Die Blumenzucht in der Urwelt

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Autor: Carus Sterne
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Titel: Die Blumenzucht in der Urwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 50-52
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Die Blumenzucht in der Urwelt.
Von Carus Sterne.

Wozu die Pracht der Blumen? So hat seit Plotin, dem Platoniker, schon Mancher gefragt.

„Ei, Verehrtester, um die Herrlichkeit des Schöpfers zu verkünden und des Menschen Herz zu erfreuen!“ hat dann meist und beinahe vorwurfsvoll einer jener guten, alten Leute erwidert, die freiwillig oder von Amtswegen auf alle unsere Fragen und Zweifel Bescheid zu geben wissen.

„Aber die schönsten Blumen,“ wirft der unverbesserliche Rationalist ein, „blühen in Urwäldern und unzugänglichen Alpenstrichen, wo nur selten der Fuß eines Menschen hingelangt. Und überdem – soll denn der Mensch sich freuen? Sonst sagt Ihr, der Mensch soll den irdischen und vergänglichen Freuden entsagen, sich kasteien, enthalten und fasten, aber nicht sich freuen. Weil der Wein des Menschen Herz erfreut, hat ihn Muhamed seinen Gläubigen verboten. Verfuhren da nicht jene Aebte und Aebtissinnen des Mittelalters, welche die Nachtigallen aus den Klostergärten exorcirten, consequenter, indem sie in ihnen Teufel witterten, welche nur kämen, den Mönchen und Nonnen Frühlingsgefühle in’s Herz zu singen, die sie nicht haben sollten? Möchte es nicht mit Rosen und Myrten am Ende dieselbe verzwickte Geschichte sein? Sind Blumen nicht die irdischsten und vergänglichsten aller Freuden?“

„Aber, behüte alter Freund, was mengt Ihr da zusammen? Die Blumenliebhaberei ist die unschuldigste aller Freuden dieser Erde: mit Recht lieben alle gute Menschen die Blumen, und die Frauen, ihrer Herzensgüte entsprechend, ganz besonders.“

„Wohl gesprochen, Pfarrer, ich hoffe auch, man wird lange suchen müssen, ehe man unter ihnen ein so schönheitsvergessenes Kind fände, daß es seine holden Schwestern aus der Pflanzenwelt nicht hegen und pflegen, geschweige denn sie gar verachten sollte. Die Frauen sind geborene Blumengärtnerinnen und ich denke mir, wenn Adam auf die Jagd gegangen ist, wird Eva einstweilen die Blumen im Paradiese begossen und gepflegt haben.“

So oder ähnlich möchte vor Zeiten ein Gespräch zwischen einem Gläubigen und einem Zweifler über die Blumen verlaufen sein. Heute ist uns die Ahnung aufgegangen, daß die Blumen nicht umsonst und nicht für Andere schön sind, sondern um ihres eigenen Vortheils und Besten willen, und daß die geborenen Blumenpflegerinnen, von denen wir eben hörten, seit früher Urzeit Vorgängerinnen gehabt haben, daß die Blumengärtnerei viel älter als die Gemüsezucht, ja beinahe so alt sein mag, wie die Viehzucht, welche den Darwin auf so besondere Gedanken gebracht hat. Die Untersuchung der „abgelegten Kleider der Natur“, das heißt der Erdschichten, zeigt uns in unwidersprechlicher Weise, daß es Zeiten gegeben hat, in denen unser Planet noch gar nicht mit Pflanzen geschmückt war, daß darauf solche folgten, in denen blumenlose Pflanzen, sogenannte Kryptogamen, das heißt verborgenblühende Gewächse, ihn mit einfarbigen ununterbrochen grünen Wiesen und Wäldern bekleideten.

