Die Sage/Die Tiere in der Sage

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Die Pflanzen in der Sage Die Sage (1908) von Karl Wehrhan
Die Tiere in der Sage
Form und Anordnung der Sagen


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XI. Die Tiere in der Sage.

Mehr noch als Pflanzen, treffen wir Tiere in der Sage an, handelnd und wandelnd wie Personen, ausgestattet mit menschlichem Denken, Empfinden und Sprechen. Wie wichtig die Tierwelt für die Sage ist, geht schon daraus hervor, daß sich nicht nur bei den Deutschen, sondern auch bei andern Völkern, eine unter dem Namen Tierepos vereinigte Sammlung von allerlei Tierfabeln findet. Das Tierepos wurde früher eifrig gepflegt und im Mittelalter mit allerlei antiken und orientalischen Fabeln versetzt. Jedes der Tiere wird in Sage, Fabel und Epos in dem ihm zukommenden bestimmt ausgeprägten Charakter dargestellt: Der Löwe ist edelmütig, stark und königlich (die Gestalt des Löwen ist nicht ursprünglich germanisch), der Bär ist plump und gutmutig, der Wolf ist bösartig aber dumm, der Fuchs dagegen schlau, hinterlistig und voller Tücke, der Hase furchtsam usw. In der Sage sind die Tiere, um mit Jakob Grimm zu [93] reden, halbvermenscht, sie sind dem Menschen gleich nach Vernunft und Lebensweise, ohne aber auch ihre tierische Natur verloren zu haben.

Von verschiedenen in der Sage vorkommenden Tieren erwähnen wir: Wurm, Mücke, Biene, (Marien- oder) Sonnenkäfer, Spinne, Krebs, Kröte, Frosch, Schlange, (Drache), Fisch, Gans, Schwan, Storch, Hahn, Taube, Rabe, Nachtigall, Specht, Kuckuck, Eule, (Greif, Phönix), Eichhörnchen, Hase, Fuchs, Wolf, Hirsch, Bär, Hund, Katze, Schwein, Schaf, Ziege, Rind, Esel, Pferd. Wir sehen also, daß fast alle Tiergattungen vertreten sind, niedere und höhere, wilde und zahme.

In Tirol läßt sich zuweilen, besonders in den Nächten vor den heiligen Zeiten, bei den „Reichen Feldern“, zu hinterst im Alpbachtale, ein „goldener Wurm“ sehen, der über und über leuchtet[1].

In dem von steilen Ufern eingeschlossenen Mohringer See liegt ein großer, mit starker Kette an den Grund angeschlossener Krebs. Reißt er sich los, so muß die Stadt untergehen; wenn der See heult, sagen die Leute: der Krebs tobt unten und will sich lösen; darum hat man schon oft in Angst geschwebt. Im See muß alle Jahre einer ertrinken, und trifft das in einem Jahre nicht zu, so müssen sicherlich im nächsten Jahre zwei dafür büßen[2].

Von Kröten, Fröschen und Unken, den meisten Menschen widerliche Tiere, gibt es viele Sagen; diese Tiere treten besonders als Schatzhüterinnen oder verwünschte Prinzen und Prinzessinnen auf. Im Aargau und in Tirol läßt die Sage Landmädchen durch Kröten zu Gevatter bitten und später zur bestimmten Zeit durch Erdmännchen abholen. Nach geleistetem Dienst und empfangener Bewirtung erhalten die Mädchen meist Kohlen oder Stroh zur Belohnung; diese Gaben verwandeln sich später, nachdem gewöhnlich das Geschenkte als wertlos fortgeworfen war, in reinstes Gold. Auch haben die Frösche ihren König, der eine weißschwarze Krone trägt: wer sie erlangt, kann sie zur Entdeckung geheimer Schätze, zur Erkennung der Hexen und als Hexengift mit Nutzen verwenden[3]. Die Kröte soll auch einen [94] zauberkräftigen Stein im Kopfe tragen, der unter anderm dem Besitzer das Leben verlängert. Oft werden die Kröten als spukende Gespenster gedacht; öfter sind sie auch, wie in Schweden, unterirdische alte kluge Wesen, die dem in ihr Gebiet Eindringenden großen Schaden zufügen, auch wie die Zwerge, schöne Kinder gegen Wechselbälge vertauschen. In der Schweiz und Tirol sind die Kröten lauter arme Seelen, d. h. wegen begangener Sünden büßende oder aus Bosheit verwünschte Menschen, die allerdings wieder mit Hilfe der Menschen erlöst werden können. Sie sollen sich besonders an Quatembertagen bei Kapellen und an Wallfahrtsorten gern einfinden.

