Die Abstammung und Differenzierung der Gigantostraken

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Autor: Jan Versluys
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Titel: Die Abstammung und Differenzierung der Gigantostraken
Untertitel:
aus: Palaeontologische Zeitschrift, Band 5, Nr. 3, S. 292–319
Herausgeber: Otto Jaekel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1923
Verlag: Gebrüder Borntraeger
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: SpringerLink, Commons
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[292] J. Versluys-Hilversum:

Die Abstammung und Differenzierung der Gigantostraken.
Mit 14 Textfiguren

Die Gigantostraken sind zweifellos mit dem lebenden Limulus, dem Pfeilschwanzkrebs, nahe verwandt: sie werden zurecht mit diesem in die Gruppe der Merostomen vereinigt und ihre Phylogenese kann nicht anders als die von Limulus beurteilt werden. Bekanntlich hat Lankester mit einigen Schülern die Frage nach der Verwandtschaft von Limulus einer eingehenden Prüfung unterzogen. Das Ergebnis war, daß Limulus und die Gigantostraca Arachniden seien und zwar primitive Formen, von denen die Landarachniden abstammen. Die Wurzel dieser Entwicklungsreihe sucht Lankester in den Trilobiten.

Demoll und ich glaubten diese Lankestersche Limulus-Theorie wegen ihrer Unwahrscheinlichkeit einer erneuten Prüfung unterziehen zu müssen. Das Ergebnis ist, daß die Merostomen zwar Arachniden sind, aber von landbewohnenden Arachniden abstammen und daß ihr Meeresleben innerhalb der Arachniden neu erworben worden ist (Versluys und Demoll, 1920, 1921, 1922; vergl. auch Demoll, 1914, 1917 und Versluys 1919).

I. Die erste Hauptfrage: sind die Merostomen mit den Arachniden verwandt? kann ich ganz kurz behandeln. Lankester hat diese Verwandtschaft gut begründet; seine Ansicht, daß Limulus mit den Arachniden, speziell mit dem Skorpion, Segment für Segment und Organ für Organ übereinstimmt, fanden wir vollauf bestätigt. Die Ähnlichkeit einiger Gigantostraken, namentlich von Eusarcus (Fig. 1) mit Skorpioniden erweist sich als eine ganz überraschend große. Sie als Folge konvergenter Entwicklung zu deuten, scheint nicht möglich: dazu sind die Ähnlichkeiten zu weitgehend und zu fundamental. Wir finden zunächst die gleiche, sehr eigentümliche Gliederung des Körpers in Cephalothorax, Prä- und Postabdomen; diese Regionen des Körpers bestehen auch jedesmal aus der gleichen Zahl von Segmenten. Wir finden sogar die gleichen rudimentären Segmente (ein Prächeliceren- und ein Prägenital-Segment) beim Skorpion und bei Limulus. Läge Konvergenz vor, so müßten neben Ähnlichkeiten auch prinzipielle Unterschiede gefunden werden; sie fehlen aber. Schließlich ist auch die allgemeine Grundlage konvergenter Entwicklung, Anpassung an die gleichen Lebensbedingungen, nicht gegeben, da die Tiere in verschiedenen Medien, im Wasser bezw. auf dem Lande, leben. Es muß zwischen Merostomen und Arachniden eine engere Verwandtschaft bestehen; zwischen Skorpioniden [293] und Gigantostraken muß diese eine sehr enge sein. Sogar der spezielle Skorpioniden-Habitus mit schlankem Postabdomen und als Giftstachel ausgebildetem Telson, der doch eine ganz einzigartige Anpassung

[Die Figur ist nicht gemeinfrei.]
Fig. 1 A.
Pandinus, ein Skorpion, von der Bauchseite. ½ nat. Größe. Nach Versluys und Demoll, 1921, Fig. 3.
Erklärung bei Fig. 1 B.

[294] an die Tötung der Beutetiere bedeutet, kommt noch bei den Gigantostraken vor; allerdings nicht mehr in vollkommener Ausbildung, da Scheren fehlen, womit die Tiere festgehalten werden sollen (Eusarcus Fig. 1 B; noch ziemlich gut erhalten bei Slimonia, Fig. 11).

[Die Figur ist nicht gemeinfrei.
Siehe dieselbe auf der englischen Wikisource.
(Ohne Bearbeitung von Versluys)]
Fig. 1 B.
Eusarcus scorpionis, Grote u. Pitt, ein skorpionidenähnlicher Gigantostrake, von der Bauchseite. Circa ⅓ der nat. Größe. Nach Clarke & Ruedemann, 1912, Vol. 2, Tab. 28.
Blf Blattfüße; Ch Cheliceren; K.Pl Kauplatten der Gliedmaßen; S Stigmata; 7Sg 7. abdominales Segment (letztes präabdominales Segment = erstes Segment ohne Atmungsorgane, bei Eusarcus ohne Blattfuß, mit normalem Sternit); 8Sg 8. abdominales Segment (1. postabdominales Segment, mit ringförmigem Chitinpanzer); St Sternite des 3. bis 6. abdominalen Segmentes, welche die Tracheenlungen bedecken; T Telson (Giftstachel).

[295] II. Die zweite, schwierigere und bedeutungsvollere Hauptfrage des Limulus-Problems ist die, ob wirklich, wie es die Lankestersche Theorie will, die Landarachniden nun auch von den meeresbewohnenden Merostomen abstammen. Nach unserer Ansicht sind vielmehr die landbewohnenden Arachniden die ursprunglicheren Formen, von denen die wasserbewohnenden Merostomen abstammen. Es hat auf alle Fälle ein Mediumwechsel stattgefunden und wir stehen vor der wichtigen Frage: kann man im allgemeinen, wenn ein Mediumwechsel stattgefunden hat, am Bau der Tiere entscheiden, ob dieser Wechsel vom Land- zum Meeresleben oder in umgekehrter Richtung stattgefunden hat? Dies ist jedenfalls oft möglich. Bei den Walen z. B. zeigen verschiedene Organe uns, daß sie zum Meeresleben übergegangene Nachkommen von Landtieren sind. Bei den Merostomen liegen die Verhältnisse leider viel weniger klar, aber doch zeigen auch hier einige Organe uns die Richtung, in welcher der Mediumwechsel stattgefunden hat.

Mit an erster Stelle müssen die Atmungsorgane dem Medium angepaßt worden sein. Wir finden hier tatsächlich Unterschiede im Bau, die mit dem Medium im engsten Zusammenhange stehen. Die Merostomen haben auf der Hinterseite der Blattfüße ziemlich offen liegende und vom Meereswasser frei umspülte Kiemen. Diese bestehen aus zahlreichen, großen Lamellen (Limulus), damit eine genügend große Oberfläche für den Gasaustausch mit dem sauerstoffärmeren Meereswasser vorhanden ist. Die Skorpione, gewiß die den Merostomen nächststehenden Landarachniden, haben unter den Sterniten verborgen liegende, durch verhältnismäßig enge Stigmata (Fig. 1 A, S) für die Luft zugängliche, lungenartige Buchtracheen, welche die gleichen typischen Lamellen aufweisen; nur sind diese sehr viel kleiner, da für die Atmung in der sauerstoffreicheren Luft eine wesentlich kleinere Oberfläche genügt.

Die Atmungsorgane stimmen im Aufbau aus zahlreichen Lamellen (bis 150 bei Limulus und 120 beim Skorpion) überein[1], und da sie auch an der Ventralseite der gleichen abdominalen Segmente gefunden werden, muß eine Homologie angenommen werden. Die Erklärung der Unterschiede in Lage und Bau wird im verschiedenem Medium gefunden werden müssen.