Eine solche blumenlose Zeit war noch diejenige, in welcher sich die Steinkohlen ablagerten, und der Dichter, der uns sagt, daß die aus dem Steinkohlentheer gewonnenen Anilinfarben die auferweckten Farben der Blumen des Steinkohlenwaldes seien, hat sich eine kleine poetische Licenz erlaubt. Auf diese Urpflanzen, denen eigentliche Blumen ganz fehlten, folgten solche mit kleinen, unscheinbaren, meist graugrünen Blüthen, wie sie heute noch die meisten unserer Waldbäume, die Nesseln, Gräser etc. zeigen. Ehe wir aber weiter zusehen, wie die emsigsten aller Züchter aus diesen unscheinbaren Blüthen die stolzen Zierden der Tropenwälder und der Alpen erzogen haben, müssen wir uns eine kleine, sonderbare Frage vorlegen, nämlich die Frage, was denn so eigentlich eine Blume vorstellt?

Karl Linné, der große Reformator der Botanik, hat in einer hübschen, 1729 erschienenen Jugendarbeit, die den poetischen Titel führt: „Ueber die Hochzeit der Pflanzen“, zuerst eine richtige Deutung der Blume gegeben, indem er sie für das geschmückte Hochzeitshaus der Pflanze erklärte. Zwar waren schon vor ihm Ideen über Geschlechtsverschiedenheiten der Pflanzen ausgesprochen worden, aber erst von da ab brachen sich richtigere Vorstellungen über die Fortpflanzung der Gewächse, Frucht- und Samenbildung Bahn. Es zeigte sich, daß die wesentlichen Theile der Blüthe nicht diejenigen sind, welche durch bunte Farben und aromatische Düfte unsere Sinne erfreuen, sondern vielmehr einerseits jener rundliche Hohlkörper, welcher die Mitte der meisten Blüthen einnimmt und später zur Frucht auswächst, und andererseits die denselben meist in der Mehrzahl umgebenden Fädchen, welche an ihrer knopfförmig verdickten Spitze den allbekanten, meist gelben Blumenstaub aussondern, der, wenn wir unsere Nasen in gewisse Blumenkelche stecken, dieselben gelb färbt. Schon die Alten wußten, daß es, um die Pflanzen fruchttragend zu machen, darauf ankömmt, diesen Staub auf die mit dem Namen „Narbe“ bezeichnete, oft äußerst zierlich gebildete Eingangsöffnung des erwähnten Fruchtknotens zu bringen. Seit undenklichen Zeiten holen die Bewohner der Länder, in denen die Dattelpalme das hauptsächlichste Culturgewächs ist, Büschel der stauberzeugenden Blüthen, die hier und in ähnlichen Ausnahmfällen öfters nur auf besonderen männlichen Bäumen entstehen, und hängen sie in die Wipfel der weiblichen Bäume, um sich eine reichliche Fruchternte zu sichern.

Was in diesem Falle die Hand des Menschen bewirkt, errichtet in der Natur namentlich für diejenigen Pflanzen, bei denen die Geschlechter wie bei der Dattelpalme auf zwei Individuen vertheilt sind, meistens der Wind, indem er ganze Wolken jenes [051] leichten Blumenstaubes davonführt und den Narben der weiblichen Pflanzen zuträgt, welche, um ihn sicher zu fangen, oft wie eine Feder vielseitig zerfasert sind, wie wir sehr schön an den Blüthen unserer Getreidearten sehen können. Es ist leicht einzusehen, daß, um die Samenerzeugung dieser ältesten, durch den Wind befruchteten Samenpflanzen, zu denen unsere Nadelhölzer und manche andere Waldbäume, sowie die Gräser, Seggen, Wegebreitarten und andere gehören, zu sichern, eine ungeheure Menge Blumenstaub erzeugt und verschwendet werden muß, wie wir daran erkennen, daß durch einen Platzregen mitunter eine große Masse desselben als sogenannter „Schwefelregen“ niedergeschlagen wird. Es kann also auf diesem Wege die Fortpflanzung der Art nur mit einer ungeheuren Stoffvergeudung und mit großen Opfern an Kraft erkauft werden. Alle diese Pflanzen nun, welche der bei keiner Schönheit verweilende Wind befruchtet, haben unscheinbare Blüthen, denn die Natur putzt sich nicht umsonst und für den Wind.