Von Molchen werden ähnliche Sagen erzählt wie von den Kröten.

Einen weitreichenden Inhalt der Sage bildet die Gestalt und das Wesen der Schlange. Schon bei den alten Völkern (Hebräer, Ägypter, Griechen) finden wir sie als mythisch bedeutsam; die nordische Mythologie kennt die Midgards-, die indische die Weltschlange; in Rom schon galten Schlangen als Schutzgeister der Häuser, wie heute noch ähnlich in Böhmen[4] und der Mark[5]. In Schweden kennt man Schlangen als „Husbon“, d. h. Hausschutzgeist.

Wie die Kröten, sollen auch die Schlangen Könige haben, welche goldene Kronen tragen. Wer den Kopf eines solchen Schlangen-, Ottern- oder Wurmkönigs trägt, hat großes Glück. Wer diesen Gewaltigen aber erzürnt, wird wie von einem Pfeil mitten durchbohrt, wie jener fahrende Schüler in Tirol, der durch Zaubermittel und Beschwörungen alle Schlangen in ein verderbendes Feuer lockte, bis auf den erwähnten Wurmkönig, der wütend auf den Zauberer losstürzte und ihn wie ein Speer mitten ins Herz traf. Beim Baden legen die Schlangen die Krone ab; wird sie ihnen gestohlen, so müssen sie entweder selber bald sterben oder aber sie töten den Dieb, falls sie ihn erwischen. Schlangen werden auch als Hüterinnen von verborgenen Schätzen, zu deren Eingängen sie die Schlüssel im Maule tragen, oder als verwünschte Seelen betrachtet. Wenn man ihnen die Krone nimmt, werden sie erlöst. Beim Stehlen der Krone [95] eines Schlangenschatzhüters ist man gegen Verfolgung gesichert, sobald man sein eigenes Heim oder eine andere menschliche Wohnung erreicht hat; dort hört die Macht der Schlangen auf.

Die Sage kennt auch Geschöpfe, die halb Schlange sind, oben aber menschliche Gestalt haben; man könnte sie auch wohl Fischweiber nennen. Die Sage hat eine größere Gestaltung in dem Volksbuche von der schönen Melusine angenommen[6].

Schlangen wirken zauberkräftig, selbst noch im Tode. Einem lange kränklichen Manne schlüpfte während des Schlafes eine Schlange in den Hals. Als sie später wieder herauskam, wurde der Mann wach, empfand neue Kraft wie nach süßem Schlafe und war von da an gesund wie ein Fisch im Wasser[7].

Die Drachengestalt der Sage ist möglicherweise noch ein Schatten der großen Ungeheuer, der riesenhaften Reptilien der Vorzeit. Der Drache heißt auch Lind-, Stollen- (Schweiz), Hasel- (Tirol) oder Tatzelwurm (Bayern) und wird meist in Schlangengestalt aber mit Füßen und Flügeln gedacht. Oft ist er mehrköpfig, sprüht Feuer oder doch vergifteten Hauch und hat furchtbaren Blick. Fast sämtliche Kulturvölker kennen den Drachen und zwar vorzugsweise als Schatzhüter oder Gewitterdämon. Er bewachte bei den Griechen die goldenen Äpfel der Hesperiden, behütete in Kolchis das goldene Vließ, beschützte als Python das Heiligtum in Delphi und verwehrte in Böotien den Zutritt zu dem heiligen Haine des Mars. In der germanischen Sage ist er als Midgardsschlange dargestellt; als Fafnir hütet er den Nibelungenhort, wird von Siegfried erschlagen, der in seinem Blute bis auf eine Stelle unverwundbar wird. Sigurds Helm ist in der nordischen Sage mit einem Drachen geziert. In China ist der Drache noch heute Sinnbild der Reichsgewalt. Bei den alten Sachsen, von Otto IV. und von englischen Königen wurde er als Feldzeichen geführt. Päpste ließen bei öffentlichen Prozessionen eine Drachengestalt umhertragen; die darstellende Kunst läßt ihn vielfach Verwendung finden, und in [96] der Volkssage von heute steht er mit dem Teufel in Verbindung und bringt durch den Schornstein Schätze ins Haus.

