Die Bürgermeisterin von Schorndorf

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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Die Bürgermeisterin von Schorndorf
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 187–190
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Errettung Schorndorfs durch Barbara Künkele und die Schorndorfer Weiber
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Die Bürgermeisterin von Schorndorf.


Im Südwesten unseres Vaterlandes, dem Theile desselben, der heute vereinsamt zwischen dem Norddeutschen Bunde und Oesterreich steht, hat das deutsche „Reich“ seine glänzendsten wie seine traurigsten Zeiten gesehen. Aber weder diese noch jene sind den Nachkommen als „Erfahrungen“ zum Heil gediehen, weder Völkern noch Fürsten ist die Geschichte eine Lehrerin für ihre Zukunft gewesen; am wenigsten vermochte die Ohnmacht der Kleinstaaterei im Kampfe gegen das einheitsmächtige Frankreich dem Drange nach Reichseinheit die nachhaltige Kraft zu geben, welche nur aus klarer Einsicht des Uebels und dem festen Willen, es zu beseitigen, entspringt. Bis zum letzten deutschen Kriege des vorigen Jahres standen Baiern und Schwaben, Franken und Pfälzer, einst neben den Sachsen die alten Kernvölker Deutschlands, auf Seiten desjenigen Großstaats, der nur auf ein zersplittertes Deutschland seine eigene Machtstellung stützte, und sie verdanken ihr ungeschmälertes Fortbestehen nur dem Einfluß jenes Nachbars, der keine größere Gefahr für seine eigene anspruchsvolle Macht fürchten kann, als ein einiges Deutschland. Es ist niederdrückend genug, daß wir aus dem französischen sogenannten „Gelbbuch“ so gar deutlich herauslesen müssen, daß die süddeutschen Regierungen sich um Frankreichs Hülfe gegen Preußen bemüht haben, daß also jenes angebliche Ministerwort nicht erfunden war, das da lautete: „Lieber französisch, als preußisch!“

Diese Erscheinung veranlaßt uns, gerade aus jenem Reichstheile ein Geschichtsbild hervorzuziehen, das wie wenige geeignet ist, uns das ganze Elend zu enthüllen, in welches die Selbstsucht der vielen kleinen Fürstlichkeiten und die Ohnmacht des Reichsoberhauptes die süddeutschen Länder versinken ließen, während es uns zugleich ein erhebendes Beispiel zeigt, wie dort das Gefühl für Nationalehre im Volke allein noch seine treuen Träger und tapferen Vertheidiger fand.

Altärchen zu bauen und Heiligenbilder anzuputzen, das war die Knabenlust des Fürsten gewesen, welcher das Deutschland des Westphälischen Friedens gegen einen Ludwig den Vierzehnten vertheidigen sollte. Jener unselige Friede hatte bekanntlich den Reichsfürsten „die volle Landeshoheit“ und damit zugleich die Befugniß ertheilt, „zu ihrer Erhaltung und Sicherheit Bündnisse mit auswärtigen Mächten einzugehen.“ Die Reichsfürsten in Süd- und West-Deutschland sanken zu bestechlichen Creaturen Frankreichs herab, mit großen Geldsummen suchte Ludwig der Vierzehnte sogar die deutsche Kaiserkrone auf sein Haupt zu bringen, und dies würde ihm gelungen sein, wenn nicht die Bewahrung der Nationalehre nach außen zu allen Zeiten unserer Geschichte den nördlichen Deutschen mehr am Herzen gelegen hätte, als allen übrigen: nur Brandenburg und Sachsen retteten Deutschland vor der Schmach, das Haupt eines fremden Despoten und des bösartigsten Reichsfeindes mit der deutschen Krone zu schmücken. Sie wurde, sagt ein deutscher Geschichtsschreiber, auf Leopold’s (des Ersten) Perrücke gesetzt, die freilich keinen Ersatz bot für die goldenen Locken der Hohenstaufen. – Der Franzosenkönig stiftete aber aus Rache den ersten Rheinbund (1658), und er fand deutsche Reichsfürsten genug dazu: den Kurfürsten von Mainz (den Reichs-Erzkanzler!) und den von Köln, den Bischof von Münster, die Fürsten von Braunschweig-Lüneburg und Hessen-Kassel, von Würtemberg und vor Allen die Welfen, die sich damals gegen das Reich am schlechtesten benahmen. Solcher Schmach vom Rhein bis zur Weser stand damals nur „der große Kurfürst“ gegenüber, der allein die deutsche Ehre im Norden gegen den andern Reichsfeind, die Schweden, rettete.

