Die Reichshauptstadt beim Tode des Kaisers

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Titel: Die Reichshauptstadt beim Tode des Kaisers
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 173–176
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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[173]

Die Reichshauptstadt beim Tode des Kaisers.

Am achten März.

Düster brach der 8. März 1888 an. Es war, als ob die Natur den Menschen den Schicksalsschlag vorher verkünden wollte, der das deutsche Volk bedrohte.

Unsichtbar schwebte der Todesgenius über dem kaiserlichen Hause in Berlin, um das Maß der Prüfung voll zu machen. Schon seit Tagen wehte dort halbmast die Standarte, als Zeichen der Trauer um den frühzeitig verschiedenen kaiserlichen Enkel Prinz Ludwig von Baden, und jetzt rang dort mit dem Tode der größte Herrscher unserer Zeit, der Heldenkaiser. Und wie die Wagschale des Lebens stieg und sank, so wogten Freude und Trauer durch die Kaiserstadt und die weiten deutschen Lande.

Wer an jenem Tage mit dem Schnellzuge der Hauptstadt des Reiches entgegenstrebte, der konnte jenes Hangen und Bangen, Hoffen und Trauern von Stadt zu Stadt verfolgen. Hier das dunkle Gerücht. „Der Kaiser soll gestorben sein!“ Auf der nächsten Station keine Nachricht; aber dort und dort hat man in allen Kirchen von 8 bis 9 Uhr läuten lassen. Dann wieder: „Es ist nicht wahr; es geht dem Kaiser besser!“

Endlich hält der Zug in der Hauptstadt. Der Kaiser „Er soll leben,“ lautet die Antwort des Bahnbeamten. „Die Todesnachricht ist dementirt worden,“ entgegnet der Droschkenkutscher. Er lebt! jubelt Berlin; sie war falsch, die Nachricht der Extrablätter, welche konfiscirt wurden.

Versuchen wir im nachstehenden jenen düstern Tag in Berlin zu schildern, die Eindrücke wiederzugeben, die schnell auf einander folgten. Ein besonders geräuschvolles und wechselndes Hin und Her entwickelte sich bereits [174] Vormittags vor dem mit dem kaiserlichen Wohnsitze verbundenen „Niederländischen Palais“ und dem daran grenzenden Hôtel du Nord, in welchem ersteren die großherzoglich badische Familie Quartier genommen, während in dem letzteren die Generaladjutanten Zimmer innehatten. Durch die Behrenstraße in der Richtung nach den Linden flogen die königlichen Equipagen. Man sah in ihnen hohe Offiziere, welche sich in das Palais begaben oder von dort zurückkehrten. Viele hatten Schriftstücke in der Hand, welche anscheinend empfangene Ordres enthielten.

Während aber Morgens und bis

Schutzmann, lebt der Kaiser?

Mittag die Besorgnisse vor der unmittelbar bevorstehenden äußersten Entscheidung das Publikum noch nicht ergriffen hatten, verbreitete sich fünf Uhr Nachmittags plötzlich das Gerücht, daß der Kaiser gestorben sei. Wie ein Lauffeuer ging’s durch die ganze Stadt. Fürst Bismarck fuhr in einer königlichen Equipage vom Reichstag ins Palais, wo sich Prinz und Prinzessin Wilhelm, sämmtliche Mitglieder der königlichen Familie und die höchsten Hofschargen versammelt hatten. Aber dem in Ungewißheit harrenden Publikum ward für diesmal noch die Beruhigung, daß der Kaiser trotz starker Schwäche lebe! Ja, die Hoffnung auf seine Erhaltung wurde noch einmal lebendig; man vernahm auch, daß im Palais in der unmittelbarsten Umgebung die Worte gefallen. „Ein Kranker mit so klarem Blick sei dem Tode noch nicht nahe! Seine eiserne Natur werde den Anfall überwinden!“

Mehrfach war der hohe Kranke bei vollem Bewußtsein. Er blickte liebevoll auf seine Gemahlin, die ihm die Hand reichte; er traf Anordnungen für sein Begräbniß, welches von der Schloßkapelle aus stattfinden solle.

Als höchst ergreifend und rührend wird geschildert, wie der Hofprediger Dr. Kögel dem Kaiser einen Bibelvers vorsprach und wie dieser denselben andächtig wiederholte und sich über den erhebenden Inhalt äußerte.