Bei denjenigen farbenprangenden Blüthen, welche die deutsche Sprache in feinfühliger Weise als „Blumen“ unterscheidet, sehen wir die Staubfäden mit der Fruchtanlage meist in demselben Hochzeitshause vereinigt und man hatte lange stillschweigend angenommen, daß bei ihnen die Fruchtbildung einfach dadurch veranlaßt werde, daß die Staubfäden ihren Staub auf die in ihrer Mitte befindlichen Narbe ausschütten. Einige aufmerksame und liebevolle Blumenbeobachter des vorigen Jahrhunderts, die deutschen Naturforscher Kölreuter und Sprengel, bemerkten indessen zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß die Sache in der Mehrzahl der Fälle keineswegs so einfach verläuft, und daß namentlich alle die Blumen, welche sich durch lebhafte Farben, schöne Zeichnungen, durch starken Duft, Größe und durch absonderliche Formen auszeichnen, also namentlich die Blumen, denen wir unsere besondere Theilnahme zuwenden, geradezu eine Selbstbestäubung auf verschiedene Weise vereiteln und vielmehr durch Darbietung von Honig und Blumenstaubnahrung Insecten aller Art anzulocken suchen, um durch ihre Vermittelung mit fremdem Blumenstaube versehen zu werden. Sprengel wurde nicht müde, die oft sehr sinnreichen Veranlassungen zu beobachten und zu beschreiben, durch welche diese Blumennarben vor der Berührung mit eigenem Staube geschützt, und für die Zuführung des fremden vorgerichtet sind. An den bekannten Glockenblumen (Campanula) unserer Felder und Gärten hatte Sprengel beobachtet, daß die Staubfäden regelmäßig verstäuben und vertrocknen, ehe die Narbe derselben Blume so weit entwickelt ist, um ihren Staub aufnehmen zu können, und daß die Blumen durch ihre hängende Stellung den Honig, der sich im Grunde der Glocke absondert, vor der Auswaschung durch Regen schützen, um ihn ja und unverkürzt zur Anlockung von Insecten bereit zu halten, welche bei ihrer Gewohnheit, von einer Blume zu einer anderen derselben Art zu fliegen, den Blumenstaub später entwickelter Blumen mitbringen. In ähnlicher Weise deutete Sprengel 1787 den Nutzen gewisser Härchen in den aufrechtstehenden Blüthen des Wiesenstorchschnabels, sofern sie ebenfalls den Honig vor dem Ausgewaschenwerden durch Regen schützen, und erkannte immer deutlicher, daß den Blumen doch außerordentlich viel daran gelegen sein müsse, Insecten anzulocken und durch sie mit fremdem Blumenstaube versehen zu werden. Im darauf folgenden Jahre erkannte er, daß der schöngelbe Ring im Teller des himmelblauen Vergißmeinnicht unserer Wiesen zu nichts anderem da sein möchte, als um den Insecten als Wegweiser zur Honiggrube zu dienen, und fand so die Erklärung der Blumenzeichnungen und der sogenannten Saftmale, welche (wovon man sich besonders leicht an Lilien, Orchideen, Nelken etc. überzeugen kann) stets sicher zur Honiggrube geleiten.

Sprengel entdeckte ferner eine Menge der merkwürdigsten Specialeinrichtungen verschiedener Blumen, die alle, wenn auch in ungleichster Gestalt, darauf abzielen, die besuchenden Insecten theils mit den Blumenstaubträgern, theils mit der Narbe in Berührung zu bringen, z. B. diejenige des Garten- und Feldsalbey, deren Staubfäden einem beweglichen Pumpenschwengel gleichen, dessen Griff die eindringenden Insecten nothwendig bewegen müssen, um dadurch sofort eine Douche von Blumenstaub auf sich herabzupumpen, den sie dann den Nachbarblüthen zutragen. Eine ähnliche Einrichtung fand er bei vielen mit sogenannter Schmetterlingsblüthe versehenen Gewächsen, zu denen Bohnen, Wicken, Klee, Ginster etc. gehören. Wenn nämlich Insecten auf diese Blumen fliegen und sich auf dem natürlichen Landungsplatze derselben, den „Flügeln“, niederlassen, so drücken sie das bisher in dem „Schiffchen“ eingeschlossene Staubfädenbündel mitsammt der Narbe heraus und gegen ihren Unterkörper, wobei einzelne Blüthen ihren Staub explosionsartig entleeren. Sprengel veröffentlichte im Jahre 1793 sein Werk über „Das neuentdeckte Geheimniß der Natur im Baue und in der Befruchtung der Blumen“, in welchem er seine Ansicht dahin äußerte, daß der Blumenschöpfer die Blumen darum so reich mit allerlei Anziehungsmitteln ausgestattet habe, damit sie den Insecten eine „anziehende Erscheinung“ sein sollten, sofern sie nämlich deren Mithülfe bedürften, um Samen zu erzeugen.

