Die Helden von Plewna

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Titel: Die Helden von Plewna
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aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 89-90
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[079]

General Skobeleff, der Jüngere.
Originalzeichnung von Professor W. Camphausen in Düsseldorf.

[089] Die Helden von Plewna. (Mit Abbildungen: „General Skobeleff der Jüngere“, Seite 79, und „Osman Paschas Begrüßung durch den Großfürsten Nikolaus“, Seite 87.) Von den wenigen Männern, welche „die steigende, fallende Welle des Glücks“ in dem russisch-türkischen Kriege gehoben hat, führen wir unseren Lesern zwei in Bild und Wort vor. Der Drehpunkt des Krieges war Plewna: es war das Unglück der Russen und schien ihr Verderben zu werden, und ist nun das Unglück der Türken und ihr Verderben geworden. Bei den Kämpfen um diesen Punkt sind zwei Namen am häufigsten genannt worden, der des Russen Skobeleff und der des größten Helden des Krieges: Osman Pascha.

Michael Dmitrijewitsch Skobeleff ist der jüngste General und der kühnste Haudegen der russischen Armee, eine Art jugendlicher „Blücher“, der Sohn des Generals Skobeleff (daher „des Aelteren“) und (nach S. Hahn in „Unsere Zeit“) 1845 geboren. Aus der Petersburger Cadettenschule trat er 1863 als Officier in’s Heer und lernte das Kriegführen in Centralasien. Dort zuerst zeichnete er sich durch seine Tollkühnheit, aber auch durch sein Kriegsglück aus. Ihm verdankte man die Besiegung von Kholand; er avancirte schon 1875 zum Generalmajor und Militärgouverneur der neuen Provinz Ferganah. Administrative Talente soll er dort eben nicht gezeigt haben. Beim Ausbruch des Krieges wurde er im März 1877 zur Armee des Großfürsten Nikolaus berufen.

In den militärischen Hofkreisen von St. Petersburg soll gegen die sogenannten „Turkestanischen Officiere“ von Seiten der „Salongeneräle“ ein fast mit Verachtung gemischtes Vorurteil herrschen, zu welchem bezüglich des jungen Skobeleff sich noch der Neid über das rasche Avancement desselben gesellt. Wirklich betrat er als unattachirter Officier den Kriegsschauplatz, von seinen Soldaten in Asien als der siegreichste Held gefeiert, verdankte er jetzt nur dem Umstande, daß sein Vater eine Cavalleriedivision commandirte, seine Verwendung im Dienste. So theilte er das Schicksal des alten Totleben, dem auch erst die Noth den Degen wieder in die Faust gab. Viele seiner „tollen, eines Generals unwürdigen Streiche“, als welche sie dem Höchstcommandirenden von seinen Gegnern zugetragen wurden, hat man ihm später, nachdem er die kaiserliche Gunst sich erkämpft hatte, als Heldenstückchen angerechnet. Diese Gunst wandte sich ihm schon nach dem Uebergang über die Donau bei Simnitza zu, erstieg aber den höchsten Grad nach seinem Siege bei Lowatsch (am 3. September) und seiner Theilnahme an den großen Schlachten vor Plewna. An der blutigen Namenstagsfeier des Czaren, am 11. September, wurde er zum Lohn für die Eroberung der südlichen Redoute von Plewna zum Generallieutenant und Generaladjutant des Kaisers ernannt.

Als Totleben der Schmied des eisernen Ringes um Plewna wurde, blieb Skobeleff der Stürmer und hat namentlich durch die Eroberung des „Grünen Bergs“ bei Krischin am 11. November wesentlich dazu beigetragen, seinen großen Gegner endlich zur Uebergabe seiner selbstgeschaffenen Feste zu zwingen.

Englische Kriegscorrespondenten, die nun einmal die Modegünstlinge in jedem Hauptquartier sind, schildern ihn als einen stattlichen Officier, der in Zügen und Blick den Stempel trage, zum Führer der Männer geboren zu sein. „Mit seinem blonden Haar und englisch zugeschnittenen Schnurr- und Backenbart, mit seinen kühnen, scharfgeschnittenen Gesichtszügen und den blauen Augen des nordischen Seekönigs, konnte er überall als ein glänzender englischer Officier passiren“ – schmeichelt sich und ihm der „Standard“. Diesem Bilde entspricht unser Holzschnitt.

