Die Fackel. Vorwort

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Textdaten
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Autor: Karl Kraus
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Titel: Vorwort
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aus: Die Fackel, Nr. 1, I. Jahr, S. 1–3
Herausgeber: Karl Kraus
Auflage:
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Erscheinungsdatum: Anfang April 1899
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Erscheinungsort: Wien
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Austrian Academy Corpus: AAC-FACKEL Online Version: »Die Fackel. Herausgeber: Karl Kraus, Wien 1899-1936«
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[1] In einer Zeit, da Österreich noch vor der von radicaler Seite gewünschten Lösung an acuter Langeweile zugrunde zu gehen droht, in Tagen, die diesem Lande politische und sociale Wirrungen aller Art gebracht haben, einer Öffentlichkeit gegenüber, die zwischen Unentwegtheit und Apathie ihr phrasenreiches oder völlig gedankenloses Auskommen findet, unternimmt es der Herausgeber dieser Blätter, der glossierend bisher und an wenig sichtbarer Stelle abseits gestanden, einen Kampfruf auszustoßen. Der ihn wagt, ist zur Abwechslung einmal kein parteimäßig Verschnittener, vielmehr ein Publicist, der auch in Fragen der Politik die »Wilden« für die besseren Menschen hält und von seinem Beobachterposten sich durch keine der im Reichsrath vertretenen Meinungen locken ließ. Freudig trägt er das Odium der politischen »Gesinnungslosigkeit« auf der Stirne, die er, »unentwegt« wie nur irgendeiner von den ihren, den Clubfanatikern und Fractionsidealisten bietet.

Das politische Programm dieser Zeitung scheint somit dürftig; kein tönendes »Was wir bringen«, aber ein ehrliches »Was wir umbringen« hat sie sich als Leitwort gewählt. Was hier geplant wird, ist nichts [2] als eine Trockenlegung des weiten Phrasensumpfes, den andere immerzu national abgrenzen möchten. Mit Feuerzungen — und wäre es auch ein Dutzend verschiedensprachiger — predigen die Verhältnisse das Erkennen socialer Nothwendigkeiten, aber Regierende und Parteien wünschen vorerst — mit hinhaltender Berechnung die einen, in leidenschaftlicher Verblendung die anderen — die Kappenfrage der Prager Studenten erledigt zu wissen.

Diese Erscheinung schmerzlichsten Contrastes, die sich durch unser öffentliches Leben zieht, wird hier den Gesichtspunkt für die Beurtheilung aller politischen Ereignisse bestimmen, und es mag zuweilen glücken, dem dumpfen Ernst des Phrasenthums, wo immer er sein Zerstörungswerk verübe, durch die ihm so unbequeme Heiterkeit rechtzeitig den Credit zu schmälern.

Dem durch keine Parteibrille getrübten Blick muss doppelt deutlich sich das Mene Tekel zeigen, welches dräuend in unserer durch Altarkerzen verstärkten Finsternis zuweilen aufleuchtet. Aber die Sprachgelehrten wissen es nicht zu deuten, und vom alten Hader noch erschöpft, erheben sie sich zu neuem Zanke. Von dem unheimlichen Anblick geblendet, weisen die einen mit einem ängstlichen »Zde« nach der Erscheinung, dieweil die anderen, völkischen Verrath witternd, als die Verhandlungssprache des jüngsten Gerichtes nur die deutsche gelten lassen wollen.....

Vielleicht ist dem frevlen Treiben gegenüber, das den Wettkampf zwischen der auf ihre Reife nicht wenig stolzen und einer kräftig erst sich emporringenden Cultur auf den rüdesten Wirtshauszank reducieren [3] möchte, ein offenes Wort noch willkommen. Vielleicht darf ich mich aber auch der Hoffnung hingeben, dass der Kampfruf, der Missvergnügte und Bedrängte aus allen Lagern sammeln will, nicht wirkungslos verhalle. Oppositionsgeister, die des trockenen Tons nun endlich satt sind, möge er befeuern, alle jene, die Talent und Lust zu einer beherzten Fronde gegen cliquenmäßige Verkommenheit auf allen Gebieten verspüren, ermuntern und in diesem unakustischen, national verbauten Reiche nicht bloß bei den für jede neue Erscheinung empfänglichen und grundsätzlich hellhörigen Staatsanwälten ein Echo finden.

Der umständliche Instanzenzug, den hier der sogenannte »Geist der Zeit« noch immer durchmachen muss, um nach oben zu gelangen, wird bei jeder sich darbietenden Gelegenheit in seinen vielverschlungenen Wegen zu verfolgen sein. Was an dem unbefangenen Beobachter ist, soll geschehen, um zwischen der Regierung und den Parteien Schuld in gerechter Weise zu vertheilen: Ministern, die nur ein einziges Gesetz nicht verletzen, nämlich das Gesetz der Trägheit, vermöge dessen sich dieser Staat noch aufrechterhält — Volksvertretern, die jede andere, nur nicht die »innere Amtssprache« des Gewissens beunruhigt und welche unentwegt über die Aufschrift auf ärarischen Spucknäpfen streiten, während das Volk seine ökonomischen Bedürfnisse als Beichtgeheimnis allzuverschwiegenen Priestern anvertraut..... So möge denn die Fackel einem Lande leuchten, in welchem — anders als in jenem Reiche Karls V. — die Sonne niemals aufgeht.