Die Annahme, daß die Blumen nicht für den Menschen, sondern für die Insecten mit lebhaften Farben, Zeichnungen, Düften ausgestattet seien, war der erste Schritt zu einer Deutung des Blumenräthsels. Aber dieser auf sorgfältigste Studien gebauten Theorie fehlte der Schlußstein, nämlich die Antwort auf die Frage, warum sich die Blumen nicht allgemein, wie es einzelne von ihnen thun, des selbstproducirten Blumenstaubes bedienen, um die jungen Samenanlagen zu befruchten? Diese offenbare Lücke in der Schlußfolge verurtheilte das Sprengel’sche Werk, obwohl es einen wahren Schatz der köstlichsten Beobachtungen enthält, zu einer mehr als sechszigjährigen Unfruchtbarkeit. Nun sprach zwar bald darnach der englische Naturforscher Andrew Knight das erlösende Wort, indem er zeigte, daß die durch Fremdbestäubung oder Kreuzung der Blumen hervorgehende Nachkommenschaft kräftiger ist, als die durch Selbstbestäubung entstandene, allein dem so abgerundeten Gedankensproß fehlte vorerst die richtige Luft, um gedeihen und Frucht tragen zu können.

Dieses günstige Klima für das Fruchttragen der Sprengel’schen Arbeiten brachte erst die Weltanschauung des großen britischen Naturforschers, nach welcher im weiten Naturhaushalte alle Mittel gelten, um sich im allgemeinen Kampfe um’s Dasein zu behaupten, und am meisten die, welche eine vortheilhafte Abänderung mit sich bringen. Es erhob sich alsbald die Frage: kann die Schönheit gewisser Blumen denselben auch einen besondern Vortheil im Existenzkampfe eintragen? Sogar im Menschenleben bezweifelt Niemand, daß die Schönheit nützlich sei. Man pflegt von einem wohlgebildeten Menschenkinde zu sagen, ihm sei damit ein großes Geschenk mit auf seinen Lebensweg gegeben worden. Freilich hat die Sache auch ihre Kehr- und Schattenseite. Schöne Menschen werden durch Verhätschelung, Aufmerksamkeiten, allseitiges Entgegenkommen, Huldigungen etc. sehr häufig moralisch verdorben, und der Vortheil der Schönheit wird durch ihre Nachtheile häufig aufgehoben. Bei den Blumen sind diese Nachtheile nicht zu fürchten. Je auffallender schön eine Blume ist, desto sicherer zieht sie ihre Insecten an, desto bestimmter wird ihre kräftigere Nachkommenschaft in insectenarmen Jahren diejenige der weniger schönen Collegin mit gleichen Lebensansprüchen aus dem Felde schlagen können. Die Blume ist also weder für den Menschen, noch für die Insecten, sondern nur um ihrer selbst willen schön. So lautet diese Lösung eines der größten Naturräthsel.

