Die Krönungsstadt unter dem neuen Adler

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Krönungsstadt unter dem neuen Adler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 739–743
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Frankfurt am Main
Hinter der Mainlinie – Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen Nr. 2
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[739]
Hinter der Mainlinie.
Kosmopolitische Weltfahrten und Erinnerungen.
Nr. 2. Die Krönungsstadt unter dem neuen Adler.


Frankfurt! – Wie der Zug auf dem Main-Weser-Bahnhof anlangt und der Schaffner jenen Namen kurz und schnell in das Coupé wirft, zieht an meiner Seele die ganze tausendjährige Geschichte des großen Gesammtvaterlandes vorüber; und als ich dann später durch die engen vielgewundenen Gassen streife, starren rechts und links mächtige steinerne Zeugen früherer Jahrhunderte auf mich nieder. An der „schönen Aussicht“, einem langen stolzen Kai am rechten Ufer des Mains, erhebt sich das Haus der Carolinger, die alte Sala, welche sich Ludwig der Fromme an der Frankenfurth zum Ruhesitz erbaute. Hier empfing er die Abgeordneten der Slaven und des Dänenkönigs Harald. Hier gebar ihm seine zweite Gemahlin Carl den Kahlen. Hier trauerte er über seine unnatürlichen Söhne, die bald gemeinsam den Vater, bald sich untereinander bekriegten. Hier starb auch Ludwig der Deutsche, unter welchem Franconeford in den Zeitbüchern schon den glänzenden Namen eines „Hauptsitzes des östlichen Reichs“ erhielt. Aus dem alten Königssitze ist ein Bürgerhaus mit Comptoiren und Waarenlagern geworden; seit fast zwei Jahrhunderten im Besitze der Familie Bernus, welcher auch der in der jüngsten ereignißschweren Tagen mehrfach genannte Senator Freiherr von Bernus angehört. Aber von dem alten Palatium zeugt noch immer die ehemalige Hauscapelle mit ihren starken Kreuz- und Erdgewölben.

Die weitere Geschichte Frankfurts und seiner Bedeutung für das heilige römische Reich deutscher Nation sind am besten in einem steinernen Buche zu lesen, das da der Römer heißt, und in hohen Hallen und Sälen, farbigen Wandgemälden und sinnigen Inschriften von der Herrlichkeit einer untergegangenen Welt erzählt, stumm aber beredt erzählt. Also nach dem Römer!

Schon stehe ich an der Pforte. Aber wo sind die rothgekleideten Hellebardirer, die[WS 1] sonst in der weiten Vorhalle feierlich gemessenen Schrittes auf- und abwandelten und vor dem ausgehenden [740] Bürgermeister ihre lange Amtswaffe mit dröhnendem Schalle dreimal kurz hintereinander zu Boden fallen ließen? Sie sind verschwunden und an ihre Stelle blaue Schutzleute getreten. Einer derselben führt mich die mit reich verschnörkeltem Geländer versehene steinerne Kaiserstiege hinauf und übergiebt mich an der Thür des Kaisersaals den Händen eines jungen Mädchens, welches als Tochter des Portiers die Fremdenführerin macht.

Der Kaisersaal, in welchem nach der Wahl des neuen Reichsoberhauptes das Krönungsmahl gehalten wurde, ist mit seinen Kaiserbildern so vielfach beschrieben worden, ebenso wie Ceremonien und Festlichkeiten der Wahl selbst – meisterhaft die letzteren bekanntlich von Goethe – daß ich mit einer neuen Schilderung nicht Eulen nach Athen tragen will. Vom Balcon des Römers zeigte sich der Kaiser nach dem Mahle dem draußen auf dem Römerberge zechenden, schmausenden, jubelnden Volke; von hier aus nahm er einige Tage später von Rath und Bürgerschaft den Eid der Treue entgegen.

