so zärtliche, daß, als die Franzosen nach der verhängnißvollen Schlacht im October 1806 sich anschickten, die Stadt Jena zu plündern, er den kleinen vierfüßigen Freund in einen Topf steckte und mit ihm nach dem Dorfe Ziegenhain flüchtete. Er hat den Herren Franzmännern diesen Schreck, den sie seinem armen Hamster eingejagt, später, als er 1814 als Freiwilliger des weimarischen Jägerbataillons mit nach Frankreich zog, mit Pulver und Blei redlich wieder heimgezahlt.

Erst im zehnten Jahre, nachdem seine Mutter inzwischen sich verheirathet hatte, bekam der Knabe den Zutritt in die städtische Bürgerschule, sowie gleichzeitig den von ihm reich ausgebeuteten Genuß einer im Besitze seines Stiefvaters befindlichen Leihbibliothek. Da brach nun das Dichtergemüth sich auch nach außen Bahn. Das Talent des Schülers erregte die Aufmerksamkeit der Lehrer. Einer unter ihnen nahm ihn in sein Haus und in seine Privaterziehungsanstalt und gewährte ihm später sogar den Besuch des Hildburghäuser Gymnasiums. Aber es war nur ein kurzer Lichtstrahl, der in den Bildungsgang Treunert’s hineinfiel; verärgerte Verhältnisse in der Familie seines Gönners entzogen ihm dessen weitere Unterstützung. Er kehrte nach erst einjährigem Besuche der höhern Schule wieder nach Jena zurück und wurde nunmehr statt ein Meister und Herr nur ein Handlanger des Geistes. Er ergriff den Nahrungszweig seines Stiefvaters; er wurde Buchdrucker. Der Engel seiner Kindheit aber, die Poesie, wich nicht von seiner Seite und suchte ihm die einförmige Arbeit zu versüßen.

Der ihm wenig zusagende und darum auch wohl nicht mit rechtem Fleiße geübte Beruf ernährte ihn nur kümmerlich, litt oft Noth. Da konnte es wohl geschehen, daß er auf dem Theater der „Grünen Couleur“, einer Privatgesellschaft junger Bürger, Kotzebue’s „Armen Poeten“ mit seltener Wahrheit spielte. Der arme Poet – er war es ja selbst.

Zuletzt meinte da doch die gute Stadt Jena, daß ihr Dichter eine Erkenntlichkeit, oder wie man heute sagen würde, eine Dotation verdiene. Sie ging also in sich und beschloß, ihm die eben – im Jahre 1845 – vacant gewordene Stelle eines Markt- und Rathswachtmeisters zu übertragen. Dichtkunst und Polizei! Es konnte wohl kaum eine bedenklichere Ehe geben, als die zwischen diesen Beiden. Von vielen Seiten machte man auch den armen Candidaten auf die mißlichen Aussichten derselben aufmerksam. „Die Stadt,“ schrieb dieser damals an einen auswärtigen Freund, „betrachtet meine Wahl als ein Ereigniß. Alle Gesellschaften theilen sich darüber in Parteien, und es wird mir verdacht, mich gleichsam zum Polizeidiener gemacht zu haben. … Boshafte Menschen machen mich fortwährend darauf aufmerksam, daß ich auf dem Markte die Butter wiegen, den Wein ausrufen, in den Schenken Feierabend etc. bieten muß … Ja, wenn die guten Leute nur wüßten, wie kläglich die Aussichten eines armen Buchdruckergehülfen jetzt sind!“ Auch der gestrenge Herr Stadtrichter wollte von dieser Poetenwahl durchaus nichts wissen. Als die Väter der Stadt aber doch auf der Versorgung ihres Dichters bestanden, begrüßte er den neuen Untergebenen immer wieder mit den Worten: „Nur keine Poesie! Nur die Sache ganz prosaisch betrachtet!“ Indeß fand sich Pegasus diesmal ganz leidlich in sein Joch und hat es auch ehrlich getragen bis an’s Ende. Wenn es ihn einmal zu sehr drückte, so lief der Dichter auf seine Berge oder half sich mit der Poesie, oder er rief den Humor zu Hülfe, der freilich oft ein verzweifeltes Gesicht trug, wie in folgendem Reime:

Wasser soll ich bringen, wird mir anbefohlen!
Nun, du armer Dichter, das besorg’ in Ruh’!
Denn in deinen Versen, sag’ es unverhohlen,
Trägst du ja den Leuten längst schon Wasser zu.