Nach Lankester sind die Blattfüße der Merostomen echte Gliedmaßen, auf welchen, wie bei vielen Crustaceen, die Kiemen befestigt [296] sind. Dies wäre jedenfalls ein ursprünglicher Zustand im Vergleich zu den Skorpioniden, wo die Gliedmaßen des Abdomens ganz rudimentär geworden sind und den erwachsenen Tieren (mit Ausnahme der Kämme) fehlen. Bei den Skorpioniden hätten beim Übergang zum Landleben die Atmungsorgane gegen Verletzungen und gegen Eintrocknen an der Luft dadurch Schutz gefunden, daß sie in Höhlen der Ventralseite des Körpers aufgenommen wurden, so daß sie sekundär auf die Innenseite des Sternits verlegt wurden (Kinsley, 1885, 1893, dessen Theorie Lankester, 1904, übernommen hat). Diese innere Lage konnte nur durch die Rückbildung der abdominalen Gliedmaßen erreicht werden, deren Reste in den Sterniten aufgenommen worden wären.

Wir können dieser Deutung nicht zustimmen, da es ein Irrtum ist, in den Blattfüßen echte Gliedmaßen zu sehen. Vergleichen wir Gigantostraken und Skorpioniden, so wird ohne weiteres klar, daß die Blattfüße der ersteren mit den Sterniten der entsprechenden Segmente der Skorpioniden identisch sind. Dies ist so einleuchtend, daß die Blattfüße sehr häufig als Sternite bezeichnet werden[2].

Nun sind aber die Sternite Skelettplatten der Haut und als solche primär unbeweglich. Sie müssen bei den Gigantostraken also erst beweglich geworden sein, und dies muß als sekundärer Zustand im Vergleich mit den unbeweglichen Sterniten der Skorpioniden aufgefaßt werden. Daraus geht aber hervor, daß die Atmungsorgane der Stammformen der Gigantostraken ursprünglich von den unbeweglichen Sterniten bedeckt im Inneren des Körpers lagen, wobei sie nur von geringerer Größe und nur durch ein Stigma zugänglich gewesen sein können. Solche Atmungsorgane können aber nur an der Luft, niemals unter Wasser Genügendes geleistet haben und die Stammformen der Merostomen müssen dementsprechend Landtiere gewesen sein, ihre Atmungsorgane Buchtracheen. Mit dem Übergang zum Wasserleben wurden die Atmungsorgane an die vom neuen, sauerstoffärmeren und weniger beweglichen Medium gestellten Bedingungen angepaßt durch erhebliche Vergrößerung der Oberfläche der Lamellen der Lungenhöhle selbst und der am Hinterrande der Sternite liegenden Stigmata. Dadurch wurden die Sternite immer mehr aus dem [297] engen Zusammenhange mit dem übrigen Körper gelöst und schließlich zu den beweglichen, kiementragenden Chitinplatten, die wir bei den Gigantostraken und erheblich komplizierter gebaut bei Limulus finden. Diese Deutung erklärt uns auch, weshalb die Hinterfläche (dorsale Fläche) der Blattfüße der Merostomen, sowie die eigentliche Ventralwand der

Fig. 2. Schematischer senkrechter Längsschnitt durch: A einen Skorpion, B eine hypothetische Übergangsform, C einen Gigantostraken, um die Umbildung der Buchtracheen zu Kiemen und der Sternite zu Blattfüßen zu zeigen. Nach Versluys, 1919, Fig. 3, pag. 13. c Cephalothorax; l Lungenlamellen; m Metastoma; s Sternum; st Stigmata; 1–7 die 7 präabdominalen Segmente, wovon ventral 1 und 2 dem ersten, 3 bis 6 dem 2. bis 5. Blattfuße der Gigantostraken entsprechen: I–V die 5 Blattfüße, welche die Kiemen tragen.

entsprechenden Körper-Segmente von einer überaus zarten Chitinhaut bekleidet sind: diese ist nur die Wand der sehr stark vergrößerten Lungenhöhlen. Die Schemata der Fig. 2 sollen diese Umbildung erläutern.

Unsere Hypothese nimmt an, daß die Stigmata bei den landbewohnenden Vorfahren der Gigantostraken, die den Skorpioniden sehr [298] nahe gestanden haben müssen, an (unter) dem Hinterrande der Sternite lagen, nicht in den Sterniten, wie es bei den Skorpioniden der Fall ist (Fig. 1 A, S). Diese Lage unter dem Hinterrande der Sternite versteckt findet man aber bei anderen Arachniden, bei den Pedipalpi und den Araneae theraphosae. Das Fehlen jeder Andeutung von Stigmata in den Sterniten bei paläozoischen Skorpioniden (Petrunkevitsch 1913; Pocock 1911), besonders auch bei den gut erhaltenen Sterniten von Palaeophonus hunteri (Pocock 1901) macht eine solche Lage auch für die primitiven Skorpioniden wahrscheinlich[3]. Die Figur 3 zeigt, wie leicht bei einer Lage der Stigmata unter dem Hinterrande der Sternite durch Vergrößerung der Buchtracheen die Sternite in bewegliche Platten umgeändert werden konnten, auf deren Hinterfläche die Atmungsorgane liegen.

Das Ergebnis dieser Betrachtung ist, daß die Atmungsorgane und das Landleben der Skorpioniden ursprünglicher sind, als die Kiemen und das Wasserleben der Merostomen.

Für eine Änderung des Mediums müssen vielfach auch die höheren Sinnesorgane empfindlich sein. Bei den Merostomen und Skorpioniden ist offenbar der Bau der Augen vom Medium beeinflußt worden; denn diese Sinnesorgane sind bei beiden recht verschieden gebaut (Demoll, 1914, 1917; Versluys & (Demoll, 1920, 1921 und 1922). Bei Prüfung der Verhältnisse zeigt es sich, daß es nicht gelingt, die Augen der Skorpioniden aus denen der Merostomen (Limulus) abzuleiten (vergl. Fig. 4). Der Mediumwechsel kann nicht den Anlaß zur Umbildung der Facettenaugen der Merostomen zu der Gruppe von Lateralaugen der Skorpioniden gegeben haben, die damit homolog ist; denn ein Facettenauge sieht ziemlich gleich gut auf dem Lande wie unter Wasser, und die Auflösung in eine Gruppe von Lateralaugen würde eine Verschlechterung des Gesichtsvermögens bedeuten. Aus dem Linsenauge von Limulus würde auch niemals das kompliziert gebaute Hauptauge der Skorpione hervorgehen können; man hat sie zwar wegen der ähnlichen Lage miteinander homologisiert, aber nähere Untersuchung hat einen so prinzipiellen Unterschied im Bau aufgedeckt, daß eine Umbildung der Hauptaugen zu den Linsenaugen oder umgekehrt unmöglich erscheint (Demoll 1914, 1917; bestätigt wurde dies durch die Entdeckung von Holmgren, 1916, p. 110, daß die Innervierung von verschiedenen Abschnitten des Gehirnes ausgeht). Es gelingt nicht, die von der Lankesterschen Theorie verlangte Umbildung der Augen von Limulus in [299] die des Skorpions aus dem Mediumwechsel heraus zu erklären, oder durch morphologische Daten wahrscheinlich zu machen.

[Diese Figuren sind nicht gemeinfrei.]
Fig. 3. Mündung der Buchtracheen an der Ventralseite des Abdomens, A bei Uroproctus assamensis ♂ (Pedipalpi) und B bei Liphistius desultor ♀ (Araneae). Nach Zeichnungen von Pocock aus Lankester 1904, p. 242, Textfig. 56 und p. 249, Textfig. 64. Das erste Sternit ist gehoben und nach vorne gezogen, um die darunter liegenden Organe, besonders die Buchtracheen zu zeigen. G Genitalöffnung; St 1, St 2 erstes und zweites Sternit; Tr. L Buchtracheen.

