Die Psalmen Salomos/Einleitung

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Einleitung[Bearbeiten]

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Die Psalmen Salomos.
Einleitung.

Die Sammlung von 18 Liedern, welche unter dem Namen Psalmen Salomos (ψαλμοὶ Σολομῶντος) in den altchristlichen Kanonverzeichnissen bald unter den Apokryphen, bald unter den Antilegomena aufgeführt werden, war lange Zeit verschollen. Erst am Anfange des 17. Jahrhunderts geriet der Augsburger Bibliothekar David Hoeschel wieder auf ihre Spur, und nach Hoeschels Tode hat der Jesuit de la Cereda sie 1626 erstmals veröffentlicht. Seitdem sind die Lieder mehrfach herausgegeben worden; zuletzt in Swetes Old Test. in Greek III (Cambr. 1894), 765 ff. auf Grund des Cod. Romanus (Vet. gr. 336) mit den Varianten der Codd. H[avniensis], M[osquensis], P[arisinus], V[indobonensis] und am Vollkommensten (auf Grund der fünf genannten und drei weiterer Handschriften [zweier vom Athos und eines Casanatensis in Rom], zugleich mit dem Nachweise, daß M, P, V direkt oder indirekt aus H geflossen sind) durch Oskar von Gebhardt (Leipzig 1895).

Daß die Psalmen nicht von Salomo herrühren, überhaupt mit ihm nichts zu thun haben, konnte schon ein oberflächlicher Blick in ihren Inhalt lehren. Man konnte sich darüber bald klar sein, daß wir es in der Liedersammlung mit einem Stücke pseudepigraphischer Litteratur zu thun haben, und die Frage konnte nur sein, ob die Lieder in der That aus Salomo oder aus seinem Geiste heraus gedichtet, oder ob sie etwa nur von späteren Sammlern oder Bearbeitern nachträglich Salomo zugeschrieben seien. Das letztere ist nach dem Inhalte der Lieder das Wahrscheinlichere; denn im Texte selbst tritt nirgends eine Beziehung aus Salomo zu Tage. Es darf demnach angenommen werden, daß die Überschriften (wie auch das διάψαλμα 17, 29. 18, 9) lediglich späterer Zusatz sind, der dem Glauben Ausdruck leiht, daß, wie der kanonische Psalter kurzweg David als Verfasser zugeschrieben wurde, so dieser zweite Psalter Salomo angehöre (vgl. 1 Kön. 5, 12).

Als das Zeitalter der Psalmen ist neuerdings (besonders seit Wellhausens Schrift: Die Pharisäer und Sadduzäer, Greifsw. 1874) fast übereinstimmend das 1. Jahrhundert v. Chr. erkannt, genauer die Zeit der letzten Hasmonäer und der Eroberung Jerusalems[128] durch Pompejus. Auch die nachfolgende Übersetzung und Erläuterung der Lieder geht von dieser Annahme als der allein richtigen aus. Allerdings sind in früherer Zeit mehrfach, und neuestens wieder durch Frankenberg (Die Datierung der Ps. Sal., Gieß. 1896), Versuche gemacht worden, die Psalmen auf andere Zeitverhältnisse (bes. die unter Antiochus Epiphanes) zu beziehen. Aber die Hinweisungen einzelner Lieder gerade auf die oben genannte Zeit, vor allem auf das Auftreten und die Schicksale des Pompejus selbst (Ps. 2. 8. 17), sind zu deutlich, als daß man an einen früheren oder auch — wie einzelne meinten — einen späteren Gewalthaber (Herodes) denken könnte. Sind aber die wichtigsten Lieder für diese Zeit gesichert, so ist bei dem im Ganzen einheitlichen Charakter der Sammlung die höchste Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß ihr auch die andern Lieder angehören. Zeitliche Unterschiede innerhalb der Sammlung lassen sich nur insofern wahrnehmen, als die Mehrheit der Lieder unmittelbar oder bald nach dem Eindringen des Pompejus in Jerusalem (63 v. Chr.), Ps. 2 bald nach seinem Tode (48 v. Chr.) und vielleicht einzelne Lieder, wie Ps. 4, einige Jahrzehnte früher gedichtet sind (s. zu Ps. 4). Es würde sich also die Zeit zwischen 63 und 45, vielleicht zwischen 80 und 45 v. Chr. ergeben.

