Die Fixsterne

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Die Fixsterne
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 256-260
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[256]
Fortgesezte Betrachtung des Weltgebäudes.

Die Fixsterne.

Der Hausfreund sieht jezt im Geiste zu, wie der verständige und wohlgezogene Leser geschwind noch einmal den Artikel von den Planeten durchgeht, damit er besser verstehen kann, was nunmehro von den Fixsternen will gesagt werden, und wie er jezt auswendig die Planeten an den Fingern abzählt, und den Uranus am großen Zehen greifen muß, unten im Pedal, weil er zu eilf Planeten nur zehen Finger hat.

Für die Fixsterne zu zählen gibs nicht Finger genug auf der ganzen Erde, von Franz Ignaz Naroki, an, der jezt 120 Jahre alt ist, bis zum Büblein, das in die Schule geht. Denn wenn nur unser einer (der Hausfreund will sich für diesmal auch dazu zählen) in einer schönen Sommer oder Winternacht im Freyen steht, oder durch das Fenster hinausschaut, welch eine unzählbare Menge himmlischer Lichter groß und klein strahlen uns freundlich und fröhlich entgegen, ganz anders als wenn man ein paar Stunden nach Sonnen-Untergang von einer Anhöhe herab gegen eine große Stadt kommt, oder hinein reitet, und aus allen Häusern und aus allen Fenstern schimmern einem die Lichter entgegen, was doch auch schön ist. Das Auge kann sich nicht genug ersehen an solchem himmlischen Schauspiel, und weiß nicht welchen Stern es zuerst und am längsten betrachten soll, und es ist, als wenn jeder sagte: „Schau mich an!“ Unterdessen bewegen sie sich alle am Himmel fort, einige gehen schon am frühen Abend unter, und die ganze Nacht hindurch, und wenn früh schon die Morgenluft [257] über die Erde weht, und von Dorf zu Dorf das Hahnengeschrey durch die Nacht zieht, gehn immer noch neue auf, und es nimmt kein Ende. Deswegen können wir auch nie alle sichtbaren Sterne des Himmels auf einmal sehen, nicht einmal die Hälfte, denn es ist ausgemacht, daß sie den Tag hindurch eben so wie bey Nacht ihren stillen Lauf am Himmel fortsetzen, nur daß wir sie nicht wegen der Tageshelle sehen können. Denn wer bey Nacht unter freyem Himmel ist, ich will sagen ein Nachtwächter, ein Feldschütz, ein Fuhrmann, und er gibt nur ein wenig acht, der wird finden, Abends, wenn es dunkel wird, sind ganz andere Sterne am Himmel, als früh, ehe es aufhörte dunkel zu seyn. Wo sind diese hingekommen? wo kommen jene her? Antwort: Sie sind den Tag hindurch untergegangen und auf. Also können wir in der schönsten reinsten Sternennacht kaum die Hälfte sehen, und sind doch so viel, und wenn wir sie geschwind ein wenig zählen wollten, bis wir fertig wären, wären nimmer die nemlichen da, sondern andere; deswegen heißt es mit Recht: So jemand die Sterne des Himmels zählen kann, so wird er auch deine Nachkommen zählen, nemlich die Juden.

Damit nun wir Sternseher (der Hausfreund gehört jezt nimmer zu unser einem) damit wir die Anzahl der Sterne besser in Ordnung halten können, so haben wir gewissen merkwürdigen Sternen einen eigenen Namen gegeben, oder wir haben denen, welche zusammen eine Figur vorstellen, den Namen einer Figur gegeben, z. B. das Creutz, die Krone, oder wir haben um 20 bis 100 Sterne herum in Gedanken eine Linie gezogen, die bald aussieht wie ein Wolf oder ein [258] Krebs, oder so, und nennen sie Sternbilder, z. E. die 12 himmlischen Zeichen, die Jungfrau, die Zwillinge, der Skorpion, und alle Sterne groß und klein, die in einem Sternbild stehen, gehören zum Sternbild, und wenn einmal einer von ihnen fehlte, oder zu spät käme, so wollten wir’s bald merken, könnten’s aber nicht wehren. Der Leser selber kennt ja einige dieser Sternbilder, den Jakobsstab, den Heerwagen, die Gluckhenne, oder das Siebengestirn, und sollte es auch bald merken, wenn einer von ihren Sternen nicht einhalten wollte.

