Die Dioskuren

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Textdaten
Autor: Wilhelm von Humboldt
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Titel: Die Dioskuren
Untertitel: aus Pindars zehnter Nemeischer Ode.
aus: Friedrich Schiller:
Musen-Almanach für das Jahr 1798, S. 110–114
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1798
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
Übersetzer:
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Quelle: HAAB Weimar, Kopie auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Dioskuren

aus Pindars zehnter Nemeischer Ode.


Wechselnd in wechselnder Folge wohnen
einen Tag sie bey dem geliebten
Vater Zeus; aber den andern
in den Tiefen der Erde, den Klüften Therapne’s,

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einerley Schicksal erfüllend. Denn

dieses Leben, lieber als ganz
ein Gott seyn, und den Himmel bewohnen,
wählte einst Polydeukes, da Kastor
gesunken war in der Schlacht.

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Ihn hatte Idas, zürnend über die Rinder,

durchbohrt mit der Spitze der ehernen Lanze.

     Vom Taygetos schauend, sah ihn
sitzen auf dem Stamme der Eiche

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Lynkens; denn ihm war

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unter den Irrdischen allen das schärfste

Auge. Mit leichten Füßen ereilten sie
bald ihn, und vollbrachten rasch da das große Werk.
Aber Furchtbares litten wieder
von Zeus Händen die Apharetiden.

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Denn plötzlich kam, sie verfolgend

der Sohn der Leda. Sie aber standen
ihm entgegen, nahe dem Grabmal des Vaters.

     Hier wegreißend Aedes
Schmuck, den geglätteten Stein,

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warfen sie ihn auf die Brust

Polydeukes; doch sie zerschmetterten
nicht ihn, drängten ihn nicht zurück.
Losstürmend trieb mit dem schnellen Wurfspieß
er in Lynkeus Seite das Erz.

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Aber gegen Idas schleuderte Zeus

den feurigen, dampfenden Donnerkeil.
Einsam verbrannten sie da zugleich.
Schwer ist der Zwist den Sterblichen
mit dem Stärkeren zu beginnen.

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     Schnell nun kehrte der Tyndaride

zu der Kraft des Bruders zurück.
Noch nicht gestorben, aber röchelnd
in des Odems Beraubung fand er ihn.
Seufzend, heiße Thränen vergießend,

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rief er laut: „Vater Kronion,

wo ist ein Ziel dieser Trauer?
Gieb mir zugleich mit diesem den Tod, o Herrscher!
Denn es schwindet des Mannes Ruhm, wenn er
der Freunde beraubt ist. Wenige nur

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der Sterblichen sind treu in der Gefahr,
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     mit zu theilen die Arbeit.“
Also sprach er; aber Zeus kam ihm entgegen,
und sagte die Worte: „Du bist
mein Sohn. Diesen pflanzte nachher

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einen sterblichen Saamen – der Held, deiner Mutter

als Gatte sich nahend. Dennoch, wohlan!
geb’ ich dir hievon die Wahl.
Wenn du, entfliehend dem Tode,
und dem verhaßten Alter,

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willst den Olympos bewohnen, mit mir

und Athenen und dem schwarzgepanzerten Ares,

     so ist dieß Loos Dir beschieden.
Aber willst du für den Bruder
streiten; gedenkst du von allem

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mit ihm nur das Gleiche zu theilen,

so magst du die Hälfte leben, unter der Erde

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weilend, aber die andre
in des Himmels goldenen Wohnungen.“
Als der Gott also gesprochen, da theilte

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nicht mehr zwiefacher Rathschluß Polydeukes Seele;

eilend löste er wieder
die Augen, dann die Stimme
des erzbehelmeten Kastors.

WILH. V. HUMBOLDT.