Gestützt auf so viele untreue deutsche Fürsten konnte Ludwig der Vierzehnte ohne alle Gefahr mit Verträgen und Eiden spielen, um von dem zerstückelten Reiche immer mehr an sich zu reißen, und schließlich war kein Plan, der dazu verhalf, ihm zu gemein oder zu lächerlich.

Da saß in Metz ein überkluger Mann am Actentisch. Der Parlamentsrath Ravaux hatte den Auftrag erhalten, die Ortschaften auszumitteln, welche zum Bezirk des Gerichtshofs von Metz gehörten. Zu diesem Behufe studirte er die Urkunden, welche über die Bestandtheile der durch den Westphälischen Frieden Frankreich rechtlich zugesprochenen deutschen Bisthümer Metz, Tul und Werden (Verdün) Auskunft gaben, und bei dieser Gelegenheit fand nun der Mann heraus, daß viele ehemalige Gebiete dieser Fürstenthümer noch in deutschem Besitze seien. Sofort stellte er ein seltsames Verzeichniß von Ortschaften zusammen, welche angeblich zu irgend einer Zeit einmal zu Metz, Tul oder Verdün gehört haben sollten, und überreichte dies dem Minister Louvois. So abenteuerlich erschien selbst diesem gewissenlosen Staatsmann das Machwerk des Parlamentsraths, daß er lautauf darüber lachte. Und dennoch empfahl er es seinem König, und diesem diente es als Grundlage zu seinen berüchtigten Reunions-Kammern, deren Wirksamkeit endlich den Weg bahnte zu jener entsetzlichen Verwüstung der Pfalz im Jahre 1688 und 1689, jener Mordbrennerei Montclas’ und besonders Melac’s, dessen Name seitdem in jenen Landen ein Hundename ist.

Frankreich und Deutschland den Rhein entlang durch eine Wüste zu trennen, das war der höllische Gedanke, den ein Louvois seinem König eingab und den dieser mit haarsträubender Großartigkeit ausführen lassen konnte. Als von Ort zu Ort das ganze linke pfälzische Rheinufer mit Schutthaufen [188] und Blutlachen erfüllt war, brachen die Banden, von keiner deutschen Macht gehindert, herüber in die Fluten des rechten Rheinufers, um in gleicher Weise auch hier die königliche Wüste zu vollenden. Schon lagen Mannheim, Oppenheim und Ladenburg, Weinheim, Heppenheim und Durlach, Bruchsal, Rastadt und Germersheim, Baden, Bretten, Pforzheim und Heidelberg in Asche, und noch zeigten die Franzosen ein Verzeichniß von mehr als zwölfhundert Städten und Ortschaften auf, die, zu gleichem Schicksal bestimmt waren. Ja, so hatte die Feuerwuth diese Menschen ergriffen, daß sich Banden, mit oder ohne königlichen Auftrag, bis nach Franken und selbst nach Böhmen wagten, nur um die schönsten Städte des Reichs in Flammen aufgehen zu lassen. Selbst in Prag ergriff man Mordbrenner, die von französischen Emissären dorthin gesandt waren und dort vierhundert Häuser in Asche gelegt hatten.

Aus der Pfalz brachen die französischen Brand- und Raub-Colonnen in Schwaben ein. Der schwäbische Kreis, die schwäbischen Bestandtheile des jetzigen Baden, Würtemberg, Hohenzollern und Baiern umfassend, bestand damals aus etwa neunundneunzig souveränen Herrschaften, darunter das geistliche Fürstenthum Constanz als südliche, das Herzogthum Würtemberg als nördliche Großmacht und dazwischen Fürstenthümer, Markgraf- und Grafschaften, Prälaturen, Ritterschaften und Republiken von der mächtigen freien Reichsstadt Augsburg bis zum Freireichsstädtchen Bopfingen, und alle diese, selbst in äußerster Gefahr, unter einen Hut zu bringen, gelang weder den kreisausschreibenden beiden Großmächten, noch dem Kaiser. Jeder Einzelne dieser Kleinmächtigen unterhandelte lieber mit dem Feinde, während er den Nachbar verderben ließ, als daß alle sich zu gemeinsamem Widerstand aufgerafft hätten.

