Die Offenbarung Johannis/Gesamtcharakter, Zweck und Zeitlage der Schrift

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Die Offenbarung Johannis
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V. Gesamtcharakter, Zweck und Zeitlage der Schrift

I. Von den verschiedenen möglichen Methoden der Auslegung können heutzutage einige als nicht mehr in Betracht kommend und in wissenschaftlichen Kreisen nicht mehr vertreten einfach bei Seite gesetzt werden. Die weltgeschichtliche und kirchengeschichtliche Deutung ist auch von Gelehrten, die an dem spezifischen Offenbarungscharakter der Apk festhalten, allgemein[120] aufgegeben. Diese Methoden finden noch immer ihre Anhänger unter Auslegern zweiten und dritten Ranges, bei englischen Kommentatoren[1] und amerikanischen Traktatenschreibern. Namentlich für eine Reihe von Sekten gilt die Apk als ein die geschichtliche Zukunft enthüllendes Buch. Die apologetisch gestimmten wissenschaftlichen Forscher dagegen bewegen sich neuerdings fast ausnahmslos auf den Bahnen der endgeschichtlichen Auslegung. Sie sind damit, wie wir sehen werden, auf keinem ganz falschen Wege. In weiten Kreisen hat sich dagegen die zeitgeschichtliche Deutung der Apk Bahn gebrochen. Und trotz mancher Einseitigkeiten und Übertreibungen ist hier, wie es scheint, nach einer Richtung ein fester Grund und Boden erreicht. Die Beobachtung, daß die Apk im Kern ihrer Weissagung durch die damals im Volk weitverbreitete Erwartung des Nero redivivus bestimmt ist, ist meines Erachtens ein fester Punkt, der nicht wieder aufgegeben werden darf, der rocher de bronce der zeitgeschichtlichen Deutung, an dem alle Widersprüche bis jetzt machtlos zerschellt sind. Unter zeitgeschichtlicher Methode kann man nun freilich ein Doppeltes verstehen: bald die bestimmte Ausdeutung der Apk auf Vorgänge, die in der (nächsten) Vergangenheit des Apokalyptikers liegen, bald die Annahme, daß die Zukunftserwartungen des Sehers im allgemeinen durch den Horizont seiner zeitgeschichtlichen Situation bestimmt seien. Nur die letztere Anschauung wird im großen und ganzen der Psyche einer prophetischen Persönlichkeit, wie es unser Apok. ist, gerecht. Denn es kann nicht genug hervorgehoben werden, daß der Apok. (wie übrigens so mancher seiner Zunftgenossen) wirklich weissagen will und sich nicht mit dem kindlichen Spiel beschäftigt, längst Vergangenes noch einmal als zukünftig zu verkünden. Freilich kommt es auch in unserer Apk vor, daß der Apok. in den Rahmen seiner Weissagung vergangene Ereignisse, die ihm in bedeutungsvollem Zusammenhang mit der Zukunft stehen als zukünftig weissagt (vgl. Kap. 12). Aber dann haben diese Weissagungen immer nur einleitenden Wert; es darf also die zeitgeschichtliche Methode in ersterem Sinn nur vorübergehend angewandt werden. So ist denn auch in der spezifisch zeitgeschichtlichen Ausdeutung der Apk eine starke Rückströmung eingetreten. Während die alte rationalistische Exegese fast alles zeitgeschichtlich im strengen Sinn des Wortes ausdeutete, wurde in neuerer Zeit eine immer größere Zurückhaltung geübt; nur einige der neuesten Literarkritiker (Völter, Spitta, Erbes) fanden wieder mehr zeitgeschichtliche Beziehungen und lenkten in die alten Bahnen ein. Daneben aber blieb immer ein unerklärbarer Rest in der Apk, den man nach andern Methoden erklärte, ohne sich jedoch über die Verschiedenheit der Methoden und ihre gegenseitige Begrenzung klar zu werden. — Der zeitgeschichtlichen Methode zur Seite ist dann in neuerer Zeit die literarkritische getreten. Sie scheint endgültig eine ältere Theorie verdrängt zu haben, die Rekapitulationstheorie, die freilich bis in die neueste Zeit noch immer energische Vertreter gefunden hat (Hofmann, Hengstenberg, Ebrard, Kienlen, Löhr). Es ist interessant zu beobachten, wie die beiden [121] Methoden der Auslegung oft bei denselben Schwierigkeiten in der Komposition der Apk einsetzen. Man wird jetzt natürlich eher geneigt sein, solche Unerklärlichkeiten in der Komposition durch Quellenscheidung als durch die Rekapitulationstheorie zu heben. Aber ich glaube nicht, daß letztere ganz bei Seite gesetzt werden kann. — Das Resultat der auf die Apk angewandten Literarkritik ist nun wohl dies, daß sich die Überzeugung von der ungeheuren Schwierigkeit, das Buch als eine einheitliche Schrift zu verstehen, fast allgemein durchgesetzt hat. Und mit der literarkritischen Methode verbanden sich religionsgeschichtliche Gesichtspunkte; man begann zu fragen, wie weit die Apk überhaupt auf dem Boden christlicher Anschauung verständlich sei. Man vergaß aber leider bei der nun beginnenden Jagd nach Quellen und bei allen sich gegenseitig immer wieder aufhebenden Rekonstruktionsversuchen die Apk zugleich als eine literarische Einheit, als welche sie sich doch gibt, zu betrachten. Dann ist durch Gunkel eine neue Methode in der Erklärung der Apk eingeführt, die man die traditionsgeschichtliche nennen kann. Unbewußt hatte man diese freilich schon hier und da angewandt (z. B. Spitta in der Deutung des siebenköpfigen Tieres). Aber es bleibt Gunkel das Verdienst, daß er dieselbe mit vollem Bewußtsein und konsequent durchgeführt hat. Durch ihn wurde die Forschung mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, wie stark in aller Apokalyptik das einfach traditionelle Element sei. Und daraus ergab sich die Forderung, daß man das ganze Material solcher weitergegebenen Vorstellungen und Traditionen in möglichst umfassender Weise überblicken müsse, ehe man an die einzelne Apokalypse, die Erforschung ihrer Eigentümlichkeit und historischen Bestimmtheit gehen könne. Mit dieser traditionsgeschichtlichen Methode führte Gunkel in die Erklärung aller Apokalyptik zugleich die religionsgeschichtliche Betrachtungsweise im großen Stil ein. In den volkstümlichen Zukunftshoffnungen und den Vorstellungen vom Ende der Welt ist ein Gebiet gegeben, auf welchem das Für-Sich der einzelnen Religion weniger gewahrt bleibt und die verschiedenen Religionen in einander fließen. Daher wird der Forscher, der die Traditionsgeschichte apokalyptischer Vorstellungen übersehen will, seinen Blick über die verschiedenen in Betracht kommenden Religionen wandern lassen müssen. Die bei der Apk so beliebte Fragestellung: jüdisch oder christlich, erweist sich als viel zu eng. Damit, daß Vorstellungen in der Apk als nicht genuin christlich erwiesen werden, ist noch lange nicht ihre Herkunft aus dem Judentum bewiesen. — Es mag übrigens hervorgehoben werden, daß auch Gunkel trotz seiner scharfen Polemik nicht daran denkt, der zeitgeschichtlichen und literarkritischen Auslegungsmethode ihr relatives Recht abzusprechen. Es wird in der Tat namentlich die zeitgeschichtliche Deutung ständig ihr gutes Recht an der Apk behaupten. Ja, es kann gesagt werden, daß durch diese das Verständnis der einzelnen Apk überhaupt erst abgeschlossen und ermöglicht wird. Zu beachten ist endlich, wie in G.’s Untersuchung auch das Recht der endgeschichtlichen Auslegung auf seinen richtigen Ausdruck gebracht wird, wie denn G. sich gern hier und da auf Kliefoth beruft. Noch mehr als die modernen, den Realismus der Apk abschwächenden apologetischen Arbeiten, [122] kommt freilich die endgeschichtliche Betrachtungsweise der Kirchenväter und der Jesuiten des 17. Jahrhunderts in dieser neuesten Phase der Entwickelung zu ihrem guten Recht.

II. Bei der Frage nach der richtigen Gesamtauffassung der Apk wird es zunächst notwendig sein, in den so heiß umstrittenen literarkritischen Fragen Stellung zu nehmen und die Resultate der Bemühung der letzten Jahrzehnte um den Kompositionscharakter der Apk zu registrieren.

Ein Resultat wenigstens scheint in diesen Verhandlungen, wie schon oben angedeutet wurde, erreicht zu sein, sodaß es nicht wieder aufgegeben werden wird. Es hat sich fast allgemein die Erkenntnis aufgedrängt, daß die Apk als eine durchaus einheitliche Schrift nicht zu begreifen ist.

Davon freilich, daß die ersten drei Verse der Apk offenbar eine nachträgliche Überschrift sind, die dem ganzen voraufgestellt wurde, soll hier noch nicht die Rede sein. Auch hat namentlich Spitta, wie mir scheint, siegreich den ursprünglichen Zusammenhang von Kap. 1-3 und 4-6 erwiesen. Man darf behaupten, daß weder Kap. 1-3 jemals selbständig und für sich allein existiert haben können, noch daß es denkbar sei, daß der Verfasser von Kap. 1-3, dieser so selbständige und geistvolle Schriftsteller, sich einfach begnügt haben sollte, diese Kapitel in eine bereits im großen und ganzen fertig vorliegende Apk einzurücken. Die These aber, daß Kap. 7 nicht aus einem Guß ist und in zwei divergierende Hälften (1-8, 9-17) zerfällt, ist so gut wie einstimmig angenommen; und ebenso einleuchtend ist, daß 7,1-8 nach Kap. 6 recht unerwartet kommt. Kap. 7,1-8 macht endlich in sich den Eindruck eines rätselhaften und abgebrochenen Fragments. Die vier Winde, die hier noch festgehalten werden, werden niemals losgelassen, „diese“ 144000 Versiegelten treten nicht wieder auf; man weiß nicht, was ihre Versiegelung für einen Zweck haben soll. Daß Kap. 10,1-11,13 den Zusammenhang der sieben Posaunen und die Zählung der drei Wehe aufs empfindlichste stören, ist fast allgemein zugestanden. Es ist kaum denkbar, daß der Schreiber der Apk den schönen Zusammenhang derselben in dieser Weise durchbrochen haben sollte ohne einen äußeren Grund. Ihm lag hier eine Quelle vor, die er einarbeiten mußte. Auch aus den fragmentarischen und in sich allein unverständlichen Charakter dieses Fragments mag schon hier hingewiesen werden. Kap. 12 der Apk war von Anfang an, ehe die Kritik an der Apk begann, ein Stein des Anstoßes. Der abrupte neue Anfang hat von früher Zeit her die Veranlassung gegeben, bei diesem Kapitel einen Einschnitt zu machen und die große Rekapitulation hier beginnen zu lassen[2]. Bei diesem Stück setzte zum ersten Mal auch die Kritik mit ihren Versuchen der Quellenscheidung ein. An Kap. 12 suchte Vischer nachzuweisen, daß die Apk in ihrem wesentlichen Bestand nicht christlichen, sondern jüdischen Ursprungs sei.[123] Ganz abgesehen davon, ob Vischer mit seiner These Recht hat, läßt sich nicht verkennen, daß die Gesamthaltung von Kap. 12 verglichen mit der ganzen des Buches eine fremdartige und besondere, die Vorstellungswelt desselben ungleich wilder, phantastischer und mythologischer ist, als in irgend einem andern Teil der Apk. In unverständlichen und aller Erklärung spottenden Hieroglyphen redet dies Stück zu uns und ist außerdem in sich selbst uneinheitlich (vgl. V. 6 und V. 14). In Kap. 14,1ff. liegt offenbar ein neuer und andrer Deutungsversuch der in Kap. 7 erwähnten 144000 vor. Die Phantasien Kap. 7,1-8 und 14,1-5 entstammen nicht einem und demselben Kopf. Große Schwierigkeiten macht 14,14—20. Schon hier vollzieht sich ein endgültiges allgemeines Gericht, aber man weiß nicht recht, von wem es gehalten wird, an wem es vollzogen wird, wie sich diese Scene zu den übrigen Gerichtsscenen verhält. Kap. 17 ist schon in seinem Verhältnis zu Kap. 13 ein völliges Rätsel. Die Doublette allein wäre in einer Apk voller wechselnder Bilder noch nicht so bedenklich, wie die totale Verschiedenheit der Bilder, ihre starken Varianten neben mannigfachen Übereinstimmungen. Außerdem durchkreuzen sich in Kap. 17 zwei Vorstellungen, nach der einen ziehen die verbündeten Könige zum Kampf gegen Rom aus, nach der andern versammeln sie sich zum Kampf wider das Lamm. Ferner ist doch alles in der Apk (vgl. 10,6; 11,14ff.) darauf angelegt, daß mit Kap. 12 der große letzte Entscheidungskampf beginnt, schon Kap. 13 drängt alles zur Katastrophe; daß diese erst Kap. 19,11ff. erfolgt, scheint seinen Anlaß nur in einem äußern Grunde zu haben. Die beiden charakteristischen Kap. 17 und 18 scheinen erst in einen größeren Zusammenhang hineingearbeitet zu sein. Endlich zeigen die Brüche in der Darstellung (vgl. 21,2 mit 21,9; 22,3ff. mit 21,22-27), daß das Gesicht vom neuen Jerusalem ebenfalls schon in einer schriftlich fixierten Form dem Verfasser vorgelegen haben wird. — Das alles sind unüberwindliche Hindernisse für die Annahme eines durchaus einheitlichen Charakters der Schrift.