Weniger genau sind die Nachrichten über die Vergangenheit Osman Paschas. Er soll nach Einigen 1832 zu Amasia in Kleinasien, nach Andern 1839 zu Rikopolis in Rumelien geboren worden sein. Sein Name war unbekannt bis 1876, wo er plötzlich als Commandant des Widdiner Corps im Kriege gegen Serbien vor uns steht. So war es möglich, daß, als plötzlich derselbe Name ruhmstrahlend von Plewna aus genannt wurde, das Gerücht wochenlang sich behaupten konnte, daß dieser Osman kein Geringerer, als der damals ziemlich verschollene Marschall Bazaine sei; Andere wollten gar einen südamerikanischen General in ihm entdeckt haben. Sicher ist, daß er Truppen-Commandant in Yemen war, als der bosnische Aufstand ihn nach Europa zurückrief, wo er zuerst nach dem Siege bei Saitschar als kühner und scharfblickender Führer genannt wurde.

Beim Beginn des jetzigen Krieges commandirte er ein Corps von 35,000 Mann mit dem Hauptquartier in Widdin. Vergeblich warb er um den Befehl, von hier durch das Kalafat den Krieg in Feindesland zu tragen, in welchem sein Name bereits zum Schrecken geworden war. Statt dessen mußte er die Hälfte seiner Truppen der sogenannten Centrumsarmee abgeben, und als nun der Uebergang der Russen über die Donau dennoch erfolgte, erhielt er, aber zu spät, den Befehl Rikopolis zu entsetzen. Er besetzte dafür Plewna, um den Russen den Weg nach dem Südwesten des Reiches zu versperren; dadurch zwang er sie zur Echelonnirung ihrer Truppen von Simnitza bis Tirnowa und sogar, nach Gurko’s Balkanzug bis Philippopel. Wie den Feldherrnblick, so zeigte er nun auch sein Organisationstalent in der Schaffung eines neuen Heeres und einer neuen Festung, deren Uneinnehmbarkeit sich erprobt hat, denn sie konnte wohl ausgehungert, aber nicht erstürmt werden.

Die Geschichte der Belagerung von Plewna brauchen wir unseren Lesern nicht erst zu erzählen; wir wenden unsere Aufmerksamkeit lieber den Helden selbst und dem tragischen Ende derselben zu. Nur um des Contrastes willen dürfen wir nicht verschweigen, daß er nach den großen Siegen in den Juli- und ersten Septemberschlachten von seinem Kriegsherrn nicht nur den Titel Ghazi, der Siegreiche, den Osmaniéorden, einen Ehrensäbel und ein Dankschreiben, sondern auch von der Stadt Constantinopel eine goldene Ehrentafel erhalten hat. Und jetzt?

Ueber Osman Pascha’s Persönlichkeit verdanken wir einem Berichte aus Plewna von Victor Lorie („Frankf. Ztg.“) das Beste. Er sagt unter Anderm: „Osman ist Türke von Geburt und zwar ein Erztürke. Er ist von Mittelgröße, von athletischen Formen, ein Hercules mit allen charakteristischen Contouren dieses Repräsentanten höchster körperlicher Kraft, dem kurzen Stiernacken, den mächtigen Schultern, den strammen, dicken Beinen, im Ganzen eine untersetzte handfeste Gestalt, der Typus jener Künstler, die auf Kraftausstellung reisen. Sein Kopf ist süperb. Die Züge sind nichts weniger als fein, aber regelmäßig und angenehm in ihrer Derbheit. Ein noch wenig in’s Graue spielender lockerer Vollbart umrahmt dieses Gesicht, aus dem nie sich verleugnende Ruhe, Ernst und Entschlossenheit, aber auch Milde und etwas Ironie sprechen. Seine Augen sind groß und weit geöffnet, die Pupille von heller grüngelber leuchtender Farbe, mit großer Iris, dadurch der lauernde niederschmetternde Blick des Löwen, sowie ein Blick, der im Zorne nur versteinern und bei Güte nur bezaubern kann.