Als Ort der Abfassung wird man am Besten Palästina annehmen. Wenigstens spricht keinerlei Anzeichen für ein anderes Land, wohl aber weist sowohl der Inhalt der Lieder, als ihre Abfassung in hebräischer Sprache (s. u.) und ihre Bestimmung für den synagogalen Gottesdienst am Meisten auf das palästinensische Mutterland der jüdischen Gemeinde.

Sind nun die bisher angenommenen Bestimmungen des Zeitalters und des Ortes der Abfassung unserer Liedersammlung richtig, so besitzen wir in ihr eine ganz hervorragende Quelle für die Stimmung innerhalb des palästinensischen Judentums der letzten Zeit vor der Geburt Jesu Christi. Die Strömungen und Parteiungen im jüdischen Volke jener Tage, die politischen und religiösen Ideale derjenigen Gruppe, aus deren Kreisen heraus unsere Lieder gedichtet sind, und vor allem ihre hochgespannte messianische Erwartung (vgl. Ps. 17. 18), treten uns mit voller Deutlichkeit vor die Seele. Die Herrschaft liegt bis auf Pompejus’ Eingreifen in den Händen der hasmonäischen Priesterfürsten, mit denen die sadduzäische Partei im engsten Zusammenhange steht. Die Lieder können somit nur den Kreisen der pharisäischen Partei entstammen. Sie war, wie wir aus Josephus ersehen, mit dem Gang der Dinge seit den Tagen des makkabäischen Aufstands aufs Äußerste unzufrieden. Ihr Ideal war die alte königlose Verfassung der früheren nachexilischen Zeit; in ihr schien den Pharisäern das Wesen der jüdischen Theokratie am Besten verwirklicht. Dagegen mußte ihnen ein Priestertum in der Weise des hasmonäischen, das sich in weltliche Unternehmungen und Kämpfe einließ, ja sogar den königlichen Purpur mit dem Priestermantel vereinigte, ein Dom im Auge sein (vgl. Wellh. a. a. O. S. 93 f.). Die Lieder begrüßen deshalb den Untergang der hasmonäischen Herrschaft als ein gerechtes Gottesgericht mit unverhohlener Befriedigung, und nur soweit Pompejus den ihm gewordenen Auftrag überschreitet, wird ihm Tadel zu Teil.

Die theologische Bedeutung der Lieder beruht wesentlich darauf, daß wir aus ihnen ein treues Bild der pharisäischen Frömmigkeit jener Tage gewinnen. Wir verstehen von ihm aus die Zeichnung, welche die Evangelien von den Pharisäern entwerfen, und den Widerstreit, in den Jesus zu ihrer Frömmigkeit geraten mußte. Es geht durch die Lieder ein tiefer Gegensatz zwischen fromm und gottlos, zwischen Gerechten und Sündern, und demgemäß ein tiefes Streben nach Frömmigkeit und ein aufrichtiges Hochhalten derselben. Aber der Begriff von Frömmigkeit und Gerechtigkeit hat doch einen recht äußerlichen Charakter. Die Frommen sind die sich an die (pharisäischen) Satzungen Haltenden (14,2), die Gottlosen und Sünder ihre Gegner, die Sadduzäer. Daß sich auch in den Kreisen der Andersdenkenden Frömmigkeit finden könnte, ja daß sich Frömmigkeit auch unabhängig von der Parteistellung und „Gerechtigkeit“ auch ohne die in pharisäischen Kreisen hergebrachte strenge Gesetzlichkeit denken ließe, kam[129] dem (resp. den) Verfasser(n) nicht in den Sinn. So werden die Gegner, d. h. die Sadduzäer und ihr Anhang, als Ganzes verurteilt, und sie sind darum schon an sich die Gottlosen und Sünder, wogegen des Dichters Freunde, die Pharisäer, schon an sich die Frommen, Gerechten und Heiligen sind. Wie sich von hier aus bei strengerer sittlicher Betrachtungsweise die Überzeugung Bahn brechen mußte, daß die „Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten“ dem Ideal der Gerechtigkeit sehr fern, und die Pharisäer in Gefahr seien, hochmütiger Selbstgerechtigkeit zu verfallen, zeigt nichts deutlicher, als die Stellung Jesu zu den Pharisäern; vgl. Matth. 5,20.