Prüfen wir nun die andere Möglichkeit, daß die Augen von Limulus aus denen der Skorpione hervorgegangen seien, und versuchen wir uns darüber klar zu werden, welchen Einfluß der Übergang zum Wasserleben auf die Augen und auf das Sehen des Skorpions ausüben würde. Bei den Hauptaugen würde unter Wasser durch die viel geringere oder fehlende Brechung der Lichtstrahlen an der konvexen Vorderfläche der unbedeckten Linse das Bild ziemlich weit hinter die Netzhaut fallen, so daß im Auge nur ein sehr undeutliches Bild entstehen würde. Das Tier würde also mit seinen Hauptaugen nicht mehr gut sehen können, und diese würden, wie alle nutzlosen Organe, zurückgebildet werden oder ganz verschwinden. Die Änderung des Mediums würde also das Fehlen der Hauptaugen bei den Merostomen erklären.

Die gehäuften Lateralaugen des Skorpions sind ebenfalls Linsenaugen, und jedes einzelne würde, wie die Hauptaugen, durch den Übergang zum Wasserleben in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt werden. Aber es kommt bei den Lateralaugen, die recht primitiv gebaut sind, nicht so sehr auf die Vollkommenheit des Bildes an, welches in jedem entsteht. Vielmehr arbeiten sie zusammen, wie die Ommata eines Facettenauges. Namentlich für die Beobachtung sich bewegender Gegenstände ist eine solche Gruppe einfacher Augen geeignet, da dann die einzelnen Augen nacheinander gereizt werden. Es ist dabei nicht so wesentlich, ob das in jedem Auge entstehende Bild auf oder hinter die Netzhaut fällt, wenn das Auge nur gereizt wird und das Tier dadurch auf die in seiner Nachbarschaft sich bewegenden Objekte aufmerksam gemacht wird. Die Lateralaugen könnten also erhalten bleiben und zwar so, daß sie nur noch zusammen, wie Ommata, wirken. Man kann sich sehr gut [300] vorstellen, daß im Wechsel des Mediums der Anstoß zur Umbildung der Gruppe von Lateralaugen zu einem Facettenauge gegeben war, da die Gruppe der Einzelaugen um so leistungsfähiger sein würde, je zahlreicher sie wären und je enger sie beisammen lagen. Das Linsenauge von Limulus und der Gigantostraken ist offensichtlich aus einem der Seitenaugen des Skorpions hervorgegangen, das nicht in das Facettenauge mit aufgenommen wurde. Es mag dies ein Hilfsauge des Facettenauges gewesen sein, welches für die Entfernungsschätzung wichtige Dienste leistete und dessen Entstehung also mit der Ausbildung des Facettenauges verknüpft war.

Es kann also durch den Übergang vom Landleben zum Meeresleben sowohl das Verschwinden der Hauptaugen des Skorpions, wie die Umbildung der Lateralaugen zum Facettenauge (und einem Hilfsauge) bei den Merostomen erklärt werden. Daß die Umbildung tatsächlich in dieser Weise stattgefunden hat, zeigt uns der silurische, marine Skorpion Proscorpius Osborni, dessen Augen einen Übergangszustand vom Skorpion zum Merostomen darstellen. Das alte Hauptauge ist hier in der Nähe des Hinterrandes des Cephalothorax noch erkennbar (Fig. 4 B, H A), die Lateralaugen (LA) haben sich eng zusammengeschlossen, mit Ausnahme eines, welches von den anderen abgerückt nahe der Mitte am vorderen Rande des Cephalothorax liegt (LA’), vergleichbar dem Linsenauge der Merostomen. Dieses liegt zwar bei den erwachsenen Tieren beinahe immer wesentlich weiter nach hinten, aber bei den Larvenformen liegt es dem Vorderrande des Cephalothorax näher; bei Eurypterus ranilarva bleibt es dauernd in dieser Lage (Clarke & Ruedemann).

Zu beachten ist auch, daß die Linse beim Linsenauge von Limulus auf dem Wege ist, sich von der Chitinschicht der Haut loszulösen und dadurch eine bedeckte Vorderfläche zu erwerben, die wieder für die Lichtbrechung geeignet ist. Es liegt hier eine unzweideutige, noch nicht vollendete Anpassung an das Wasserleben vor, die für sich allein schon zeigt, daß die Umbildung vom Landtier zum Wasserbewohner ging.

Wir sehen also, daß die für den Wechsel des Mediums an erster Stelle empfindlichen Atmungsorgane und Augen uns auf die Frage, in welcher Richtung eine Änderung der Lebensweise stattgefunden haben muß, die Antwort geben: in der Richtung vom Land- zum Wasserleben, und nicht, wie Lankester annahm, umgekehrt.

Es ist ferner zu betonen, daß bei einer Änderung des Mediums erst nachher die Anpassung folgen kann: ein Tier kann sich einem Milieu nicht anpassen, bevor es darin lebt. Nun sind aber die Übergangsformen [301] zwischen Merostomen und Skorpioniden (die marinen silurischen Skorpioniden Proscorpius und Palaeophonus; die Skorpionidenähnlichen Gigantostraken Eusarcus und Slimonia) sämtlich Wassertiere, wie es nur bei einem Übergang von Skorpioniden zum Küsten- und Wasserleben erwartet werden kann. Die Lankestersche Theorie würde hier bedingen, daß die Skorpioniden-Organisation noch während des Wasserlebens entstanden wäre und nachher dann die nahezu fertigen Skorpioniden ans Land gegangen wären; dort hätte sich dann ihre Körpergestalt als so geeignet erwiesen (trotzdem sie unter ganz anderen Bedingungen im Wasser entstanden wäre), daß sie sich nahezu unverändert

[Diese Figuren sind nicht gemeinfrei.
Fig. 4 B siehe auf der englischen Wikisource (Fig. 83).
Fig. 4 C siehe auf der englischen Wikisource (Fig. 1).
(Ohne Bearbeitungen von Versluys)]
Fig. 4. Cephalothorax mit Augen. A von einem Skorpion (Pandinus). Nach Versluys & Demoll, 1921, nat. Größe. B vom marinen Skorpion Proscorpius Osborni. C von einem Gigantostraken (Hughmilleria socialis). Fig. B und C nach Figuren von Clarke[WS 1] & Ruedemann.

F Facettenauge der (Merostomen) entsprechend der Gruppe der Lateralaugen LA der Skorpioniden. L Linsenauge der Merostomen, entsprechend dem isolierten Lateralauge LA’ bei Proscorpius. HA Hauptauge der Skorpione, bei Proscorpius noch erkennbar, bei den Merostomen verschwunden.

bis in die Jetztzeit erhalten konnte. Das heißt, die Anpassung sei vorher im Wasser erfolgt, nicht nach der Änderung der Lebensweise auf dem Lande.

Die Lankestersche Theorie scheitert auch an der großen Schwierigkeit, daß sie bei der engen Verwandtschaft der Gigantostraken und Skorpioniden in diesen die Stammformen aller Landarachniden sehen muß. Es ist aber die Skorpioniden-Organisation innerhalb der Arachniden keine ursprüngliche, vielmehr ist sie in sehr vieler Hinsicht stark spezialisiert. Lankesters Urarachnid (vergl. Pocock, 1893) kann nicht die [302] wirkliche Stammform der Arachniden sein. Es fehlen ihm die freien hinteren Thoraxsegmente der Solifugen, Palpigradi und Schizonotidae; das Prägenitalsegment ist zu rudimentär; die Mundöffnung liegt zu weit nach hinten, die vorderen Sterna sind zu weit rückgebildet, das Endosternit ist zu kompliziert, die Augen sind von einem viel zu hoch differenzierten Typus, usw. Die Solifugen sind wesentlich primitiver im Bau aller dieser Organe und auch die Palpigradi stehen auf einer viel tieferen Entwicklungsstufe als die Skorpione. Hier versagt die Lankestersche Theorie vollkommen.


