Die Körner-Gräber und ihr alter Wächter

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Autor: unbekannt
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Titel: Die Körner-Gräber und ihr alter Wächter
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Körner-Gräber und ihr alter Wächter.

Es war an einem wunderschönen Maimorgen, als ich mit einem Freunde mich auf die Wanderung machte, um die Grabstätte Theodor Körner’s einmal wieder zu besuchen.

Das Bauerndorf Wöbbelin liegt hart an der Ludwigslust-Schweriner Chausée und ist auffallend in die Länge gebaut. Gleich zu Anfang der Häuserreihe – von der Ludwigsluster Seite aus – erheben sich zwei mächtige Eichen, weithin sichtbar. Das ehrwürdige Geschwisterpaar ist ungefähr 40 Schritte von einander getrennt; unter dem entferntest liegenden Baume fand Theodor Körner die ewige Ruhe, und um ihn herum hat der Tod auch seine Lieben gebettet.

Anfangs befanden sich die Körner’schen Gräber allein auf dem Platze, und ein hölzernes Gitter, um welches sich im Abstande von circa 12 Fuß eine einfache Mauer herumzog, umschloß die heilige Stätte. Im Jahre 1839 ward die erste Einrahmung indeß durch eine eiserne ersetzt, und als man im nächstfolgenden Jahre den Platz mit einem Friedhof für die Dorfschaft vereinigte, fiel auch die Mauer, welche nun soweit hinausgerückt ist, daß sie die Körner-Gräber mit dem Gottesacker zu einem Ganzen umschließt; dem Dorfkirchhof öffnet sich jedoch ein eigenes Thor.

Den Grabstätten gegenüber liegt an der anderen Seite der Chaussée das Schulzengehöft, wo die Schlüssel zum Dichtergrabe aufbewahrt werden. „Vergeßt die treuen Todten nicht!“ lautet die ernste, mahnende Inschrift des Thores zu letzterem, welches in Gestalt eines Triumphbogens, nach einer Zeichnung von Schinkel, aufgeführt ist. Die eiserne, mit einem Helm gekrönte Gitterthür, welche schon in der früheren Mauer befindlich war, öffnete sich uns, und wir betraten den breiten Kiesweg, der, auf beiden Seiten von Birken, welche gleichsam trauernd ihre Zweige tief gesenkt haben, und Gebüsch begrenzt, in gerader Linie zu der Ruhestätte führt.

Da stehen wir vor der geweihten Stätte, – vor einem Heiligthum der Nation, – vor einem Tempel, darinnen der reinsten Begeisterung ein Altar gebaut ist! Wie viele Thränen mögen hier geflossen, wie viele Gelübde gen Himmel gestiegen, wie viele Erinnerungen an diesen einsamen und einfachen Ort geknüpft sein! – „Wir erblicken nur wenige Bildsäulen,“ sagt Thomas Abbt, „die uns die Lehre predigen: Stirb für’s Vaterland!“ Ich möchte behaupten, es giebt keinen andern einfacher gekennzeichneten Ort, der beredter so zu uns spräche, als Theodor Körner’s Grab.

Während wir uns dem Eindruck dieser Stätte hingaben, öffnete sich das Fenster eines naheliegenden Hauses, und ein von weißem Haar und Bart umrahmtes Greisenantlitz kam zum Vorschein, den Blick unverwandt auf den Kirchhof und uns geheftet. Die ehrwürdige Erscheinung zog mich mächtig an – vielleicht ein Zeuge der Trauervorgänge an diesem Orte, vermuthete ich, und als solcher sicher im Stande, die Einzelheiten des Sängerbegräbnisses zu erzählen. Ich beschloß, mich zu nähern. Ein eben Verübergehender sollte mir zuvor Auskunft geben.

„Das ist der frühere Dorfschulze Franck,“ lautete die Antwort, „der dort auf seinem Altentheil lebt.“

„Ist er denn schon Schulze gewesen, als Körner hier begraben wurde?“ fragte ich weiter.