Außerdem zeigen die einzelnen Partieen auch religionsgeschichtlich betrachtet verschiedene Höhenlagen. Man wird hier ja allerdings sehr vorsichtig sein müssen, gerade in Apokalypsen hält sich ungestört Altes neben Neuem. In dieser phantastischen Welt geht der Blick und Sinn für derartige Unterschiede verloren. Daß Kap. 1-3 ihrer Gesamthaltung nach von vielen übrigen Partieen des Buches stark differieren, wird fast jedermann zugeben. Kap. 7,1-8 mit seinem durchaus partikularistischen Standpunkt kann nicht von derselben Hand wie 7,9-17 stammen. Wer die Bewahrung des Tempels im letzten Gericht so bestimmt erwartete, wie der Verfasser von 11,1-2, zeichnete kaum das Bild vom himmlischen Jerusalem, in dem kein Tempel mehr sein wird (21,22). Über die Haltung von Kap. 12 war schon oben die Rede. Hier sei noch besonders hervorgehoben, daß die Rolle, die der Erzengel Michael in diesem Kapitel spielt, speziell auf dem Grund und Boden jüdischer Gedankenwelt verständlich wird. In der Schilderung von Gog und Magog 20,7-9 und dem neuen Jerusalem 21,24f. zeigt sich wieder ein naiv jüdisch-partikularistischer Standpunkt. Alle die genannten Stücke können kaum in [124] ihrem ersten Wurf von der Hand des Apokalyptikers stammen, der das ganze schrieb[3].

Auch wenn man nach der Abfassungszeit unseres Buches fragt, so tritt wieder eine Uneinheitlichkeit zu Tage. Es scheint eines der gesichertsten Ergebnisse zu sein, daß Kap. 11,1-2 die Erwartung der Erhaltung des Tempels von Jerusalem ausspricht, also vor dessen Zerstörung geschrieben ist. Andrerseits finden sich deutliche Spuren, die auf einen späteren Zeitansatz hinweisen. Damit dem Verlauf der Untersuchung nicht vorgegriffen werde, will ich hier nur auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Dem Kap. 17 der Apk liegt eine damals allgemein im Volksglauben verbreitete Erwartung der Wiederkehr Neros mit den Parthern zu Grunde. Das Tier, das mit den zehn Hörnern, den verbündeten Königen, Rom zerstören wird, ist kein andrer als Nero, der eine von den sieben, und jede Erklärung, die das übersieht, bedeutet einen Rückschritt hinter Eichhorn, de Wette. Nun aber ist diese bestimmte Erwartung der Rückkehr Neros mit den Parthern nicht vor dem Ende der Regierung Vespasians nachweisbar, und es ist kaum denkbar, daß dieselbe in der Zeit vom Tode Neros bis zu dem Anfang der Belagerung Jerusalems entstanden sein könnte. So erhalten wir für die beiden Kap. 11 und 17 einen verschiedenen Zeitansatz. — Es wird außerdem weiter unten noch nachgewiesen werden, daß die Apk als ganzes nicht in der neronischen Zeit (vor 70) denkbar ist.

Nicht zu viel Gewicht darf man endlich, wenn man das Recht der Literarkritik erweisen will, auf die vom Seher entworfenen Scenerien seiner Offenbarung legen. Diese können bei einem so verwickelten apokalyptischen Ganzen von vornherein nicht klar und durchsichtig erwartet werden. So scheint in der Scenerie, die Kap. 4 zeichnet, der doppelte Altar (Rauch- und Brandopferaltar), den 8,1ff. voraussetzen, keinen Platz zu finden. Aber schon 6,9ff. ist plötzlich von „dem“ Opferaltar die Rede, unter welchem die Seelen der Märtyrer sich befinden. Noch überraschender kommt die plötzliche Erwähnung des Tempels im Himmel 11,19; an 11,19 schließt sich dann 15,5-8 an. Ganz unmöglich scheint mir jedoch die Annahme nicht zu sein, daß der Apokalyptiker, ohne daß er es gerade erwähnt, die Bilder wechseln, kommen und verschwinden läßt. Ferner wechselt auch der Standpunkt des Sehers, der 4,1 zum Himmel entrückt wird, 10,1 wieder auf der Erde sich [125] befindet, während 11,19 der Tempel im Himmel erwähnt wird. Dunkel bleibt es endlich, wo Kap. 12 sich abspielt, und ebenso, von welchem Standpunkt aus die Vision gesehen wird. Kap. 15,5ff. scheint die Vision wieder im Himmel geschaut zu werden, von Kap. 17 an aber nimmt der Seher seinen Standpunkt auf der Erde ein. Immerhin, auch wenn man hinsichtlich der Klarheit und Bestimmtheit dieser Situationen auch nur bescheidene Ansprüche an den Apokalyptiker macht, so läßt sich nicht verkennen, daß der ständige Wechsel der Szenerien sich besser erklären würde, wenn wir annehmen dürften, daß er bei dem Entwurf seiner Bücher von fremdem Material abhängig war[4].

Bei alledem bleibt es als wohl kaum wieder umzustoßendes Resultat bestehen, daß die Apk als einheitliche Schrift nicht zu begreifen ist, und somit tritt die Literarkritik in ihr Recht und in ihre Arbeit ein.

III. Wirft man nun aber einen Blick auf die Arbeit, welche die Literarkritik bisher getan hat, so erhält man zunächst, wenn man die ganze Reihe der Forschungen von Völters erstem Versuch und Vischer bis zu J. Weiß und Völter IV überschaut, einen ziemlich verworrenen Eindruck. Es differieren aber die Kritiker nicht nur in ihren Resultaten, sondern auch, ohne daß dies allen deutlich zum Bewußtsein kommt, in ihrer Methode und Gesamtanschauung von dem Kompositionscharakter der Apk. Wir werden am besten tun, uns nach diesem Gesichtspunkt erst einmal einen Überblick zu verschaffen.

Enger zusammen gehören zunächst die Versuche von Weyland, Spitta, Schmidt, Rauch (vgl. Ménégoz, Bruston, O. Holtzmann, Völter IV). Wir können diese Kritiker die Vertreter der Quellentheorie nennen. Gemeinsam ist ihnen allen die Anschauung, daß die Apk als Ganzes betrachtet eine mehr oder minder mechanische Kompilation ist. Der christliche Redaktor (R.), dessen Tätigkeit z. B. Sp. auf ein Minimum von Versen reduziert, hat demnach teils christliche, teils jüdische Quellen mechanisch an- oder in -einander geschoben und so wenig in ihr inneres Gewebe eingegriffen, daß diese mit leichter Mühe noch rekonstruiert werden können, wie etwa die einzelnen Bestandteile des äthiopischen Henochbuches oder, wenn wir weiter zurückgreifen wollen, die Quellen des Pentateuches. Nun aber zeigt gerade ein einfacher Vergleich mit diesen Schriften, daß der Kompositionscharakter der Apk ein andrer ist daß hier zum mindesten der Versuch einer kunstvollen Redaktion vorliegt die der Apk den Charakter eines relativ einheitlichen Schriftwerks gibt. Die kritischen Versuche haben es für jeden, der sehen will, gezeigt, daß es — von der Ablösung kurzer Fragmente abgesehen — nicht so leicht gelingt, einzelne zusammenhängende Stücke auszuscheiden, so wie man etwa die Bilderreden, die Tiervision, die Paränesen im Henoch-Buch oder auch das Adlergesicht [126] etc. im IV Esra, die Wolkenvision im Baruchbuch auslösen kann. Gerade ein solcher Vergleich beweist deutlich, daß der anzunehmende Redaktor der Apk in ganz andrer Weise eigenmächtig mit seinem Stoff geschaltet hat. Bei der Quellenscheidung Sp.s bleibt es wieder ein psychologisches Rätsel, wie der Redaktor der Apk, der so kunstvoll und harmonisch die differenten Quellen zusammengefügt hat, doch ihren Besitzstand im einzelnen ängstlich bis aufs Wort gewahrt hat. Sp. kann sich in der Methode seiner Kritik allerdings etwa auf die Pentateuchkritik berufen, aber die der Apk zeitlich nahestehende Literatur zeigt nirgends eine so feine Filigranarbeit in der Zusammenwebung der Quellen, sondern ein viel gröberes Verfahren. Was sich gegen Sp. einwenden läßt, kann endlich auch gegen die einfachere Quellenscheidung Weylands gesagt werden. Der durchschlagende Grund gegen jede Quellentheorie ist aber die durchaus gleichmäßige Haltung in der Sprache und dem Stil des ganzen Buches[5]. Wenn es so wäre, daß in der Apk Quellen in ganz mechanischer Weise neben einander gerückt wären, so müßten doch Sprachdifferenzen in ganz erheblichem Maße innerhalb der einzelnen Partieen nachweisbar sein. Es zeigt sich nun aber im Gegenteil in den verschiedenen Teilen der Apk in Sprachgebrauch und Stil, in grammatischen Eigentümlichkeiten und einzelnen einmal geprägten Wendungen eine überraschende Gleichartigkeit bis in die geringfügigsten Einzelheiten. Nach dieser Seite ist bis jetzt leider sehr wenig gearbeitet. Ich will die Untersuchung, um den Überblick über diesen Abschnitt nicht zu erschweren, hier nicht aufnehmen und verweise im voraus auf Abschnitt VII.

Eine zweite Gruppe bilden neben diesen Kritikern Völter I-III und etwa noch Erbes (auch Pfleiderer in der ersten Auflage des Urchristentums), die Vertreter der Überarbeitungstheorie. Sie nehmen eine apokalyptische Grundschrift an, die dann durch allmähliche (nach Vlt.s früherer Anschauung vier- bis fünfmalige) Überarbeitung zu dem gegenwärtigen Umfang angewachsen ist. Gegen diese Überarbeitungshypothese erheben sich zwei Bedenken. Zunächst ist es kaum möglich, mit Vlt. (und Pfleid. I) eine bis in die Zeit Hadrians hinuntergehende fortdauernde Bearbeitung anzunehmen. Alle Zeugnisse lassen darauf schließen, daß die allgemeine kirchliche Anerkennung der Apk sich sehr früh vollzogen hat. Schon Justin kennt sie als apostolische Schrift. Da ist es nicht denkbar, daß man es noch in einer bis Justin reichenden Zeit gewagt haben sollte, diese Schrift umzuarbeiten. Und ferner, diese Möglichkeit einmal zugestanden, bleibt es immerhin seltsam, daß jeder folgende Überarbeiter mit solcher Sicherheit und Gründlichkeit sein Werk betrieb, daß von den vorhergehenden Gestalten der Apk keine Spur mehr übrig geblieben ist. In der Ascensio Jesaiae und im Testamentum XII Patriarcharum haben wir solche überarbeiteten Schriften, welche das Christentum [127] vom Judentum übernommen hat. Aber jede neue Überlieferung, die von diesen Schriften entdeckt ist, zeigt, daß ihr Text in einem höchst verwirrten Zustand und in fortwährendem Fluß begriffen war. — Und noch ein zweiter Einwand erhebt sich gegenüber der apokalyptischen Grundschrift wie sie Vlt. aus den Kap. 4-11; 14; 19 rekonstruiert. Da hier alle eigentlich charakteristischen Stücke entfernt und den Überarbeitern zugewiesen sind, fragt man sich verwundert, was denn dieser nun noch übrigbleibende apokalyptische Torso, dieser dürre Mechanismus eigentlich jemals für einen Zweck und inneren Sinn gehabt hat. Die angenommene Grundschrift macht zwar den Eindruck der Einheitlichkeit; aber um den Preis, daß alles Charakteristische und Lebendige ausgeschieden ist.