Im Westviertel erhielt sich während der Spätnachmittagsstunden das Gerücht von dem Ableben des Kaisers. Vor den Häusern standen eifrig redende Menschen mit besorgten Mienen; Militärs trafen sich auf den Pferdebahnwagen,

Extrablatt vor dem Palais am Morgen des 9. März.

machten sich – gemeinsam bewegt von dem einen Gedanken – mit einander bekannt und besprachen die Eventualitäten.

Als dann halb sechs Uhr die Glocken des Domes bei Gelegenheit der kirchlichen Fürbitte ertönten, deutete man in den ferneren Stadttheilen diese ungewohnten Klänge als das Zeichen des bereits Geschehenen. Dann aber kamen doch wieder die ermuthigenden Nachrichten, daß der Kaiser lebe und sich sogar wohler fühle. – Mit der zunehmenden Dunkelheit jedoch hob sich wiederum die ängstliche Spannung und Unruhe. Die Droschken wurden besetzt und die Pferdebahnwagen waren überfüllt, weil alles dem Centrum zueilte.

An der Ecke des Café Bauer Unter den Linden staute sich die Menge dergestalt, daß nicht durchzukommen war. Das Licht aus den großen Scheiben überfluthete den sich drängenden Knäuel, der nicht vor- noch rückwärts konnte und auf den ein andauernder Sprühregen herabrieselte.

Eine ungeheuere Bewegung kam unter die Zahllosen, als plötzlich „Neuestes!“, der Ruf der Extrablatthändler, erscholl. Die Zeitungen meldeten fälschlicher Weise den Tod des Kaisers, wurden aber sogleich konfiscirt, und von Seiten des Polizeipräsidiums ergingen telegraphische Mittheilungen an sämmtliche Bureaux des Inhalts: “Der Kaiser lebt!“

Unvergeßlich bleibt dem Beschauer das Bild vor dem Palais etwa um die achte Abendstunde. Das dort angeschlagene Bulletin von Abends 7 Uhr 15 Minuten hatte wieder die Hoffnungen gehoben die sich noch in allen Herzen regten.

Im weiteren Verlauf des Abends nahm der Regen zu. Unter den Schirmen stand eine zu Tausenden und aber Tausenden angewachsene Menge, schaute auf das erleuchtete Schloß, beobachtete die Bewegung im Fahnenzimmer, im Vestibül, schob sich, von den reitenden Schutzmännern innerhalb gewisser Grenzen gewiesen, nach der Opernhausseite hin und warf von hier aus die Blicke auf die Fenster neben der Bibliothek. Es waren aber die Vorhänge in dem Arbeitszimmer herabgelassen.

Im Innern standen um das Lager des unvergeßlichen Helden, des edlen, großen Mannes, des zärtlichen Familienvaters die nächsten Angehörigen, voran die Großherzogin von Baden, aber auch die Aerzte, des Kaisers Halbschlaf behorchend, oder zu Dienstleistungen bereit.

Um dieselbe Zeit ereignete sich Unter den Linden auch ein kleiner, für die Theilnahme des Publikums bezeichnender Zwischenfall. Ein Schutzmann, der aus dem Seitengang des Palais gekommen war und seine Schritte an die Ecke der Charlottenstraße lenkte, ward im Nu umringt und ausgefragt. In demselben Augenblicke fuhr eine Privatequipage vorüber und die Inhaberin des Koupés sah, daß der Beamte Antwort ertheilte.

Rasch ließ sie halten, sprang aus dem Wagen heraus, zertheilte die Menge und fragte, wie es mit Majestät stehe.

„Er lebt und es scheint besser zu werden!“ –

Es hätte wenig gefehlt, daß die Dame den Verkünder der frohen Botschaft umarmt hätte!

Unglaublich war das Gewühl und Gedränge um Mitternacht in den Cafés unter den Linden. Dem Ort der Trauer nahe zu sein, drängte die Bevölkerung. Es war z. B. ein fast endloses Aus und Ein in dem Etablissement Bauer, und einen ungeheuren Kontrast bildete gegen dieses lebendig fluthende Gewoge in den lichtdurchströmten Räumen das in tiefem Schweigen und in Dunkelheit ruhende Palais: das Sterbehaus, auf das ein dichter feiner Regen vom Himmel herabrieselte, der somit gleichsam auch noch in letzter Stunde sein Mitweh und seine Mittrauer an den Tag legte.