Von diesem selben Balcon proclamirte am 8. October d. J. der preußische Civil-Gouverneur Freiherr von Patow die Einverleibung der freien Stadt Frankfurt nebst Gebiet in die preußische Monarchie. – „In diesem altehrwürdigen Kaisersaale,“ sagte meine Führerin plötzlich, „haben preußische Soldaten und Officiere ihre Pfeifen und Cigarren geraucht. Ich bin keine Frankfurterin,“ fuhr sie fort, „aber diese Rücksichtslosigkeit hat mich doch beleidigt.“

Nach diesen Worten öffnete sie eine kunstvoll gearbeitete Thür aus Eichenholz und ließ mich in das Wahlzimmer treten; so genannt, weil in demselben ursprünglich die Kurfürsten oder ihre Botschafter die Kaiserwahl vollzogen. Seitdem aber die Kaiserwahl in der im Dome befindlichen Wahlcapelle vorgenommen wurde, diente das Zimmer als Raths- oder Senatsstube. An dem obern Ende eines Tischchens, auf welchem die Gesetzbücher der Stadt liegen, stehen die Lehnstühle der beiden präsidirenden Bürgermeister, zu beiden Seiten die der Secretaire und davor in einem Halbkreise die Sessel der Senatoren. Mit Ausnahme der Tapete und des Deckengemäldes von Colomba zeigt das Zimmer eine echtrepublikanische Einfachheit und Würde. Auf dem Rondel vor den Bürgermeister-Audienzen liest man die altdeutsche Inschrift, welche sich auch im Senatszimmer zu Lübeck vorfindet: „Eyns mans redde, ein halbe redde, man sal sie billich verhören bede.“ Hier leisteten die neuaufgenommenen Bürger den Bürgereid, und hier fand die regelmäßige Wochensitzung des Senats statt. Während derselben hatten draußen vor der Thür die erwähnten Hellebardirer die Wache.

Bis noch vor wenigen Jahren bestand der Senat aus zweiundvierzig Mitgliedern, die sich in drei Bänke, jede zu vierzehn Inhabern, theilten: Schöffen, Senatoren und Rathsverwandte. Letztere mußten dem Stande der Krämer und zünftigen Handwerker angehören, und nicht selten fanden sich unter ihnen Männer, die, wenngleich es ihnen oft an aller Elementarbildung fehlte, sich dennoch durch Lebenserfahrung und gesunden Verstand auszeichneten und auf die Beschlüsse des Senats einen erheblichen und meist segensreichen Einfluß ausübten. Sie erhielten einen Jahrgehalt von eintausend zweihundert Gulden und konnten nicht auf die zweite Bank vorrücken, während die entsprechend höher besoldeten Senatoren (eintausend achthundert Gulden) allmählich auf die Schöffenbank übergingen, deren Inhaber den höchsten Gehalt (zweitausend vierhundert Gulden) bezogen. Aus den Schöffen wurde alljährlich der ältere Bürgermeister, aus den Senatoren der jüngere erwählt. Dieser letztere war zugleich Polizeiherr und wurde von den Dienern im Römer gewöhnlich „der junge Herr“ genannt.

Dem Senate stand zur Seite das Collegium der Einundfünfziger oder der Bürgerausschuß, welcher als ständige Bürgerrepräsentation, namentlich wenn die gesetzgebende Versammlung nicht saß, alle Maßnahmen des Senats überwachte und unter Umständen modificirte.

Die gesetzgebende Versammlung, deren Functionen schon ihr Name bezeichnet und die mit den andern beiden Körperschaften die souveraine Gewalt theilte, zählte fünfundachtzig Deputirte, darunter zwanzig Senatoren und zwanzig Mitglieder des Bürgerausschusses, während die übrigen fünfundvierzig Abgeordneten von der Bürgerschaft erwählt wurden. In den letzten Jahren hatten endlich auch jüdische Bürger Zutritt gefunden.

Während der Jahre 1848 und 1849, als das deutsche Parlament zu Frankfurt tagte, hatte der Senat in seiner Zusammensetzung eine ausgesprochen gothaische und preußenfreundliche Färbung. Beispielsweise begrüßte er die Wahl König Friedrich Wilhelm’s des Vierten zum deutschen Kaiser mit Frohlocken und beeilte sich, auf dies Ereigniß eine Denkmünze schlagen zu lassen. Später änderte sich das und es kamen österreichische und reactionäre Elemente in den Senat, die man die „Schwarzen“ zu nennen pflegte, bis zuletzt die Demokraten und Republikaner die Oberhand gewannen, zumal diese auch im gesetzgebenden Körper den Ausschlag gaben. Seitdem sahen sich die Gothaer immer mehr verdrängt, und um den Einfluß des Bürgerausschusses, in welchem diese Partei eine letzte Zuflucht gefunden hatte, zu lähmen, beeilte sich der Senat, die gesetzgebende Versammlung, deren Majorität er gewonnen, insofern er ihr immer weitere Concessionen machte, so früh wie möglich zu berufen und so lange als möglich tagen zu lassen. Dieser Bund zwischen Senat und gesetzgebender Versammlung hatte aber auch zur Folge, daß man die Bank der Rathsverwandten allmählich aussterben und für sie keine Ersatzwahlen mehr vornehmen ließ, so daß der Senat schließlich statt zweiundvierzig nur noch zwanzig Mitglieder zählte. In dieser Zusammensetzung hat er vor dem Einmarsch der Preußen seine letzten, oft sehr stürmischen und ausgedehnten Sitzungen gehalten, bis ihn das neue Regiment auflöste. In seiner gegenwärtigen Reorganisation besteht er aus zwölf Senatoren und ist nebst den andern beiden Körperschaften, die etwa noch die Befugnisse von Stadtverordneten in preußischen Städten haben, auf administrative Geschäfte beschränkt.