Auf dem Wege zur rechten Anschauung, die im folgenden behandelt werden soll, befindet sich bereits in seinem neuerdings erschienenen Werk J. Weiß. Für ihn ist im Gegensatz zu den bisher genannten Forschern der Endredaktor der Apk keine Strohfigur mehr, die nur mit der Redaktionsschere arbeitet, oder ein gleichgültiger letzter Bearbeiter, der abgesehen etwa von der Hinzufügung der Sendschreiben das Übrige stehen ließ, wie es stand, — sondern eine greifbare Persönlichkeit, die mit bestimmten Absichten und Tendenzen in einer ganz bestimmten Situation unser Buch schrieb resp. herausgab und deshalb an einer Reihe von Stellen so gewaltsam in die Darstellung seiner Quellen eingegriffen hat, daß Weiß vielfach auf eine genaue Rekonstruktion gänzlich verzichtet. — Auf der andern Seite legt Weiß allen Wert darauf, den Endredaktor der Apk von dem Verfasser der Sendschreiben, dem christlichen Urapokalyptiker zu trennen. An diesem Punkt schließt er sich — während er sonst weit von ihm abweicht — mit Sp. zusammen und ist der Meinung, daß hier in dieser Unterscheidung und in der Zuweisung der Sendschreiben zur christlichen Urapokalypse das Hauptverdienst Sp.s liege. Wenn ich recht sehe, liegt hier für beide Forscher der Angelpunkt ihrer Auffassung. Sie können sich nicht denken, daß ein Mann, der auf der literarischen und religiösen Höhe der Sendschreiben steht, zugleich der Verfasser des ganzen Buches mit seinen bizarren Weissagungen, mit seinem oft so wenig spezifisch christlichen Inhalt sei. Ich gestehe zu, daß hier in der Tat eine Schwierigkeit vorliegt. Der Schriftsteller, der in den Briefen mit dieser grandiosen Einfachheit redet, soll zugleich der Schöpfer einer schwierigen und zum mindesten ungemein komplizierten, wenn nicht verworrenen, Buch-Komposition sein; der Prophet, der so mächtig sprechen kann, soll zugleich ein apokalyptischer Literat sein, der eine Menge von übernommenem Stoff — das ist das mindeste, was wir zugeben müssen — einfach weitergibt. Was uns hier aufgegeben wird, ist in der Tat ein schweres psychologisches Rätsel. Aber es fragt sich doch, ob wir nicht gut tun werden, das Rätsel stehen zu lassen und in der Seele des Apokalyptikers zu suchen, anstatt es durch Quellenscheidung zu beseitigen. Ganz und gar liegen denn doch der Endredaktor der Apk und der Verfasser der Sendschreiben nicht aus einander. Denn auf der einen Seite sind auch die Briefe durch ihre Schlußwendungen: wer Ohren hat, höre, was der Geist der Gemeinden sagt, mit dem vorliegenden Ganzen der Apk auf das engste verkoppelt, und Spitta wie Weiß müssen zu dem gewagten Experiment schreiten, die sämtlichen Schlußwendungen dem Verfasser der Sendschreiben abzusprechen (s. Genaueres darüber im Kommentar zu Kap. 1-3). Andrerseits ist der „Redaktor“, wie Weiß wenigstens zugesteht, doch ein geistesmächtiger Schriftsteller, der seiner Zeit etwas Großes zu sagen hat und der dem von ihm übernommenen apokalyptischen Material den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat. — Das stärkste Bedenken gegen die Konstruktion einer christlichen Urapokalypse ist dieses, daß durch sie nicht erreicht wird, was doch erreicht werden soll: die Herausschälung einer christlichen Schrift, die in ihrer Einfachheit und Grandiosität dem Geist des Verfassers der Sendschreiben ebenbürtig wäre. Sp.s von allen fremden Zutaten gereinigte Urapokalypse [128] ist wirklich zu dürftig und nichtssagend, als daß sie überzeugend wirken könnte. Was bei ihm auf den Eingang Kap. 1-5 als Weissagung folgt, das nimmt sich wie ein dürftiges Notdach auf einem gewaltigen Unterbau aus. Weiß hat diesen Mangel empfunden und sucht ihm abzuhelfen, indem er dem christlichen Apok. noch eine Reihe weiterer Stücke zuschreibt. Ich finde aber nicht, daß seine Rekonstruktion sehr einleuchtend ist. Was er hinter Kap. 6 dem christlichen Urapokalyptiker zuschreibt (die Grundlage von Kap. 7; 9; 12,7-12, die Grundlage von 13,11-18; 14,14-20; 20,1-15; 21,1-4; 22,3-5, die Grundlage von 22,8ff.), sind wirklich disjecta membra. Für im höchsten Grade unwahrscheinlich halte ich die Verteilung von Kap. 12 auf zwei Quellen. Wenig überzeugend wirkt es, daß nach der Einführung des Drachen und des Pseudopropheten als der gewaltigsten Feinde der Endzeit, das durch den Menschensohn vollzogene Endgericht 14,14ff. auf diese Gegner gar keine Rücksicht nimmt, die Fesselung des Drachen durch einen Engel nur so nebenher berichtet wird, der Pseudoprophet ganz verschwindet. — Weiß nimmt an, daß in Kap. 14,14ff. in der Urapokalypse das Endgericht vorliege und rechnet es zu den zweifellosesten (!) Ergebnissen der Kritik, daß die große Szene des Endgerichts 19,11ff. nicht von einem Christen konzipiert sein könne. Aber sind etwa 14,19f. dem christlichen Geist angemessener? Und wenn W. sich damit tröstet, daß hier der christliche Apok. von jüdischer Apokalyptik abhängig sei, warum soll dieser Gesichtspunkt nicht auf 19,11ff. angewandt werden? Mir will dagegen scheinen, daß in 19,11ff. — künstlerisch betrachtet — die einzige würdige Krönung des ganzen apokalyptischen Unterbaues vorliegt und daß Kap. 14 sich als Abschluß der von W. konstruierten Apk dürftig ausnimmt. — Da somit die Versuche der Rekonstruktion einer überzeugenden christlichen Urapokalypse als gescheitert zu betrachten sind, so wird eben doch kaum etwas andres überbleiben als den Verfasser der Sendschreiben und den Schriftsteller, der die Apk in der gegenwärtigen Form schrieb, zu identifizieren, und bei genauerem Zusehen dürfte sich doch dieser Apok. letzter Hand als eine Persönlichkeit herausstellen, der auch die Abfassung der Sendschreiben zuzutrauen ist.

Mit seiner Theorie von der christlichen Urapokalypse verbindet W. die Annahme, daß mit dieser in unserer Apk eine jüdische Quellenschrift (Q) verbunden ist, die wahrscheinlich im Jahre 70 verfaßt wurde. Wichtiger als diese Annahme W.s ist mir seine Erkenntnis, daß diese Quelle wiederum aus einer Reihe einzelner Fragmente, deren Zusammengehörigkeit zweifelhaft ist, zusammengearbeitet wurde, bevor sie in die Hand des Endredaktors kamen. Was an diesen Vermutungen richtig ist, ist diese letztere Erkenntnis. Dagegen ist die Gestalt des Verfassers von Q. bei W. sehr unwahrscheinlich, zum mindesten in keiner Weise erwiesen. Ich glaube wir dürfen von dieser letzteren Vermutung W.s absehen. Wenn wir das tun, und wenn wir den christlichen Urapokalyptiker mit dem Apok. letzter Hand identifizieren, so kommen wir zu der letzten und meines Erachtens zum Ziele führenden Betrachtungsweise der Apk[6].

Und damit sind wir nun auf den noch übrig bleibenden dritten Weg gelangt, der uns vielleicht zum Ziel führen wird. Derselbe ist von Weizsäcker, Sabatier und Schön, neuerdings auch von Pfleiderer, Jülicher u. a. (s. o. S. 110. 112), den Vertretern der Fragmentenhypothese, eingeschlagen. Wzs. schon hat mit sicherem Blick die Eigentümlichkeit der [129] Komposition der Apk erkannt: das dreimal sich wiederholende Siebenzeichen ist nach ihm der Mechanismus, mit dem der Redaktor der Apk eine Reihe übernommener kleinerer Fragmente zu einem Gesamtbilde verarbeitet hat. Mit Weizs. gehen Sabatier und Schön, nur daß sie (nach Vischer) einen christlichen Apokalyptiker annehmen, der verschiedene jüdische Stoffe in seine Apk eingearbeitet hat. Hier sind wir auf dem richtigen Wege. Wir nehmen keine Grundschrift mit allmählichen Erweiterungen, keine Quellen und keinen mechanisch arbeitenden Redaktor an, sondern einen apokalyptischen Schriftsteller, der jedoch in vielen Punkten nicht aus freier Hand schuf, sondern ältere apokalyptische Fragmente und Überlieferungen, deren Überlieferung vorläufig noch dunkel bleibt, verarbeitete.

Die Fragen, welche Fragmente im einzelnen dem Apokalyptiker wirklich literarisch vorlagen, ob diese Stücke in unmittelbarem Zusammenhang mit einander standen, bleiben dann der Einzeluntersuchung vorbehalten und werden sich nicht überall mehr mit Sicherheit beantworten lassen. Auch ist bei dieser Auffassung die Apk natürlich eine christliche Schrift. Und zwar ist dies das Sichere und Gegebene. Ob und wie weit in ihr Fragmente jüdischer Herkunft enthalten sind, bedarf einer sehr vorsichtigen und oft nicht zum sicheren Ziel führenden Einzeluntersuchung.

IV. Wenn es nun richtig ist, daß der Apok. als ein selbständiger Schriftsteller anzusehen ist, dann handelt es sich für uns vor allem und in erster Linie um eine präzise Darstellung der speziellen Individualität und der geschichtlichen Situation des Schriftstellers und des Zweckes seiner Schrift. Zugleich würde, wenn diese Aufgabe gelingt und wir ein einheitliches charakteristisches Bild von der Persönlichkeit des Apokalyptikers letzter Hand gewinnen, die bisher vertretene Auffassung ihren endgültigen Beweis erhalten. Leicht ist dieser Versuch keineswegs, aber er muß dennoch unternommen werden. Müßten wir den Apok. für einen einfachen Redaktor und Kompilator halten, dann wäre es der gewiesene Weg, mit den Quellen einzusetzen und von da zu dem Ganzen vorzudringen. Ich meine aber, daß die in dieser Richtung gemachten Versuche nicht gerade ermutigen, den Weg, der uns bisher nur in ein unentwirrbares Labyrinth von Hypothesen hineingeführt, noch weiter zu verfolgen. Bei unsrer Gesamtanschauung aber ist der Weg vom Ganzen zum Einzelnen einzuschlagen. — Es wird also darauf ankommen mit aller hier gebotenen Vorsicht zu fragen, ob wir nicht in der Apk gewissen Spuren desselben Geistes, derselben aus der gleichen Situation stammenden Gesamtanschauung in allen Teilen der Schrift, oder doch den meisten, wiederbegegnen. Und dabei können wir sogar einmal vorläufig ganz von der Frage absehen, ob wir überall nur mit dem eigensten Besitz des Apok. arbeiten. Selbst wenn wir entdecken würden, daß dieses oder jenes Stück, das wir benutzten, nur von dem Apok. entlehntes traditionelles Gut sei, wäre damit nichts umgestoßen. Wir würden dann nur urteilen, daß der Apok. ältere Vorstellungen mit Verständnis übernommen, alte Münze neugeprägt hat. Nur darauf werden wir Acht geben, daß wir [130] auf den Charakter des Ganzen sehen und nicht an Einzelnem hängen bleiben; unser Gebäude muß so festgestützt sein, daß es nicht schadet, wenn nachher eine oder zwei Stützen wieder weggenommen werden müßten. Jedenfalls haben wir den Vorteil, daß wir zunächst von dem gegebenen Ganzen der Apk ausgehen und nicht von postulierten Quellen und so vom Sichern zum Unsichern uns vorsichtig den Weg bahnen können.

Das Hauptcharakteristikum der Apk ist sicherlich die durch das ganze Buch sich hindurchziehende hochgradige Spannung zwischen der Ecclesia, der einheitlichen Organisation der Gläubigen, und ihrem Gegner, dem römischen Staat. Denn daran dürfte kein Zweifel mehr sein, daß mit dem großen Feind des Christentums, dem Tiere, der römische Staat und mit der Hure auf dem Tiere das heidnische Rom gemeint sei. Und zwar ist dieser Gegner der Hauptgegner des Christentums, hinter dem alle anderen zurücktreten[7], so gewiß als Kap. 12 und 13, die Schilderung vom Erscheinen des Drachen (des Herrn des Tieres) und des Tiere selbst, den Höhepunkt der apokalyptischen Vision bilden. Dieser Kampf mit dem Tiere füllt für den Apokalyptiker Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Vergangenheit: der Apok. schaut bereits eine Schar vollendeter Märtyrer (6,9) unter Gottes Thron. Die Hure Babel ist trunken vom Blut der Märtyrer Jesu 17,6 (vgl. 16,6). In ihr schreit das Blut der Propheten und Heiligen und aller der auf Erden Geschlachteten 18,24. Die Gegenwart: Auch der Apok. lebt in einer Verfolgungszeit. Zwar scheint die Verfolgung in seiner nächsten Umgebung zu einem vollem Martyrium nur selten geführt zu haben. Nur ein Märtyrer, Antipas, wird namentlich genannt 2,13. Aber Verfolgungen und Chikanierungen der christlichen Gemeinden sind an der Tagesordnung und nicht nur in Pergamon nachweisbar (Ephesus 2,3, Smyrna 2,9.10, Philadelphia 3,8). Wenn jedes der Sendschreiben mit dem Lobpreis des „Siegers“ schließt, so denkt der Verfasser in erster Linie an den äußeren Kampf, den die christlichen Gemeinden zu bestehen haben. Vor allem aber soll der Kampf in der nächsten Zukunft des Apok. entbrennen. Das ist der Punkt, auf den seine ganze Weissagung eingestellt ist. Schon in dem Sendschreiben an Philadelphia 3,10 redet er von einer großen Versuchung (πειρασμός), die über die ganze Welt kommen und von der Philadelphia bewahrt werden soll. Die Weissagung des fünften Siegels 6,9-11 geht auf diese letzte Zeit der großen Not, in ihr soll sich die „Zahl“ der Märtyrer, die Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß festgesetzt hat, vollenden, und dann soll das Ende kommen. Wieder und wieder weist er auf die Blutzeugen in diesem Kampfe hin. Er sieht schon die ungeheure Schar der Weißgekleideten, die aus der „großen Trübsal“ kommen, vor Gottes [131] Thron 7,9ff.; er sieht die Sieger am gläsernen Meer stehen 15,2ff.; er hört wie die himmlischen Heerscharen sie preisen 12,11; er verheißt ihnen die Herrschaft im 1000jährigen Reich 20,4. Er ruft zum Kampf gegen das Tier 14,9.12f. Dieses Tier, der Diener des Satans, ist ja bereits vorhanden, der Seher hat es aus dem Meere steigen sehen. Es wird sich aber erst in seiner ganzen widergöttlichen Art enthüllen, wenn sich das Mysterium des totwunden und wieder geheilten Hauptes an ihm vollendet hat. „Wer Ohren hat zu hören, der höre!“ „Hier handelt es sich um Geduld und Treue der Heiligen!“ 13,9f. In überströmender ekstatischer Begeisterung jubelt der Apok. dieser Zeit des großen Kampfes entgegen. „Selig sind die in dem Herrn sterben von nun an (d. h. als Märtyrer). Ja, spricht der Geist, sie sollen ausruhen von ihren Mühsalen. Denn ihre Werke wandeln mit ihnen“. 14,13.

