Die Pestilenz in New-Orleans

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die Pestilenz in New-Orleans
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 432–435
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[432]

Die Pestilenz in New-Orleans.

Jetzt, wo so viele Gemüther in banger Furcht vor der Cholera schweben, die an vielen Orten mit so beunruhigender Heftigkeit zum Ausbruch gekommen ist, kann es gewissermaßen zum Troste dienen, daß alle Berichte, die wir aus den von der Cholera heimgesuchten Städten in Bezug auf die Verheerungen, welche diese Krankheit anrichtet, haben, noch lange nicht denen gleichkommen, die uns seit einiger Zeit aus New-Orleans über das seit einigen Monaten dort herrschende gelbe Fieber zugehen – eine Krankheit, welche in unserem Klima nicht vorkommen kann.

New-Orleans ist, was pestartige Krankheiten betrifft, eben so – und mit größerem Rechte – verrufen, wie Constantinopel oder Kairo. Die Herbstmonate eines jeden Jahres erzeugen dort in Folge der sumpfigen Lage der Stadt unter den glühenden Sonnenstrahlen

[433]

New-Orleans.

[434] eines südlichen Himmelsstrichs verschiedene Krankheiten, namentlich das gelbe Fieber, welches alle drei oder vier Jahre den Charakter einer förmlichen Pest annimmt. Im heurigen Jahre hat diese Krankheit eine vorher noch nie gekannte Höhe erreicht und die Zahl der Todesfälle in der Stadt New-Orleans allein beträgt täglich über zweihundert. Allerdings ist die Gesammteinwohnerzahl der Stadt New-Orleans gegen hunderttausend Seelen, aber es darf, wenn man eine richtige Vorstellung von dem Verhältniß der Todesfälle zu der Einwohnerzahl geben will, nicht unerwähnt bleiben, daß man dieselbe in eine acclimatisirte und eine nicht acclimatisirte theilt. Die erstere besteht aus den Eingeborenen und Eingewanderten, welche von dem gelben Fieber schon einmal befallen worden sind, es glücklich überstanden haben und in der Regel nie wieder davon heimgesucht werden. Die nicht acclimatisirten oder mit andern Worten diejenigen, welche das gelbe Fieber noch nicht durchgemacht haben, werden stets als eine besondere Klasse der Bevölkerung betrachtet und wenn Berechnungen über den öffentlichen Gesundheitszustand während der Fieberzeit in New-Orleans aufgestellt werden, so pflegt man die Procente der Todesfälle nur im Verhältniß zu der Zahl der nicht acclimatisirten Einwohner zu berechnen. Nun beträgt diese Zahl ungefähr dreißigtausend und da von dieser Zahl binnen zwei Monaten dreitausend von der Seuche hinweggerafft worden, so ergiebt sich hiernach, daß, wenn dieselbe ein Jahr lang in demselben Grade fortdauerte, kaum noch zehntausend Nichtacclimatisirte übrig bleiben würden. Ein in New-Orleans erscheinendes Journal berechnet sogar in einer seiner Nummern vom Monat Juni, daß bereits fünfzehntausend Personen erkrankt und entweder gestorben oder wieder hergestellt seien und sonach, da nur noch eben so viel nichtacclimatisirte vorhanden sind, die Seuche im September aus Mangel an Individuen, welche davon befallen werden können, von selbst aufhören müsse.

Diese furchtbare Statistik macht die gräßlichen Mittheilungen, die von mehreren Seiten über die Wegschaffung der Leichen gegeben werden, einigermaßen erklärlich. Es ist nämlich geradezu unmöglich geworden, die Todten alle zu begraben. Anfangs, als die gewöhnlichen an den Kirchhöfen angestellten Arbeiter ihrer Aufgabe zu erliegen begannen, wurden die Kettensträflinge zu diesem Dienste gezwungen und später Neger gemiethet, um die Leichen fortschaffen zu helfen. Aber selbst dieses Auskunftsmittel war unzureichend, obschon der Lohn, den man dafür zahlte – eine Guinee (7 Thaler) die Stunde – das californische Arbeitslohn zehnfach überstieg, und zwei Tage und Nächte thürmten sich die Haufen der unter den sengenden Sonnenstrahlen des Südens verwesenden Leichen immer höher auf. Sogar die Sklaven und Verbrecher konnten nur dadurch, daß man ihnen neben dem ungeheuren Lohn vollauf Branntwein zu trinken gab, bewogen werden, auf den Kirchhöfen zu arbeiten. Auf einigen zog man mit dem Pfluge lange Furchen, in welchen man die Leichen gut oder übel verscharrte, bis man sich endlich zu wiederholten Malen genöthigt sah, sie zu verbrennen.

