Die Bischofstadt im Kugelregen

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Autor: Franz Leinecker
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Titel: Die Bischofstadt im Kugelregen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 707–711
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Würzburg im Deutschen Krieg
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Die Bischofstadt im Kugelregen.


Es mag auf den ersten Blick vielleicht befremdlich erscheinen, wenn die Gartenlaube, nachdem nun mit dem letzten Berliner Vertrage allenthalben in Deutschland der Kriegszustand sein Ende gefunden, nachdem die letzten noch mobilen Truppen bereits in die Heimath und zu den Beschäftigungen des Friedens zurückzukehren begonnen haben, gerade jetzt noch auf einen Act des blutigen Dramas zurückkommt. Als der einzige Belagerungskampf aber, welchen der jüngste Krieg aufzuweisen hat, und weil sein Schauplatz nicht nur von einer Fülle von Erinnerungen aus der deutschen Geschichte umwoben, sondern auch mit einem reichen Kranze landschaftlicher Reize geschmückt und als Stätte deutscher Wissenschaft weit über die Grenzen des Vaterlandes hinaus bekannt und berühmt ist, wird die Beschießung der Festung Würzburg, wie sie uns ein bairischer Künstler als Augenzeuge der Katastrophe beschreibt und zeichnet, wohl noch immer Anlaß zu einer willkommenen Darstellung bieten.

Wochen lang wurden die Bewohner der freundlichen und lebenslustigen Wein- und Frankenstadt durch fernen Kanonendonner, versprengte Truppen, übertriebene Gerüchte und den Anblick verstümmelter Krieger geängstigt, bis sie die Schrecken des Krieges mit eigenen Augen sehen und die Kämpfe von der Werra und der fränkischen Saale, am untern Main und der Tauber in Würzburg ihren Abschluß finden sollten. Am 26. Juli, während die Baiern bei Roßbrunn kämpften und lebhafter Kanonendonner von da herübertönte, zogen plötzlich vom Nikolausberge und der Höchberger Straße herab in endlosen Reihen die Bataillone und Ausrüstungen des achten Armeecorps. Viele Stunden dauerte dieser Zug, welcher [708]

Würzburg während der Beschießung.
Nach der Natur aufgenommen von Franz Leinecker.

[710] zum Ueberschreiten des Mains – da die steinerne Brücke nicht ausreichte – unterhalb der Stadt eine Schiffbrücke schlug. Da indeß auch diese noch nicht genügte, so schwamm ein Theil der Reiterei und ein Zug Schlachtvieh durch den seichten Fluß. Das ermattete Aussehen der Truppen erregte das Mitgefühl der Würzburger. Sie hatten keine eigentliche Niederlage erlitten, sie hatten weder Fahnen noch Kanonen verloren, aber sie erlagen dem Hunger und der Ermüdung. Mehrere sanken auf der Straße kraftlos zusammen. Sie klagten, daß sie schon seit vierundzwanzig Stunden nichts zu essen hatten, Nachts war der Erdboden ihr kaltes Lager, während sich der große Dienertroß der das Heer begleitenden Prinzen in den vorgefundenen Betten wärmte. In der Buntheit ihrer Uniformen boten sie ein ähnliches Bild, wie die weiland deutsche Reichsarmee. Von einem Thore zum andern hatten sich die Würzburger, Lebensmittel austheilend, aufgestellt und während des Marsches labten sich die Soldaten aus den oft von schönen Händen dargereichten Schüsseln und Flaschen. Fässer Bier und Wein wurden beigeschafft. Dienstboten verzichteten auf ihr Mittagsessen zu Gunsten der darbenden Soldaten. Ein altes Mütterchen trug einem Soldaten das Gewehr, während er die Suppe aß, die sie ihm gebracht hatte. Die Stadt entleerte sich auf diese Weise rasch von ihren Lebensmittelvorräthen und nach den Durchmärschen stellte sich empfindlicher Mangel ein. Gegen Abend zogen die Baiern durch Würzburg, von denen die Division Hartmann die nördlich gelegenen Höhen mit dem Schenkerschlosse besetzten, die Uebrigen aber mit dem Hauptquartiere nach Rottendorf rückten.

Das achte Armeecorps besetzte zum Theil die Sander Aue, südlich der Stadt, der größte Theil jedoch bezog zwischen Gebrunn und der Käsburg ein aus abgeschnittenem Getreide und Weinbergspfählen bereitetes Lager. Zwei Batterien hatten sie westwärts von der Käsburg auf dem Neuberge aufgestellt, welche das Mainthal bestrichen. So verging der 26. Juli.

