Die Kinderzeche in Dinkelsbühl

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Autor: U.Z.
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Titel: Die Kinderzeche in Dinkelsbühl
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 20–22
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Deutsche Volks- und Gedenkfeste.
1. Die Kinderzeche in Dinkelsbühl.

Wer je am Montag vor Margarethe Morgens zu den festlich geschmückten Thoren der ehemals freien Reichsstadt Dinkelsbühl – jetzt zu Baiern gehörig – einpilgert, der findet die ganze Stadt in freudiger Aufregung; denn „es ist heute Kinderzeche“ heißt es. Jede Arbeit ruht; straßenauf und ab wogt die Menge Einheimischer und Fremder, die schon Tags zuvor, in großer Anzahl sich eingefunden haben, und Alles harrt in gespannter Erwartung, bis der Umzug beginnt. Vom evangelischen Schulhause geht er

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Die Kinderzeche in Dinkelsbühl.
Nach der Natur gezeichnet von Oscar Schäffer.

[22] aus; voran die Musik, dann die Kinder, von ihren Lehrern geführt, alle festlich angethan, die Knaben mit Fahnen, die Mädchen mit Kränzen, und in der Mitte des Zuges hoch zu Roß der Oberst, ein Bürschlein von acht Jahren, in altschwedischer Uniform mit wallendem Federhut und Stulpenstiefeln, ein Gustav Horn im Kleinen. Vor ihm und nach ihm seine Schweden, vier Trommler, Hauptmann, Fähnrich und Lanzenknechte, lauter Bürschlein unter acht Jahren, aber wohlgeschult und in tapferm Schritt marschirend. So geht der Zug, von der wogenden Menge begleitet, hinaus durch’s Wörnizthor über die Brücke und dort sich schwenkend wieder zurück in die Stadt vor die Kirche, dem Herrn ein Loblied zu singen. Von da wendet sich der Zug zum Rathhause, und hier hält der kleine Oberst seinen Spruch, der also lautet:

Vernehmt, ihr Leute groß und klein,
Was ich euch jetzt berichte;
Ich schenk’ euch gute Mähre ein
Aus unsrer Stadt Geschichte.

Man weiß ja wohl das schwere Jahr,
Da ließ es Gott geschehen,
Daß sie befreit ward aus Gefahr
Durch ihrer Kinder Flehen.

Der Feind stand dräuend vor dem Thor;
O weh! wer hilft der armen?
Da drang die Bitte an sein Ohr:
„Hab’ doch mit uns Erbarmen!

Sieh hier die zarte Kinderschaar!
Wer soll uns speisen, tränken,
Willst Du der Stadt, die uns gebar,
Nicht Gnad’ und Frieden schenken?“

Da ward des Feindes Herz erweicht.
Das Schwert fuhr in die Scheide;
Viel Mutterherzen wurden leicht,
Und alles war voll Freude.

Deß zum Gedächtniß feiert man
Dies Fest seit vielen Jahren,
Und stimmet Dem ein Loblied an,
Der uns aus Kriegsgefahren

Errettet hat zu Seiner Zeit
Durch Kindermundes Lallen;
Er lasse sich’s voll Freundlichkeit
Auch heute wohlgefallen.

Er gebe uns ein frommes Herz
Und lehr’ uns kühnlich treten
Vor Ihn, in Freude wie in Schmerz
Für unsre Stadt zu beten.

 Dinkelsbühl lebe hoch!

An das Schulhaus zurückgekehrt, löst der Zug sich auf, um am andern Tage denselben Kreislauf wieder zu beginnen, und die Kinder kehren, reich beschenkt, zu ihren Eltern heim; der Oberst aber wird natürlich von seiner militärischen Suite feierlich nach Hause geleitet.

Was soll denn aber nun der Mummenschanz, und ist es auch der Mühe werth, von einem Kinderfeste, deren es doch überall genug giebt, aller Welt zu erzählen oder gar selber nach Dinkelsbühl zu kommen, um sich den Spaß mit anzuschauen? Nun, wer gerne noch eine säuberliche Stadt mit hochgegiebelten Häusern, mit schönen Kirchen und stattlichen Mauerthürmen sehen mag, eine Stadt, die weder durch Fürstengunst, noch durch des Krummstabes Walten, sondern allein durch ihrer Bürger Fleiß zu hohem Wohlstande sich erhoben hat, der noch heute in den schönen Bauten und den reichen Stiftungen „zu Gottes Ehr und der Armen Nutz“ verkörpert dasteht, der mag wohl auch sonst es nicht bereuen, seinen Fuß nach dem freundlichen Viengrunde zu kehren; ist auch die alte Zeit dahin, die alten Tugenden des Fleißes und der bürgerlichen Einfachheit sind geblieben. Es ist aber auch kein schlechter Mummenschanz, der dort am Montag und Dienstag vor Margarethe aufgeführt wird, wie Jeder schon aus des Obersten Spruch vernehmen konnte, und der freundliche Leser wird mir nun wohl noch erlauben, ihm die geschichtliche Deutung des Festes zu entziffern, soviel die Stadtchronik dazu Stoff an die Hand giebt.

