Die Betschwester

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Autor: Christian Fürchtegott Gellert
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Titel: Die Betschwester
Untertitel:
aus: Sämmtliche Schriften. 1. Theil: Fabeln und Erzählungen, Erstes Buch. S. 32–34
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1769
Verlag: M. G. Weidmanns Erben und Reich und Caspar Fritsch
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
Erstdruck 1746/48
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[32]
Die Betschwester.


Die frömmste Frau in unsrer Stadt,
In Kleidern fromm, und fromm in Mienen,
Die stets den Mund voll Andacht hat,
Wird diese nicht ein Lied verdienen?

5
Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf!

Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf;
Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage:
So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage.
Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon gethan:

10
So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an.

Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen:
So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen.
Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht:
So seufzt sie doch um Trost bey ihrer Dürftigkeit.

15
Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen!

Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweymal aus,
Und reißt dadurch ihr ganzes Haus
Auf ewig aus des Teufels Klauen.

Zwölf Lieder stimmt sie täglich an.

20
Wer kömmt? Ists nicht ein armer Mann?

Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören?
Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören.
Geh nur, und hungre, wie zuvor!
Sie hebt ihr Herz zu Gott empor,

25
Soll sie dieß Herz vom Himmel lenken,

Und itzt an einen Armen denken?

Sie singt, und trägt das Essen singend auf.
Sie ißt, und schmählt[1] auf böser Zeiten Lauf;

[33]
Allein wer klopft schon wieder an die Thüre?
30
Ein armes Weib, die keinen Bissen Brodt – –

„Geht, quält mich nicht mit eurer Noth,
„Wenn ich die Hand zum Munde führe.
„Nicht wahr, ihr singt und betet nicht?
„Seyd fromm, und denkt an Eure Pflicht:

35
„Der Herr vergißt die Seinen nicht.

„Wenn seht ihr mich denn betteln gehen?
„Allein man muß zu Gott auch brünstig schreyn und flehen!

Doch ist die liebe fromme Frau
Nicht gar zu hart, nicht zu genau?

40
Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn, als Erbarmen?

Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen;
Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis,
Und weist sie zu Gebet und Fleiß;
Ist dieses nicht der Schrift Geheiß?

45
Sie dient ja gern mit ihren Gütern,

Allein nur redlichen Gemüthern.
Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt,
Das, in der Noth, bey ihr nicht Zuflucht hat?
Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung[2] bringen:

50
So eilt sie doch, dem Weibe beyzuspringen.


Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit,
Die Welt mag noch so viel an ihr zu tadeln finden.
Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit;
O nein! Sie weis sich auch die Todten zu verbinden.

55
Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht,

Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht?
Wenn sprechen nicht die Leichengäste:
Beatens Kranz war doch der beste!

[34]
Welch schönes Cruzifix! von wem wird dieses seyn?
60
Beate schickts, und wills dem Leichnam weihn.

Das fromme Weib! erlebt sie mein Erblassen:
So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen.

Sie kleidet Kanzel und Altar,
Und wird sie künftigs neue Jahr,

65
So sehr die andern sie beneiden,

Zum drittenmale doch bekleiden.
Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht thun;
Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn.
Wer wars, der itzt in die Collekte

70
Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte?

Beate wars, sie leiht dem Herrn,
Und was sie giebt, das giebt sie gern.
Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen?

Beate! laß die Lästrer schmähen,

75
Und laß sie aus Verleumdung sprechen:

Du wollst die Andacht nur bestechen,
Daß für den Wucher, den du treibst,
Du einstens ungestrafet bleibst.
Laß dich von andern spöttisch richten,

80
Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten;

Als wäre dieß für dich die liebste Neuigkeit,
Wenn andern Noth und Unglück dräut;
Als hättest du nichts, als der Tugend Schein.
Schweigt, Spötter, schweigt! Dieß kann nicht seyn;

85
Denn betend steht sie auf, und singend schläft sie ein.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. schmählen auf = etwas schmähen, schelten
  2. Zeitung = Nachricht