Von einem bevorstehenden Entscheidungskampf weissagt der Apok. Das römische Imperium (und Rom) ist in diesem der große Gegner der christlichen Gemeinde. – Aber damit ist noch nicht alles gesagt. Die charakteristische Situation, in welcher der Apok. sich befindet, wird uns dann erst klar, wenn wir die Frage stellen, um was es sich in jenem Kampf handelt, weshalb dem Apok. das römische Imperium als die Inkarnation des Satans erscheint. Der Apok. selbst enthüllt uns das Geheimnis der Bosheit – vielleicht mit Absicht – erst auf dem Höhepunkt seiner Weissagung Kap. 13. Mit dem wiederholten eindrucksvollen Refrain καὶ προσεκύνησαν, – καὶ προσκυνήσουσιν charakterisiert er das römische Imperium, das Tier, als die satanische Macht, die widergöttliche Anbetung und Verehrung in der ganzen Welt auf sich zieht. Dem Tiere und der ganzen Welt gegenüber treten die im Buche des Lebens Geschriebenen, die alleine die Anbetung verweigern. „Wenn einer Ohren hat, der höre!“ (13,4.8.9). Noch deutlicher wird der Verfasser im zweiten Abschnitt des Kapitels. Das zweite Tier, wer immer es sein möge, verführt die Bewohner der Erde, das Bild des zweiten Tieres anzubeten. Das wird im wiederholtem Refrain zweimal gesagt. Und es bewirkt weiter, daß die, welche die Anbetung verweigern, getötet werden 13,12.14.15. Ist das alles auch noch Weissagung, so entwirft doch offenbar der Apok. dies Zukunftsgemälde aus den Erfahrungen seiner Gegenwart heraus. Und von nun an zeigt er wieder und wieder mit dem Finger auf diesen großen Kampf. Er läßt den Engel 14,9 warnen vor der Anbetung des Tieres und seines Bildes. Hier handelt es sich um die Geduld der Heiligen! 14,12. Die auf dem Meere stehenden Sieger 15,2 haben im Kampf mit dem Tiere und seinem Bilde gesiegt. Der vierte Schalenengel stürzt seine Schale auf den Thron der Tieres 16,10 (vgl. 16,2.5f.). Das Tier und der Pseudoprophet sind die namentlich genannten Hauptgegner, welche in der großen Messiasschlacht vernichtet werden 19,20. Die Herrscher im tausendjährigen Reich sind die Sieger in diesem Kampf 20,4. „Die nicht angebetet haben das Tier, noch sein Bild, noch sein Siegel auf Stirn und Hand genommen haben.“ – Dieser ständig wiederkehrende Refrain soll sich gleichsam in das Ohr der Hörers einbohren.

Es ist klar, der Haß des Apok. gegen Rom hat eine bestimmte Ursache. [132] Die verdammungswürdige Tat des römischen Imperiums ist für ihn weder die Zerstörung Jerusalems, noch etwa die Christenverfolgungen im allgemeinen, noch im besondern die neronische Christenverfolgung, sondern die Ausrichtung und Pflege des Cäsarenkultus. Der Kaiserkultus ist der Gegenstand des Kampfes; in diesem Kampf soll – so weissagt der Verfasser – die Kirche eine Märtyrerzeit sondergleichen durchmachen[8]. Von dieser Erkenntnis aus läßt sich nun Herkunft und Entstehungszeit der Apk bereits mit einiger Sicherheit festlegen. Vor allem ist damit schon bewiesen, daß die Apk als Ganzes ein spezifisch christliches Buch ist: Das Judentum hat diesen prinzipiellen Kampf mit dem Cäsarentum und dem Cäsarenkultes – von einer vorübergehenden Episode abgesehen – niemals geführt. Es wurde im großen und ganzen mit den Forderungen der Herrscherverehrung niemals belästigt. Es galt im römischen Reich als religio licita, als eine Fremdenreligion mit ihren Sonderbarkeiten und Vorrechten. Und die nationale Verachtung des Judentums hat seine religiöse Duldung niemals auf die Dauer beeinflußt. Die alleinige Ausnahme bilden hier die Ereignisse in der Caligulazeit. Aber hier handelt es sich um ganz bestimmte und vereinzelte Vorgänge, um die Forderung der Aufrichtung der Caligulastatue im Tempel von Jerusalem und um eine Verfolgung der ägyptischen resp. alexandrinischen Juden, bei der unter anderm auch die Frage des Kaiserkultes eine Rolle spielte. Aber man wird doch nicht mehr daran denken, die Apk als Ganzes mit ihrer Grundstimmung aus der Caligulazeit abzuleiten. Man vermißt auch tatsächlich jeden unzweifelhaften Hinweis auf einzelne bestimmte Ereignisse jener Zeit. Von dem Kaiserkult der ganzen Welt, von dem entbrennenden Kampf in der ganzen Oikumene weissagt unser Apok. – Wenn aber so die Apk eine Kampfesschrift der christlichen Kirche gegen das römische Reich ist, so werden wir mit der Zeitbestimmung für sie über die Zeit Neros weit hinüber gewiesen[9]. Auf der einen Seite läßt sich gerade aus den Berichten über die neronische Verfolgung mit Bestimmtheit schließen, daß von einer solchen prinzipiellen Befehdung der christlichen Kirche durch das Imperium, wie der Apok. sie erwartet und doch schon teilweise voraussetzt, damals keine Spur vorhanden war. Für den Vorgänger Neros, den Kaiser Claudius[10], war, wie es scheint, die christliche Gemeinde nur eine Sekte der jüdischen Synagoge und der Kampf um Christus eine innerjüdische Streitigkeit, derenwegen [133] Synagoge und christliche Gemeinde gleicher Weise für eine Weile aus Rom verwiesen wurden. Unter Neros Regiment wird es auch nicht anders gewesen sein. Die Christenverfolgung Neros war eine Laune des Tyrannen; die Christen waren ihm eine abergläubische, verbrecherische und verächtliche Sekte; von einer dem römischen Staat von dorther drohenden Gefahr hat man damals noch nichts geahnt. Auf der andern Seite kann man kaum annehmen, daß die vereinzelten Christengemeinden sich damals schon dem römischen Staat gegenüber als eine einheitliche Macht gefühlt haben, deren Aufgabe es sie, den letzten schweren Kampf mit dem Satansdiener, dem römischen Imperium, aufzunehmen. Durch Neros Vorgehen wird immerhin die Aufmerksamkeit der römischen Provinzialbehörden mehr als vorher auf die verbrecherische Sekte der Christenheit hingelenkt sein. Die Entwicklung im einzelnen liegt hier ja ganz im Dunkeln[11]. Aber man wird annehmen dürfen, daß mindestens einige Dezennien verflossen, ehe diese gewitterschwüle Atmosphäre, in welcher unser Apok. schreibt, entstand. Von der andern Seite her finden wir am Ende der Regierung Domitians nachweisbar die Bedingungen vor, unter denen die Apk entstanden sein kann. Im sechszehnten Jahr der Regierung Domitians wurde nach zuverlässigen Zeugnissen, wie es scheint unter den persönlichen Auspizien des Cäsar in Rom ein Christenprozeß geführt, dem nahe Verwandte des kaiserlichen Hauses, das Ehepaar Titus Flavius Clemens und Flavia Domitilla, zum Opfer fielen. Und nach dem Bericht des Diocassius[12] wurden sie charakteristischer Weise wegen ἀθεότης (sacrilegiums) verurteilt. Diese Verfolgung richte sich also nicht mehr persönlich gegen Christen als verbrecherische Menschen aus der niedersten Hefe des Volkes, sondern gegen die christliche Religion und die Zugehörigkeit zu ihr, die damit als Sakrileg gebrandmarkt war. Hier ist das Verhältnis prinzipieller Feindschaft erreicht. Auch der bekannte Brief des Plinius an Trajan[13], in welchem die Zugehörigkeit zum Christentum an und für sich als ein staatsgefährliches Verbrechen behandelt wird, erlaubt uns einen Rückschluß etwa auf die Zustände am Ende des ersten Jahrhunderts. Denn Plinius entwickelt die Grundsätze seines Verfahrens gegen die Christen nicht als etwas Neues, sondern als etwas selbstverständlich Gegebenes. Auch die enge Beziehung, in welcher christliche Religion und Verwerfung des Kaiserkultes, Verfolgung der Christen und Forderung „der Anbetung des Tieres“ in der Apk mit einander erscheinen, würde sich gerade aus der Zeit Domitians sehr gut erklären. Wir wissen, daß neben Caligula kein Kaiser des ersten Jahrhunderts so sehr seine Selbstvergötterung betrieben hat wie Domitian. Er ließ sich zuerst – allerdings nicht offiziell – in den Briefen [134] seiner Beamten als dominus et deus titulieren[14]. Hat die Verehrung der verstorbenen Cäsaren schon vorher eine große Rolle im Religionswesen namentlich im Osten des römischen Reiches gespielt, so scheint erst unter den Flaviern die Verehrung der lebenden Herrscher sich allgemein durchgesetzt zu haben[15]. Und damit hat dann natürlich der ganze Kultus einen neuen nachhaltigen Aufschwung genommen. So liegen alle die Faktoren, aus denen die Grundstimmung der Apk sich erklären läßt, in der Regierungszeit Domitians oder wenigstens deren Ende neben einander. Über die Regierungszeit Domitians nach rückwärts wird man mit dem Anfang der Apk kaum gehen dürfen. Aber auch nicht viel weiter vorwärts. Denn von einer so systematischen Verfolgung, wie sie der Brief des Plinius voraussetzt, zeigt die Apk — namentlich die Sendschreiben — noch keine Spur. Was in der Apk darauf hindeutet sind Zukunftsweissagungen des Sehers, der allerdings mit hellen Augen in seine Gegenwart hineinschaut.

Diese allgemeinen Erwägungen werden nun trefflich durch direkte Zeugnisse über die Entstehungszeit der Apk gestützt. Vor allem wertvoll ist hier das des Irenäus V 30,3 (Eusebius H. E. V 8,6): οὐδὲ γὰρ πρὸ πολλοῦ χρόνου ἑωράθη, ἀλλὰ σχεδὸν ἐπὶ τῆς ἡμετέρας γενεᾶς πρὸς τῷ τέλει τῆς ∆ομετιανοῦ ἀρχῆς. Das Zeugnis geht, wie wir oben nachzuweisen versuchten, vielleicht auf einen noch älteren Gewährsmann, Papias, zurück. Aber ganz abgesehen davon ist es besonders wertvoll, weil es allein noch ganz unverworren ist mit der — wahrscheinlich irrtümlichen — Tradition über das Patmosexil des Johannes unter Domitian, während in allen späteren Nachrichten diese Kombination hergestellt ist. — Wir haben nach allen Erwägungen keinen Grund, an der Zuverlässigkeit dieses Zeugnisses zu zweifeln. Einzelbeobachtungen, die man für ein früheres Datum hat geltend machen wollen, vor allem die 11,1-2 ausgesprochene Erwartung der Erhaltung des Tempels von Jerusalem können gegenüber dem oben festgelegten Gesamtcharakter der Apk nicht aufkommen. Sie deuten nur darauf hin, daß in das Gesamtwerk ältere Fragmente eingesprengt sind.

Andre Einzelbeobachtungen bestätigen dagegen mehr oder minder jenes Datum. So wird sich nachweisen lassen, daß in Kap. 17 eine Quelle aus der Zeit Vespasians (s. den Exkurs zu diesem Kapitel) bereits verarbeitet ist. Es wird also wahrscheinlich, daß der Bearbeiter einige Zeit später, also etwa unter Domitian geschrieben hat. Ferner kommt in Betracht, daß der Apok. letzter Hand im Gegensatz zu seiner Quelle in Kap. 17, welche noch einfach das Wiederkommen Neros von den Parthern erwartet, eine andre und doch wohl spätere Form der Nerosage kennt, derzufolge Nero als das höllische Untier aus dem Abgrund erscheint, also aus dem Totenreich wiederkehrt. Wir können mit unsern Mitteln die Geschichte der Nerosage kaum [135] mit voller Sicherheit festlegen. Aber wahrscheinlich ist es doch, daß jene Umwandelung der Nerosage erst in einer Zeit vor sich ging, als die Erwartung von der Wiederkunft Neros mit den Parthern eine gewisse Zeit – sagen wir einmal etwa ein Menschenalter – die Gemüter beschäftigt, geschreckt und enttäuscht hatte und so allmählich unwahrscheinlich geworden war. Damit aber kämen wir wieder an das Ende der Regierungszeit Domitians[16] (vgl. den Exkurs zu Kap. 17).