An den Römer knüpft sich auch die Entstehung und Geschichte der Frankfurter Patricier oder sogenannten Geschlechter, welche durch Jahrhunderte die Stadt beherrscht haben; und in der Auflehnung gegen diese Herrschaft haben die ebenso langwierigen, fast ununterbrochenen und oft blutigen Bürgerunruhen ihren Grund. Man darf sich aber, wie dies im übrigen Deutschland zu geschehen pflegt, unter hiesigen Patriciern keineswegs die gegenwärtig durch Amt, Bildung oder Reichthum angesehensten Bürger vorstellen; im Gegentheil gehören die reichsten Handelsherren und selbst viele Adlige nicht zu den Patriciern, und die höchsten Aemter werden meist von Advocaten und andern Juristen bekleidet. Die alten Patricier dagegen, welche sich auf die beiden sogenannten Häuser Limpurg und Frauenstein beschränken, sind bis auf einen Bruchtheil ausgestorben und selbst von diesen leben die meisten nicht in der Stadt, sondern auswärts.

Der Römer, welcher ein verschobenes, von vier Straßen eingeschlossenes Viereck bildet, ist ein Complex von elf zusammenstoßenden Häusern, deren jedes noch heute seinen besondern Namen führt, von welchen für diesen Zweck nur Laderam, der eigentliche Römer, Löwenstein und Frauenstein zu merken sind. Durch ihre Lage in der Mitte und in dem belebtesten Viertel der Stadt boten dieselben seit dem vierzehnten Jahrhundert die Anhaltspunkte des geselligen Verkehrs. In jenen einfachen Zeiten pflegten die Bürger in geschlossener Gesellschaft den Abend fröhlich beim Becher zu verbringen. Diese Gesellschaften kamen – ähnlich denen, die man noch heutzutage in Frankfurt College nennt, und den bekannten Zünften oder Leisten in den Schweizer Städten – nicht in öffentlichen Schenkstuben, sondern in gemietheten Localen zusammen. Sie hatten ihre bestimmten, vom Rathe bestätigten Ordnungen, ihre Vorsteher hießen Stubenmeister, ihre Mitglieder Gesellen, ihre Versammlungsorte Trinkstuben. In den Zeiten bürgerlicher Kämpfe nahmen ihre Zusammenkünfte einen ernstern Charakter an: sie dienten zur Besprechung städtischer Angelegenheiten, zur Aufrechthaltung oder Erweiterung gemeinsamer Corporationsrechte. Solcher Vereine bestanden mehrere; der wichtigste ist der, welcher sich um 1390 auf dem Römer, damals noch einem Privathaus, zu versammeln pflegte und der allmählich die vornehmsten Bürger, viele Schöffen und Rathsverwandte zu seinen Gesellen zählte. Um 1405 kaufte der Rath den Römer und bestimmte ihn zum Rathhause, worauf die Gesellschaft ihre Trinkstube in das benachbarte Haus Alt-Limpurg verlegte und fortan sich nach diesem nannte. Der nächstbedeutende Verein hieß die Gesellschaft Frauenstein, welche in dem gleichnamigen Hause zusammenkam. Zwei andere Gesellschaften hatten ihre Trinkstuben in den Häusern Laderam und Löwenstein, lösten sich jedoch später auf und ihre Mitglieder vertheilten sich in die andern beiden Gesellschaften. Der Rath erwarb allmählich zum Römer auch die übrigen Häuser, nur Alt-Limpurg gehört noch heute der gleichnamigen Gesellschaft, [741] und auf der Eingangsthür links vom Römer liest man noch jetzt: „Zum alten Limpurg“.