Leider allen voran ging darin die Würtembergische Regierung, die damals, weil der Landesfürst noch unmündig war, unter einem Administrator stand, dem Herzog Friedrich Karl, den der Kaiser selbst erst noch vor der Zeit mündig sprechen mußte. So regierten denn die Räthe und die Weiber, und diese gaben, um das geliebte Stuttgart zu retten, nicht nur den Hohenasperg mit seinen reichen Waffen, sondern Stadt um Stadt den Franzosen preis, überall erschienen die herzoglichen Commissäre als Unterhändler mit den Franzosen, und zwar trotz des Willens der Bürger und Bauern, Hab und Gut, Freiheit und Ehre mit dem Schwert zu vertheidigen, bis endlich Stuttgart selbst dem allgemeinen französischen Lug und Verrath zum Opfer fiel. Und dieser Zeit gehört die That an, zu deren Erzählung wir theilweise die vortrefflichen „Bilder aus der Geschichte Schwabens“ von Hermann Kurz zu Grunde legen.

Ganz Nordschwaben war in französischer Gewalt, nur die freundliche Stadt und gute Festung Schorndorf im Remsthale hielt sich noch. Sie galt als ein Kleinod Würtembergs, und die Bürger von Schorndorf wußten das und fühlten ihren Werth. In diesem Augenblick, im December 1688, mußte auf sie das völlig unterjochte Würtemberg seine letzte Hoffnung setzen, denn Schorndorf beherrschte nicht nur das Ulmer Thal, sondern auch den ersten Paß an der Donau, woher das endlich rüstende Reich dem Lande allein Hülfe bringen konnte.

Die französischen Heerführer saßen im goldnen Adler zu Eßlingen und schrieben bereits die Winterquartiere in ganz Würtemberg aus, denn sie waren versichert, daß die herzoglichen Commissäre vom Stuttgarter Geheimrath ihnen die Thore von Schorndorf auf dieselbe höfliche Weise öffnen würden, wie sie dies, Alles um Stuttgart zu retten, im übrigen Lande gethan.

Da trat ihnen Zweierlei entgegen: ein ganzer Mann und eine ganze Frau.

Der ganze Mann war der Festungscommandant Oberst Peter Krummhaar. Obwohl vom Herzog-Administrator, der zu Regensburg verweilte, ihm der Befehl zugegangen war: „zwar den Posten nicht gleich zu übergeben, doch auf die Extrema es auch nicht ankommen zu lassen, sondern auf den Nothfall sich mit der Auswahl aus der Stadt in das Schloß zu ziehen, wo er endlich capituliren könnte,“ – so hielt er doch seine Ehre höher, als des schwachen Herrn Befehl. Um so weniger konnten die zwei herzoglichen Commissäre, welche die von den Franzosen hart bedrängten Geheimenräthe von Stuttgart nach Schorndorf zur Betreibung der Uebergabe entsendeten, seinen festen Sinn ändern.

Freitag, den 14. December, so erzählt Kurz, erschienen nämlich der würtembergische Hofjunker von Hoff und der Kriegs- und Kirchenrath Tobias Heller bei dem Commandanten und dem Magistrat, um über einen Gegenstand zu verhandeln, der vor der Bürgerschaft geheim gehalten werden sollte. Sie stellten Beiden vor, daß die Franzosen gedroht hätten, Stuttgart „aus dem Sarge heraus“ zu verbrennen, wenn Schorndorf nicht übergeben würde. Ihnen antwortete Krummhaar: „Laßt sie immerhin brennen und plündern, wenn sie es mit gutem Gewissen thun können. Ich kann um dieser Drohung willen noch lang nicht diese Festung so liederlich übergeben.“ – Wie er bei Melac’s erstem Herannahen entschlossen die Thore gesperrt, so hatte er klugerweise sich bei Zeiten mit ausreichender Mannschaft versehen, indem er aus der Stadt und aus den umliegenden Ortschriften, die „ihr Armüthlein hinein geflehnet“, die tüchtigen Leute an sich zog. Es wird berichtet, daß er und seine Schaar einander feierlich zugeschworen, bis auf den letzten Blutstropfen beisammen auszuhalten.

Dennoch sah es mißlich für das tapfere Häuflein aus. Wie erbittert auch im Allgemeinen das schwäbische Volk gegen die Feinde und gegen die eigenen Regierungen war, die ihm Höflichkeit gegen die Franzosen vorschrieben, obwohl man längst aus der Erfahrung der Nachbarn wußte, „daß alle erwiesene Höflichkeit an ihnen vergeblich gewesen“, – so äußerte doch in jeder Stadt auch eine Unterwerfungspartei ihren Einfluß und sammelte die schwachen Gemüther oft zum großen Haufen um sich. Der eigenen Regierung in diesem Fall unterthänigst zu Willen, suchten namentlich die Hochmögenden und Reichen den Sturm von außen ohne Widerstand über sich hinüber gehen zu lassen, und dieses Unheil drohte auch in Schorndorf die Kraft des Commandanten zu lähmen. Hatten doch „Untervogt, Burgermeister und Gericht allda“ hinter Krummhaar’s Rücken auf Melac’sche Brandordres geheime Lieferungen nach Eßlingen abgehen lassen.

