Die „Brüder Müller“

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die „Brüder Müller“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 133, 140
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Karl und Adolf Müller.

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Die „Brüder Müller“.

Gleich im ersten Plane zu seiner „Gartenlaube“ bestimmte Ernst Keil einen ständigen Raum für die Pflege der Naturkunde; namentlich sollten der Volksbildung, in deren Dienst er sein Blatt stellte, alle dem allgemeinen Verständniß zugänglichen Resultate der Naturforschung wie auch die Kenntniß vom „gesunden und kranken Menschen“ zu Gute kommen. Deßhalb zog er einen Kreis von Naturforschern und Aerzten zu seinem Blatte heran, zu denen schon in den fünfziger Jahrgängen desselben Männer zählten wie Roßmäßler, Bock, H. M. Willkomm, Burmeister, E. Hallier, die Hallenser Giebel, Ule und K. Müller, der treffliche Thüringer Berthold Sigismund, der Gartenbaumeister Herm. Jäger, der Wild-, Wald- und Waidmannsbilderer Guido Hammer, der Orthopäde Schildbach, der Botaniker Schleiden, Karl Vogt, Alfred Brehm u. A., und diesem Kreise schloß sich zu Anfang der sechziger Jahre das Brüderpaar Adolf und Karl Müller an.

Es war eine überraschende Erscheinung, als diese zwei Söhne der Wetterau, geleitet von Alfred Brehm, mit welchem sie innige Freundschaft verband, zum ersten Male als Mitarbeiter der „Gartenlaube“ vor Ernst Keil’s Redaktionspult traten, von ihm als liebe Gäste begrüßt. Ein frischer Waldhauch strömte von den drei Naturmännern aus, und daß derselbe auch in die „Gartenlaube“ einströme, dafür wußte der Leiter des angehenden Weltblattes allezeit Rath. – Was beide Brüder für die „Gartenlaube“ geleistet, liegt den Lesern seit fünfundzwanzig Jahren vor Augen, denn so lange ist es her seit jenem Märzmorgen des Jahres 1862, wo das Brüderpaar die Schwelle des Keil’schen Hauses in Leipzig überschritt. Solch ein Vierteljahrhundert der Thätigkeit zweier auf mehr als einem Gebiete rastlos und glücklich strebender Männer ist aber werth, daß man ihr eine Feierstunde widme und Dem, was sie geschaffen, einen dankbaren Blick zuwende.

Adolf und Karl Müller sind die Söhne eines Mannes, dessen Gedächtniß auf diesem Ehrenblatte seiner Kinder erneut zu werden verdient. Peter Müller gehörte zu jenen Theologen, welche, wie Abt, Methfessel, Julius Otto u. A., aus dem Dienst der Kirche in den der Musik übergetreten sind und als Liederkomponisten, Lehrer und Direktoren sich ausgezeichnet haben. Erst Pfarrer in Gladenbach, leitete er 22 Jahre lang den Musikunterricht am Lehrerseminar zu Friedberg in der Wetterau, und erst am Lebensabend kehrte er zum Pfarramt zurück, und zwar nach Staden, wo man ihn am 3. Oktober 1877, 86 Jahre alt, zur Ruhe legte. Nicht was er Musikalisches geschaffen, seine Männerchore, Orgelpräludien, Opern, seine Lieder für die Jugend, die als Volkslieder, deren Ursprung längst vergessen ist, im Odenwald und selbst in den Urwäldern Amerikas wiederhallen, können wir hier in nähere Betrachtung ziehen; wir müssen die Gedächtnißrettung des Vaters den Söhnen überlassen; aber ein Lob, das alle Schüler und Freunde gleich begeistert aussprechen, ist uns von besonderem Gewicht; sie alle verehrten in Peter Müller das Muster eines Mannes von harmonischer Ausbildung an Geist und Herz; „Nie trübte ein Wölkchen den schönen Himmel, der sich über ihm und allen ihm Nahestehenden wölbte. Das Haus des Mannes, der wie der ewige Friede verkörpert wandelte und dessen Wesen Harmonie ausstrahlte, zog die Menschen aus der Nähe und Ferne an“. Dieses Bild des Vaters erklärt uns am würdigsten das Bild seiner Söhne in der unwandelbaren Eintracht ihres gemeinsamen Wirkens auf naturwissenschaftlichem Felde, trotz der Verschiedenheit ihrer Lebensberufe. Auch die gemeinsame Liebe zur Natur erwuchs diesem Hause und dem Heimathboden, dem es zum Schmuck gereichte.