Dies wird noch deutlicher, wenn die Äußerungen über Fromme und Gottlose, d. h. Pharisäer und Sadduzäer, im Einzelnen ins Auge gefaßt werden. Wohl ist der Mensch in Beziehung auf sein allgemeines Lebenslos der göttlichen Bestimmung unterworfen (5,4), aber im Übrigen hängt sein ganzes Ergehen ab von seinem Thun nach freier Wahl (9,4). Der Fromme kann nun aber eigentlich nicht sündigen; er versieht sich nur gelegentlich, sorgt aber schleunigst wieder für Sühne (9,6). Deshalb wird ihm höchstens zeitweilig Züchtigung zu Teil (10,1 ff.), und zwar ganz im Geheimen, um ihn vor den Gottlosen nicht bloßzustellen (18,8); im Übrigen aber ist den Frommen die Teilnahme am Reiche Gottes sicher, bezw., wenn sie schon vor dem jüngsten Tage gestorben sind, die Auferstehung zum ewigen Leben. Die Gottlosen dagegen fallen von einer Sünde in die andere; sie werden deshalb hinweggerafft und verfallen dem ewigen Verderben (3,3–12. 13,11 f. 14). Und zwar trifft die Vergeltung mit unfehlbarer Sicherheit: beide Teile sind schon jetzt von Gott gezeichnet, so daß er sie am Gerichtstage leicht finden kann (15,6.9 ff.). Und in der selbstzufriedenen Gewißheit, daß Gott die „Gottlosen“ schon bisher um ihrer Sünden willen empfindlich heimgesucht hat und unfehlbar noch ganz und gar und in alle Ewigkeit zunichte machen wird, preist der Dichter einmal über das andere Gottes gerechtes Walten, das er besonders in dem Auftreten des Pompejus gegen Aristobul und dem ganzen Schicksale der Hasmonäer erkennt; vgl. Luk. 18,11.

Ein besonderes Kennzeichen der religiösen Stimmung dieser Kreise ist nun endlich noch die hochgespannte messianische Erwartung, wie sie unsere Lieder durchweht; vgl. besonders 17,21 ff. 18,5–9. Der Messias ist Davids Sohn und König Israels; er hat die Aufgabe, Jerusalem von den Heiden zu reinigen und alle Gottlosen niederzuschlagen (17,21–25). Dann wird er in Jerusalem ein Reich von Gerechten und Heiligen gründen. Fremde sind nicht zugelassen; vielmehr sollen nur heilige, gesetzestreue Juden in Jerusalem wohnen (17,26–29). Darauf unterwirft er alle Heiden seinem Scepter, daß sie freiwillig kommen, seine Herrlichkeit zu sehen, und die zerstreuten Glieder des Gottesvolks von allen Enden herbeibringen (17,30–32). Das alles vollbringt er in der Hilfe des Herrn, nicht in irdischer Kraft, und weil er rein von Sünde ist und voll heiligen Geistes, so daß sein Wort gleich Engelsworten gilt; es sind selige Tage (17,33–37.43 f. 18,6 ff.). — Es läßt sich leicht erkennen, in welchen Punkten sich das Messiasbild Jesu mit diesen Erwartungen deckte, und in welchen er grundsätzlich von ihnen abwich. Von hier aus — im engsten Zusammenhange mit dem tiefgreifenden Auseinandertreten des beiderseitigen Begriffs von Gerechtigkeit — erklärt sich von selbst die ablehnende Haltung der Pharisäer gegen Jesus. Sie mußte mehr und mehr zur erbitterten Feindschaft werden, je deutlicher Jesus mit dem Anspruch hervortrat, selbst der Messias zu sein, und je weniger er in der Lage war, diesem Bilde zu entsprechen.