Nur ein einmüthiges Beitreten der Bürgerschaft konnte den braven Commandanten aus dieser Lage befreien, – hierzu mußte die Bürgerschaft den Sammelpunkt in ihrer eigenen Mitte finden, – und sie fand ihn in der ganzen Frau, die plötzlich zu dem ganzen Manne trat: in der Frau des Bürgermeisters selbst, der die geheimen Lieferungen mit besorgt und den Stuttgarter Commissären ein nur allzu williges Ohr geliehen hatte.

Frau Künkele oder Künkelin wird von den Zeitgenossen als eine nicht allzugroße, dabei äußerst thätige, muthvolle, gescheide und zugleich reiche und angesehene Person geschildert. Sie stand damals in ihrem fünfzigsten Jahr. In jenen Zeiten besaß eine Bürgermeisterin einen ganz anderen Einfluß, als jetzt, und wo eine Frau von solchem Gewicht, dazu noch reich und brav, sich an die Spitze stellte, ging eine Sache durch. Frau Künkelin aber sprach: „Ich nicht bin der Meinung, daß man dem liederlichen Trüpplein Franzosen nur so ohne Weiteres das gute Heu, den schönen Hafer liefere oder gar die stolzen Festungswerke, die so viel Geld gekostet, zur Demolirung übergebe und die raubhahnischen Umschweifer in’s Quartier aufnehme. Die Stuttgarter Herren sollen nicht glauben, daß es ihnen mit Schorndorf durchgehen werde, wie mit dem Asperg und mit Tübingen!“

Die Commandanten dieser beiden festen Schlösser hatten die Commissäre durch Gewaltbefehle zur Uebergabe derselben gezwungen; an Peter Krummhaar soll Melac sogar das Anerbieten gewagt haben, gegen zweitausend Dublonen Raison anzunehmen. Gewiß war, daß der Commandant von den Commissären in großem Zorn geschieden und allein auf den Wall gegangen war.

Nun sah man die Stuttgarter Herren nach dem Rathhaus schreiten, und alsbald flogen die Stadtknechte umher, um den Bürgermeister und die Richter dorthin zu berufen. Der Bürgermeister erhob sich zum Gehen, und seine Frau sah ihm kopfschüttelnd nach, denn aus allerlei Aeußerungen und halben Beichtworten „ihres Künkele“ hatte sie gemerkt, daß es auf dem Rathhaus „wackele“. Darum benutzte sie die Zeit seiner Abwesenheit zu einem raschen Entschluß. Sie schickte zu ihrer besten und gleichgesinnten Freundin, der Frau des Hirschwirthes und Gerichtsältesten Katzenstein, der ebenfalls zur Sitzung gegangen war; diese kam sogleich, und – so erzählt nun Kurz weiter – jetzt saßen die Frau Künkelin und die Frau Katzensteinin beieinander und hielten einen Staatsrath, der bald ein Kriegsrath wurde, denn sie kamen ohne viel Federlesen zu dem Schluß, es müsse auf der Stelle losgeschlagen werden, anders gehe es nicht. Und zwar, wenn die „Mannen“ nicht dran wollen, so müßten’s die Weiber thun.

[189]

Frau Künkelin vor der Schorndorfer Rathsversammlung.
Nach einem Oelgemälde von C. Häberlin in Stuttgart.

[190] Die Bürgermeisterin und die Hirschwirthin beriefen hierauf ihren alten Weingärtner, Friedrich Kurz, und schickten ihn in der Stadt herum, die andern Weiber zu bearbeiten. Die Bemerkung, „die Bürgermeisterin ist auch dabei“, – erfüllte selbst die Zaghafteren mit Muth.