Eine wesentliche Schwierigkeit könnte unserer Auffassung von der Abstammung der Merostomen von Landarachniden nun aber entstehen, wenn eine Verwandtschaft der Merostomen mit Trilobiten oder anderen Krustazeen nachgewiesen wäre. Lankester hat diese angenommen. Hält man hieran fest, dann wird es allerdings schwer die Merostomen von Landarachniden abzuleiten, weil dann die Krustazeen von den Merostomen abstammen müßten (man vergl. Jaworowski, 1894). Daran kann aber nicht gedacht werden, weil die Crustacea von ursprünglicheren und ganz anders gebauten Arthropoden abgeleitet werden müssen, als die Merostomen es sind, denen Antennen und abdominale Gliedmaßen fehlen.

Es ist aber ein Irrtum, eine direkte Verwandtschaft der Merostomen und Krustazeen als feststehend anzunehmen. Eine solche ist keinesfalls erwiesen. Die Anhänger einer Abstammung der Merostomen von Krustazeen (Trilobiten) haben wohl immer erwartet, daß Übergangsformen noch einmal gefunden werden würden. Dies ist bis jetzt nicht gelungen. Walcotts Beschreibung (1881) Merostomen-artiger Gliedmaßen bei Trilobiten hat sich bekanntlich als falsch herausgestellt. Und seine neuerdings (1911, 1912) beschriebenen cambrischen Ordnungen Limulava und Aglaspina, die primitive Merostomen sein sollen, deren Gliedmaßen auch denen der Krustazeen nahe stehen, sind zweifellose Krustazeen (dies ist auch die Ansicht von Raymond, 1920, während Clarke & Ruedemann, 1912 sich gleichfalls sehr vorsichtig über die Verwandtschaft dieser Tiere mit den Merostomen aussprechen), die keine wesentlichen Charaktere mit den Merostomen gemeinsam haben. Man muß hier wohl beachten, daß Krustazeen und Arachniden (inkl. Merostomen) zwei divergente Anpassungstypen der Arthropoden darstellen. Bei den Krustazeen passen sich die Gliedmaßen des 2. Körpersegmentes als 2. Antennen der Tastfunktion an (die 1. Antennen sind wohl schon bei den Stammformen aller Arthropoden als [303] solche vorhanden gewesen), während die Gliedmaßen des 3.–5. Segmentes zu Kiefern umgebildet werden und dabei jede Beziehung zur Fortbewegung aufgeben. Letzterer Funktion dienen eine Reihe weiterer, thorakaler und abdominaler Gliedmaßen. Bei den Arachnoideen kommt es dagegen niemals zur Ausbildung richtiger Kiefer. Das 2. Segment[4] trägt keine Antennen, sondern die als Cheliceren bezeichneten Gliedmaßen, mit denen die Beute erfaßt oder verletzt wird, vielfach unter Einbringung von Gift in die Wunde. Die Gliedmaßen des 4.–7. Segments dienen als Beine der Fortbewegung, die des 3. Segments, die Pedipalpen, sind verschieden entwickelt, als Greiforgane oder Tastorgane, aber doch fast beinähnlich; weitere gut entwickelte Gliedmaßen sind nicht vorhanden. Das Fehlen richtiger Kiefer bei den Arachnoideen hängt damit zusammen, daß diese Tiere typisch von flüssiger Nahrung leben; sie saugen die Säfte der erbeuteten Tiere aus, wobei jedenfalls bei einem Teil der Arachniden das in die Beute gebrachte Sekret der Speicheldrüsen (Gift) die festeren Gewebsteile verflüssigt und zum Aufsaugen geeignet macht (sog. Außenverdauung). Die Mundbildung bleibt dabei mitunter ganz frei von den Gliedmaßen, also äußerst primitiv! Die Skorpione sind allerdings dazu übergegangen, ihre Nahrung zu zerkleinern und haben dazu an der Basis der Pedipalpen und der zwei ersten Beinpaare Kauplatten entwickelt; bei den Merostomen, welche ihre Beute fressen, ist diese Entwicklung noch weiter vorgeschritten, indem alle Beine an der Basis Kauplatten tragen. Aber diese Gliedmaßen werden dabei nicht zu Kiefern, und dies kann auch kaum eintreten, weil sie die Fortbewegung der Tiere besorgen müssen und daher nicht entbehrt werden können[5]. Deshalb können diese Gliedmaßen auch nicht nach vorn verschoben werden und sich um den Mund gruppieren, wie es bei den Krustazeen der Fall ist, sondern die Mundöffnung muß nach hinten verlagert werden!

Es ist nun kaum denkbar, daß der eine Anpassungstypus der Krustazeen (der auch schon bei den Trilobiten, wenn auch noch in primitiver Form, vorhanden ist), zum Arachnoideentypus umgeändert werden könnte. Es müßten dann die schon zu Kiefern, Mundteilen umgebildeten Gliedmaßen der Krustazeen wieder zu normalen, der Fortbewegung dienenden Beinen umgeändert werden. Dies ist sehr unwahrscheinlich, [304] und es wäre dazu auch kein Anlaß vorhanden, da bei den Krustazeen neben den Mundteilen doch genügend zahlreiche, der Fortbewegung dienende Gliedmaßen vorhanden sind, aus denen die Beine der Arachnoiden hätten hervorgehen können. Es müßten also wohl sehr wesentliche Beweise vorhanden sein, bevor man eine Abstammung der Merostomen[WS 2] von Krustazeen annehmen könnte. Solche Beweise fehlen aber. Auch die Limulava zeigen in keiner Hinsicht zwischen beiden Gruppen vermittelnde Charaktere; in den Antennen, den zu Kiefern umgebildeten Kopfgliedmaßen und der größeren Zahl von Gliedmaßen, welche der Fortbewegung dienen[6], im Spaltfußcharakter der Gliedmaßen, sind sie typische Krustazeen!

Auch die Ähnlichkeit der Larven von Limulus mit Trilobiten, die dazu geführt hat, daß man in der Ontogenie von Limulus sogar von einem Trilobitenstadium spricht, hat keine phylogenetische Bedeutung. Wäre die Limulus-Larve primitiv, so müßte eine ähnliche Larve wohl auch den Gigantostraken zukommen. Hier kennen wir aber ganz junge, wohl eben erst ausgeschlüpfte Larven, von etwa 2 mm Länge ab, und diese haben schon immer einen ziemlich langen, gegliederten Hinterleib, ganz verschieden von dem der sog. Trilobiten-Larve von Limulus (Fig. 5). Diese dürfte daher keine primitive Larvenform sein: ihre Trilobitenähnlichkeit ist offensichtlich eine Folge der Übertragung der Körpergestalt des erwachsenen Limulus (die eine sekundäre Anpassung an die wühlende Lebensweise zeigt) auf die Larve. Auch die Ähnlichkeit einiger älterer Gattungen der Xiphosura, wie Hemiaspis, Bunodes, Pseudoniscus und Bellinurus mit einigen Trilobiten, wie Harpes, Trinucleus (vergl. Packard, 1886), wie auffallend sie auch sein mag, kann keine phylogenetische Bedeutung haben, denn die primitive Körpergestalt der Merostomen ist die der Gigantostraken und hier fehlt jede Ähnlichkeit[WS 3] mit Trilobiten. Es liegt also nur Konvergenz vor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß es gelegentlich schwer, sogar unmöglich ist, festzustellen, ob eine Form zu den Xiphosura oder zu den Trilobiten gehört, denn das liegt nur an unseren ungenügenden Kenntnissen der Gliedmaßen solcher Formen. Man denke z. B. an Neolimulus oder an Aglaspis, die nach unserer jetzigen Kenntnis ihres Körperbaues sowohl Crustacea wie Merostomen sein könnten. Es würde z. B. auch schwer [305] sein, von einer fossilen Glomeris-ähnlichen Form nur nach der Rückenansicht, ohne Kenntnis der Gliedmaßen, zu entscheiden, ob sie zu den Isopoden oder zu den Myriapoden gehört, und doch sind beide Gruppen gar nicht näher miteinander verwandt.