Des Marschalls Uniform ist kaum eine solche zu nennen; er trägt eine Jaquette mit breitem Revers von dunklem Tuche, darunter eine lange Weste im Style Louis des Fünfzehnten, von demselben Stoffe, sowie von demselben Tuche stramm an den muskulösen Beinen anliegende Culotten, die in bespornten Stiefeln einmünden, welche nur bis unterhalb der Kniescheibe reichen. Der türkische Fez sitzt ihm martialisch auf dem Hinterkopfe, sodaß über der mittelhohen Stirn die Haarbüschel hervorstehen; ein Bleistift steckt fortwährend zu seiner Disposition, anstatt hinter dem Ohre, vor demselben unter dem Fez, aus welchem er hervorguckt. Er schnallt nie im Lager den Säbel um, dagegen hängt ihm immer das Etui, sein Marine-Lorgnon enthaltend, über den Schultern. Er ist einsilbig, unterhält sich fast nie mit Jemandem, seine Officiere lauern auf seinen Ruf, erhalten einen Befehl, geben eine Auskunft und ziehen sich in den Hintergrund; er ist ein großer Schweiger wie – Moltke; er ist ein colossaler Arbeiter, hat immer zu thun und schläft – fast nie. Energisch, eisenfest, selbständig, entschlossen, nach keinem Rathe fragend, ist er dennoch äußerst bescheiden. Schlachtenbülletins kennt er nicht; mit drei Worten berichtet er nach Constantinopel; er beschreibt nicht seine Thaten; er meldet nur lakonisch das Resultat; die vergangene Minute wird ad acta gelegt, und nur die vorstehende beschäftigt ihn.“

So schilderte ihn Lorie, mit Recht begeistert für ein solches Mannesbild, in den Tagen voller Sieghaftigkeit, am 6. September. Damals konnte Osman Pascha noch hoffen, daß er als Sieger dort abziehen oder, wenn von den Russen umschlossen, doch entsetzt werde. Man gebot ihm: „Du bleibst“ – und verließ ihn und die erprobteste Armee des Landes.

Die „Katastrophe vom 10. December“ ist bekannt genug; wir beschränken uns auf die kurze Darstellung des Augenblickes, welchen unser Bild darstellt, uns einem Berichte der „Daily-News“ anschließend. Konnte im russischen Lager, nachdem Totleben’s Ring fertig und die Schwäche etwaiger Ersatzarmeen erkannt war, die Uebergabe Plewnas nur noch für eine Frage der Zeit gelten, so machte man sich doch noch auf schwere Stürme gefaßt, denn man überschätzte die Furchtbarkeit der Macht Osman Paschas nicht wenig. Um so freudiger war die Ueberraschung, um so größer der Jubel vom Kaiser bis zum letzten Tambour, als mitten im Durchbruchskampfe die weiße Fahne der Ergebung winkte.

Von dem entsetzlichen Durcheinander von verwundeten und todten Menschen und Thieren, von Wagen und Waffen aller Art, das den Boden des Schlachtfeldes bedeckte, wenden wir uns nur jenem einen Wagen zu, auf welchem der türkische Feldherr, verwundet und gefangen, sich in das verlorene Plewna zurückfahren läßt. Wer ihn erkennt, der erbittertste Feind, bezeugt ihm seine Hochachtung. Da hält plötzlich der Wagen; denn Osman Pascha hat erfahren, daß der Großfürst des Weges komme, und will ihn erwarten. Der Großfürst ritt an den Wagen heran und

[087] 

Zusammenkunft Osman Paschas mit dem Großfürsten Nikolaus nach der Uebergabe von Plewna.
Nach den Mittheilungen eines russischen Officiers von Chr. Sell in Düsseldorf componirt.

[090] einige Secunden lang sahen sich die Beiden in’s Gesicht, ohne ein Wort zu sprechen. Dann streckte der Großfürst seine Hand aus und schüttelte diejenige Osman’s herzlich, indem er sagte:

„Ich beglückwünsche Sie zu Ihrer Verteidigung von Plewna; es ist eine der glänzendsten Thaten der Geschichte.“

Osman Pascha lächelte traurig, erhob sich schmerzvoll, trotz seiner Wunde am Fuße, sprach etwas und setzte sich wieder. Die russischen Officiere riefen wiederholt „Bravo!“ und salutirten. Auch Fürst Karl, welcher angekommen war, ritt an den Wagen und schüttelte dem Türken die Hand; Osman Pascha erhob sich abermals und verneigte sich, diesmal jedoch in grimmigem Schweigen. Er trug einen weiten blauen Mantel ohne Abzeichen und einen rothen Fez. Sein Gesicht zeigte Ermüdung und Blässe, und die Augen waren traurig und gedankenvoll.

Der Löwe von Plewna selbst wird als Gefangener erster Classe dem siegfrohen Russenvolke zur Schau gestellt, und ihm bleibt nun Zeit genug, hinzubrüten „über das Schicksal seiner Tapferen, die Dummheit in Stambul und das Unglück seines Vaterlandes“.