Als folgenden Morgens die Preußen aus dem Guttenberger Wald heraus gegen Würzburg zu sondirten, fanden sie zu ihrer Verwunderung alle die Festung beherrschenden westlichen und südlichen Höhen unbesetzt. Auf der Höhe des Nikolausberges überraschten sie eine Abtheilung Arbeiter, welche an einer neuen Erdschanze arbeiteten und beim Anrücken der Preußen eiligst die Flucht ergriffen. Einige preußische Dragoner streiften sogar bis nahe an’s Zellerthor. Von Höchberg aus zogen die Oldenburger mit zehn gezogenen Kanonen auf der Höhe des Nikolausberges vorwärts, erst die Festung mit Granaten überschüttend, dann auch einzelne davon in die Stadt werfend. Mit vierundzwanzig Kanonen besetzten die Preußen den ihnen mehr zur Linken liegenden Hexenbruch, auf dessen Hochfläche sich das Pulvermagazin befindet. Von hier bestrichen sie lediglich den westlichen Festungsflügel.

Um zehn Uhr Morgens begann nun der Artilleriekampf mit seinem gewaltigen Donner. Allein auf der ganzen Linie errangen die Preußen keinen Vortheil. Die Kanonen auf dem Hexenbruche mußten dreimal ihren Standpunkt rückwärts verlegen und standen zuletzt bei Höchberg. Die auf der Hettstädter Höhe befindlichen Preußen wurden mehrmals, nachdem sie Raum zum Auffahren bekamen, von den zwei auf dem Schenkerschlosse gegenüberstehenden bairischen Batterien wieder vertrieben. Trotzdem gerieth um zwei Uhr Mittags der südwestliche Flügel der Festung, ein massiver, in seinem untern Stockwerke gewölbter Bau, das Zeughaus enthaltend, in Brand. Man hatte unbegreiflicher Weise auf dem Dachboden Strohmatratzen in großer Menge zurückgelassen, welche durch feindliche Granaten angezündet wurden. An ein Löschen während des Kampfes war nicht zu denken, und so brannte das ganze große Gebäude mit allen Waffenvorräthen und mehreren Trophäen aus früheren Zeiten vollständig aus.

Dicht vor demselben in der Hitze des Brandes, umflogen von glühenden Schiefern und platzenden Granatkartätschen, standen die bairischen Kanoniere, unerschüttert den Feind zurückweisend, der, die Verwirrung benutzend, jetzt zum Sturme auf die Festung sich anschickte.

In der Stadt hatte man keine Ahnung von der ihr selbst drohenden Gefahr, man hielt die ersten hereinfliegenden Kugeln für verirrte Geschosse, bis das zunehmende Pfeifen und Sausen in der Luft, das Platzen der Projectile, welche die Straßen mit ihren Splittern und herabfallenden Ziegeln und Steinbrocken bedeckten, sie eines Andern belehrte. Als sich nun noch von der Festung her eine ungeheure schwarze Rauchwolke, haushoch von rothen Flammen durchzüngelt, heranwalzte, als die Sturmglocken ertönten, da kam der ganze Ernst der Lage über die geängstigte Einwohnerschaft. Alles flüchtete in Keller und sichere Räume und die Straßen verödeten wie in einer ausgestorbenen Stadt. An mehreren Orten zündeten die Granaten, allein die Feuerwehr war stets rasch bei der Hand, so daß nirgends ein Brand entstand. Einige zertrümmerte Fensterstöcke, Beschädigungen in den Wohnungen, an den Kaminen, Dächern, Mauern und Kirchen waren gegenüber den zwei- bis dreihundert Schüssen, welche in die Stadt fielen und meistens in der Luft platzten, ein verhältnißmäßig geringer Schaden. Ein Mann bezahlte auf der Mainbrücke seine Neugier mit dem Leben. Gegen drei Uhr endlich schwiegen beiderseits die Geschütze und nun erst wurde der Festungsbrand mit Erfolg bekämpft.