Wir können aber vielleicht die Zeit der Abfassung der Apk. bis aufs Jahr genau festlegen. In der Apk hört der Seher beim dritten Siegel eine die allgemeine Hungersnot weissagende Stimme: Das Maß Weizen um einen Denar, und drei Maß Gerste für einen Denar, aber Öl und Wein sollst du schonen! 6,6. Bisher hat kein Ausleger diesem Rätselruf einen Sinn abgewinnen können. Neuerdings hat Reinach[17] über diese Stellen in außerordentlich geistvoller Weise gehandelt. Er zieht zur Erklärung eine Notiz Suetons (Domitian, Kap. 7) heran. Hier berichtet Sueton im Jahre 92 (vgl. auch Eusebius Chronik zu diesem Jahr), daß Domitian – im Interesse der italienischen Weinagrarier – ein Edikt erlassen habe, demzufolge die Anlage neuer Weinberge in Italien verboten wurde, in den Provinzen aber die Weinberge bis mindestens zur Hälfte niedergehauen werden sollten. Von dieser Maßregel fühlten sich namentlich die kleinasiatischen Provinzen bedroht. Eine lebhafte Gegenagitation erhob sich, und man setzte es wirklich durch, daß das Edikt, noch ehe seine Ausführung begonnen, wieder aufgehoben wurde. Es wird nun sehr wahrscheinlich, daß der Apok. auf diese Vorgänge mit seiner Weissagung hindeutet. Er ist entrüstet, daß jene Maßregel, die er von seinem asketischen Standpunkt aus als gut und heilsam betrachtet (gibt doch auch das Edikt sich als wesentlich gegen den Luxus gerichtet) wieder aufgehoben ist. Daher weissagt er nun eine große Teuerung, durch welche die notwendigsten Lebensmittel betroffen werden, während die Luxusartikel wie zum Hohn verschont bleiben sollen. Ist diese Kombination richtig, so wäre die Apk bald nach 92, also ca. 93, geschrieben. Mit diesem Ansatz würde es nun merkwürdig gut stimmen, wenn in der oben S. 23 bereits besprochenen Ausführung aus der Polemik des Epiphanius gegen die Aloger (Haer. LI 33) ursprünglich gestanden hätte, daß von der Geburt des Herrn bis zur Apk 93 Jahre verflossen seien. Die Ausführungen stammen aus Hippolyt und es wäre ja möglich, daß Hippolyt das genaue Datum der Schrift noch gekannt hätte. Auch das mag noch hervorgehoben werden, daß Eusebius in seiner [136] Chronik die Verbannung nach Pathmos und die Abfassungszeit der Apk in das 14. Jahr Domitians (94) verlegt.

So steht also unser Apokalyptiker in einer ganz besonders, weltgeschichtlich wie religonsgeschichtlich betrachtet, geradezu hochbedeutsamen Situation. Seine Schrift ist eine wilde Kampfschrift gegen den im römischen Reich herrschenden Kaiserkult. Dieser Cäsarenkult ist seinerseits die charakteristische Erscheinung in der letzten Entwicklungsphase der Religion der griechisch-römischen Kulturwelt[18]. Er war nicht ihr genuines Erzeugnis. Der Osten und Ägypten sind die eigentliche Heimat der absoluten Despotenverehrung und Herrschervergottung. Von dorther ist die Idee des Gottkönigtums in die Kultuswelt des Westens gewandert. Die gewaltige Gestalt des großen Alexander hat sogar die Religion des Griechentums aus ihren Bahnen geworfen. In Anlehnung an den altgriechischen Heroenkult war nach dem Hofe Alexanders der Glaube an die göttliche Majestät des Herrschers in die Kulturwelt der Diadochenreiche eingezogen. Zunächst der gestorbenen, zu den Göttern erhöhten Herrscher. Dann war an dem Hofe der Seleuciden und Ptolemäer die Verehrung auch der lebenden Herrscher aufgekommen. Als die Gewaltmenschen der letzten Zeit der römischen Republik ihre Hand auf den Osten legten, wurde ihnen dort göttliche Verehrung von allen Seiten entgegengebracht. Und die Römer haben dann dem Kult eine neue Wendung und Bedeutung gegeben. Den klugen Rechnern wurde die ihnen vom Orient entgegengebrachte göttliche Verehrung das gewaltigste Machtmittel, mit dem sie ihre Herrschaft über den Erdrund festigten. Der Kaiserkult wurde die Staatsreligion des die Oikumene umspannenden römischen Reiches. Bereits Cäsar war mit bewußter Absicht und in vollem Umfange auf die Ideen orientalischer Despotenverehrung eingegangen. Das Regiment des Augustus bedeutete eine Reaktion. Augustus lehnte in Rom und Italien eine Vergottung seiner Person auf das bestimmteste ab. Nur die Verehrung des zu den Göttern erhobenen Divus Iulius förderte er. Aber er wehrte der weitergehenden Verehrung im Osten nicht. Und es ist für uns, wenn wir das geistige Milieu unseres Buches uns vergegenwärtigen wollen, wichtig, zu wissen, daß er auf ein Gesuch der Provinzen Kleinasien und Bithynien diesen gestattete, in Pergamon und Nicomedien Provinzialtempel des Kaiserkultes zu Ehren der Roma und des Augustus zu errichten (29 v. Chr.). Denn vielleicht ist dies der Grund, daß der Apokalyptiker von dem Satansthron in Pergamon redet. Allmählich drang der Kaiserkult – abgesehen von Rom und Italien – auch nach dem Westen (Afrika, Gallien, Spanien) vor. Um in der Sprache des Apok. zu reden, so ist es richtig, daß in seiner Zeit die Erdbewohner insgesamt „das Tier anbeteten“. Und hatte Augustus [137] eine Anbetung seiner Person nur in der Form gestattet, daß neben und nach der Dea Roma der divus Augustus genannt wurde, hatte Tiberius noch ausdrücklich die göttliche Verehrung der Cäsaren auf seine verstorbenen Ahnen, Julius Cäsar und Augustus beschränkt, so drang, bereits von Caligula und Claudius begünstigt, etwa im Zeitalter der Flavier auch die Verehrung des lebenden Herrschers durch und neben Caligula hat keiner der römischen Cäsaren des ersten Jahrhunderts so in den Ideen des Gottkönigtums geschwelgt wie Domitian. — So wurde der Kaiserkult ein ungemein wichtiger Faktor in der Kulturwelt des römischen Kaiserreichs. Staatsinteresse und religiöses Bedürfnis begegneten sich in ihm. Byzantinischer Servilismus und politisches Strebertum waren doch nicht die einzigen Faktoren seiner Verbreitung. Es war als wenn alle religiöse Andacht, deren die absterbende Religiosität einer alt gewordenen Kultur noch fähig war, sich der einzigen lebendigen und festen Wirklichkeit in der Welt zuwandten: der Dea Roma und dem divus Augustus, den Mächten, die aus dem Chaos in der Völkerwelt am Ende der Diadochenzeit wieder Leben und Ordnung geschaffen hatten. Und auf der andern Seite wurde diese Stimmung von klugen Staatsmännern gepflegt, welche sahen, daß die römische Herrschaft in ihr die beste Stütze ihrer Macht und Wirksamkeit fand. Nie haben Staat und Religion, Recht und Frömmigkeit ein so enges Bündnis geschlossen wie hier. Die Begriffe Sacrilegium und crimen laesae majestatis fallen fast zusammen.

Die alten Nationalreligionen waren morsch und kraftlos genug, um sich die Krönung ihres Pantheons durch die Dea Roma und den divus Augustus gefallen zu lassen. Das in der Welt verstreute Judentum war im allgemeinen froh und zufrieden, wenn man es mit den Anforderungen des Kaiserkultes unbehelligt ließ und ihm sein Sonderlingsdasein nicht störte. Im übrigen stand gerade in unserm Zeitalter dem um seine letzte Existenz ringenden jüdischen Volke der ganz andre Gegensatz spezifisch nationaler Art im Vordergrund. — Aber in der neuen christlichen Religion entstand dem letzten Erzeugnis der Antike, der römischen Staatsreligion, ein ebenbürtiger Gegner. Instinktiv hatte man ein Gefühl davon auf beiden Seiten. Ohne daß man eigentlich genau wußte, wie es gekommen war, hatte der römische Staat am Ende der Regierung Domitians eine ausgesprochene Frontstellung gegen das Christentum eingenommen. Und im jungen Christentum fühlte man die Gewitterschwüle der Zeit. Da verleiht unser Apok. dem Unausgesprochenen das Wort und weissagt den furchtbaren und entsetzlichen Kampf, der in der ganzen bewohnten Welt um die letzten Wirklichkeiten des Lebens entbrennen soll. Er sieht klar auf den letzten Kern der Dinge. Er sieht in diesem Bündnis von Staat und Religion mit seiner Menschenvergötterung den Gipfel aller Gottlosigkeit, den Anfang vom Ende, in dem römischen Imperium mit seinem Gottkönigtum die Inkarnation des Satans. Die beste Verteidigung ist der Angriff. So geht auch der Apok. zum offenen Angriff über. Selten wohl ist eine so entschlossene, fulminante Streitschrift gegen ein herrschendes System geschrieben wie in diesem merkwürdigen Buch. Es sind [138] Fanfarentöne, die hier klingen. Sie rufen das verhältnismäßig kleine Häuflein derer, die das Tier nicht anbeten, zum Widerstand gegen eine Welt, zu Trotz und Treue bis in den Tod, sie windet im Voraus den Märtyrern dieses Kampfes die ewige Krone. Der Apk. hat freilich nicht vorausgeahnt, daß der Kampf, den er voraussah, mehrere hundert Jahre hindurch die Weltgeschichte bestimmen sollte. Er sah die Entscheidung und das Ende in dieser Generation. Aber tatsächlich hat er mit seiner Schrift diesen Kampf eingeleitet und weithin bestimmt.

V. Er steht in der Tat auf hoher Warte, in einer großartigen Situation, kurz vor dem Zusammenstoß zweier Welten, und dies Bewußtsein hebt ihn denn auch empor zu einem mächtigen prophetischen Selbstgefühl. Er ist nicht mehr Epigone wie jeder andre Apokalyptiker, er fühlt sich als Prophet, er gehört einer besondern Klasse der Gläubigen an. Sehr bemerkenswert ist die Hochschätzung des Prophetentums in der Apk. Der Prophet steht Gott und seinem Herrn Jesus um eine Stufe näher. Er ist sein δοῦλος in einem ganz besondern Sinn. Seinem Knechte Johannes hat Gott die Offenbarung gezeigt; wie Moses 15,3 mit besonderem Ehrentitel δοῦλος θεοῦ genannt wird, so sind die Propheten vor allen andern Knechte Gottes. Seinen Knechten, den Propheten, zeigt er, was in Bälde geschehen soll 1,1; 22,6. Gott hat sein Geheimnis seinen Knechten, den Propheten, verkündet 10,7. Es gibt eine ganze Klasse solcher bevorzugten Christen innerhalb der Christenheit. Der Engel ist der Mitknecht des Johannes und seiner Brüder, der Propheten 22,9, und Gott ist ein Herr der Geister der Propheten 22,6. Von hier aus erklärt es sich, wenn 18,20 nicht nur die Christen im allgemeinen, sondern besonders die ἀπόστολοι und προφῆται genannt werden, als die, welche sich freuen sollen über den Fall des christenmörderischen Babels, wenn 18,24 von αἵματα προφητῶν καὶ ἁγίων, 16,6 von αἷμα ἁγίων καὶ προφητῶν die Rede ist, wenn es 11,18 heißt, daß Gott seinen Knechten, den Propheten und den Heiligen, die seinen Namen fürchten[19], im Gericht den Lohn geben wird. Die Propheten sind für den Verfasser der Apk an die Stelle der nur einmal in einem solchen Zusammenhange erwähnten Apostel getreten. Deshalb ist auch das Werk des Propheten von einzigartigem und hohem Wert. Selig sind, die es hören und die das geschriebene halten 1,3; 22,7, und diejenigen, die zu diesen Offenbarungsworten etwas hinzufügen oder etwas von ihnen nehmen, trifft der schwerste Fluch 22,18f. Wort Gottes und Zeugnis Jesu nennt der Seher 1,2 seine Weissagung (vgl. den Ausdruck οἱ λόγοι τῆς προφητείας 1,3; 22,7.10.18). Worte Gottes 17,17 sind die Weissagungen, die vollendet werden müssen. Und das Zeugnis Jesu ist der Geist der Propheten 19,10, d. h. in dem in den Propheten redenden Geist wirkt das Zeugnis Jesu weiter[20], und daher sind die Gläubigen, insofern sie dies Zeugnis Jesu haben, Mitknechte des Engels wie der Prophet. Die Propheten sind geradezu die Vermittler zwischen irdischer und himmlischer Welt. [139] Von der Weissagung des Parakleten im Johannesevangelium und von der Hochschätzung des Propehtentums[21] in der Offenbarung aus, begreift es sich, wie ein gutes Menschenalter später eine Geistesströmung wie die des Montanismus sich in der kleinasiatischen Kirche erheben konnte.

Mit jenem großartigen und wahrhaft prophetischen Blick in die Zukunft verbindet sich bei dem Apok. ein bizarrer und phantastischer Volksglaube, der damals in der jüdischen wie in der heidnischen Welt lebendig war. Der Glaube an die Wiederkunft des verrufenen Tyrannen (und ersten Christenmörders)Neros[22]. Das Tier, das den großen Kampf mit dem Christentum beginnen wird, hat als Symbol neben den zehn Hörnern das Haupt, dessen Todeswunde geheilt ist. Es ist das römische Imperium zur Zeit des Nero redivivus und daher ist die Zahl des Tieres die Zahl eines Menschen (13,18). In dem Nero redivivus wird sich die ganze Furchtbarkeit und die grausame Macht des Tieres noch einmal zusammenfassen[23]. „Es war und ist nicht mehr und wird sein“: Schon einmal haben die Christen mit diesem Nero den Kampf auf Leben und Tod gekämpft, und bald wird er aus der Abyssus wiederkehren zu einer kurzen Zeit der Schreckensherrschaft und der allgemeinen Verfolgung. Es ist wohl zu bemerken, daß bei dieser Auffassung der Zukunftscharakter der Apk gewahrt bleibt, die Apk weissagt wirklich von einer großer allgemeinen Verfolgung und stellt diese dem Volksglauben folgend in Zusammenhang mit der Wiederkunft Neros. Diese Verbindung von einem tiefen Einblick in das Wesen und Ziel der Dinge mit einer vergänglichen fremdartigen Phantasie des Volksglaubens mag uns merkwürdig erscheinen, aber psychologisch unverständlich ist sie nicht.