Es hat keinen Zweck, solche dürftig bekannten Formen für phylogenetische Betrachtungen zu verwerten. Dies trifft unserer Ansicht nach auch für Strabops Thacheri zu. Diese von Beecher (1901) aus den obercambrischen Potosi-Kalksteinen von Missouri beschriebene Form wird von Clarke & Ruedemann in ihrer großen Monographie (1912) als älteste Eurypteride und Prototype der Gigantostraken gedeutet. Wäre diese Form wirklich ein Gigantostrake, so müßte ihr wegen ihres hohen

[Diese Figur ist nicht gemeinfrei. Siehe dieselbe auf der englischen Wikisource (l.c.).]
Fig. 5. A junge Larve von Limulus im „Trilobitenstadium“. B junge Larve, von Trinucleus ornatus Sternb., beide nach Packard, 1872, Fig. 52, Tab. 5 und Fig. 33, S. 183. C jüngste bekannte Larve von Stylonurus myops Clarke, nach Clarke & Ruedemann, 1912, Fig. 4, Tab. 51.

geologischen Alters wohl eine große phylogenetische Bedeutung zuerkannt werden.

Strabops, nur aus dem Steinkern der Rückenseite bekannt (Fig. 6), zeigt ein vorderes Schild, welches Clarke & Ruedemann mit dem cephalothoracalen Schild der Gigantostraken homologisieren, dann 12 freie Schilder, worin die genannten Autoren die 12 Segmente des Prä- und Postabdomens der Gigantostraken erblicken, und einen hinten abgebrochenen Telson. Die Ansicht von Beecher und von Clarke & Ruedemann hat gewiß eine große Autorität; dennoch können Demoll und ich uns derselben nicht anschließen. Nach unserer Ansicht ist es nicht erwiesen, daß Strabops zu den Merostomen gehört: er kann ebensogut zu den [306] Krustazeen gehören. Es ist zwar richtig, daß Strabops in der Körpergestalt den Gigantostraken einigermaßen ähnlich ist, aber dies genügt durchaus nicht, um seine Zugehörigkeit zu diesen Formen zu beweisen. Wirklich typische Gigantostrakenmerkmale fehlen: so sind die Augen rund, statt nierenförmig, und es fehlen die Linsenaugen, welche die Gigantostraken immer besitzen. Weiter fehlt jede Andeutung der so typischen Differenzierung in Prä- und Postabdomen; die Oberflächenskulptur der Chitinhaut ist unbekannt, und wir wissen daher nicht, ob diese die charakteristische Schuppenmarkierung der Gigantostraken aufwies. Solange wir auch nicht wissen, ob unter dem mittleren, gegliederten Teil des Körpers bei Strabops Blattfüße vorhanden waren, fehlt die Gewißheit, daß dieser Körperabschnitt wirklich dem Abdomen der Gigantostraken entspricht; ferner ist durchaus unsicher, ob das Kopfschild einen mit 6 Paaren von Gliedmaßen ausgestatteten Cephalothorax mit Cheliceren und ohne Antennen bedeckte. Es fehlt jede charakteristische Ähnlichkeit mit Gigantostraken, die uns zeigen würde, daß Strabops, trotz der mangelhaften Kenntnisse seines Baues, ein Gigantostrake ist! So kommen wir zum Ergebnis, daß Strabops zu ungenügend bekannt ist, um seine systematische Stellung sicher zu entscheiden, daß er aber mit den Gigantostraken nur eine oberflächliche Ähnlichkeit aufweist und kein Grund vorliegt, das Tier in irgendwelche Beziehung zu den Gigantostraken zu bringen. Die Form muß bei unserer Betrachtung ausscheiden, und darf nicht als Archetypus der Gigantostraken betrachtet werden.

[Diese Figur ist nicht gemeinfrei.
Siehe dieselbe auf der englischen Wikisource (l.c.).]
Fig. 6.

Strabops Thacheri Beecher, innere Fläche der Rückenseite nach einem Guttaperchaabdruck. Nach Clarke & Ruedemann, 1912, Tab. 13, Fig. 2. × 2/5.

Man könnte nun noch gegen unsere Auffassung, daß die primitivsten Arachnoideen Landtiere waren, geltend machen, daß die geologisch ältesten bekannten Formen marine Tiere sind (Gigantostraken und die silurischen Skorpioniden). Und weiter, daß, da die Crustacea, einschließlich der Trilobiten, die geologisch ältesten Arthropoden sind, die wir kennen, die Landarthropoden erst viel später auftreten, diese doch wohl von jenen abgeleitet werden müßten. Gewiß darf bei phylogenetischen Spekulationen das geologische Alter der in Betracht kommenden Formen [307] nicht vernachlässigt werden. Aber in unserem Falle handelt es sich um einen Vergleich von Land- und Wasser-Arthropoden, und wir wissen, wie äußerst unvollständig unsere Kenntnisse der Landfaunen im Vergleich zu den Meeresfaunen früherer Perioden sind, wie viel geringere Aussichten Landtiere haben, uns fossil überliefert zu werden. So primitive Formen wie die Onychophora, denen man ein sehr hohes geologisches Alter nicht absprechen kann, sind meines Wissens fossil noch nicht bekannt, und das Fehlen größerer Skeletteile läßt nur sehr geringe Hoffnung, daß sie in geologisch älteren Schichten noch einmal fossil gefunden werden. Und auch die ursprünglichsten Arachnoideen könnten ein verhältnismäßig wenig festes Hautskelett aufgewiesen haben und uns daher nur in den allerseltensten Fällen überliefert werden. Daher glauben wir dem höheren geologischen Alter der Krustazeen und Merostomen gegenüber den Landarachniden keine entscheidende Bedeutung beilegen zu sollen.

Das Ergebnis unserer Untersuchung ist, daß die Merostomen von Landarachniden abstammen, und zwar von Formen, die den Skorpioniden äußerst nahe stehen. Daß solche Tiere zum Wasserleben übergehen konnten, zeigen uns die marinen Skorpioniden Palaeophonus und Proscorpius, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob diese Tiere wirkliche Zwischenformen zwischen den Landarachniden und den Gigantostraken sind, oder nur Fälle paralleler Umbildung darstellen.


Der zweite Teil unserer Betrachtungen gilt der Frage nach der Differenzierung der Gigantostraken. Unsere Auffassungen weichen hier dadurch nicht unwesentlich von denen Clarke und Ruedemanns ab, als diese Autoren von Strabops als Prototypus der Gigantostraken ausgehen, wir dagegen eine skorpionidenähnliche Organisation mit 7gliedrigem Präabdomen, 5gliedrigem Postabdomen und gebogenem, spitzen Telson mit angeschwollener Basis für die ursprüngliche halten, und demnach in Eusarcus (Fig. 7) den primitivsten Typus der Gigantostraken sehen[7].