In einer halben Stunde stand das ganze Weibervolk vor dem Hause der Bürgermeisterin, wohin „Jede, die Herz im Leibe hat,“ beschieden worden war, ausgerüstet mit Ofen-, Heu- und Mistgabeln, Bratspießen, Hackmessern, Besenstielen, Kunkeln, kurz mit allerlei Kuchel- und Stallgewehr, ingleichen mit Sicheln, Schneiddegen, „so im Lande bräuchlich, Holzstängel damit zu verhauen“, Stuhlfüßen, alten Partisanen und Hellebarden, – wie gleichzeitige Berichterstatter halb im Spott, halb im Ernst die Bewaffnung verzeichnen. Den Ernst zeigten aber die Frauen sofort in ihren energischen Anordnungen.

Die Frau Bürgermeisterin errichtete ordentliche Compagnien und erwählte die anstelligsten Weiber zu Officierinnen, und nachdem diese durch Degen und „kurz Gewöhr“ ausgezeichnet waren, marschirten die seltsamen Truppen vor das Rathhaus. Dort saßen die Väter der Stadt mit den Regierungs-Commissaren in geheimer Berathung und ahnten schwerlich, welche neue Macht unter den Fenstern erschien und an die Thüren zu pochen sich anschickte. Die Oberfeldherrin übernahm – nach Kurz – vorerst das Recognosciren. Sie drang heimlich, von einigen Wenigen ihres Stabes gedeckt, in das Haus und schlüpfte, durch ihre Leibesbeschaffenheit mehr als nöthig begünstigt, in den mächtigen Kachelofen des Sitzungszimmers. Diese Oefen wurden stets nur in nächtlicher Morgenfrühe geheizt und strömten, wenn die Gluth längst erloschen war, noch liebliche Wärme aus. Hier horchte Frau Künkelin, und was sie erlauschte, mochte ihr heißer machen, als die Ofenwärme. Es war die Rede von einer Capitulation mit den oft gethanen und nie gehaltenen französischen Versprechungen. Wie der Blitz wischte die Bürgermeisterin wieder aus dem Ofen heraus und ließ ihren Bürgermeister aus der Rathsstube rufen.

Die Anrede, die sie an den beim Anblick seiner bewaffneten Frau halbversteinerten Vater der Stadt hielt, ist uns leider nicht aufbewahrt, sie schloß aber mit den fürchterlichen Worten: „Ich erschlage Dich mit dieser meiner eigenen Hand, wenn Du zum Verräther wirst. Und richte das den Rathsherren von allen ihren Weibern aus, denn wahrlich, alle Verräther werden von ihren eigenen Weibern todtgeschlagen.“ Leichenblaß wankte der erschütterte Mann in den Sitzungssaal zurück, Rathsherren und Commissären das Ungeheure zu verkünden. Nach anderer Annahme soll sich die Bürgermeisterin nicht erst damit aufgehalten haben, ihren Eheherrn allein zur Rede zu stellen, sondern, nachdem sie sich im Ofen von der Untreue der Stadträthe überzeugt, an der Spitze der bewaffneten Frauen gleich in die Regimentsstube eingedrungen sein und, mit dem Degen in der Faust, der hohen Versammlung die Schwere ihres Verbrechens vorgehalten, den herzoglichen Commissären Gefangenschaft angekündigt und allen Verräthern mit dem Tode gedroht haben. Letztere Erzählungsweise hat offenbar auch dem Künstler unseres Bildes vorgeschwebt.

Ehe Rathsherren wie Commissäre Bestürzung und Erstaunen zu einem Beschluß kommen ließ, schritt die Bürgermeisterin zur Besetzung des Rathhauses und der Stadtthore, wozu sie die Herzhaftesten ihrer Schaar verwendete. Vor jede Thür des Rathhauses wurden Wachen gestellt. Wer von den Herren heraus wollte, wurde befragt, ob er für die Uebergabe gestimmt habe; zum Glück hatte noch keine Abstimmung stattgefunden, was die Hände der Frauen vor Gattenmord bewahrte. Aber ohne das eidliche Angelöbniß, mit Nein stimmen zu wollen, wurde keiner der Rathsherren freigelassen. Nur die Stuttgarter Herren blieben Gefangene. Das Rathhaus wurde das Hauptquartier der Weiber, die Hauptwache bezogen vier „Mann“, regelmäßige Ablösung erfolgte und die weniger schlagfertigen Weiber unterhielten, „weil es im December war“, auf dem Markte ein beständiges Wachfeuer.