Am neunten März.

Eine schwere, aufregungsvolle Nacht hatte Berlin hinter sich, als die ersten Lichtstrahlen im Osten den Anbruch des neuen Tages verkündeten, und trübe, wie der 8. März geschieden, brach der folgende Morgen an. Und mit der Millionenstadt erwachte die alle Herzen bewegende Frage. „Wie geht es dem Kaiser?“

Jedes Ohr lauschte mit Bangen, ob nicht Extrablätter verkünden würden, wie er die Nacht zugebracht und ob er den Tag noch erlebt habe. Und horch, nun schallt es durch die von regem Leben erfüllten Straßen: „Neuestes!“ „Neueste Nachrichten vom Befinden des Kaisers!“

Gott sei gedankt, mit verhaltenem Athem hatte man gehorcht, was die Unglücksboten rufen würden! Das Schlimmste, nein es ist noch nicht eingetroffen; gebe der gütige Himmel, daß wir noch lange, lange darauf warten müssen!

[175] Aber was ist das?! – Wir sind den „Linden“ nahe, dicht beim Opernhaus, dort, wo sich, gegenüber der Universität, die Denkmäler der Helden aus den Befreiungskriegen erheben. Nahe vor uns bilden sich kleine Gruppen; sie wachsen an, dann stieben sie aus einander. Dort ballen sich neue zusammen, immer enger, immer dichter, man sieht die Aufregung in diesen schwarzen Menschenklumpen; eine Frau drückt das Tuch vor die Augen – mein Gott, sollte … man wagt es nicht zu denken, man will es nicht denken; es kann, es darf nicht sein, und doch, jetzt schallt es uns entgegen, dumpf, verhalten, mit ängstlichem Schauer. „Der Kaiser soll soeben gestorben sein!“

Der Kaiser auf dem Todtenbett.

Aber wir weisen ihn zurück, den furchtbaren, den niederschmetternden Gedanken. Dasselbe entsetzliche Gerücht war auch gestern Nachmittag verbreitet und hatte fieberhafte Aufregung hervorgerufen, es wird auch diesmal derselbe Fall sein, und das Mütterchen an unserer Seite wird gewiß Recht behalten, wenn es sagt: „Wer todt gesagt wird, der lebt noch lange!“ Ach, wie gern erfreuen wir uns an diesem trügerischen Hoffnungsschimmer! – Nun sind wir endlich angelangt bei den „Linden“, es ist kurz vor neun Uhr. Welch ein tiefergreifender, erschütternder Anblick: in weitem Viereck stehen ungezählte Menschenmengen um das Palais; ein ernstes, unheilbrütendes Schweigen liegt um das eherne Denkmal des Großen Friedrich ausgebreitet; man hört kein lautes Wort, keinen lärmenden Ton; die Schutzleute in ihren langwallenden schwarzglänzenden Regenmänteln haben ein leichtes Amt; jeder folgt ihrem Wort, keiner übertritt die abgesperrte Grenze. Und auch hier fliegt das Gerücht von Mund zu Mund! „Der Kaiser soll todt sein!“ – und auch hier widerspricht man ihm! „Nein, er ist nicht todt, es ist nicht möglich!“ Und aller Blicke richten sich auf das historische Eckfenster des Parterres, als könnte man dort die theuren, milden Züge des greisen Herrschers hinzaubern, als könnte er erscheinen an derselben Stelle, wo man ihn so oft erblickt, wo man ihm so oft begeistert zugejubelt, wenn mit rauschendem Spiel die Wachtparade vorbeigezogen!

Aber wo richten sich nun die Blicke plötzlich hin, hinauf zum Dach des Palais? Einzelne haben es zuerst bemerkt und nun sehen es all die Tausende. Die Fahne ist eingezogen; die purpurne Standarte weht nicht mehr stolz an ihrer hochragenden Flaggenstange: was bedeutet das? Und wieder schwirrt es von Mund zu Munde: „Der Kaiser ist gestorben!“ und wieder findet diese Kunde keinen Glauben!

Vor dem Eingange des kaiserlichen Palais in der Behrenstraße.