Besondere Beachtung verdient bei unserer Darlegung die bekannte Arbeit von Dollo, Paléontologie éthologique (1910), worin er für die Gigantostraken nachgewiesen hat, daß ein klarer Zusammenhang zwischen [308] der Lebensweise, dem Bau des Telson und der Lage des Facettenauges besteht. Er zeigte, daß bei einer im Boden wühlenden Lebensweise die Facettenaugen der Gigantostraken auf der Rückenseite des Tieres, vom Rande des Cephalothorax entfernt liegen, daß gleichzeitig das Telson gestreckt stachelförmig ist und als Hilfsmittel beim Einwühlen im Meeresboden wichtig wird (Fig. 8). Ein anderer Typus der Gigantostraken ist der schwimmende, der, wie Dollo ausführte, sowohl durch flossenförmiges Telson, wie durch marginale Facettenaugen gekennzeichnet ist (vergl. Fig. 9).

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Fig. 7. Esarcus scorpionis Grote u. Pitt, vom Rücken gesehen, × ⅓, circa. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 27.

Damit sind diese Merkmale als Anpassungsmerkmale erkannt, die dann aber leicht die Folge konvergenter Entwicklung sein können und daher, wenn sie uns auch die Entwicklungsreihen verständlich machen, doch als Zeichen der Verwandtschaft nicht ohne Vorsicht herangezogen werden dürfen (vgl. Dollo, 1910, S. 405). Wir weichen von Dollo insoweit ab, als wir von einer skorpionidenähnlichen Form ausgehen, die weder der schwimmenden noch der wühlenden Lebensweise besonders angepaßt war, aber die marginale Lage der Facettenaugen und das gebogene stachelförmige Telson von den landbewohnenden Stammformen übernommen hatte. Diese Tiere müssen wohl bodenlebend gewesen sein, noch ohne besondere Anpassungen an das neue Medium, d. h. mit zunächst ganz geringem Wühl- oder Schwimmvermögen, wie es eben bei einem zum Wasserleben übergehenden Landtiere von Skorpionidenbau [309] erwartet werden muß. Anlaß für den Übergang zum Wasserleben kann nur eine reichlich an der Küste oder den Flußufern eines Deltagebietes vorhandene Nahrung gewesen sein. Diese Nahrung war eine andere, als die der Skorpione; sie dürfte aus im Sande des Ufers lebenden Würmern, später auch Mollusken bestanden haben, wie jetzt bei Limulus.

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Fig. 8. Stylonurus longicaudatus Clarke u. Ruedemann × ½. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 54. Eine wühlende Form, mit gestreckt stachelförmigem Telson und oben auf dem Kopfschilde liegenden Facettenaugen. Fig. 9. Pterygotus buffaloensis Pohlman × 1/20. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 67. Eine schwimmende Form, mit kurzem, flossenförmigem Telson und marginalen Facettenaugen.

Sie mußte zerkaut werden, wozu die beim Skorpion vorhandenen Kauplatten die Möglichkeit boten. Bald wurde der Kauapparat vervollständigt, die zerkleinerte Beute wurde verschluckt, daher wurde der noch beim Skorpion auf flüssige Nahrung eingerichtete enge Schlund erweitert [310] und der Kauapparat vervollständigt. Anpassungen der Atmungsorgane, der Beine, bald auch der Augen gingen damit parallel. Diese Tiere mußten sich aber bald an die neuen Fortbewegungs- und Existenzmöglichkeiten des Wasserlebens anpassen und es lag sehr nahe, daß sie das Vermögen zu schwimmen erwarben, teilweise auch eine im Boden wühlende Lebensweise annahmen, die vielfach für den Nahrungserwerb wichtig war.

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Fig. 10. Hughmilleria socialis Sarke ⅔ nat. Größe. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 59.
Offenbar wurde die Fähigkeit zu schwimmen sehr frühzeitig von einigen Formen erworben, denn die eigentümliche Abänderung des letzten Beinpaares zum breiten Schwimmfuße finden wir schon bei Eusarcus (Fig. 7), der den Skorpionidenhabitus noch in der Hauptsache beibehalten hatte und unserer Ansicht nach ein sehr primitiver Gigantostrake ist. Diese Modifikation des letzten Beinpaares darf wegen der Analogie mit [311] dem Schwimmbeine einiger Brachyuren Dekapoden (Portunidae; vergl. Holm, 1898, S. 27; Clarke und Ruedemann, 1912, S. 51–52) als ein sicheres Zeichen des Schwimmvermögens gelten, andrerseits wird diese eigentümliche Umbildung nur einmal erworben worden sein, so daß man annehmen darf, daß die Formen, welche diese Eigentümlichkeit besitzen, miteinander verwandt sind.

Fig. 11. Slimonia acuminata Salter × 1/9. Nach Laurie, 1893 Tab. 2, Fig. 9. Die besonderen Blattfüße am Präabdomen existieren in Wahrheit nicht. VII–XVIII die abdominalen Segmente 1–12.

Sie wurde aber, wie gesagt, sehr früh erworben, und es konnte später noch eine sehr erhebliche Differenzierung innerhalb der mit diesem Schwimmbein versehenen Formen stattfinden. Eine wichtige Anpassungsreihe entstand durch die weitere Vervollkommnung des Schwimmvermögens durch Ausbildung des Telson zur Schwanzflosse. Diese Reihe führt zu Pterygotus (Fig. 9) und Erettopterus. Sie wird auch dadurch charakterisiert, daß die Cheliceren (obwohl sie dreigliedrig bleiben) erheblich verlängert und zu Greiforganen zur Erbeutung der Nahrung umgebildet werden. Die Beute kann leicht beweglich gewesen sein; sie mußte geschickt und schnell erfaßt werden und bestand wohl nicht aus trägen, im Sande des Bodens lebenden Tieren. Einwühlen im Boden hatte für diese Tiere keine Bedeutung und sie zeigen keine Anpassungen daran. Die Facettenaugen werden groß, gewölbt, bleiben marginal und zeigen eine facettierte Oberfläche. Man kann diese Entwicklungsreihe als Pterygotus-Reihe bezeichnen.

Weniger weit in der Anpassung ans Schwimmvermögen brachte es Hughmilleria (Fig. 10), die noch keine richtige Schwanzflosse erworben hatte, indem das Telson noch schlank und spitz ist. Aber sie näherte sich schon der Pterygotus-Gruppe, womit sie den in beiden Geschlechtern einfachen Genitalanhang des ersten Blattfußes gemein hat, während der Anfang einer Verlängerung der Cheliceren sich bei Hughmilleria auch schon bemerkbar macht.

[312] Noch weniger weit ist das Schwimmvermögen bei Slimonia (Fig. 11) entwickelt gewesen: das Telson hat noch ziemlich die Skorpionidenform (breite Basis und Endspitze) beibehalten. Es ist dies überhaupt

Fig. 12. Eurypterus fischeri Eichw. Rückenansicht. × ¼, circa. Nach Holm 1898, Tab. 1, Fig. 1.

neben Eusarcus die skorpionidenähnlichste, also primitivste Gigantostrake, die wir zur Zeit kennen, sie hat noch das schlanke Postabdomen und die vorn eckige Form des Cephalothorax, mit an den Ecken [313] liegenden Facettenaugen beibehalten. Spezialisiert ist sie in der eigenartigen Tasterform der Pedipalpen.

Von den mit Schwimmbeinen versehenen Formen fingen einige schon sehr früh an, sich in den Meeresboden einzuwühlen: dies ist erkennbar an einer Verschiebung der Facettenaugen vom Rande des

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Fig. 13. Dolichopterus macrochurus Hall. × ½. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 40.