Allein das ist alles noch nichts, sondern es gibt noch viel mehr Sterne, die wir nicht sehen, als die wir sehen. Wo zwischen zwey oder dreyen dem bloßen Auge alles öde und leer zu seyn scheint; schaut ihr durch ein rechtschaffenes Perspektiv, so funkeln euch noch mehr als 20 neue himmlische Lichtlein entgegen.

Kennen wir nicht alle die Milchstraße, die wie ein breiter flatternder Gürtel den Himmel umwindet. Sie gleicht einem ewigen Nebelstreif, den eine schwache Helle durchschimmert. Aber durch die Gläser der Sternseher betrachtet, löset sich dieser ganze herrliche Lichtnebel in unzählige kleine Sterne auf, wie wenn man zum Fenster hinaus an den Berg schaut, und nur grüne Farbe sieht, aber schon durch ein gemeines Perspektiv erblickt man Baum an Baum, und Laub an Laub, und das Zählen läßt man auch bleiben.

Ja es ist glaublich, daß wenn ein Sternseher auf den lezten obersten Stern sich hinaufschwingen könnte, der von hier aus noch zu sehen ist, so würde er noch nicht am Ende seyn, sondern ein neuer Wunderhimmel [259] voll Sternen und Milchstraßen würde sich vor seinen Augen aufthun, bis ins unendliche hinaus.

Was aber die Bewegung der Sterne betrifft, wenn man auch sagen will, sie gehen auf und unter, so gehen sie doch nicht alle auf und unter, sondern wenn man sich gegen Norden stellt, wo der Winter und die Russen herkommen, und halbwegs am Himmel hinaufschaut, nicht gar weit vom großen Heerwagen, dort steht ein Stern, der sich nicht sonderlich bewegt, und der Angelstern oder Polarstern heißt, der Herr Pfarrer kennt ihn. Auf diesen schauen die andern Sterne bis zum Thierkreis oder den 12 Zeichen hinaus, als auf ihren Flügelmann oder ihr Centrum, und drehen sich um ihn herum. Die nähern drehen sich in kleinern Kreisen um ihn herum, also, daß sie auch nie untergehen. Deswegen kann man z. B. den Heerwagen, Sommer und Winter die ganze Nacht sehen, bald über bald unter dem Angelstern. Aber die entfernteren in ihren großen Kreisen müssen schon unten um die Erde herumgehen, und auf der andern Seite wieder hinauf. Also kann man z. B. das Siebengestirn nicht immer sehen. Wenn es unten ist, kann man es nicht sehen. Stellt man sich aber gegen Süden, wo der Sommer, die Mohren und die Storken herkommen, dem Angelstern gegenüber, eben so tief unter uns, als dieser über uns, steht wieder so ein Angelstern, der sich gar nicht bewegt. Auf den schauen die Sterne, die jenseits des Thierkreises stehen, und bewegen sich auch um ihn herum, immer in kleinern Kreisen, je näher sie ihm kommen, ganz so, wie hier zu Land.

Allein das alles ist im Grunde doch nur Schein. [260] In der That selbst aber ist es, wie hier folgt. Die Erde hängt rings um zwischen lauter himmlischen Sternen ohne Zahl und ohne Ende, und wie? Es wäre dem Hausfreund lieb, wenn sich der geneigte Leser noch erinnern wollte an alles was über die Axe der Erde, über ihr Umdrehen derselben und über ihre Pole früher gesagt worden ist. Denn der eine Pol der Erde, unserm, dem wir am nächsten sind, schaut gegen den obern Polarstern am Himmel nicht ganz, aber ungefähr der andere Pol der Erde schaut gegen den andern Polarstern am Himmel, den wir hie zu Land und auf unsern Bergen nie sehen, gegen den untern, und die Axe, oder Spindel, welche gleichsam durch die Erde hindurch geht, es geht keine durch, aber wenn sie durchgienge, und unten und oben bis in die Sterne hinausreichte, so würde sie sich in die zwey Polarsterne am Himmel hineinbohren, und sich in ihnen sammt der Erde gleichsam als in ihrem Gewinde umdrehen, und so dreht sich die Erde wirklich herum, daß immer die Pole gegen die Polarsterne schauen. Daraus folgt, wie wir meynen die Sonne geht in 24 Stunden um die Erde herum, so meynen wir, alle Sterne gehn auch in größern und kleinern Cirkeln um die Erde herum. Aber nein. Die Erde vollendet in 24 Stunden ihren Wirbel um sich selbst, und kommt so an den Sternen vorbey, nicht die Sterne an ihr. Doch darauf kommt so viel nicht an. Aber der geneigte Leser glaubts nicht. Ich weiß es schon.