Beide Gesellschaften gewannen im Laufe der Zeit großes Ansehen und noch größere politische Macht. Ihre Mitglieder wußten sich der wichtigsten Aemter und einträglichsten Pfründen zu bemächtigen. Bald betrachteten sie sich als geborne Gesetzgeber und den Rath als eine Versorgungsanstalt für ihre Söhne, welche sich schon in der Schule vermaßen: „man dürfe sie als künftige Stadtgötter nicht sauer ansehen.“ Namentlich war dies mit den Limpurgern der Fall, die sich mit dem benachbarten Landadel verschwägerten und sich Junker tituliren ließen. Sie wollten die Frauensteiner nicht mehr als ebenbürtig anerkennen, weil diese noch Handel trieben, und verlangten von den Neuaufzunehmenden eine Ahnenprobe:

Denn wer durch Heurath kommt darein,
Muß achtschildig geboren sein,
Vom Vater und der Mutter her.

Andererseits haben sie sich um das Regiment, Wachsthum und die Geltung der Stadt großes Verdienst erworben. Es waren meist Männer, die zu Padua oder Bologna Rechtsstudien getrieben oder doch sonst ihre Römerzüge und ausgedehnte Reisen in’s Ausland unternommen hatten. Die Reformatoren Luther und Melanchthon fanden auf ihren Reisen nach und von Worms in den Häusern hiesiger Patricier eine ehrenvolle Aufnahme und die neuen Lehren unter Letzteren bald Anhänger. Auch erwiesen sich die Geschlechter, besonders die Familien von Holzhausen und von Glauburg, als geschmackvolle und freigebige Förderer von Künstlern und Gelehrten, unter welchen Frankfurt bis in die neueste Zeit hinein manch bedeutenden Namen aufzuweisen hat.

Dennoch lastete diese Familienherrschaft wie ein Joch auf dem Nacken der übrigen Bürger; Nepotismus und Begönnerung waren in ein förmliches System gebracht und die öffentlichen Gelder und Güter wurden oft ohne Scheu und Scham verpraßt. Daher die ewigen Bewegungen und Unruhen der Zünfte und der Bürgerschaft überhaupt gegen den Rath. Der bedeutendste Aufstand geschah 1614 unter Anführung des Lebküchlers Vincenz Fettmilch und hielt sich fast drei Jahre, endigte aber trotzdem mit der Niederwerfung der Empörer, deren Köpfe man noch zu Anfang [742] dieses Jahrhunderts auf dem östlichen Thurm der Mainbrücke ausgesteckt sah. Indeß hatte das blutige Zwischenspiel die Geschlechter doch eingeschüchtert, und es kam 1616 ein Bürgervertrag zu Stande, wonach sich die Limpurger mit höchstens vierzehn, die Frauensteiner mit höchstens sechs Rathsstellen begnügen sollten. Von hier ab datirt der Verfall der Patricier. Allmählich mehr und mehr aus dem Rathe gedrängt, reclamirten sie jene Rathsstellen beim Reichskammergericht, wo die Streitsache Frankfurt contra Frankfurt eine stehende wurde und die Acten zu Bergen anwuchsen; noch 1817 beim neuerrichteten Bundestag, der sich jedoch für incompetent erklärte. Auf Fürsprache hoher Personen kam ein Vergleich zu Stande und die Stadt erklärte sich bereit, je Einen Limpurger und je Einen Frauensteiner in den Rath aufzunehmen, verwahrte sich aber nachdrücklich gegen ein hieraus etwa zu folgerndes Vorrecht und Präjudiz. Wirklich saß letzter Zeit kein einziges Mitglied der Geschlechter mehr im Senat; nur Ein Limpurger, Herr von Boltog, fungirt gegenwärtig noch als Vorstand der Stadtcanzlei.