Es ist schwer zu einem Gesamturteil darüber zu kommen, wie weit der Seher als Judenchrist bezeichnet werden darf. Daß derselbe aus dem Judentum stammt, ist nach den Beobachtungen, die man über seine Sprache machen kann, wohl außer allem Zweifel. Ihm ist der Judenname ein Ehrenname, welchen er den christenverfolgenden Juden abspricht 2,9; 3,9. Einem Judenchristen im eigentlichen Sinne des Wortes wird man ihn doch kaum nennen können. Von einem antipaulinischen starren Judenchristentum kann bei ihm nicht die Rede sein. Die Heidenmission ist als etwas ganz Selbstverständliches [140] anerkannt (7,9ff.), die Juden sind die Synagoge des Satans. Möglich aber, daß der Apokalyptiker an einer gewissen Prärogative des gläubigen Israels (7,1-8) festhält. Aber es läßt sich hier sehr schwer zwischen der überkommenen Tradition und der eignen Meinung des Sehers scheiden. Die Stellung der Apk gegen den römischen Staat, Rom und den Kaiserkultus ist zwar, wenn man auf die apokalyptische Stimmung der Kirche in der Folgezeit sieht, singulär, aber doch nicht notwendig judenchristlich.

Damit ist die Hauptsache zur Gesamtcharakteristik des Apok. gesagt. Neue, bemerkenswerte ethische oder religiöse Gedanken dürfen wir nicht bei ihm suchen. Der Apokalyptiker arbeitet ja im wesentlichen nur auf das Eine hin, die Gläubigen stark und tapfer zu machen in dem bevorstehenden mächtigen und großen Kampf. (In den Briefen nimmt er außerdem eine Frontstellung gegen die Häretiker ein.) In der Christologie und Erlösungslehre zeigen sich nirgends Ansätze zu selbständiger Auffassung, in der Christologie ein wirres Konglomerat verschiedenster Vorstellungen. Es ist daher unbegreiflich, wie man eine mehrhundertseitige Theologie der Apk schreiben mag (vgl. das Werk von Gebhardt 1873). Wer hier zu viel bringt, bringt für den Zweck einer lebendigen historischen Erkenntnis gar nichts. — Aber jenes eine weiß der Apokalyptiker mit unnachahmlicher Sicherheit einzuschärfen: den gewaltigen Ernst der Verantwortung vor Gottes Gericht, den Gedanken des nahen Endes, die Pflicht der Treue bis zum Tode und des Ausharrens im wilden Kampf, der nun entbrennen soll. Eine trotzige Siegeszuversicht gegenüber dem Drachen, der schon im Himmel geworfen ist, und dessen Herrschaft auf Erden nur kurze Zeit dauern wird, eine fast wilde Freude am Martyrium: Selig sind von nun an die Toten, die im Herrn sterben, — eine wenigstens stellenweise flammende Sprache, eine glühende Sehnsucht nach dem Ende und der neuen Zeit: Wahrlich ich komme bald. Amen, komm Herr Jesus, — das alles verleiht der Apk trotz des Bizarren, Phantastischen, Fanatischen, das sich in Hülle und Fülle findet, einen zauberhaften Reiz und eine mächtige Kraft. — Von unvergleichlicher Schöne und Zartheit sind jedenfalls eine Reihe von Bildern, in denen der Seher die zukünftige Welt malt. Man muß diese Worte (wie 7,9ff.; 20,1ff.) einmal am Grabe, oder am Totenfeste gehört haben, um ihren unvergänglichen Zauber zu verstehen. Sie klingen noch immer wie überirdische Musik. — So mußte die Apk auf ihre Zeit wirken wie ein wildes flammendes Kriegsmanifest, sie mußte den Zeitgenossen in der Tat wie eine neue prophetische Offenbarung erscheinen: Selig der es liest und das Geschriebene bewahrt! Sie war eine helle Posaune, die zu mehrhundertjährigem Kampfe rief.

VI. Die Hauptaufgabe, die einer Erklärung der Apokalypse gestellt ist, ist — vorausgesetzt, daß unsere Auffassung von dem Ganzen der Schrift die richtige ist — damit erfüllt, daß eine lebendige Vorstellung von dem Charakter des Apokalyptikers selbst, seiner Frömmigkeit und der Situation, in der er schreibt, möglichst annähernd erreicht ist. Aber daneben schafft nun freilich der Schreiber der Apk in einem großen Teil seiner Schrift, wie bereits deutlich geworden ist, nicht aus freier Hand und mit eignen Mitteln; es [141] scheint fast so, als hätte er die Absicht, nicht bloß eine bestimmte Weissagung zu geben, sondern ein corpus apocalypticum zu schreiben, eine Sammlung von damals im Umlauf befindlichem apokalyptischem Material unter einem einheitlichen Gesichtspunkt zu veranstalten. Daher besteht die zweite Aufgabe in der genaueren Erforschung der Quellen des Apokalyptikers. Freilich wird es immer wichtiger bleiben — es wird dieser Gesichtspunkt gar zu oft übersehen — festzustellen, was der Apokalyptiker selbst aus seinem Stoff gemacht hat, als in dem Dunkel der hinter ihm liegenden apokalyptischen Tradition einige unsichere Schritte zu tun. — Aber auch diese Arbeit muß getan werden, und zwar schon deshalb, weil eine genauere Erforschung der Quellen und der der Apk vorliegenden Tradition indirekt wieder einen klareren Einblick gerade in das Eigentümliche und Charakteristische dieser selbst gibt. Jede Apokalypse hat man in dem Augenblick erst recht verstanden, in dem es gelingt, das ihr überkommene Material von dem ihr eigentümlichen mit einiger Sicherheit abzusondern.

Über die Quellen der Apk wird nun im besonderen im Kommentar zu den einzelnen charakteristischen Kapiteln gehandelt werden (vgl. namentlich die Bemerkungen zu 7,1-8; 11,1-13; 12; 13,11ff.; 14,14-20; 17-18; 21,9-22,5)[24]. Hier sollen nur einige Bemerkungen allgemeinerer Art folgen. Zunächst werden wir, von der richtigen Erkenntnis des Gesamtcharakters der Schrift herkommend, nicht in den Fehler einer voreiligen Quellenscheidung verfallen. Wir werden uns darauf beschränken, mit einiger Bestimmtheit an diesem und jenem Punkt zu behaupten, daß dem Apokalyptiker fremdes Material eventuell schon in literarisch fixierter Form vorgelegen habe, aber auf den Versuch, noch zusammenhängende Quellen, die wirklich einmal so existiert haben, auszuscheiden, werden wir im großen und ganzen verzichten. Andrerseits ist man, wenn man so rundweg auf Literarkritik im Einzelnen — immer im großen und ganzen geredet — verzichtet, doch noch keineswegs am Ende der Forschung. Es gibt noch einen Weg, der uns etwas weiter zu fördern verspricht. Der literarkritischen Methode zur Seite tritt nun die traditionsgeschichtliche. Die Hoffnung auf eine genaue Bestimmung der Quellen nach Zahl, Umfang und Wortlaut werden wir nach den bisher gemachten Erfahrungen aufgeben müssen. Aber dennoch können wir das in der Tradition — ganz gleich durch welche Mittelglieder — überkommene Material genauer auf seine Herkunft prüfen und kritisch sondern. Dabei werden wir freilich, wenn wir irgendwie vorwärts kommen wollen, unsern Blick über die gesamte eschatologische Überlieferung der der Apk vorangehenden und folgenden Jahrhunderte erweitern müssen. Denn wir sind hier auf den überaus unsicheren und schwankenden Boden derjenigen Vorstellungen und Phantasien geraten, welche von Religion zu Religion, von Geschlecht zu Geschlecht wandern, und deren Lebenskraft nicht mit dem Jahrhundert, dem Volk und der Religion erlischt, in welchen sie zuerst entstanden sind. Nur ein umfassendes [142] Wissen, welches das einzelne Glied in einer jahrtausendlangen Kette zu sehen vermag, kann hier die Arbeit zu Ende führen, wir stehen am Anfang derselben und müssen uns damit begnügen, nur hier und da Einiges beizutragen. Ist man so genauer in das eigentliche Gewebe der Apk eingedrungen, so mag man dann auf Grund besserer Erkenntnis von neuem und genauer beginnen, Quellen zu scheiden. Aber freilich zur vollen Klarheit und zum Ziel werden wir dabei niemals kommen. Und es muß immer wieder betont werden: die Erkenntnis des Individuellen und Konkreten ist immer die Hauptsache in aller Geschichtsforschung und die Kenntnis der Tradition, des „Milieu“, immer nur Vorbedingung. — Das gilt namentlich auch für die Arbeit an der vorliegenden Schrift. Der Apokalyptiker ist nicht nur ein Schriftsteller, der altheilige, vielfach unverstandene Vorstellungen unbesehen weitergibt, sondern er schafft neu, und auch da, wo er einfach übernimmt, sieht er das Übernommene mit seinen Augen an, wie dies oft in ganz unscheinbaren Veränderungen überraschend zu Tage tritt. — Und es ist für uns viel wichtiger, hierauf zu achten, als das apokalyptische Material der Apk bis in seine letzten Instanzen zu verfolgen. Die charakteristische Weise zu beachten, in welcher der Apokalyptiker die Lehre von den sieben Geistern verwertet, ist fruchtbringender, als jene Anschauung bis in ihre vielleicht babylonischen Ursprünge zu verfolgen. Die Erkenntnis, daß das aus der Abyssos wiederkehrende Tier für den Apokalyptiker Nero ist, ist wichtiger, als zu wissen, was ursprünglich mit jenem Tier gemeint sei.

Nach allen diesen Untersuchungen kann dann erst die Frage erhoben werden, die im Anfang der kritischen Arbeit an der Apk sich fast allzusehr in den Vordergrund gedrängt hat, wieweit die Apk jüdisch oder christlich sei. Und dabei kann es sich nicht mehr um den Gesamtcharakter der Schrift handeln. Das Buch als ganzes und in seiner eigentlichen Grundtendenz ist nur auf christlichem Boden denkbar (s. o.). Für wichtige Partien der Apk hat bereits Spitta Vischers Kritik als bodenlos erwiesen. Es kann sich also nur bei einigen einzelnen Stücken des Buches um jene Fragestellung handeln. So muß denn eine Untersuchung in dieser Richtung für jedes abgeschlossene Fragment selbständig aufgenommen werden und wird selten mit einem runden Ja oder Nein abschließen können. Denn so sehr zugestanden werden muß, daß das apokalyptische Material der Schrift vielfach durchaus jüdische Färbung hat, so bleibt doch immer noch die Frage, ob die schriftliche Fixierung dieser Tradition, welche der Apok. vielleicht benutzte, christlichen oder jüdischen Ursprungs war.