In Friedberg wurden beide Brüder geboren, Adolf am 16. Januar 1821, Karl am 16. Juli 1826. Ihr Vaterhaus stand in der Burg von Friedberg. All die unvergängliche Romantik, welche zwischen altersgrauen, epheuumrankten Mauern mit winkeligen Zwingern, ragenden Thürmen, versteckten Erkern und durch ihre Unheimlichkeit unwiderstehlich anziehenden Gewölben und unterirdischen Gängen selbst auf ältere Augen ihren Einfluß übt, treibt in frischen Knabenseelen die kühnsten Blüthen, namentlich wenn eine Spielgenossenschar von „Burgbuben“ auf solchem Boden und in dem baum- und buschreichen Schloßgarten der alten Wetterauer Gahn- und Erbgrafen sich ungebunden herumtummeln kann. In dieser Knabenzeit legten die Brüder den Grund zu ihren Forschungen über das Leben der Thiere der Heimath, dessen Darstellung das Hauptwerk ihrer Männerarbeit werden sollte. Kein Wunder, daß jetzt, wo Letzteres vollendet ist, im Dichtergemüth der Altersnahen die Erinnerung an jene Kindheit Ausdruck verlangt, und erfreulich ist es, daß namentlich Adolf dieser Neigung nachgiebt, indem er, neben allerlei Märchen und Kinderdichtungen seines Bruders, das wilde Treiben der „Burgbuben“ in der „Kinder-Gartenlaube“, einer Nürnberger Jugendzeitschrift, schildert.

Der Studiengang beider Brüder war der gewöhnliche. Beide waren Zöglinge der Schulen in Friedberg und des Gymnasiums in Darmstadt, und Beide verlebten eine frohe Studienzeit in Gießen, wo Adolf Forstwissenschaft und Karl Theologie studirte. Adolf wurde, nach vielfacher Verwendung in den hessen-darmstädtischen Forsten, 1858 Oberförster in Gladenbach, trat als solcher 1866 in preußische Dienste über und hat jetzt seinen Sitz in Krofdorf bei Gießen. - Karl begann seine geistliche Laufbahn als Rektor und Mitprediger im hessischen Städtchen Alsfeld, wo er später zweiter und vor zwölf Jahren erster Pfarrer mit den Funktionen eines Dekanats geworden ist.

Den Brüdern Müller gebührt unter den volkstümlichen Schriftstellern von wissenschaftlicher Bedeutung eine höchste Stelle in unserer Litteratur; ihren Werken ist es gelungen, vergessen zu lassen, daß keiner von beiden Brüdern ein zunftgelehrter Professor, sondern daß der eine ein Forstmann, der andere ein Geistlicher ist. Die Quelle, aus welcher sie ihre Wissenschaft in einer langen Reihe von Jahren schöpften, waren nicht Bücher, nicht die Schriften der Vorgänger auf derselben Bahn, sondern es war die Natur selbst; ihre Beobachtung und Erforschung des Lebens der höheren Thierwelt begannen sie schon in früher Jugend, schon die „Burgbuben“ fanden den Weg dazu. Die eigenen Forschungen verleihen den Müller’schen Werken ihren Hauptwerth, und die immer frische und klare Schilderung ihrer Beobachtungen gewährt ihnen den fesselndsten Reiz. Die ersten Mittheilungen über die Resultate ihrer stillen und beharrlichen Belauschung des endlos mannigfaltigen Treibens im Reiche der heimischen Fauna geschahen durch die periodische Presse, namentlich durch die „Gartenlaube“, und erst die gesammelten, geprüften und mit den Forschungen der Vorgänger verglichenen Schätze ihres Wissens ließen sie als Bücher in die Welt gehen. Von diesen haben wir hier fünf zu nennen.

Als erstes Werk erschien 1865 (Leipzig, C. F. Winter): „Charakterzeichnungen der vorzüglichsten deutschen Singvogel“. Roßmäßler, der als eben so gründlicher Gelehrter wie gediegener Volkslehrer der Naturkunde jede neue Erscheinung auf dem naturwissenschaftlichen Gebiete mit patriotischem Geiste nach ihrem Werth für wahre Volksbildung prüfte, begrüßte in seiner Zeitschrift: „Aus der Heimath“ diese Schrift aufs Freudigste. „Ja,“ schrieb er, „das ist die echte rechte Naturpoesie, wie ihr Gottfried Benedikt Schmiedlein (ein s. Z. berühmter Leipziger Naturforscher) den Transcendentalphilosophen und trockenen Systematikern gegenüber das Wort sprach.“ So anmuthend empfahl das Buch sich in seiner Darstellungsweise, daß auch eine französische Uebersetzung desselben ihr Publikum fand.