Nachdem die Patricier sich so alles Einflusses beraubt sahen, verließen sie, wie erwähnt, großentheils ihre Vaterstadt und traten in fremde Dienste. Aber noch der letzte Staatskalender der weiland Freien Stadt Frankfurt zählt die „Hochadelige Ganerbschaft des Hauses Alten-Limpurg“ und „die Adelige uralte Gesellschaft des Hauses Frauenstein“ – wie er beide Geschlechter, um ihrem Rangstreite gerecht zu werden, sehr diplomatisch titulirt – namentlich auf. Nach diesen Verzeichnissen sind noch sechsundsechszig Limpurger und sechzehn Frauensteiner vorhanden. Unter jenen befinden sich jedoch nur noch dreizehn directe Nachkommen jener Familien, die einst die Stadt regiert, nämlich die Herren von Holzhausen, von Fichard, von Lersner, von Günderrode und von Eysseneck; alle übrigen sind neuere cives mulierarii, nämlich solche, die durch Anheirathung mit eines Ganerben Tochter Aufnahme gefunden haben, darunter auch der ehemalige preußische Bundestagsgesandte, Herr von Sydow, welcher mit einem Fräulein von Stein, einer Verwandten des großen deutschen Staatsmannes, verheirathet ist, und der jetzige preußische Civilgouverneur Freiherr von Patow, dessen Gemahlin eine geborene von Günderrode ist. In ihrer Vaterstadt leben gegenwärtig noch neun Limpurger und sechs Frauensteiner; von den auswärtigen befinden sich die meisten in österreichischen, würtembergischen oder baierischen Staats- oder Militärdiensten. In preußischen Diensten dagegen stehen außer Herrn von Patow noch zwei Limpurger: ein Referendar von Wasmer und ein Lieutenant gleichen Namens; ebenso zwei Frauensteiner: ein Herr von Heyden und ein Freiherr von Malapert, genannt Neufville, beide Officiere.

Wenn man diese Verhältnisse erwägt, darf man sich nicht wundern, daß die hiesigen Patricier stets zu Oesterreich gehalten haben, dem sie vielfach verbunden sind. Noch 1804 verlieh Kaiser Franz der Zweite beiden Geschlechtern ein Ordenszeichen, dessen Kreuz von den Limpurgern an einem weißen, grün geränderten Bande, von den Frauensteinern an einem gelben, schwarz geränderten Bande getragen wird. Es ist daher sehr begreiflich, daß das neue Preußen-Regiment unter den alten Patriciern bisher keine Freunde gefunden hat. Dennoch beruht die durch viele Zeitungen gegangene Nachricht, Herr von Patow habe die seinen Ganerbgenossen zugesandten Visitenkarten wieder zurückerhalten, auf einer Unwahrheit. Wie man mir von zuverlässiger Seite versicherte, haben im Gegentheil die hier lebenden Patricier die Artigkeit des Herrn von Patow umgehend erwidert, allerdings ohne darum mit ihm in weitern Verkehr zu treten; wie sie denn überhaupt und selbst ihren nichtadeligen Mitgliedern gegenüber sich reservirt und abgeschlossen halten.

Wenn also unter den Ueberresten der alten Geschlechter der Mangel an Sympathien für Preußen nicht besonders in’s Gewicht fällt, so ist es dagegen ein Anderes mit der eigentlichen Bürgerschaft, der, wie schon oben gesagt, auch die reichsten Handelsherren, die höchsten Magistrats- und Justizbeamten angehören; wo indeß im Großen und Ganzen die Stimmung nicht viel günstiger ist.

„Wir sind als freie Bürger, als Republikaner geboren,“ sagte mir ein gebildeter Handwerker. „Das bloße Wort ‚Unterthan‘ verletzt unser Selbstgefühl, ob wir auch damit, anstatt wie bisher einem kleinen Gemeinwesen, einer Großmacht angehören. Unzweifelhaft hat Preußen sich große Verdienste um Deutschland erworben, unzweifelhaft gebührt ihm die Führung in Deutschland, aber mußte es denn gerade Einverleibung sein?! Sehen Sie, das demüthigt, das schmerzt!! Unsere Stadt trauert um den Verlust einer vielhundertjährigen Reichsfreiheit, wir fühlen uns gewissermaßen degradirt. Und ich denke, Preußen muß diesen Schmerz ehren, wenigstens dulden. Wir müssen dem Unmuth unseres Herzens Luft machen, wie wir’s frank und frei auch unter der siebenjährigen übrigens sehr humanen Herrschaft des Fürsten Primas, wie wir’s selbst während der Occupation Frankfurts durch den französischen General Custine sonder Furcht und Scheu auf alle Gefahr hin gethan haben!“

Ein Kaufmann äußerte sich folgendermaßen:

„Ich für meine Person,“ sagte er, „habe mich bereits mit der Einverleibung ausgesöhnt, weil ich sie als nothwendig begriffen und weil ich hoffe, das übrige Deutschland wird uns bald nachfolgen, freiwillig nachfolgen. Aber billigen kann ich nicht die Art und Weise, mit der Preußen hier aufgetreten ist. Man hat uns schroff und hart behandelt, weit härter als z. B. Nassau oder Sachsen, als ob Frankfurt vor allen andern Staaten ein Capitalverbrechen begangen. Und was konnte man uns in Summa Summarum vorwerfen? Daß wir nicht preußenfreundlich gesinnt gewesen. Ganz richtig! Aber haben wir etwa Ursache dazu? Ist denn die bloße Gesinnung schon ein Verbrechen? Ich glaube, selbst im juridischen Sinne nicht. Weisen uns nicht auch unsere Beziehungen und Verbindungen, unsere Neigungen und Gewohnheiten, ja schon unsere geographische Lage auf den Süden hin, und das sollte plötzlich ein Verbrechen sein? War es nicht genug an der Einverleibung? Mußte man uns noch durch eine Contribution von fünfundzwanzig Millionen Gulden strafen? Sie war wirklich unerschwinglich, denn die öffentlichen Cassen standen leer, weil wir nur geringe Steuern zahlen, nicht mehr, als die laufenden Bedürfnisse erfordern. Jene Forderung ging daher dem Privatbesitz an den Hals und würde, wirklich ausgeführt, selbst Viele vom Mittelstande ruinirt haben.“

„Nun,“ entgegnete ich, „man hat davon Abstand genommen, man wird sogar die schon gezahlten sechs Millionen im städtischen Interesse verwenden.“

„Wenn’s geschieht, wird auch diese Wunde vernarben. Aber es muß wirklich im Interesse der Stadt geschehen, nicht etwa, wie man schon fürchtet, davon Casernen gebaut werden. – Einstweilen,“ schloß der Sprecher, „werden hier noch zwei Strömungen streng geschieden nebeneinanderlaufen: Frankfurter und Preußen; aber ich hoffe, allmählich werden sie sich mit einander vermischen und vereinen. Wenn’s nämlich die Preußen verstehen!“

„Das wird doch wohl an beiden Theilen liegen.“

Lange nicht so gemäßigt und resignirt äußerte sich ein Kreis von Personen, deren Bekanntschaft ich in einem öffentlichen Locale machte.

„Frankfurt’s Glanz und Reichthum ist gewesen,“ rief ein junger Mann, „für immer dahin! Der Bundestag hat der Stadt jährlich Millionen eingetragen. Der Geldmarkt wird sich nach Stuttgart und Basel ziehen. Die großen Bankiers werden Frankfurt verlassen, vielleicht sogar die Häuser Erlanger und Rothschild, und Rothschild hat die ganze rheinische Industrie in seinen Händen.“

Die Erwiderung auf diese Befürchtungen fiel mir nicht schwer. Die reichen Geldhäuser werden nicht auswandern, wenn sie sich erst überzeugen, mit welchen gewaltigen Mitteln Preußen das Frankfurter Geschäftsleben zu heben im Stande ist. Durch die neue Ordnung gewinnt nicht nur ganz Deutschland, auch jede einzelne Stadt. Und die Frankfurter werden als preußische Staatsbürger einst stolz darauf werden, die erhabene Pflicht, das Vaterland zu vertheidigen, selbst mit zu üben, nicht durch Söldlinge, auf welche die reichen Söhne der Geldbeutel bisher mit Geringschätzung herabsahen.

Frankfurt ist auch nicht durch die Gehalte der Bundestagsgesandten oder durch die von fremden Gesandten verschwendeten Summen groß geworden. Seine Selbstständigkeit und sein Wohlstand beruhen auf festerem und sittlicherem Grunde, sie beruhen auf dem Gewerbfleiß, der rastlosen Thätigkeit und weisen Sparsamkeit, der religiösen Toleranz und Tugend seiner Bürger seit vielen Jahrhunderten, und auf der günstigen centralen Lage der Stadt.

[743] Jeder weiß, was die verfolgten Juden und Reformirten dem hiesigen Gemeinwesen auch in materieller Hinsicht genutzt haben. Diese sittliche Grundlage, diese edlen Bürgertugenden, sowie die centrale Lage können äußerlich nicht genommen werden, sondern sie werden neue und größere Blüthen treiben, zumal wenn Industrie und Handel der Stadt durch eine neue Gesetzgebung an Ausdehnung gewinnen, und der reifende moralische Charakter der wohlhabenden Jugend mehr geschützt und gesichert wird vor dem Mehlthau der benachbarten Spielhöllen. Ueber diese mit meinem Nächsten.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: diie