VII. Wir versuchen zum Schluß die Komposition der vorliegenden Apk in ihren Grundzügen zu verstehen. Das Stück 1,1-3 ist als spätere — wahrscheinlich von dem Verfasser selbst nachgetragene — Überschrift des Ganzen zu verstehen. Mit einer Einleitung zu dem am Anfang des Buches stehenden Sendschreiben beginnt die Apk 1,4-20. Nach dem im Briefstil üblichen Gruß 1,4-6 und dem apokalyptischen Merkspruch 1,7-8 bringt die einleitende Vision das mächtige und strahlende Bild des Herrn, der in den folgenden Sendschreiben zu seiner Gemeinde redet. Es folgen die sieben [143] Sendschreiben selbst Kap. 2-3. Aber schon mit der Andeutung 1,19 γράψον οὖν ἃ εἶδες (1) καὶ ἃ εἰσιν (2) καὶ ἃ μέλλει γενέσθαι μετὰ ταῦτα hat sich der Seher den Weg zum Folgenden gebahnt. Über die Gegenwart hat er gesprochen. Eine Himmelsstimme ruft ihn in den geöffneten Himmel, er soll jetzt schauen ἃ δεῖ γενέσθαι μετὰ ταῦτα. Nun schaut der Seher zwei in sich abgeschlossene Bilder, die mächtig und groß gezeichnet und an den Anfang der Offenbarung gestellt zu einem starken das Ganze der Apk tragenden Fundament wohl geeignet sind. Zunächst (Kap. 4) ein Bild voll erhabener Ruhe. Der himmlische Thron und auf dem Throne Gott, umgeben von den 24 Ältesten und den vier wunderbaren merkwürdigen Tieren. Zum Schluß kommt etwas Leben und Bewegung in das ruhende Bild. Der Seher hört die sich immer wiederholenden Lobgesänge der wunderbaren Wesen vor Gottes Thron, wenn sie anbetend niederfallen. Ein zweites Bild mit lebhafterer und beinahe stürmischer Bewegung folgt (Kap. 5). Der auf dem Throne Sitzende hält in seiner Hand das geheimnisvolle Buch mit den sieben Siegeln, und niemand kann zum Schmerze des Sehers das furchtbare und schreckliche Geheimnis lösen. Da tritt eine neue und mächtige Gestalt, das Lamm mit den sieben Hörnern und sieben Augen, in den Kreis der Himmelsmächte ein. Es erscheint der Sieger, stark genug, das Geheimnis zu lösen. Und wie er zum Buche greift, stimmen die himmlischen Wesen ihren Lobgesang an, und dieser Lobgesang findet seinen mächtigen Widerhall; in immer weiteren Kreisen und mächtigeren Wogen braust er dahin. Die Bedeutung dieser beiden Bilder wird uns erst recht klar, wenn wir uns die Grundstimmung der Apk vergegenwärtigen. Es ist die Zeit der letzten Not, in der der Apok. schreibt; der letzte wilde Kampf steht unmittelbar bevor; und der Apok. sieht die Gewitterwolken sich türmen. Da stellt er in überlegener Ruhe diese Bilder seiner ganzen Weissagung voran. Der allmächtige Gott, der aller Widersacher spottet, erscheint in seiner Herrlichkeit auf dem Throne, und neben ihm das Lamm, der Sieger in Löwenkraft, als Herr über alle Schrecken und Geheimnisse der Zukunft, der Herrscher des neuen Aeons; und alle Kreatur im Himmel und auf Erden beugt sich vor diesen Mächten und jubelt ihnen Preis und Ehre und Lob zu. Was bedeuten ihnen alle Widersacher und wenn sie auch aus dem Abgrund der Hölle kommen! Nun löst das Lamm die Siegel und die Schrecken der Zukunft nehmen ihren Anfang (Kap. 6). Die vier ersten Siegel: die vier Reiter. Kaum je ist in der religiösen Literatur ein mächtigeres Bild mit so wenigen Strichen hingeworfen. Die größten Künstler hat es von Zeit zu Zeit gepackt und nicht losgelassen, bis sie es dargestellt. Beim fünften Siegel ist der Seher bei seinem Lieblingsthema: er sieht die Märtyrer unter Gottes Thron. Sie schreien nach dem Ende. Aber ihre Zahl ist noch nicht voll. Eine große Zeit der Märtyrer soll kommen, ja sie ist schon da. Nach der etwas stereotypen Schilderung der Ereignisse des sechsten Siegels spüren wir deutlich, wie ein fremdartiger Stoff sich in den Zusammenhang der Apk eindrängt (Apk 7). Wir hören von vier Windengeln, welche die verderblichen Winde loslassen wollen und von der Versiegelung der 144 000 aus den 12 Stämmen. [144] Das sind, wie es scheint, eingesprengte Fragmente. Was der Apok. damit sagen will, ist deutlich. In den Zeiten der letzten Not sollen aus dem neutestamentlichen Zwölfstämmevolk eine Anzahl unversehrt und unverletzt bleiben; sie tragen das Siegel des lebendigen Gottes. Daneben aber stellt der Apok. ein andres Bild, und hier steht er wieder ganz auf eigenem Boden. Seiner eignen Weissagung vorauseilend sieht er schon jetzt die endlose Schaar der Märtyrer der Zukunft als Sieger und Vollendete in weißen Kleidern mit Palmen in der Hand vor Gottes Thron stehen. Er hat uns hier wieder einer seiner herrlichsten Bilder geschenkt; er öffnet die Himmelstüre und läßt einen Strahl ewiger Herrlichkeit von dort in die gequälte Welt hineinleuchten. Auch dieses Lied vom Zuge der Auserwählten zu Gottes Thron hat seine Geschichte, mit ihm trat die nordische Malerei zum ersten Mal in einen Wettbewerb mit der ihm weit voraus geeilten italienischen ein. — Darauf ertönt die siebente Posaune, und nun tritt eine Stille von einer halben Stunde im Himmel ein 8,1. Mit einem merkwürdigen Mittel erzielt der Apok. hier eine große Stimmungswirkung: Die schwüle Ruhe vor dem gewaltigen Sturme. Im Folgenden ist er dann freilich der Schilderung der Situation nicht ganz Herr geworden. Die himmlische Tempelszenerie, die er uns zeichnet, will zu dem in Kap. 4 entworfenen Bilde nicht recht stimmen. Das Auftreten der sieben Posaunenengel und der Beginn des Blasens wird durch ein Intermezzo mit ziemlich stereotypem Inhalt 8,2-5 unterbrochen. Man sieht zunächst auch nicht recht ein, weshalb der Apok. aus dem siebenten Siegel noch einmal wieder eine ganze Plagenreihe, die Plagen der sieben (sechs) Posaunen (8-9), durch welche der Fortschritt der Weissagung nicht wesentlich weiter geführt wird, sich entwickeln läßt. Wir werden vielleicht annehmen dürfen, daß ihm die letzten beiden Posaunenplagen schon als überliefertes Gut vorlagen und er diese in irgend einer Weise unter die Vorzeichen erreichen wollte. Dazu würde die Beobachtung stimmen, daß die letzten Posaunen andrerseits als die drei Wehe bezeichnet, die fünfte Posaune mit dem ersten Wehe und die sechste Posaune mit dem zweiten Wehe gleichgesetzt werden (8,13; 9,12; 11,14). Von hier aus würde sich dann erklären, wie es kommt, daß anstatt der angekündigten drei Wehe (8,13) im Verlauf der Apk nur zwei tatsächlich gebracht werden. Übernommenes Material ist hier unvollkommen verarbeitet. In der Art, wie der Apok. die drei (zwei) Wehe zu den sieben (sechs) Posaunenplagen verarbeitet, zeigt sich vorübergehend ein gewisses Erlahmen seiner Kraft. Die vier ersten Posaunenplagen sind lange nicht so großartig und mächtig, wie die vier ersten Siegelplagen. Zwischen der sechsten und siebenten Posaune ist dann abermals der glatte Fortgang der Weissagung unterbrochen. Wir können uns das kaum anders erklären, als daß der Apok. das fremde, ihm wertvoll erscheinende Stück 11,1-13 hier in seiner Weissagung aufnehmen wollte; möglicher Weise gehörten auch Stücke von Kap. 10 dieser Quelle an. Jedenfalls will der Apok. in Kap. 10 in seiner jetzigen Gestalt sich selbst und seinen Lesern von dem weiteren Verlauf seiner Weissagung Rechenschaft ablegen. Der Seher hat von neuem die Erscheinung einer Offenbarungsmittlers. [145] Diesmal eines Engels. Er muß ein Buch verschlingen: noch eine ganze Fülle von Weissagungen wird ihm anvertraut über Völker und Nationen und Zungen und Könige. Aber nach der siebenten Posaune soll doch das furchtbare Mysterion, das im Grunde eine frohe Botschaft ist, sich enthüllen. In Anlehnung an eine fremde Quelle beschreibt der Seher dann (Kap. 11), wie er sich die Geschehnisse am Ende der Dinge in Jerusalem denkt. Aber sein Herz hängt nicht mehr an diesen Vorgängen. Er eilt hinüber zur Schilderung des letzten großen Kampfes in der weiten Welt. Mit der siebenten Posaune eröffnet er diese Weissagung: Wieder hört er einen himmlischen Lobgesang. Gott hat sein Regiment schon angetreten, nun hilft alles Toben der Heiden nicht mehr; nun kommt das große Gericht über Tote und Lebende. Die Pforten des himmlischen Tempels springen schon auf; die Bundeslade, Gottes Thron erscheint. Gott ist nahe! Aber ehe nun der Apok. den nahen Kampf weissagend beschreibt, wirft er einen Blick nach rückwärts, die Flucht der Ereignisse rückt ihm in einen großen Zusammenhang ein. Die Geschichte, die er erlebt, wird ihm ein Akt im Drama des Krieges Gottes mit dem Teufel. Dieser hat bereits eine gewisse Dauer: Schon hat der Erbfeind, der Drache, mit dem jungen Sonnenkind — für den Apok. ist das Christus — den Kampf geführt; und diesen Kampf schildert der Seher uns in einem eigentümlich grotesken Bilde (Kap. 12). Tief hat er den Pinsel eingetaucht in die Farben eines uralten heidnischen Mythus; der muß ihm dienen zur Verherrlichung seines Herrn; und er schildert weiter, wie der Drache, nachdem er das Sonnenkind nicht hat töten können, das Weib, die urchristliche Gemeinde, verfolgt. Dabei aber ist ein großer Trost: In entscheidender Schlacht ist der Teufel, der Drache, im Himmel bereits besiegt und gerichtet. Um so mehr wütet er freilich auf Erden; aber sein Sturz ist nur noch eine Frage der Zeit. So hat er denn auch dem verfolgten Weibe (der urchristlichen Gemeinde) nichts anhaben können. Aber nun ist es endlich zum dritten und letzten Akt des Dramas gekommen: Der Drache hat seine Wut gegen die Übrigen vom Samen des Weibes, gegen die Christen in der weiten Welt gerichtet. Er hat seinen Diener, das Tier mit den sieben Häuptern, das römische,Imperium, gerufen (12,18), dessen furchtbares Kennzeichen, das getötete und wieder lebendig gewordene Haupt, das Widerspiel des geschlachteten Lammes, ist. D. h. das römische Reich wird seine ganze antichristliche Furchtbarkeit erst unter dem zu erwartenden Nero redivivus enthüllen (Kap. 13). Neben das erste Tier tritt als sein Gehülfe in diesem Kampf ein zweites vom Lande her kommend; offenbar eine herübergenommene mythische Figur und deshalb schwer zu deuten. Aber um so deutlicher ist es, was nach der Meinung der Apok. der Gegenstand dieses Ringens sein wird: die Anbetung des Tieres. In immer wiederholtem Refrain bohrt der Apok. dieses Wort den Hörern in die Seele. „Wenn einer Ohren hat, soll er hören. Hier handelt es sich um Geduld und Treue des Heiligen.“ Hier steht der Apok. auf der Höhe seiner Weissagung. — Im Folgenden freilich enttäuscht er uns. Wir erwarten jetzt unmittelbar die Entscheidung des Kampfes; aber diese erfolgt nicht. [146] Auch hier kann der Grund nur der sein, daß dem Apok. bestimmtes eschatologisches Material, das ihm vorlag, allzu wertvoll erschien, als daß er hätte wagen sollen, es zu unterdrücken. So setzt sich die Fülle der Gesichte fort. Einen wirkungsvollen Gegensatz zu den geschilderten Schrecknissen bringt er heraus, wenn er nun Kap. 14 das Lamm mit den 144000 Versiegelten auf dem Berge Zion erscheinen läßt. Ganz klar wird es nicht, was der Apok. sich bei dieser Szene denkt. Glaubt er vielleicht an eine Errichtung des tausendjährigen Reiches in Jerusalem noch zu der Zeit, da in der weiten Welt der Kampf tobt? Es folgen eine Reihe kurzer Ausrufe von Engeln, die wir als Klammern betrachten können, mit welcher der Apok. die einzelnen Teile seines Werkes nach allen Seiten verbindet, — und dann die rätselhafteste Partie des ganzen Buches: die Schilderung eines vorläufigen Gerichts. Aber man weiß nicht recht, durch wen und an wem vollzogen sich unser Apok. dies Gericht gedacht hat. Hier hat er, wie es scheint, am wenigsten das ihm überkommene Material durchzuarbeiten verstanden. Mit Kap. 15 knüpft er einerseits wieder an die große Weissagung in Kap. 13 an; andrerseits greift er wie in Kap. 7 den Ereignissen vor. Schon sieht er die Sieger im Kampf mit dem Tier auf dem himmlischen Meer stehen (V. 2-4); und dennoch hat er den letzten Ausgang jenes Kampfes noch gar nicht geschildert. Noch einmal zögert er dann, ehe er den entscheidenden Höhepunkt seiner Weissagung bringt. Er hat erst noch die schrecklich-schöne Weissagung, die ihm über den Fall Roms durch Nero und die Parther vorliegt, und das Klagelied über Rom in sein corpus apocalypticum einzuarbeiten. Und dazu bedarf es einer Einleitung: Kap. 15-16. Zum dritten Male greift er zu seinem beliebten Schema des Siebenzeichens und bringt das Gesicht von den sieben Schalenengeln mit ihren sieben Plagen. Hier merkt man nun allerdings deutlich, besonders auch in den Wiederholungen, welche diese Reihe von Plagen gegenüber den Posaunenplagen zeigt, die Ermattung. Nur bei den letzten Plagen, in denen der Apok. vielleicht bereits vorliegende, mit der Nerosage zusammenhängende Motive verarbeitet, wird die Darstellung wieder lebendiger. In das dann folgende eingearbeitete Bild von der Hure Babylon, Kap. 17, hat der Apok. eine gewisse Uneinheitlichkeit hineingebracht, indem er das Tier und die zehn Hörner, welche seine Quelle wesentlich als Gegner Roms auffaßt, als Gegner des Lammes hinstellt. Dann, nach dem Klagelied über Rom Kap. 18, spinnt der Apok. wieder seinen eigenen Faden weiter. Und nun endlich erfolgt, eingeleitet durch eine Reihe von Hymnen 19,1-8 — nach einem kurzen Intermezzo, in dem bereits wieder nach vorne auf die Hochzeit des Lammes verwiesen wird, 19,9-10 — die Schilderung des großen entscheidenden Kampfes. Man mag noch so stark den jüdischen Rachecharakter dieses Stückes betonen, man wird doch zugeben müssen, daß in diesem Stück (nicht 14,14-20) erst die wirkliche Krönung des apokalyptischen Gebäudes gegeben ist. In breiter mächtiger Darstellung wird der große Endkampf geschildert; mit inbrünstiger Andacht verweilt der Seher bei dem überaus herrlichen und glänzenden Bild des Siegers. Die Schlacht selbst schildert er uns nicht. Er deutet nur ungemein wirkungsvoll [147] ihr grausiges Ende an, indem er durch einen Engel die Vögel des Himmels zum Fraße rufen läßt. Aber das erwähnt er, daß die beiden großen Gegner der Gläubigen, das Tier und der falsche Prophet, besiegt und vernichtet werden. Was dann folgt (Kap. 20): Fesselung des Satans auf 1000 Jahre, das tausendjährige Reich, Loslösung des Satans, Gog und Magog, Endgericht über die Lebenden und Toten, ist zum guten Teil stereotypes Material jüdischer Apokalyptik. Aber hier und da hat der Apok. doch seine eigenen Farben eingemischt, so wenn er im tausendjährigen Reich in erster Linie die Märtyrer herrschen läßt. Als ein Künstler der Komposition aber beweist er sich, wenn er an diesem Punkt sein Buch nicht abschließt, sondern nach allen den grausigen und erschütternd ernsten Szenen ein in den hellsten Farben gehaltenes Lichtbild setzt: „Und die heilige Stadt, das neue Jerusalem, sah ich vom Himmel herabsteigen von Gott, zubereitet wie eine für ihren Mann geschmückte Braut.“ Es ist wahr, auch hier hat der Apok. eine ihm überkommene Weissagung vom himmlischen Jerusalem in sein Werk aufgenommen. Aber er hat doch mehr getan. Er hat für das farbenprächtige Bild voll orientalischer naiver Pracht einen stimmungsvollen Rahmen 21,1-8; 22,3-5 geschaffen. So läßt er sein Werk ausklingen in eine Symphonie von Licht und Farben, von Freude und Leben. Und darauf folgt der Schluß in eigentümlichen, kurz abgerissenen, stimmungsvollen Ausrufungen und Andeutungen, in denen bald der Seher, bald der Engel der Offenbarung, bald der Herr Jesus spricht. „Es spricht, der dies bezeugt: Ja wahrlich, ich komme bald. Amen, komm Herr Jesus.“