Diese gegensätzlichen Thätigkeiten trugen sich auch über auf des Mannes äußere Erscheinung. Der Verfasser dieser Skizze kann sich derselben noch wohl erinnern. Namentlich ist sie ihm gegenwärtig in der von Treunert selbst einmal geschilderten Stellung, wie er die schwere Marktpreistafel am Rathhause, neben der sogenannten Zeise (ein Localausdruck für Accise), nicht ohne stillen Seufzer aufhing und dann durch seine großen Brillengläser mit gutmüthig lächelnden Augen den aufmerksamen Knaben betrachtete, um kurz darauf mit einer gelehrten, oft gar lateinischen Anrede dessen Erstaunen zu wecken. Seine untersetzte kräftige Gestalt, das vorgebeugte Haupt, eine gewisse Würde und Wohlgesetztheit seiner Rede, die Medaille am Rocke und der beknopfte dicke Rohrstock in der Hand – dies Alles ließ in ihm weit eher den Herrn Bürgermeister selbst vermuthen als seinen Diener.

Seinem im Jahre 1861 erfolgten Tode ging ein längeres Siechthum voraus. In Folge einer unglücklichen kinderlosen Ehe – er lebte in den letzten Jahren ganz getrennt von seiner ihm nicht gleichgearteten Frau – war seine Häuslichkeit längst verödet. So schlug er sein Schmerzenslager im allgemeinen Krankenhause auf. Nur eine inzwischen auch verheirathete Pflegetochter erleichterte ihm die Leiden seiner letzten Tage. Eine hohe Frau, deren Verehrung er zeitlebens einen schwärmerischen Cultus geweiht hatte, die Großfürstin-Großherzogin Marie Paulowna, der „Schutzgeist des Landes“, war ihm kurz zuvor im Tode vorangegangen.

Von seiner Schmerzensstatt aus sandte er noch seinen [271] „Gruß zur Schiller-Feier“, obwohl die herbstliche Natur ihm schon die trüben Todesgedanken erweckte:

Die letzte Schwalbe flog vorüber
Und rief: „Komm mit, Du kranker Mann!
Wir ziehen in ein Land hinüber,
Wo Dich der Frühling heilen kann.“
Vom Baum die letzten Blätter sanken
Und riefen: „Komm, Du kranker Mann!
Wir ziehen hin, wo allen Kranken
Die Mutter Erde helfen kann.“
Was Schwalbe mir und Blätter sangen –
Verklungen ist’s, ich bin noch hier.
Wollt’ doch, ich wäre mitgegangen,
Es stünde besser wohl mit mir.

Von diesem Schmerzenslager aus sandte er auch seinem geliebten Jena noch seinen letzten Neujahrsgruß. „Liebet Euch einander in Frieden!“ So lautete der Schlußreim. Es war die Parole seines ganzen Lebens gewesen. Aber der Tod kam auch jetzt noch nicht. Es geschah dies wohl auf die Fürbitte des Frühlings. Er, den er stets so hoch gefeiert und warm besungen hatte, er wollte ihm noch einmal die Gnade seines Anblicks gönnen, den Reichthum seiner Gaben zeigen. Aber der müde kranke Dichter begehrte nicht mehr nach seinem Glanze, wies die Gaben von sich.

Ach, Mutter Erde, schicke mir
Nicht deiner Blumen Frühlingsgabe!
Gieb lieber mir ein Stück von dir,
Ein Stückchen nur zu einem Grabe.
Ein Grab! Dann werden Blumen auch
Auf des Erlösten Hügel blüh’n,
Und ruhig wird der Wehmuth Hauch
Der treuen Lieben um ihn zieh’n.

Nach diesen Lauten der Wehmuth verstummte der Mund des Dichters, und als der Frühling gegangen war, gab ihm die mütterliche Erde das begehrte letzte Geschenk, das schmale Stückchen Raum, in dem sie ihn bergend aufnahm, sie, die ewig reiche – den armen kranken Poeten.

Fr. Helbig.