Darwin wendete seine Aufmerksamkeit bald nach der Veröffentlichung seiner Theorie (1859) den Wechselbeziehungen zwischen Blumen und Insecten zu, und nachdem er eine bestimmte Blumenfamilie (die Orchideen) zum Gegenstande seines Specialstudiums gemacht, wies er in seinem Buche über dieselben (1862) im Einzelnen nach, wie diese durch das Bizarre ihrer Formen ausgezeichneten Blumen immer so gebaut sind, daß die Insecten, welche ihrem Honig nachgehen, sich den Blumenstaub, der zwei Kölbchen bildet, stets wie ein Geweih auf den Kopf befestigen müssen, um ihn der nächsten Blume zuzutragen. Die Lücken der Einzelbeobachtung, welche Sprengel und Darwin auf diesem ungeheuren Arbeitsfelde gelassen, sind seitdem durch deutsche, italienische, schwedische und englische Forscher, von denen wir Hildebrandt, Hermann Mueller, Delpino, Axell und Lubbock nennen wollen, in reichsten Maße ausgefüllt worden, wobei die wunderbarsten gegenseitigen Anpassungen entdeckt wurden, sodaß man jetzt zu schließen berechtigt ist, daß Blumen und honig- oder blumenstaubsuchende Insecten Organismen sind, die sich gegenseitig angepaßt haben und darum bis in’s Einzelne ergänzen. [052] Diese Wechselbeziehungen sind besonders durch den Oberlehrer Dr. Hermann Mueller in Lippstadt nachgewiesen worden, der in seinem Buche über „Die Befruchtung der Blumen durch Insecten“ (Leipzig 1873), einem Werke echtdeutschen Fleißes, die Ergebnisse unermeßlicher Beobachtungsreihen niedergelegt hat. Hermann Mueller wendete seine Aufmerksamkeit namentlich auch dem Baue des Insectenkörpers zu, indem er zeigte, wie dieser sich, nachdem in früheren Erdperioden der erste Versuch gemacht worden war, von Blumennahrung zu leben, diesem besonderen Nahrungszweige immer mehr angepaßt hat, bei Bienen und Schmetterlingen endlich lange Rüssel erlangte, um den Honig aus den längsten Blumenröhren, wie z. B. Nelken, Jelänger Jelieber etc. herauszuholen. Die Fortbildung der Blumen ist also mit derjenigen der Insecten Schritt um Schritt gegangen, es giebt nicht nur, allgemein gesprochen, Blumeninsecten und Insectenblumen, sondern nicht wenige Insecten und Blumen gehören ganz speciell zu einander, wie der Deckel auf das Töpfchen.

Indem die Insecten nun bei ihren Besuchen solche Blumen bevorzugten, die durch den natürlichen Abänderungstrieb der Naturdinge schöner oder sagen wir auffälliger geworden waren, als andere, verführen sie ganz wie ein Gärtner, der nur die schönsten Exemplare seiner Beete zur Samenzucht auswählt, die weniger schönen aber verwirft. Wir können uns durch diesen Zuchtproceß ganz wohl vorstellen, wie die schöneren Blumen durch allmähliche Abänderung aus den unscheinbareren hervorgegangen sind, indem die Insecten häuptsächlich die ersteren bevorzugten, die letzteren dagegen vernachlässigten. Dr. Hermann Mueller hat gezeigt, daß diese Schlußfolge sich sogar aus der Jetztwelt beweisen läßt. Er verglich unter Andern die Blüthen vier verschiedener Storchschnabelarten, nach ihrer Größe sowohl wie nach ihrem Insectenbesuche und fand, daß der Besuch ziemlich genau der Größe proportional ist: die größtblumige Art (Geranium pratense) wird am meisten, die mittlere seltener, die kleinstblumige Art (Geranium pusillum) niemals von Insecten besucht. Dasselbe kann man an unserem bekannten, durch sein Abänderungsvermögen ausgezeichneten Feldstiefmütterchen sehen, welches, zuweilen aus derselben Wurzel, ganz kleine gelbliche und viel größere blaue oder violette Blumen treibt. Die ersteren werden niemals, die letzteren stets von Insecten bestäubt. Man hat sogar die besondere Größe und Farbenschönheit der Alpenblumen durch denselben Grundsatz zu erklären gesucht, sofern nämlich auf den hochgelegenen Standorten der eigentlich in Betracht kommenden Alpenpflanzen sowohl die Zahl der Insecten als der sonnigen Tage, in denen erstere fliegen, viel geringer ist, als in der Ebene, sodaß eben nur die allerschönsten Arten Aussicht hätten, von Insecten bestäubt zu werden und Nachkommenschaft zu hinterlassen. Der eben erwähnte, unermüdliche Naturforscher bringt bereits seit einer Reihe von Jahren seine Ferienwochen allsommerlich in den Hochalpen zu, um die hier waltenden Naturgesetze zu ergründen.