Cephalothorax auf den Rücken, wodurch die Gefahr der Beschädigung der Cornea beim Einwühlen im Boden verringert wird (Dollo, 1910). Das Telson wurde beim Einwühlen in den Boden eingedrückt und bot einen festen hinteren Stützpunkt, wenn durch Streckung des Körpers der Cephalothorax in den Sand des Bodens hineingeschoben wurde. [314] Dementsprechend finden wir bei Formen mit dieser Fähigkeit ein gerades nicht zu kurzes, stachelförmiges Telson, das sich leicht und tief in den Boden des Wassers hineindrücken ließ. Der typische Vertreter dieser Entwicklungsreihe ist Eurypterus (Fig. 12). Dabei wurde das Schwimmvermögen nicht etwa aufgegeben, denn das Schwimmbein erreicht hier eine sehr erhebliche Größe. Den gleichen Anpassungstypus zeigt auch Dolichopterus (Fig. 13). Hier ist das Schwimmbein wohl noch kräftiger; auch zeigt das vorletzte Beinpaar eine Verbreiterung, die als eine weitere Anpassung an das Schwimmen gedeutet werden muß. Das vorletzte Beinpaar ist auch bei den typischen Eurypterus-Arten von den vorhergehenden Beinpaaren schon etwas verschieden (Fig. 12), so daß der Eindruck entsteht, diese Umbildung hätte hier schon angefangen. Die Gliedmaßen sind überhaupt bei Eurypterus fischeri und remipes sehr ähnlich denen von Dolichopterus, auch das zweite und dritte Paar, und wir möchten diese Gattungen als recht nahe verwandt betrachten (im Gegensatz zu Clarke u. Ruedemann, 1912, S. 49, 125, 259). Eurypterus und Dolichopterus repräsentieren unserer Ansicht nach eine zweite Anpassungsreihe. Im Gegensatz zu der typisch schwimmenden Pterygotus-Gruppe (randständige Augen; flossenförmiges Telson) bilden diese Formen eine schwimmende und wühlende Eurypterus-Gruppe (mit auf dem Rücken verlagerten Facettenaugen und stachelförmigem Telson, mit Modifikation auch des vorletzten Beinpaares zum Schwimmbein).

Einen dritten Anpassungstypus finden wir schließlich bei den Arten der Gattung Stylonurus (Fig. 8, 14). Dies waren, wie das stachelförmige Telson und die auf den Rücken des Cephalothorax verlagerten Facettenaugen zeigen, wühlende Tiere, wie Eurypterus und Dolichopterus. Aber es fehlt Stylonurus, jedenfalls den typischen besser bekannten Formen, das Schwimmbein jener Gattungen. Daraus darf geschlossen werden, daß die typischen Arten der Gattung Stylonurus (Fig. 8) nicht gut schwimmen konnten. Bei einigen Arten aber sind die beiden vordersten Beinpaare (das dritte und vierte Gliedmaßenpaar) an der Hinterseite mit breiten Stacheln besetzt gewesen, wodurch eine erhebliche Oberflächenvergrößerung erreicht wurde (Fig. 14), die auf eine Funktion dieser Beine als Schwimmbeine hinweist (Untergattung Ctenopterus; vergl. Clarke und Ruedemann, 1912, S. 284). Diese Anpassung geht den Arten der primitiven Gattung oder Untergattung Drepanopterus ab und wurde also offenbar erst innerhalb der Stylonurus-Gruppe erreicht. Clarke und Ruedemann (1912, S. 49, 125, 259; besonders S. 132 bis 134) nehmen auch verwandtschaftliche Beziehungen von Stylonurus und [315] Drepanopterus zu der Gattung Dolichopterus (hier Fig. 13) und besonders zum primitiven Eurypterus (Onychopterus) Kokomoensis an. Diese besitzen aber die typische Schwimmbeinform des letzten Beinpaares, und man muß dann annehmen, diese wäre bei Stylonurus wieder rückgebildet

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Fig. 14. Rekonstruktion von Stylonurus (Ctenopterus) excelsior Hall, vom Rücken gesehen, × 1/12. Nach Clarke u. Ruedemann, 1912, Tab. 47. Die Facettenaugen liegen nahe der Mitte des Cephalothorax; die Linsenaugen sind so klein, daß man sie in der verkleinerten Figur nicht sehen kann.

worden. Sollte es sich bestätigen, daß in Stylonurus scoticus eine hierher gehörige Form mit typischen hinteren Schwimmbeinen vorliegt (Clarke u. Ruedemann, S. 285; Woodward, 1866–78, Tab. 23), so wäre an dieser Rückbildung wohl nicht zu zweifeln. Aber wir müssen [316] gestehen, daß wir diese Umbildung a priori nicht für sehr wahrscheinlich halten. Clarke und Ruedemann (S. 132: vergl. auch ihren Stammbaum, S. 124) sagen von Onychopterus (Eurypterus) Kokomoensis, Dolichopterus, Drepanopterus und Stylonurus: „These genera form a group by themselves, well defined by a number of peculiar characters, the most important of which are the great lengthening of the legs, especially of the last pair, the slender body without distinct differentiation of preabdomen and postabdomen and the slender, styliform telson. Connected with the enlargement of the cephalothoracic appendages is that of the carapace which is relatively longer than in all other eurypterids, showing a distinct tendency to become squarish, and develops a broad border“. Unserer Ansicht nach hat die Verlängerung des letzten Beinpaares aber unabhängig in Anpassung an verschiedene Funktionen stattgefunden, bei Onychopterus und Dolichopterus in Anpassung ans Schwimmen, bei Drepanopterus und Stylonurus aber nicht aus diesem Grunde, sondern aus einem anderen nicht bekannten Grunde. Diese Übereinstimmung dürfte eine rein zufällige sein. Daß eine deutliche Differenzierung von Prä- und Postabdomen fehlt, besagt auch nicht viel; denn diese Differenzierung hatte offenbar bei der anderen Funktion des Telson (als Stütze beim Einwühlen im Boden statt als Waffe) hier wie bei den meisten Gigantostraken ihre Bedeutung verloren und ist denn auch nahezu überall bei den Gigantostraken am Verschwinden. Die Form des Telsons ist eine Anpassung an das Einwühlen im Boden, die so einfach ist, daß sie sehr leicht mehrere Male entstehen konnte: auch wurde sie wohl wegen ihrer Einfachheit sehr früh erreicht und ist, daher kaum als Zeichen engerer Verwandtschaft zu verwerten. Die längere, mehr eckige Form des Carapax kann auf die ähnliche Form bei Skorpioniden zurückgeführt werden, kann also als ursprünglich in verschiedenen Entwicklungsreihen beibehalten sein. Wir stehen der Annahme einer näheren Zusammengehörigkeit dieser Formen ablehnend gegenüber. Wahrscheinlicher ist es uns, daß wir es hier mit verschiedenen Anpassungsreihen an ähnliche Lebensweise zu tun haben. Die Stylonurus-Reihe ging vermutlich aus sehr primitiven Gigantostraken hervor, bei denen das letzte Beinpaar noch nicht zum Schwimmen umgebildet war (vergl. auch Laurie 1893, S. 519): die Tiere nahmen die wühlende Lebensweise an, das Telson wurde dementsprechend gerade und stachelförmig und die Facettenaugen wurden vom Rande weg auf den Rücken des Cephalothorax verlagert. Erst nachträglich vervollkommneten einige dieser Formen (Stylonurus cestrotus, ? elegans, vergl. Fig. 14, und andere, Untergattung Ctenopterus) ihr Schwimmvermögen durch Ausbildung eines [317] sehr eigenartigen Stachelsaumes an den zwei vorderen Beinpaaren. Hier wurde also zunächst die Fähigkeit, im Boden zu wühlen, ausgebildet, und dann bei nur einigen wenigen Formen in eigenartiger Weise das Schwimmvermögen vervollkommnet. In der Eurypterus-Dolichopterus-Reihe war von vorne herein die Tätigkeit, mit Hilfe des besonders modifizierten letzten Beinpaares zu schwimmen, ausgebildet (sie kommt schon Eusarcus zu), und dann wurden, in Anpassung an die Fähigkeit im Boden zu wühlen, das Telson gestreckt stachelförmig und die Augen auf den Rücken des Carapax verlagert. Gewißheit, daß diese Vorgänge sich so abgespielt haben, liegt natürlich nicht vor, und wir wollen durchaus nicht die Ansicht von Clarke u. Ruedemann durch diese kurzen Darlegungen als widerlegt betrachten. Aber unsere Ansicht von der Skorpioniden-Gestalt der primitivsten Gigantostraken bringt es mit sich, daß wir hier die Tatsachen etwas anders zu verwerten versuchen, als Clarke u. Ruedemann getan haben, welche in Strabops den Prototyp der Gigantostraken sehen, und offenbar annehmen, daß daraus zunächst primitive Eurypteriden hervorgingen (vergleiche über Strabops S. 306).