Zwei Tage und drei Nächte blieben auf diese Weise die Stadt und das Rathhaus besetzt. Die Commissäre saßen diese ganze Zeit in der Rathsstube, in steter Gefahr, entweder von den Weibern, erschlagen zu werden, oder Hungers zu sterben. Nur mit Mühe vermochten einige „Rathsverwandte“ die Herzen der Wachen so weit zu erweichen, daß sie den Gefangenen verstohlen in den Taschen etwas Mundvorrath zutragen konnten. Tobias Heller, der Bürgerliche, der für den Minderschuldigen gelten mochte, wurde (man sagt, von dem Commandanten) heimlich aus der Stadt geschafft; der Hofjunker aber mußte, um sein Leben zu retten, nicht nur der Ausführung des mitgebrachten Auftrages entsagen, sondern auch selbst Anstalten zur Gegenwehr machen helfen.

Eine merkwürdige gleichzeitige Schrift von einem Präceptor Daniel Speer in Göppingen: „Der durch das Schorndorfische und Göppingische Weiber-Volk[1] geschüchterte Hahn etc.“ erzählt den Schluß dieser Weiber-Revolution also: „Endlichen hat ihn (den Hofjunker von Hoff) der Herr Commandant ohn einige sonderbahrere Achtung wieder aus der Festung gelassen.“ Auch „mußte“ der Commandant „denen geharnischten Weibrichen“ versprechen, „keinen Commissarium von der jetzmaligen Regierung deßfahls, besonders aber diesen Gesellen“ mehr einzulassen. „Haben also die Weiber, weilen den Männern verboten gewesen, wider Frankreich sich zu wehren, den ersten Anfang und Aufstand gemacht, und sind also die stolze französische Kriegswellen durch Weibercourrage, zu ihrem ewigen Ruhmgedächtniß, der hochmüthigen Reuter aber ewigem Spott, niedergeleget worden.“

Der Commandant Peter Krummhaar hatte ohne Zweifel stillfreudig die Weiber gewähren lassen. Der Aufenthalt, der dadurch dem französischen Vordringen verursacht worden, hatte ihm Luft gemacht, der Succurs vom schwäbischen Kreisheer war nur noch zwölf Stunden entfernt und der Kaiser hatte dem General des Schwäbischen Kreises, dem Markgrafen von Baden-Durlach, die Weisung gegeben: sich an die Anordnungen der vormundschaftlichen Räthe der Würtembergischen Regierung, „weilen sie gleichsam in französischen Händten stehen“, nicht zu kehren.

Groß war die moralische Wirkung, welche dieser Heldenmuth der Frauen augenblicklich ausübte. Kurz sagt: Die That der Schorndorfer Weiber war es, und nichts anderes, was dem ganzen Bilde plötzlich ein verändertes Aussehen gab. Bis dahin, wenn man von den officiellen Kniebeugungen und Gnadenseufzern sich abwendet und nach dem Volksleben umsieht, findet man einen Tag wie den anderen dumpfe Festungsstille, nur unterbrochen durch den Wirbel der Trommel, den Ruf der Wachen und das Aufstoßen der Gewehre, oder durch unheimliche Schüsse von Zeit zu Zeit. Nach dem 14. December jedoch ist Leben überall. Wohin man blicken kann, sieht man das Volk in Bewegung.

Die Hauptheldin dieser Tage aber, die Bürgermeisterin von Schorndorf, Frau Künkelin, überlebte diese Begebenheiten, die ihren Namen geschichtlich gemacht haben, um mehr als vierzig Jahre in guter Gesundheit und beständiger Thätigkeit, sah Enkel und Urenkel, überstand noch zwei wirkliche Belagerungen ihrer Stadt, 1693, wo der Commandant Oberst Carolin von Sommaripa die Franzosen vor der Festung verjagte, und 1707, wo der Commandant von Tastung sie schmählich den Franzosen übergab, und starb, nachdem sie noch eine zwanzigjährige Blindheit ungebeugten Geistes ertragen hatte, neunzig Jahre alt.

Ihr Andenken bleibe bei allen deutschen Frauen und Männern in Ehren!
Friedrich Hofmann.

  1. Auch in Göppingen brachte, gleich nach dem Schorndorfer Vorfall, ein durchreisender „fürnehmer“ Commissarius das Weibervolk in den Harnisch. Man wußte, daß der Succurs des Reichs gegen die Franzosen im Anzug war, und befürchtete, daß er von Stuttgart aus hintertrieben werde. Die Weiber bewaffneten sich, besetzten das Gasthaus, wo der Commissarius verweilte, und die Stadtthore, und sie entließen ihn erst, als sie die Versicherung erhalten hatten, daß er, nachdem auch Stuttgart, gegen alle Zusagen der Franzosen, feindlich besetzt worden sei, den Succurs selbst herbeiholen solle.