„In den Hospitälern“ – erzählt ein Reisender, welcher zu der Zeit, wo die Seuche am heftigsten wüthete, in New-Orleans anwesend war – „geht es entsetzlich zu und es ist ein wahres Wunder zu nennen, daß von den hierhergeschafften Patienten wirklich dann und wann einer wieder hergestellt wird. In dem einen Zimmer, welches ich besuchte, befinden sich ungefähr vierzig Frauenzimmer. Sie lagen auf Hängematratzen zu beiden Seiten des Zimmers mit gerade nur so viel Zwischenraum, daß die Wärter den armen Kranken ihre Medizin reichen konnten. Auf der einen Matratze lag eine Mutter, die so eben an dem schwarzen Erbrechen gestorben war und dicht daneben die Tochter, die sich von den Qualen des Fiebers gefoltert hin und her krümmte und obendrein noch die leblose Hülle der Mutter vor den Augen hatte. Auf der andern Seite lag ein junges Frauenzimmer aus Tenessee, die eben erst in’s Hospital gebracht worden war und sich im ersten Stadium der Krankheit befand. Auf der einen Seite neben ihr lag eine Frau, die, weil sie rasete, an ihr Bett festgebunden war, auf der andern die so eben gestorbene Mutter, und man kann sich leicht denken, welches Schicksal der Anblick solcher Nachbarn der neu aufgenommenen Kranken bereiten mußte. Auf einer andern Lagerstätte lagen drei Kinder, deren Eltern bereits gestorben waren und ich konnte mich nicht des Gedankens erwehren, daß es für diese armen Kinder wohl das Beste sei, wenn sie ihren Eltern in das bessere Jenseits nachfolgten. In dem untern Zimmer lagen ungefähr vierzig Männer in den verschiedenen Stadien der Krankheit. Hier waren die Lagerstätten in drei Reihen übereinander angebracht. Viele dieser Kranken hatten das schwarze Erbrechen, andere raseten und waren an ihr Lager festgebunden. Einige stöhnten, andere fluchten und lästerten, wenige waren ruhig. Es ist wirklich, wie ich schon vorhin sagte, ein wahres Wunder, daß doch einer oder der andere dieser Patienten, die hier von Todten und Sterbenden umringt sind und immerwährend Leichen an sich vorübertragen sehen, wieder hergestellt wird. Viele sterben vor Schrecken und andere, wie ruhig sie auch sein mögen, müssen alle Hoffnung verlieren und der Verzweiflung anheimfallen. Sobald als das Leben aus dem Körper entschwunden ist, wird der Todte in einen von den Gefangenen des Arbeitshauses gefertigten, nothdürftig schwarz angestrichenen Sarg gelegt. Der Stadtwagen fährt an dem Hospitale vor, die Särge werden – etwa drei oder vier auf die Ladung – daraufgesetzt und so durch die Straßen gefahren, ohne daß man sich die Mühe nähme, den Wagen oder auch nur die einzelnen Särge zuzudecken. Der heißen Sonne ausgesetzt, fährt man sie eine lange Strecke durch die Hauptstraßen der Stadt nach den Kirchhöfen. In dem Hospital erscheinen fortwährend eine Menge Leute, welche ihre hier liegenden Freunde besuchen wollen, aber natürlich nicht vorgelassen werden können, weil die Patienten so ruhig als möglich gehalten werden müssen.