Die Sprache, in der wir den Psalter Salomos heute besitzen, ist die griechische. Es läßt sich aber mit voller Sicherheit behaupten, daß die heutigen Texte nicht die Urgestalt der Lieder darstellen, sondern lediglich eine Übersetzung für die Zwecke der griechisch redenden Judenschaft, bezw. der christlichen Kirche. Dies geht hervor weniger aus dem stark hebraisierenden Dialekt der Lieder, als vielmehr aus der Thatsache, daß dieselben (vgl. διάψαλμα[130] und die Überschriften) im synagogalen Gottesdienste gesungen wurden, sowie besonders aus einer Reihe merkwürdiger Fehler im heutigen Texte, die sich unmöglich aus dem Irrtum eines griechischen Abschreibers, sondern nur aus einem solchen des Übersetzers oder des hebräischen Abschreibers (s. u.) erklären lassen. Erst die Annahme eines hebräischen Originals schafft in manchen Fällen Klarheit. Das letztere haben wir uns, wie unsere ältesten Bibeltexte, unpunktiert zu denken.

Für die nachfolgende Übersetzung ist die musterhafte Ausgabe von O. v. Gebhardt zu Grunde gelegt. Dort findet sich auch fast alle weitere Litteratur (S. 139) verzeichnet; man vergleiche außerdem noch Schürer, Gesch. des jüd. Volks³ III, 150 ff.; PRE² XII, 346 ff. und Frankenberg (s. o.). Wo die Übersetzung von v. Gebhardts griechischem Texte abweicht (die Stichenabteilung ist ab und zu freier gehandhabt), d. h. einen anderen griechischen Text voraussetzt (s. u.), giebt das Zeichen ‘ ’ nebst der zugehörigen Anmerkung darüber Auskunft. Außerdem lag dem Übersetzer eine von Franz Delitzsch herrührende Rückübersetzung der Lieder ins Hebräische (Eigentum der Leipziger Universitätsbibliothek) handschriftlich vor. Sie ist ab und zu durch „Del.“ citiert. — Die Übersetzung ist darauf bedacht, die (hebräische) Urschrift möglichst treu wiederzugeben. Es verstand sich deshalb von selbst, daß sich der Übersetzer mit dem uns vorliegenden griechischen Texte nicht zufrieden geben durfte, sondern daß ihm durchgehends die hebräische Vorlage desselben vorschweben mußte. Vielfach kann den griechischen Worten nur durch Zurückgreifen auf jene ein befriedigender Sinn abgewonnen werden. Hierher gehört neben anderen Erscheinungen besonders die vielfach unrichtige Wiedergabe des hebr. Imperfekts (auch wo es aoristische oder präsentische Bedeutung hat, z. B. 2,10. 15. 18. 29) durch das griech. Futurum. Besonders aber verdient zur Erläuterung der nachfolgenden Übersetzung die dreifache Möglichkeit, auf die zu achten war (vgl. auch das oben über die Sprache der Psalmen Bemerkte), Erwähnung: a) daß der griechische Übersetzer in gewissen Fällen (z. B. 2,10. 15. 18. 29. 3,2. 5,18. 17,42) einen von ihm richtig gelesenen hebräischen Text unrichtig oder nur halb richtig übersetzt; b) daß er selbst je und dann den (unpunktierten) hebräischen Text unrichtig las (z. B. 2,23. 25. 5,13. 8,3); endlich c) daß ihm bereits ein durch ein Versehen des hebräischen Schreibers verderbter hebräischer Text vorlag, den er aus Scheu vor dem überlieferten nicht zu ändern wagte (z. B. 4,9. 5, 14. 17,34). In allen diesen Fällen ist der Sinn der hebräischen Urschrift, nicht der des griechischen Textes, wiedergegeben, ohne daß jeder einzelne Fall durch ein besonderes Zeichen kenntlich gemacht wäre; dagegen sind die wichtigeren Fälle dieser Art in den Anmerkungen erläutert.


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