Im bairischen Lager war inzwischen die Nachricht eingetroffen, in Nikolsburg sei zwischen den beiden kriegführenden Mächten eine Waffenruhe bis 2. August verabredet worden. Ein bairischer Parlamentär brachte die Kunde dem preußischen Commandanten; dieser erklärte jedoch, nichts davon zu wissen, und wenn er bis andern Morgens keinen Befehl zum Einstellen des Kampfes erhalten habe, so beginne er denselben von Neuem, denn in Würzburg müsse er einziehen. Neue Angst, neues Flüchten in der Stadt. Allein der folgende Tag verlief ruhig, nur vor dem südlichen Thore der Stadt neckten sich österreichische und preußische Schützen über den Main hinüber. Nachmittags erklärte der bairische Heerführer, Prinz Carl, Würzburg als offene Stadt. Aber erst der am 2. August abgeschlossene Waffenstillstand erlöste es von seinem Bangen.

In Folge der Waffenstillstandsbedingungen verließen bekanntlich die Baiern die Stadt, behielten aber die Festung. Mit welchem Unmuth Ersteres von Seiten der Soldaten geschah, konnte man auf ihren Gesichtern lesen. Ein Theil weigerte sich zu gehorchen und wollte auf eigne Faust die Stadt vertheidigen. Nur nach eindringlichem Zureden wandten sie derselben den Rücken. Am 2. August um elf Uhr zogen die Preußen, bei viertausend Mann stark, durch das Zellerthor über die Brücke mit klingendem Spiele ein, geleitet von einem bairischen General.

Und nun waren die gefürchteten Preußen, von denen man sich so gräuliche Dinge aus Böhmen und Kissingen erzählte, die, wie die Klerikalen dem gemeinen Manne aufschwatzten, in allen errungenen Städten die Katholiken zu Ketzern umtauften, in der meist katholischen, unter dem Krummstab groß gewordenen Stadt. Allein bald sah der Bürger wie viele tüchtige Bildungselementes sich in einem preußischen Landwehrcorps vereinigen, und der gemeine Mann, sowie die fromme Matrone fanden sich zu ihrem Erstaunen mit den vermeintlichen Ketzern in Einem Gottesdienst vereinigt. Man hatte preußischer Seite die Klugheit gehabt, nach Würzburg katholische Regimenter in Besatzung zu legen. Auch dieses ist Strategie. Rasch schwand denn alle Scheu vor den neuen Gästen, als man deren meistens gesetztes Benehmen sah, der Verkehr kam wieder in Gang und die Lebensmittelnoth hatte ein Ende. –

Was die im österreichischen Feldzuge so gefürchteten Zündnadelgewehre betrifft, so waren dieselben nicht im Stande, den Baiern Schrecken einzujagen. Schreiber dieses sprach nach dem Kampfe mehrere bairische Soldaten darüber und alle äußerten sich einstimmig dahin, daß ihnen ihre Podewilsgewehre lieber seien, denn wenn auch die Zündnadeln weit schneller schössen, als ihre Waffen, so träfen sie mit diesen um so sicherer ihren Feind und eher, als sie von den preußischen Kugeln etwas zu fürchten hätten. Mancher Preuße äußerte, wie sie oft geglaubt hätten, mit lauter Schützen zu kämpfen. Der fast immer größere Menschenverlust auf preußischer Seite bestätigt diese Aussagen.

Zur Erklärung des Bildes bemerken wir zum Schluß: Links im Hintergründe steht auf den Höhen des Neubergs die Batterie der Nassauer, welche die Oldenburger auf dem Nikolausberge beschoß. Daneben im Grunde sieht man das Städtchen Heidingsfeld, das während des Kampfes von den Preußen besetzt war, ihm zur Seite die Brücke für die Ansbacher und Heidelberger Eisenbahn. Aus den Buchten der den Main rechts begrenzenden Berge lugen die Ausläufer des Guttenberger Waldes hervor, auf den sich die Preußen am letzten Kampftage stützten. Ueber die Festung zieht sich in langer Linie der Nikolausberg, den die Baiern zu spät [711] zu verschanzen begonnen hatten. Rechts am Ende desselben liegt das Dorf Höchberg, hinter demselben dehnt sich der Kampfplatz von Helmstadt bis Roßbrunn aus. Ganz rechts ist der Hexenbruch mit den preußischen Batterien; in der Stadt selbst links das ehemals bischöfliche prachtvolle Schloß, nach vorne zu ein Theil des neuen großartigen Bahnhofes. Unter dem Dome steht das weltberühmte reiche Juliusspital und jenseits des Maines unter der Festung die zu derselben gehörige Vorstadt. Die bairische Kanone auf dem Steinberge im Vordergrunde, getreu nach der Natur gezeichnet, feuerte nicht. Die Schiffbrücke, die wir aus dem Bilde erblicken, war abgefahren.
Franz Leinecker.