„Gewiß,“ entgegnete der Andere, „er weiß Manches über den Vorgang zu erzählen, aber jetzt ist kein gut Umgehen mit ihm. Seit man ihn in den Ruhestand gesetzt hat, ist er ganz tiefsinnig geworden, und nur selten treten Augenblicke seiner früheren Gesprächigkeit wieder ein.“

Der Alte fesselte mein Interesse in noch höherem Grade. Ich trat zu ihm an’s Fenster und wünschte guten Tag. Er dankte indeß gar nicht und schlug das Fenster zu. Inzwischen war

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Körner’s Tod.
Originalzeichnung nach authentischen Mittheilungen aufgenommen.

[422] auch mein Freund herangekommen, der auf meine Eröffnung vorschlug, dem Alten näher auf den Leib zu rücken. Wir thaten es. Bei unserm Eintritt in die Stube stand der Alte, den Rücken uns zugekehrt, vor einem Bilde, ohne umzuschauen. Zu unserer Verwunderung entdeckten wir als seine Augenweide eine Zeichnung des Körnergrabes.

„Das ist Euch wohl eine liebe Zimmerzierde, wenn gleich Ihr den Ort so nahe habt und mit den Augen ablangen könnt,“ unterbrach ich die beklommene Stille.

Nach einer Pause erst machte der Angeredete Kehrt und zeigte uns ein vom Alter durchfurchtes Gesicht, dessen lebhafte und kluge Augen unstät vom Einen zum Anderen fielen. Mit diesem Blick kam ihm auch die Sprache. – „Ja, ja, das Bild ist mir sehr theuer,“ begann er, „es ist ein Geschenk vom alten Rath Körner, und nun die Gräber, welche ich über vierzig Jahre gewssenhaft hütete, meiner Aufsicht entzogen sind – – – doch was wollen Sie?“ unterbrach er sich selbst, „Sie sehen, ich bin schwach und krank und kann Ihnen in nichts dienen.“

Wir sprachen den Wunsch aus, in seiner Begleitung das Dichtergrab zu besuchen – „denn ein Führer, wie Ihr,“ setzte ich hinzu, „wird uns gewiß so Manches von Theodor Körner erzählen können, für das wir bis in die kleinsten Einzelheiten das innigste Interesse hegen.“[1]

Es schien dem Alten sichtlich zu behagen und zu schmeicheln, daß wir von seiner Person so viel erwarteten. „Na, meinetwegen denn,“ rief er halb zögernd, „lassen Sie die Schlüssel herholen.“

Sie wurden bald gebracht. Er betrachtete sie eine Weile, als wenn er nach Merkmalen suche, in Wirklichkeit aber, um seine Gemüthsbewegung zu bemeistern.

„Als der alte Körner mir diese einhändigte,“ begann er auf’s Neue, „versprach er mir mit einem Handschlag, daß dieselben bis an mein Lebensende in meinen Händen verbleiben sollten. Das ist aber nicht in Erfüllung gegangen, denn als das Alter herannahte und man mich nicht länger als Schulzen brauchen zu können meinte, nahm man mir auch diese und gab sie meinem Nachfolger. Wenn der alte Rath oder die ehrwürdige Frau Räthin noch gelebt hätten, wär’s freilich nicht geschehen. Seh’n Sie, diese Maßregel hat mich tief gekränkt und ist die Ursache meiner Krankheit geworden. Neid wegen der wegfallenden kleinen Einkünfte kam wirklich nicht dazu, denn, Gott sei Dank, ich habe wohl ausreichend für die wenigen Tage, welche mir noch beschieden sind. Aber seh’n Sie, etwas Theueres, welches Einem zum Schutze anvertraut ist, und das man viele Jahre treu behütet hat, wird Einem selbst bald lieb und theuer, und einen harten Kampf kostet es, wenn’s Einem wieder genommen wird.“ Dabei rannen ihm die hellen Thränen über die Backen in den grauen Schnurrbart.

Die schlichten, ungeschminkten Worte machten einen tiefen Eindruck auf uns; so viel Pietät hatten wir bei dem Alten nicht zu finden geglaubt.

Inzwischen waren wir auf den Kirchhof gekommen. Franck blieb fast bei jedem Baum in der Birkenallee stehen, die er gepflanzt und viele Jahre hindurch gehegt und gepflegt hatte. Es ward ihm sichtbar schwer, seiner Rührung Herr zu werden – war er doch heute nach langer Zeit zum ersten Male wieder an dem ihm so theueren Orte.