„Gestern – Sonntag Morgen – befanden sich die Bürger des vierten Distrikts in einem Zustande von großer Aufregung. Wegen der großen Anzahl von [435] Leichen, die nach dem Kirchhofe des vierten Distrikts geschickt worden waren, konnten dieselben nicht so schnell begraben werden, als es eigentlich hätte geschehen sollen, so daß gestern früh noch ungefähr fünfzig unbegrabene Leichen dalagen. Viele davon lagen schon seit achtundvierzig Stunden da. In Folge der Zersetzung der Leichname durch die Sonnenhitze waren viele Särge geplatzt und der Gestank so entsetzlich, daß viele der Näherwohnenden ihre Häuser verlassen mußten. Ich war heute Nachmittag auf dem Begräbnißplatz, wäre aber beinahe wieder umgekehrt, so entsetzlich war der Verwesungsgeruch, der mir schon aus weiter Ferne entgegenkam. Als ich an dem Thore des Kirchhofes anlangte, war das Erste, was meine Aufmerksamkeit anzog, ein altes Negerweib, welches dicht vor dem Kirchhofe ihre Bude aufgeschlagen hatte, wo sie Aepfel, Pfirsichen, Pasteten, Kuchen, Eistorten, Bier und Branntwein verkaufte. Ohne Zweifel hatte sie gute Kunden an den zahlreichen Irländern und Deutschen, welche die Todten hier herausschaffen und begraben helfen. Ich glaube, sie hätte noch mehr verdienen können, wenn sie Kampher[WS 1] verkauft hätte, denn ich fand während der Stunde, die ich auf dem Kirchhofe zubrachte, daß Kampher etwas Herrliches war. Eine Anzahl Kettensträflinge waren eben beschäftigt, lange Gräben, ungefähr achtzehn Zoll tief und etwa fünfzig Fuß lang, zu ziehen. In diese wurden dann die Särge, immer sechs neben einander, hineingelegt, dann Kalk darauf geworfen und Erde darüber gehäuft. Die Deckel der Särge ragten dabei immer noch fünf bis acht Zoll aus der Erde hervor. Als ich fortging, waren noch etwa zwanzig Särge zu begraben, da aber die Gräben schon fertig waren und die Kettensträflinge die Särge blos hineinzusetzen und mit Erde zu bedecken hatten, so mußten sie bald damit fertig sein. Die Neger waren alle betrunken und ließen die Koffer in der Regel mehrmals fallen, ehe sie dieselben in die Gräben hineinbrachten. Einen furchtbaren Anblick gewährten die von der Sonnenhitze aufgeschwellten Leichen, die ihre Särge zersprengt und wie durch Anwendung von Körperkraft die Bande zerrissen hatten, welche ihre Hände und Füße zusammenhielten, so daß sie dieselben weit und starr von sich streckten.

Man sollte glauben, daß eine auf solche Weise heimgesuchte Stadt in die tiefste Trauer versenkt sein müßte und von öffentlichen Vergnügungen nicht die Rede sein könnte, aber dies ist keineswegs der Fall, und die Journale von New-Orleans enthalten Ankündigungen von Bällen und Regatta’s (Ruderwettfahrten), als ob der Würgengel der Pest noch niemals seinen Fuß auf diesen Boden gesetzt hätte. So gewöhnt sich der Mensch an Alles, selbst an das Furchtbarste.

Was die Stadt New-Orleans an und für sich betrifft, so ist sie niemals nach einem angemessenen System kolonisirt worden. Man hat in der Mitte eines Sumpfes eine große Stadt gebaut und es der Sklavenarbeit überlassen, den Boden anzubauen, während die Eigenthümer desselben sich einem üppigen, unthätigen Leben hingaben. Da ist nun freilich die Entstehungsgeschichte der großen nördlichen und westlichen Staaten eine ganz andere.

Die Wahrscheinlichkeit ist nicht dafür, daß irgend etwas Wirksames unternommen werden könnte, um diesen Staat der Gewalt einer so furchtbaren Seuche zu entreißen und dennoch läßt sich fast mit Bestimmtheit nachweisen, daß dieselbe in frühern Zeiten dort gänzlich unbekannt war. Daß wirklich derartige Veränderungen stattfinden, ist außer allen Zweifel gesetzt. Constantinopel zum Beispiel, wo jetzt die Pest fast alle Jahre einmal ausbricht, ward in früheren Zeiten als eine der herrlichsten und gesündesten Städte der Welt betrachtet und in den Niederungen von Mexiko wußte man zu der Zeit, wo die Europäer zuerst dorthin kamen, von dem gelben Fieber noch nichts. Ein aus dieser Thatsache sich von selbst ergebender Schluß ist, daß für den öffentlichen Gesundheitszustand durch geeignete Maßregeln sehr viel gethan werden kann. Wir fürchten uns im neunzehnten Jahrhundert nicht mehr vor der orientalischen Pest, die früher durch ein Bündel Lumpen nach Europa verschleppt werden konnte und vielleicht ist die Zeit nicht mehr fern, wo auch die Choleraepidemie siegreich bekämpft ist.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. ein aus dem Kampferbaum gewonnenes Heilmittel