Versuch eines Stammbaumes der Merostomen

Den Ausgang bilden primitivste Gigantostraken von Skorpioniden-Habitus, d. h. mit schlankem Postabdomen, mit spitzem, gebogenem Telson, etwas quadratischem Cephalothorax, glatten, randständigen Facettenaugen, kleinen Cheliceren. Weiter hatten sie nicht besonders differenzierte scherenlose [318] Pedipalpen; das letzte Beinpaar war noch nicht zum Schwimmfuß umgebildet und auch nicht besonders verlängert. Es waren 5 bewegliche, kiementragende Sternite (Blattfüße) vorhanden.

Man vergleiche den Stammbaum bei Clarke und Ruedemann, 1912, p. 124, der in vielem diesem Stammbaum zugrunde liegt.

Es bedeuten: 1 Umbildung des letzten Beines zum Schwimmfuß; 2 Telson etwas verbreitert, flach, als Schwanzflosse dienend; Augen facettiert; 3 Differenzierung des Postabdomen wird undeutlich; Vergrößerung der Cheliceren; 4 Telson als typische Flosse; Cheliceren sehr lang (Pterygotus-Gruppe); 5 Augen auf den Rücken verlagert, glattbleibend; Telson gestreckt, stachelförmig; das Schwimmbein wird sehr kräftig und lang, die Differenzierung des Postabdomen wird undeutlich (Eurypterus-Gruppe); 6 Augen auf den Rücken verlagert, glatt bleibend; Telson gestreckt, stachelförmig; ohne Schwimmbein; die Beine verlängert, besonders die hinteren; 7 die beiden vorderen Beinpaare als Schwimmbeine differenziert (Stylonurus-Gruppe): die von Clarke u. Ruedemann vermutete Verwandtschaft der Stylonurus-Gruppe mit primitiven Eurypteriden (Onychopterus) und mit Dolichopterus ist durch eine punktierte Linie angedeutet; 8 Verkürzung des Postabdomen; Augen auf dem Rücken verlagert; Telson gerade, stachelförmig (Xiphosura).


Sehr frühzeitig spalteten sich von dem zu den Gigantostraken führenden Stamm die Xiphosura ab. Diese bilden eine Entwicklungsreihe, die gekennzeichnet ist durch eine, in Anpassung an eine wühlende Lebensweise stattfindende Verkürzung des Abdomens, unter Verschmelzung bezw. Rückbildung von Segmenten; dabei blieb die Differenzierung eines schlanken Postabdomen zunächst noch erhalten. Zweifellos sind die Xiphosura mit den Gigantostraken nahe verwandt, und es ist nicht wahrscheinlich, daß sie sich etwa getrennt aus Skorpioniden entwickelt hätten. Wohl weist das Auftreten von 6 Blattfüßen bei Limulus statt 5 bei Gigantostraken auf eine frühe Abtrennung, und dafür spricht auch der Umstand, daß die Gliedmaßen, auch die Pedipalpen, bei Limulus im allgemeinen denen der Skorpioniden ähnlicher geblieben sind, sowie das Auftreten der eigentümlichen Chilaria bei Limulus. Aber die Verlagerung des Mundes, die Ausbildung der Kauplatten mit Epicoxalgliedern dürften wegen der auffallenden Übereinstimmung in Einzelheiten gemeinsam erworben sein; ebenso wohl die Umbildung von Sterniten zu Blattfüßen und der Buchtracheen zu Kiemen, so daß schließlich die Xiphosura doch von Gigantostraken, wenn auch von sehr primitiven und skorpionidenähnlichen, abgeleitet werden dürfen[8]. Die Xiphosura [319] repräsentieren dabei eine Anpassung an die wühlende Lebensweise im Meeresboden, wie sie auch innerhalb der Gigantostraken, sowohl von den Eurypteriden wie von der Stylonurus-Gruppe erworben wurde. Und wie bei diesen Formen finden wir bei den Xiphosuren einen geraden, stachelförmigen Telson und eine Verlagerung der Augen vom Rande des Carapax weg auf dessen Oberfläche; ihre Eigenart bekommt aber diese Anpassung bei den Xiphosuren durch die Verkürzung des Abdomens. Das Schwimmvermögen blieb bei den Xiphosuren auf niederer Stufe stehen.


  1. Bei den Gigantostraken kennen wir den Bau der Atmungsorgane noch nicht, nur die Stellen, wo sie lagen. Es liegt aber kein Grund vor, einen wesentlich abweichenden Bau anzunehmen.
  2. Nach Laurie (1893) wären allerdings bei den Gigantostraken neben den Sterniten auch noch Blattfüße vorhanden gewesen. Er gibt dies in einer Figur von Slimonia an (Laurie, 1893, tab. 2, fig. 9), aber diese beruht nicht auf einwandfreiem Material und alle anderen Beobachtungen an Gigantostraken lassen keinen Zweifel, daß neben den Sterniten keine Blattfüße auftreten. Nach unserer Deutung fehlen also am Abdomen der Merostomen echte Gliedmaßen; nur ist vielleicht der Genitalanhang des 2. Blattfußes der Gigantostraken ein den Pectines der Skorpione vergleichbares Gliedmaßenpaar (vgl. Versluys und Demoll, 1922, p. 101).
  3. Es liegt gar kein Grund vor, diesen Skorpioniden, wie es für Palaeophonus geschehen ist, den Besitz von Atmungsorganen abzusprechen; die Tiere sind dazu zu groß.
  4. Das erste Segment ist das Prächeliceren-Segment, welches wahrscheinlich ein unter Verlust seiner Gliedmaßen rudimentär gewordenes echtes Antennensegment darstellt.
  5. Daß bei den Krustazeen vielfach Gliedmaßen zu Kauwerkzeugen werden, als sog. Maxillipeden, ist möglich, weil noch weitere Gliedmaßen als Beine zur Verfügung bleiben.
  6. Es sei nochmals betont, daß die Blattfüße der Merostomen Sternite und den Gliedmaßen der Krustazeen nicht vergleichbar sind; wären die Blattfüße von Limulus wirklich Spaltfüße, so müßte dieser Charakter bei den Gigantostraken wohl noch klarer ausgebildet sein. Das Gegenteil ist der Fall, denn dort haben die Blattfüße nicht die geringste Ähnlichkeit mit Gliedmaßen, geschweige Spaltfüßen.
  7. Die Grundlagen für unsere weiteren Betrachtungen gab uns die hervorragende Monographie von Clarke und Ruedemann, 1912. Es muß bemerkt werden, daß von keinem Gigantostraken große scherenförmige Pedipalpen bekannt sind, und es also nicht als feststehend betrachtet werden kann, daß diese ihrer Stammform zukamen, obwohl wir dies für wahrscheinlich halten möchten.
  8. Der Darmkanal der Xiphosura und Gigantostraken war sehr ähnlich; vergl. Ruedemann, 1921.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Carke
  2. Vorlage: Merotomen
  3. Vorlage: Änlichkeit