Als wir an die Gräber herangekommen waren, setzten wir uns auf den Sockel des Denkmals. – „So, nun kann ich Ihnen meinetwegen erzählen, was ich von der traurigen Geschichte weiß, und was mir noch bis heute in meinem altersschwachen Gedächtniß sitzen geblieben ist,“ fing unser ehrwürdiger Cicerone unaufgefordert wieder an.

„Seh’n Sie, als der Marschall Davoust sich am 10. August 1813 von Hamburg aus gegen Mecklenburg in Bewegung gesetzt und am 23. August Schwerin besetzt hatte, war der General-Lieutenant Graf v. Walmoden-Gimborn, dessen Truppenabtheilung unter Tettenborn, dem kühnen Kosakenanführer, die Lützower zugetheilt standen, ihm in der rechten Flanke gefolgt und stellte sich nach dem Gefechte bei Vellahn – zwischen Boitzenburg und Wittenburg gelegen – den 21. August in der Ebene zwischen Ludwigslust und Neustadt auf. Die Truppen waren in einem Dreieck bei den umliegenden Dörfern postirt, die Reiterei stand bei Rastow, das Fußvolk bei Lüblow und hier bei Wöbbelin, die Avantgarde unter dem Kosakengeneral bei Fahrbinde. Tettenborn, der schon bis Warsow bei Schwerin vorgedrungen gewesen war, schickte den Major v. Lützow mit 100 Freischärlern und 100 Kosaken auf die Landstraße von Schwerin nach Gadebusch zu einem verwegenen Streifzug. Da zeigte sich in der Frühe des 26. August bei Rosenberg, zwischen letzteren Städten belegen, ein Transport feindlicher Wagen mit Proviant und Munition beladen, unter Bedeckung zweier Compagnien Infanterie; im Nu waren die Wagen genommen und die Bedeckung in die Flucht geschlagen oder niedergemacht. Der flüchtige Theil des Feindes hatte sich in ein rechts am Wege, hinter dem rosenberger Kruge liegendes Untergehölz von Tannen und Fichten geworfen und unterhielt von hier kurze Zeit ein Gewehrfeuer. – Sie wissen wohl das Nähere über Körner’s Tod, der hier erfolgte. [2] – Es dürfte Ihnen aber der Name des Cameraden unbekannt sein, in dessen Armen Körner seine Seele aushauchte. Es war der Jäger und Lützower F. Helfritz, nachmals Förster in der Gegend bei Ribnitz, dem Körner kurz vor dem Verscheiden noch seinen Ring als Andenken einhändigte. – Außer Körner waren noch ein Graf Hardenberg, ein Sohn des Landdrost v. H. zu Drönnewitz bei Wittenburg, und drei Gemeine gefallen.

Die Leichen wurden Nachts gegen 3 Uhr mit den erbeuteten Wagen und den Gefangenen hierher in’s Lager gebracht, und zwar erstere in das Haus eines alten Holzwärters zu Anfang des Dorfes, welches Sie von hier sehen können. (Dies ist der Gegenstand unseres Bildes.) Nachdem schnell ein paar leichte Särge für Körner und Hardenberg, von dem Tischler im Dorf zusammengezimmert waren, wollte man die Gefallenen zur Erde bestatten, aber nicht unter dieser alten Eiche hier, sondern dicht an dem Neustädter Landwege. Ich kam drüber zu und gab den Grabenden mein Mißfallen über die Wahl des Platzes zu erkennen. Wie leicht hätten auch die Grabhügel von den Dorfthieren, die hier oftmals frei herumliefen, aufgewühlt werden können. Inzwischen war auch der Lützower Fr. Förster, ein vertrauter Freund des Dichters und der Seinigen, herangekommen, mir vollkommen beistimmend. – Er habe schon Plätze unter den Eichen ausgesucht, sagte er, und man solle die Gruben wieder zuwerfen. – Damals ging die Erzählung, daß es Körner’s eigener Wunsch gewesen, unter dem alten Eichbaum die letzte Ruhe zu finden. Körner, hieß es, habe vor wenigen Tagen, nach einem weiten und ermüdenden Ritt, mit mehreren Cameraden im Schatten des gewaltigen Baumes gerastet und hier, während die Gefährten eingeschlafen waren, ein’s seiner schönsten Lieder, „Das Gebet während der Schlacht,“ gedichtet. Beim Aufbruch habe sich plötzlich Todesahnung seiner Seele bemächtigt, und, sich noch einmal zu der Eiche umwendend, soll er die Worte gesprochen haben: „Wenn ich falle, und ihr’s möglich machen könnt, so begrabt mich dort, wo wir eben so schön ruheten.“ Ob sich das so verhält, kann ich nicht verbürgen, aber gesprochen wurde viel davon.