Ein General, es ist ein Flügeladjutant, schreitet die Rampe des Palais herab. Von weither leuchten die rothen Aufschläge des Mantels, die sehnige Figur scheint uns gebückt, aus dem wetterharten Antlitz ist nichts zu lesen. Bereitwillig öffnet sich ihm die Menschenmauer; man will ihn mit Fragen, mit Bitten bestürmen; man wagt es nicht. Da kommt ihm ein Admiral, den Mantel offen, den Dreimaster auf dem ergrauten Haupt, entgegen. Beide sprechen einige Worte und drücken sich ergriffen die Hand, aber nun ist es bei den Umstehenden, Umdrängenden vorbei mit der Scheu vor dem hohen militärischen Rang. „Wie geht es dem Kaiser?“ – „ Ist der Kaiser todt?“ – „Lebt der Kaiser?“ Hundertfach wird es gerufen, gefragt. Und nun, als Ruhe eingetreten, vernimmt man die schweren Worte. „Seine Majestät ist um acht Uhr dreißig Minuten heute früh entschlafen!“ Wie dieser mit thränenerstickter Stimme gesprochene kurze Satz uns das Herz zerreißt, wie mit einem Schlage die Welt um uns dunkel und unglücksschwanger erscheint – wer könnte das wiedergeben!

„Der Kaiser ist todt!“ So hallt es nun durch Berlin und klingt schrill in das entlegenste Gäßchen [176] hinein. Die Menschen stürzen auf die Straße, einer erzählt es dem anderen, aber noch immer findet die Nachricht zahllose Ungläubige, die jedoch rasch bekehrt werden; denn ungestüm werden alsbald Extrablätter ausgerufen und wer auch diesen nicht glaubt, der sieht das Schreckliche jetzt bestätigt durch das Halbmast-Hissen der Fahnen auf allen öffentlichen Gebäuden, auf den Palais und Gesandtschaften, während aus der Ferne dumpf der Donner der Kanonen erschallt.

Noch bevor die Trauerbotschaft auf diese Weise Unter den Linden bekannt wurde, erfuhr man dieselbe schon an dem entlegeneren Eingang zum kaiserlichen Palais in der Behrenstraße, wo in dem Hausflur die amtlichen Bulletins angeschlagen wurden. Der Andrang der Wagen und das gleichzeitige Aufziehen der berittenen Schutzmannschaft, welche die Wache verstärken oder ablösen sollte, verriethen schon äußerlich den Vorübergehenden, daß etwas Außergewöhnliches sich ereignet habe.

„Se. Majestät ist um 8 Uhr 30 Minuten heute früh entschlafen.“

Mit einem Schlage ist die Physiognomie der Straßen verändert. Hier werden die Läden geschlossen; dort weisen die Schaufenster im Fluge hergestellte stimmungsvolle Dekorationen um das Bild, um die Büste, um die Statue des hingeschiedenen Herrschers auf; umflorte Fahnen und schwarze Banner wallen überall hernieder; in fast undurchdringlicher Fülle schieben sich die Menschenhaufen dahin, Wieder strömt alles den „Linden“ zu; Schutzleute zu Fuß und zu Pferde streben gleichfalls dorthin; ein unabsehbares, schwarzes Gewimmel herrscht um das Palais, auf welchem nun wieder in halber Höhe die Purpurstandarte weht. Die Bevölkerung legt Florstreifen an. Später werden mit Flor umhüllte Kornblumen vertheilt.

An den Straßenecken bilden sich jetzt neue Gruppen und lesen die soeben angeschlagene schwarzumränderte Bekanntmachung des Staatsministeriums:

„Es hat Gott gefallen, Seine Majestät den Kaiser und König, unseren Allergnädigsten Herrn, nach kurzem Krankenlager heute Vormittags 81/2 Uhr im 28. Jahre Seiner reichgesegneten Regierung aus dieser Zeitlichkeit abzurufen. Mit dem Königlichen Hause betrauert unser gesammtes Volk den Hintritt des allgeliebten ehrwürdigen Herrschers, dessen Weisheit so lange über seinen Geschicken in Krieg und Frieden ruhmvoll gewaltet hat.“

Wind und Wetter werden bald diese Maueranschläge vernichten, aber was die einfachen Worte sagen, das kann kein politisches Unwetter dem deutschen Volke entreißen!

[177]

Abends vor dem kaiserlichen Palais.