Gewiß sind, wie dieser Überblick zeigt, manche Sprünge und Risse in der Komposition des Apok., manche Stellen, an denen seine Kraft mehr oder minder erlahmt. Man wird von einem Apok. keine vollkommene abgerundete Komposition erwarten. Wenn wir aber nicht die höchsten Maßstäbe der Beurteilung anlegen und die Johannesapokalypse mit den Erzeugnissen der sie umgebenden apokalyptischen Literatur vergleichen, so wird sich mit gutem Grunde sagen lassen, daß sie das beste und reifste Erzeugnis dieser Literarturgattung ist. Kein Werk der jüdischen Apokalyptik ist so straff und kunstvoll komponiert, in keinem hat der Verfasser des Ganzen den eingearbeiteten Fragmenten und dem übernommenen Material eine so einheitliche Färbung und Tendenz zu geben, wie in diesem Buch. Man vergleiche mit ihm selbst das vierte Esrabuch mit seinen vollkommenen Gegensätzen in Anlage, Form, Stimmung und Gehalt der ersten und der letzten Visionen! Hier aber tritt uns fast auf jedem Blatt der Apok. selbst entgegen, der Kämpfer für die Wahrheit der Religion gegen ihre lügenhafte Verzerrung im Kaiserkult. Und wie baut sich doch das Ganze künstlerisch auf! Wenn sich der Apok. des öftern im Gestrüpp der apokalyptischen Überlieferung zu verirren, in der Fülle seiner Gesichte sich zu verwirren scheint, so bahnt er sich doch sicher seinen Weg hindurch. Aus den durch einander klingenden, sich verschlingenden Tönen gestaltet sich die Fuge, und bei dem mächtigen Finale der letzten Stücke vergessen wir den mühevollen Weg der dorthin geführt. Und wie [148] gut weiß der Apok. Licht und Schatten zu verteilen! Wie sicher und fest und mächtig sind wenigstens eine Reihe einzelner Bilder gezeichnet, allen voran das unvergleichliche Bild von den vier Reitern! Auch ist er ein Meister in der Kunst der Prägung kurzer einzelner Worte, mächtiger Mahn- und Weckrufe. Wie klingen diese Rufe noch in unser Ohr hinein, wie bohrt sich das Alles in unsre Seele! Und über dem Ganzen die naive, kindliche, bunte Farbenpracht. Wir dürfen uns doch freuen, daß wir in unserm neuen Testament neben der ernsten und gemessenen Briefliteratur etwas orientalische Pracht und kühne Phantasie haben. Wenn wirs nicht können, sollen wir es von unsern Großen in der Kunst, von den Van Eyck und Dürer an bis Cornelius und Böcklin wieder lernen.


  1. Die übrigens trotzdem Achtungswertes leisten (z. B. Elliott, Alford).
  2. Vgl. Abschnitt IV.
  3. Dabei lasse ich andere Bedenken bei Seite. Die doppelte Christologie, die vor allem Weyland in der Apk gefunden hat: das Lamm, das der Welt Sünde trägt, und der Messias, der zur Vernichtung der Heiden mit eisernem Szepter kommen wird, macht mir keine Schwierigkeit. Diese Doppelstimmung ist sogar psychologisch ungemein interessant. Schon in den Sendschreiben liegen die beiden Gedankenkreise in einander. Das Lamm Gottes (Kap. 5) ist zugleich der Löwe aus Judas Stamm. Auch die echt jüdisch-apokalyptischen Schilderungen des Gerichts, sind nicht notwendig quellenmäßig jüdisch. Von diesen Phantasieen lebte auch die junge christliche Kirche. Über die mehrfach erwähnten προφῆται, die man durchaus für jüdische Propheten halten will, wird unten die Rede sein. Auch die beiden Zeugen brauchen nicht notwendig aus einer jüdischen Apk zu stammen, diese Idee kann vielleicht sogar einen viel älteren Stammbaum aufweisen. Wenn endlich das ἀρνίον einige Male in der Apk wohl sicher eingeschoben ist, so darf man es deshalb noch nicht überall streichen.
  4. Rätselhaft erscheint auch der ständige Wechsel in der Vorstellung über die Offenbarungsmittler des Buches. Bald vermittelt Christus selbst seinem Seher die Gesichte, bald ist es ein unbestimmt gelassener Engel, bald ein bestimmter Engel. Am Anfang und am Schluß des Buches häufen sich die Schwierigkeiten (vgl. den Kommentar).
  5. Vischer hatte Recht, wenn er diesen Umstand bei der Anlage seiner Arbeit besonders betonte. Nur ging er in dem Schluß: weil Apk 11 und 12 jüdischen Ursprungs sind, und der Sprachcharakter der Apk ein so stabiler ist, so ist die Apk eine jüdische Schrift, viel zu schnell vorwärts. Es gibt noch einen andern Weg der Lösung.
  6. Ich erwähne nur noch, daß für mich auch der Gesichtspunkt W.s wenig Überzeugendes hat, daß der Apok. letzter Hand sich als Deuter und Herausgeber einer älteren Weissagung erweise, die er schon in seiner Zeit sich erfüllen sehe, daß daher die eigentlichen Zukunftsweissagungen der oder den Quellen zuzuweisen seien, während da, wo die Erfüllung der Weissagungen in der Gegenwart geschaut werde, im Durchschnitt der Herausgeber rede. Gerade der Apok. letzter Hand weissagt eine freilich für ihn nahe Zukunft. W. gewinnt seine Thesen durch eine Betrachtung von Kap. 17, derzufolge der Apok. letzter Hand in dem achten Haupt oder dem wiederkehrenden Tier Domitian gesehen habe. Ich halte diese Deutung für falsch (s. die Ausführung am Schluß des 17. Kap.).
  7. Man irrte da am meisten vom rechten Verständnis der Apk ab, als man meinte, daß der Mittelpunkt der Apk eine Weissagung gegen Jerusalem sei, dieses Zentrum in Kap. 11 fand, ja sogar Babel für Jerusalem erklärte. Aber auch die Forscher irren noch, welche wie Alcasar und Grotius, neuerdings Lücke, Düsterdieck u. a. annehmen, daß das Interesse des Apok. zwischen Jerusalem und Rom geteilt sei. An Kap. 11,1-2 muß man vorübergehen, wenn man den Herzpunkt der Apk sucht.
  8. Die entscheidende Anregung zum richtigen Gesamtverständnis der Apk hat uns Th. Mommsen, römische Geschichte V 1885 519ff. (namentlich 520 Anm.) gegeben, obwohl auch er das letzte Wort noch nicht gesprochen. Denn Mommsen suchte, indem er von der Voraussetzung eines einheitlichen und spezifisch judenchristlichen Charakters der Schrift ausging, diese als einen Nachklang aus der Caligulazeit zu begreifen. Vgl. auch die vorzüglichen Ausführungen von W. M. Ramsay, The Church in the Roman Empire, London 1893 p. 295–302 und the letters to the seven churches of Asia 1904 p. 93–127.
  9. Vgl. zum folgenden K. J. Neumann, der römische Staat u. d. allgemeine Kirche 1890 S. 5ff.; W. M. Ramsay, Church in the Roman empire 252ff., the letters to the seven churches 93ff.; R. Knopf, d. nachapostolische Zeitalter 1905, S. 83-105.
  10. Sueton, vita Claudii c. 25. – Apg 18,2.
  11. Die Behauptung Neumanns 5ff. 14ff., daß das Christentum erst am Ende der Regierung Domitians als eine dem Judentum gegenüber selbständige Religion der römischen Regierung bekannt geworden und damit aus dem Schutzbereich der religio licita ausgetreten sei, wird sich in dieser Bestimmtheit nicht halten lassen; vgl. die Bedenken Ramsays dagegen.
  12. Hist. LXVII 14, vgl. die Zusammenstellung der Quellenberichte über die domitianische Verfolgung in Lightfoots apostolic fathers 1890 I 104ff.
  13. Plinius Jun. epist. X 96 ed. H. Keil p. 307f.
  14. Vgl. den Artikel Kaiserkultus in Roschers Lexikon der griech. u. röm. Mythologie 907; W. M. Ramsay l. c. 275.
  15. E. Kornemann, z. Gesch. d. antiken Herrscherkulte. Beitr. z. alten Gesch. I 1902 S. 144.
  16. Die Bestimmung ist approximativ gemeint. Die Sage kann schließlich schon viel früher entstanden sein. Es ist ein einfacher Aberglaube, wenn Zahn (vgl. den Exkurs zu Kap. 17) auf Grund einiger sibyllinischer, zeitlich schwer bestimmbarer Fragmente glaubt, die Geschichte der Nerosage so genau rekonstruieren zu können, daß auf Grund dessen sich der Beweis ergäbe, unser Apok. hätte die Sage in dieser Form noch nicht kennen können. Wenn Z. meint, die Sage hätte erst in dieser Form auftauchen können, als seit Neros Verschwinden eine so lange Zeit verstrichen war, daß an eine Wiederkunft des lebenden Nero nicht mehr gedacht werden konnte, so ist dagegen zu erinnern, daß die Volkssage nicht so rationalistisch arbeitet.
  17. S. Reinach, La mévente des vins sous le haut-empire romain. Rev. archéologique. Série III. Tom. 39 1901. Nov. Dec. 350-374; vgl. A. Harnack, Th. Lz. 1902 591f.
  18. Vgl. zum folgenden: den Artikel Kaiserkult (von Drexler) in Roschers Lexikon der griech. u. röm. Mythologie II 901-919; E. Beurlier, De divis honoribus, quos acceperunt Alexander magnus et successores eius. 1890; und Le culte impérial, son histoire et organisation depuis Auguste jusqu’à Justinien 1891; Otto Hirschfeld, z. Gesch. des römischen Kaiserkultus, Sitzungsbericht d. Berl. Akad. 1888 833-862; E. Kornemann, zur Geschichte der antiken Herrscherkulte, Beiträge z. alten Gesch. I 1902 S. 51-146.
  19. So ist (unter Weglassung des καί) wahrscheinlich zu lesen (s. den Kommentar).
  20. D. h.: der Geist ist der an die Stelle Jesu tretende Paraklet.
  21. Neben die Propheten treten bereits eine besondere Rangklasse unter den Christen einnehmend die Märtyrer. Ihrem Lobpreis gilt der Abschnitt 7,9-17, ihr Siegesgesang wird 15,2-4 geschildert, sie allein nehmen an dem tausendjährigen Reich teil. Und in dem Bunde die dritten, treten die Asketen auf. 14,4 deutet der Apokalyptiker die 7,4 erwähnten 144000 auf die παρθένοι um. Auch sie nehmen eine besondere Würdestellung bei dem Lamm ein. Propheten, Märtyrer, Asketen, diese neuen Rangklassen unter den Gläubigen sind charakteristisch für die Apk.
  22. Alles Genauere über die Nerosage siehe zu den Ausführungen bei Kap. 13 und Kap. 17. Am letzten Ort wird noch über den Glauben an die Wiederkehr Neros von den Parthern gehandelt werden, den der Apokalyptiker selbst nicht mehr teilt.
  23. Die Deutung von 13,18 und 17,3ff. auf Nero scheint mir auch jetzt noch über allen Zweifel erhaben (vgl. den Kommentar).
  24. Vgl. auch noch die Erörterungen zu Kap. 1-6 (Spittas Quelle U) und Kap. 13 (Caligulahypothese).
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Zur Textkritik der Apokalypse »
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