Gegen Mittag fand die Beerdigung statt, nachdem ich noch eine Leichenbahre von Lüblow herbeigeholt. Man hatte dem Sänger im Tode seine Epauletten, sein Schwert und seine Uhr abgenommen, um solche den Seinigen als letzte Erinnerungszeichen zu überbringen. [3]

Die Züge des theueren Todten waren wie im Leben. Ich habe sie nach einigen Monaten, als man dem Sarge in der Erde eine andere Stellung gab, wobei sich der zu schwach befestigte Deckel verschob, noch einmal gesehen – verändert wohl, aber noch kenntlich. Mit Eichenzweigen geschmückt, ward der Sarg in die Gruft gesenkt. Dabei stimmten die Cameraden ein Lied an, aber das Singen wollte nicht recht gehen, denn der Schmerz übermannte oft die Sänger. Die Theilnahme war so groß, daß wohl kaum ein Soldat im Lager zurückgeblieben war; selbst die Aeste der Eiche waren dicht mit Kriegsleuten besetzt. Einfach war die Feier, aber tief ergreifend: manch erprobtem Krieger stahlen sich Thränen über die gebräunten Backen. Eh’ sich die Cameraden entfernten, lösten sie ein länglichrundes Stück Rinde aus dem Baum und brannten mit einem glühenden Eisen den Namen und Todestag des Gefallenen in’s Holz.

Graf Hardenberg ward unter der vierzig Schritt entfernt liegenden Eiche beigesetzt. Er hatte aber kaum vierzehn Wochen dort geschlafen, als seine Angehörigen ihn wieder ausgraben und in ihr [423] Familienbegräbniß bringen ließen. Im Garten von Drönnewitz ist ihm ein hübsches Denkmal gesetzt. Die übrigen drei Gefallenen begrub man etwa in der Mitte zwischen beiden Eichen. Zwei und zwei der Cameraden trugen die mit Stroh zugedeckten Leichen auf kleinen Tragbahren. Ihr Grabhügel zeichnet sich nicht mehr vom Erdboden ab, denn die erste Mauer lief gerade darüber hinweg und hat ihn geebnet.

Herzzerreißend war der Jammer der Angehörigen Körner’s, namentlich seiner Schwester Emma, beim ersten Besuch des Grabes. Wirr hing ihr das Haar um das bleiche Gesicht, und den Hügel umklammert haltend, rief sie im tiefsten Schmerze wiederholt den theuren Namen: „Theodor, mein Bruder – mein Bruder!“ Aber die Klagerufe verhallten ungehört im Rauschen der Eichwipfel. Fast gewaltsam mußte man sie endlich vom Grabe wegziehen.“

Der Alte machte eine Pause und fuhr mit der Hand über die nassen Augen. Mit bewegter Stimme erzählte er dann weiter: „Bei einem späteren Besuch zeichnete sie das Grab ihres Bruders, und das Bild, welches Sie vorhin in meiner Stube sahen, ist eine Copie jener Zeichnung. Ihr Sitz bei dieser Arbeit war der jetzt dort unter der Eiche liegende Stein, den ich von meiner Wohnung hatte herbeischaffen lassen.