Vier Jahre später erschien (bei O. Spamer in Leipzig) das zweite Werk der Brüder: „Wohnungen, Leben und Eigentümlichkeiten in der höheren Thierwelt“ und erlebte den Vorzug, von der im Lobe nicht freigebigen „Allg. Zeitung“ „eine That gründlichen deutschen Forschergeistes“ genannt zu werden. - Ein drittes Buch ist dem „Gefangenleben der heimischen Singvogel“ gewidmet und 1870 von C. F. Winter verlegt. Diesem folgte 1873 (im Verlag von Ernst Keil) die noch immer vielgesuchte Schrift: „Die heimischen Säugethiere und Vögel nach ihrem Nutzen und Schaden in der Land- und Forstwirthschaft“.

Diese Bücher und all die zerstreuten Aufsätze und Abhandlungen der Brüder Müller können nunmehr nur als Vorarbeiten zu ihrem Hauptwerke gelten, das im Verlag von Th. Fischer in Kassel und Berlin seit 1883 dem deutschen Publikum in zwei stattlichen Bänden übergeben ist und das den Titel führt: „Thiere der Heimath. Deutschlands Säugethiere und Vögel, geschildert von Adolf und Karl Müller. Mit Original-Illustrationen nach Zeichnungen auf Holz und Stein von C. F. Deiker und Adolf Müller.“ - Unser Urtheil über dieses Meisterwerk der Brüder, von dem soeben eine zweite Auflage mit farbigen Bildern vorbereitet wird, haben wir in der „Gartenlaube“ wiederholt ausführlich ausgesprochen.

Wie der Titel des Werkes uns verräth, haben wir in Adolf Müller auch ein künstlerisches Talent zu beachten, und wir werden dasselbe um so beachtenswerther finden, wenn wir erfahren, daß hier ein Schüler ohne Schule, durch Naturnothwendigkeit und unerschütterliche Energie aus einem Dilettanten zum Meister geworden ist. Viele Beobachtungen des Thierlebens, die nur ihm allein möglich waren, die oft in größter Eile geschehen mußten und zu denen er nicht erst einen Künstler beiziehen konnte, verlangten eine bildliche Aufnahme, und so gab die Noth dem Autodidakten den Stift in die Hand. Daß seine Zeichnungen in dem reich illustrirten Prachtwerke neben denen eines Karl Friedrich Deiker mit Ehren bestehen können, ist ihr bestes Zeugniß. Schließlich haben wir auch noch der dichterischen Schöpfungen beider Brüder zu gedenken. Dem, was oben bereits angedeutet ist, können wir hinzufügen, daß eine wiederum gemeinsame Sammlung ihrer lyrischen Gedichte demnächst zum Druck kommen wird. Aus einem andern Gebiete finden wir außerdem Adolf Müller. Bei einem Besuch im Ernst Keil’schen Hause 1869 hatte er im trauten Familien- und Freundeskreise eine dramatische Dichtung vorgetragen, einen zweiten Theil zu Goethe’s „Faust“, eine Tragödie in fünf Akten, die ihn achtzehn Jahre in seinen besten Stunden beschäftigt hatte. War ihm auch von diesem kühnen Wagstück vieles gelungen, so half doch erst unsere große Zeit dem Dichter dazu, den Helden zu einem höheren Ziele zu führen. Wie in diesem Drama die Sehnsucht der Deutschen nach religiöser Einigkeit behandelt ist, so wird in einem anderen dramatischen Werke: „Hermann, Schauspiel in fünf Akten mit einem Nachspiele“ die politische Einheit Deutschlands gefeiert.

Bei der körperlichen und geistigen Rüstigkeit, in welcher die Brüder Müller ihr „Gartenlauben-Jubiläum“ begehen, ist ihnen, so hoffen wir, noch Zeit genug gegeben, um gerechte Wünsche erfüllt zu sehen und auf allen Gebieten ihrer Thätigkeit Neues zu schaffen zu ihrer und des deutschen Volkes Freude und Ehre.

Friedrich Hofmann.