Ganz die nämliche Bewandtniß, welche es mit der Farbenschönheit und sonstigen Augenweide der Blumen hat (sofern sie ihnen selbst im hohen Grade nützlich wurde, und eben deshalb so ausgezeichnete Stufen erreichen konnte), scheint es auch mit dem Dufte der Blumen zu haben, denn auch dieser dient augenscheinlich dazu, Insecten anzulocken. Bekanntlich duften die meisten Pflanzen am Abend, wenn die Farben nicht mehr recht wirken können, am stärksten, ja der Duft kann die Farbe überflüssig machen, und besonders stark duftende Nachtblumen, die auf die Anlockung von Nachtschmetterlingen eingerichtet sind, haben oft sehr unscheinbare trübe Farben, oder halten ihren Kelch tagüber wohl gar völlig geschlossen, um unützen Honigdieben den Zugang zu wehren. Auch die Ausbildung dieser Annehmlichkeit verdanken wir also allem Anscheine nach den Blumenzüchtern der Urzeit, den Insecten, wobei es ein glücklicher Umstand ist, daß ihr Geschmack im Allgemeinen mit dem menschlichen übereinstimmte. Freilich haben uns die Aasfliegen dabei den schlechten Streich gespielt, auch einige Pflanzen, welche aasähnliche Gerüche entwickelten, der Nachwelt zu erhalten, aber sie bekommen ihre Strafe selbst dafür, denn der Instinct ist auch nicht unfehlbar, und ihre auf solche Blumen abgesetzte Eierbrut geht elendiglich zu Grunde.

Alles, was wir bis hierher über die Naturzüchtung schönfarbiger, großer und duftender Blumen gesagt haben, beruht auf der Voraussetzung, daß die Kreuzbefruchtung den Pflanzen nützlich sei, aber diese Voraussetzung war bisher, obwohl durchaus wahrscheinlich, doch nur durch sehr vereinzelte Versuche gestützt worden. Der bewunderungswürdigen Ausdauer und Arbeitskraft Charles Darwin’s haben wir nunmehr auch den Nachweis zu danken, daß das angedeutete Fundament der Blumentheorie wohl gegründet war. In seinem vor ungefähr Jahresfrist erschienenen Buche über die Wirkungen der „Kreuz- und Selbstbefruchtung im Pflanzenreiche“[1] hat Darwin die Resultate elfjähriger, an Tausenden von Pflanzen angestellter praktischer Versuche dargelegt, aus denen unzweifelhaft erhellt, daß im Allgemeinen die Selbstbestäubung der Pflanzen eine schwächliche Nachkommenschaft zur Folge hat, während die Kreuzbefruchtung, wie sie die Insecten verrichten, eine stärkere und kräftigere Nachkommenschaft liefert. Die Beschreibung dieser mit unendlicher Geduld und Sorgfalt angestellten Versuche können, wie alle Werke Darwin’s, Jedem, der daran zweifeln möchte, den Beweis liefern, auf wie soliden Grundlagen die Weltanschauung dieses großen Naturforschers aufgebaut worden ist. Die Leser der Gartenlaube aber wollen wir hiermit auf ein Beobachtungsfeld hingewiesen haben, welches, kaum von dem Streite der Tagesmeinungen berührt, einem Jeden die lebhafteste Befriedigung und die reichste Ausbeute verspricht. Als einführendes Werk, welches auf die obengenannten drei Hauptwerke über diesen Gegenstand vorbereitet, wollen wir nicht unterlassen zum Schlusse auf das kleine vortreffliche Buch von Sir John Lubbock „Blumen und Insecten in ihrer Wechselbeziehung“ (Berlin, Gebr. Bornträger 1876) hinzuweisen.


  1. Deutsch von V. Carus. Stuttgart, Schweizerbart (E. Koch).