Der Kinderzeche Ursprung schreibt sich jedenfalls schon von der Reformation her, welche das Volksschulwesen, wie bekannt, allerwärts in Schwung brachte. Dinkelsbühl hatte sich aber auf dem Regensburger Reichstage zur Augsburgischen Confession bekannt, und damals schon mag man darauf verfallen sein, dunch eine alljährlich wiederkehrende festliche Bewirthung sowohl der Lehrerschaft wie der Schuljugend einen Sporn zu andauerndem Eifer zu bieten.

Man gab diesem Feste den Namen „Zeche“ und hielt es regelmäßig am 23. Juli alten Styles mit festlichem Umzug vor Kirche und Rathhaus, dann mit Bewirthung der Lehrer und Kinder und lustiger Kurzweil in den Classen der Schule ab. Wohl verging der evangelischen Gemeinde in den schweren Zeiten des Interims, das sie all ihrer Rechte beraubt hatte, Lust und Freude zu festlichen Auszügen, denn auch der Religionsfriede brachte ihr nicht, was er andern Gemeinden brachte, und von fröhlichen Kinderzechen aus dieser Zeit der Drangsal weiß daher die Chronik auch wenig zu erzählen. Es folgte der dreißigjährige Krieg mit seinen Schrecken; aber eben dieser wurde es doch, der die Kinderzeche zu neuem Leben rief und ihr eine neue weitgreifende Bedeutung gab. Denn als der König Gustav Adolph von Schweden nach der Breitenfelder Schlacht mit seinen siegreichen Schaaren nach Süden zog, da dämmerte auch der evangelischen Bürgerschaft Dinkelsbühls ein Hoffnungsmorgen, obschon sie vorher noch eine schlimme Angst überstehen sollte. Während der König der Donau zueilte, um den Krieg in’s Herz der Liga hineinzutragen, zog ein anderer schwedischer Heerhaufen weiter westlich und kam im Mai von Rothenburg her angerückt, die Stadt mit Gewalt zu nehmen. Denn ob zwar die Bürgerschaft schier ohne Ausnahme dem Evangelium anhing, so war doch das Regiment katholisch, hielt’s mit der Liga und hatte eine baiersche Besatzung in die Stadt aufgenommen. So galt die Stadt den Schweden gegenüber für katholisch und hatte die härteste Behandlung von ihnen zu gewärtigen. Schon hatten sie das Vorwerk auf dem Ziegelbuck mit Gewalt genommen, da gaben die Baiern die Stadt auf und schickten die evangelische Jugend zum Wörnizthor hinaus über die Brücke dem feindlichen Obersten Clas Dietrich von Sperrnut entgegen, ihn um Gnade und Schonung anzuflehen. Die Kinder mit ihren ängstlichen Mienen und bittenden Stimmchen rührten dem schwedischen Feldobersten das Herz. Er ließ der Stadt Gnade und Schonung zu Theil werden, und seine Soldaten hielten in dem von ihnen besetzten Dinkelsbühl gute Mannszucht. Der katholische Rath freilich mußte einem evangelischen weichen, und von Augsburg aus ordnete der König an, den Evangelischen alle entrissenen Rechte wieder zu erstatten. Blieb’s nun zwar auch nicht lange so, brachte die unglückliche Nördlinger Schlacht schon nach dritthalb Jahren wieder einen völligen Umschwung und neue Bedrängnisse für die evangelische Gemeinde, welche erst der Westphälische Friede zum größeren Theile hob, so erhielt sich doch die Erinnerung an jene Errettung aus großer Gefahr, welche die Stadt ihrer fürbittenden Jugend zu danken hatte, frisch und lebendig. Und als nun endlich Friede war, da lebte auch die alte Kinderzeche mit neuer Lust wieder auf und bekam dann auch zum Andenken an jenes Ereigniß den jugendlich militärischen Charakter mit Oberst und Hauptmann, Lanzenknechten und Trommlern, seidnen Schärpen und Federhüten.

Als die Stadt an Baiern fiel, erlitt die Kinderzeche mancherlei Ungunst und nahm immer mehr den Charakter eines bloßen Frühlingsfestes an, und leicht hätte darüber die ganze geschichtliche Tradition verloren gehen können, wenn nicht das Jahr 1848 auch hier belebend gewirkt hätte. Nun wurde der geschichtliche Boden wieder neu betreten und dem ganzen Feste diejenige Gestalt gegeben, welche die Erinnerung an die Vergangenheit der Mit- und Nachwelt frisch zu bewahren geeignet ist. Seitdem blüht die alte Kinderzeche mit jedem Jahre mehr auf, und wem diese Zeilen Lust machen sollten, dies Stück alter Geschichte in jugendlich heiterem Kleide mit anzuschauen, der wird den Gang nicht bereuen.

U. Z.