Emma Körner war eine herzensgute, junge Dame und anscheinend große Kinderfreundin; meinen ältesten Jungen hat sie öfters auf den Armen getragen, geherzt und geküßt. Als der Kleine einst vergnügt mit ihrer Uhr spielte, versprach sie, bei nächster Herkunft ihm eine mitzubringen. Und sie kam bald wieder – aber ach, nur als Leiche! –“

Dann kam er wieder auf die Eiche zu sprechen. „Sehen Sie, in der Oeffnung dort hatte man zuerst ein kleines hölzernes Schränkchen angebracht, worin des Dichters Uhrband, geflochten aus den Haaren seiner Braut, Toni Adamberger, und ein Gedenkbuch mit einer Widmung des Professors Franz Passow vom 10. Juni 1814, aufbewahrt wurden. Als jene Reliquie aber von frevelnder Hand entwendet worden, mußte ich das Buch, welches auch zu sehr vom Einfluß des Wetters litt, auf Wunsch des alten Körner’s in meine Wohnung nehmen. Leider ist dasselbe um Ostern 1823, als mein Haus in Flammen aufging, mit verbrannt. Das neue Gedenkbuch ward bei Gelegenheit der zu Ehren Gottlieb Schnelle’s am 16. Juni 1845 stattgefundenen dreißigjährigen Schwertfeier angelegt und wird im Hause meines Nachfolgers aufbewahrt.“

„Ist denn Körner’s Braut, Toni Adamberger, niemals hier gewesen?“ fragte ich den Alten auf’s Neue.

Er sah trübselig drein. „Ja, ja,“ sagte er langsam und feierlich, „es mochte etwa ein Jahr nach der Beerdigung verflossen sein, als sie mit fünf Freundinnen die Ruhestätte ihres Verlobten besuchte. Ersparen Sie mir indeß die Schilderung der Scene am Grabe. Bevor sie wegging, schnitt sie eine Locke ihres prächtigen Haares ab und vergrub solche im Grabhügel. Im Fremdenbuch fand ich hernach die einfachen Worte von ihrer Hand: „Ich war hier und bin im Geiste oft hier.““

So plauderten wir lange mit dem Alten, selbst noch in seiner Wohnung, wohin er uns treuherzig mitzukommen geheißen. Von seiner Verschlossenheit, seinem Tiefsinn merkten wir in diesen Stunden keine Spur, vielmehr erklärte er uns wiederholt und noch beim Abschied und herzlichen Händedruck, daß es ihm heute nach langer Zeit einmal wieder recht frei und frisch um’s Herz sei. Und so sah es auch in unserer Brust aus. Trugen wir doch die schönste Erinnerung vom Dichtergrabe heim: den neu bestärkten Glauben an eine freie, unwandelbare Menschentreue, welche über’s Grab hinausreicht.

Noch wenige Monate, und es sind fünfzig Jahre verflossen, seit der liebliche und begeisterte Sänger, der edelmüthige Heldenjüngling Theodor Körner mit heiliger Opferfreudigkeit sein Herzblut für die große Sache des Vaterlandes dahingab. Am Rande eines halben Jahrhunderts seit der Erhebung Deutschlands wird das deutsche Volk auch seines Lieblings mit hohem Stolz und alter Liebe gedenken wird seinen treuen Todten nicht vergessen. Möge es dann auch des vieljährigen treuen Hüters der Gräber[4] unter der Wöbbeliner Eiche sich erinnern und durch liebevolle Anerkennung die Wolken verscheuchen, welche Undank um die Seele des biedern Alten gelagert hat. Möge die nationale Körnerfeier, welche man für den 26. August vorbereitet, in Wirklichkeit eine solche werden, indem sie auch den treuen Mann aus dem Volke ehrt und dessen Lebensabend durch den Sonnenschein der Dankbarkeit erhellt und erwärmt.


  1. WS: Im Original fehlendes Hochkomma ergänzt.
  2. Vgl. Gartenlaube 1861, Nr. 50, S. 789 f.
  3. Die Uhr erhielt später der Gerichtsrath W... in Ludwigslust für seinen Sohn vom alten Körner zum Geschenk. – Ob sie sich wohl noch vorfindet?
  4. Bild und Beschreibung der fünf Gräber unter der Körnereiche wird die Gartenlaube ihren Lesern in einer der nächsten Nummern bringen.