Die Drachensagen sind sehr zahlreich; wohl keine Gegend ist gänzlich ohne solche; es fehlt fast nirgends an Drachenfelsen, Drachenhöhlen, Drachenseen usw. Im Engadintale sollen alle Schluchten und Seen von Drachen bewohnt sein. Von vielen Drachen wird erzählt, daß sie von Zeit zu Zeit, meist alle Jahre, ein Opfer, entweder eine Jungfrau oder eine bestimmte Anzahl Menschen heischen, bis sie von einem tapferen Manne erlegt werden. Oft tritt er als strafender Dämon auf, der durch Zerstören eines Sees, durch Verheeren des Landes oder der Ernte eine Gegend unglücklich macht. Der Drache soll in der Erde ruhen, sich nach einigen tirolischen Sagen von Erzen nähren, die in seiner inneren Glut zu reinem Golde schmelzen. Zuweilen erscheint er als schwarze Sau, wie in Mecklenburg oder als goldene Kugel, als Feuerrad, wie in Graubünden und Tirol[8].

Der Schatz, den der Drache hütet, kann auch eine schöne Jungfrau sein, wie auch umgekehrt Jungfrauen in Drachen verwandelt und nur durch einen Kuß erlöst werden können.


Literatur: J. Kainz, Lindwurmsagen in Steiermark. (Die Heimat, hrsg. von J. Ziegler. IV. 1879. Nr. 51.) – Della Torre, Die Drachensagen im Alpengebiet. (Zeitschrift des deutsch. u. österr. Alpenvereins. 1887. S. 208–216).


Sehr nahe verwandt mit dem Drachen ist der Basilisk. Schon bei Plinius tritt diese Gestalt als ungeheure Schlange auf, die durch ihren Blick (den gefürchteten Basiliskenblick) tötet und durch ihre fürchterliche Stimme alle Lebewesen aus der Umgebung vertreibt. Der Basilisk entsteht aus dem Ei eines siebenjährigen Hahns, das durch Kröten und Schlangen an einem dunklen Orte ausgebrütet wird. Er soll gleich dem Schlangenkönig eine Goldkrone tragen und Gold in Menge besitzen. Schon sein bloßer Blick tötet, noch ehe man ihn selbst sieht. Sieht er sich aber in einem ihm vorgehaltenen Spiegel, so muß er selbst sterben. Die orientalischen Völker geben dem Basilisken eine Gestalt, die sich aus Hahn, Kröte und Schlange zusammensetzt und sich auch auf chinesischen Bildern angedeutet findet. Natürlich suchte sich das Volk vor dem Ungeheuer [97] zu schützen, deshalb wurde 1474 bei Basel ein Hahn verbrannt, der ein Ei gelegt haben sollte.

Fische sind im allgemeinen weniger in der Sage anzutreffen. Durch Rückerts Gedicht ist die Sage vom Kloster Grabow auf Usedom weiter bekannt geworden, nach dem jedes Jahr zwei Störe kamen, von denen die Mönche einen fangen durften. Tiefe und nach dem Volksmunde oft unergründliche Seen enthalten wohl einen alten Karpfen, so alt, daß Moos auf seinem Rücken wächst, wie z. B. im Laacher See in der Eifel und im Lutterkolke bei Schlangen im Teutoburger Walde. Es gibt aber auch Sagen von riesigen und gespenstischen Fischen; so nimmt z. B. ein Fisch im Altshauserbach (Schwaben) menschliche Gestalt an und kommt zuweilen aufs Land[9]. In der weißen Elster haust bei Rüßdorf ein riesiger Fisch, dessen Erscheinen Unglück andeutet, entweder das Ertrinken eines Menschen oder Feuer, Pestilenz, Teurung und Krieg. An einer anderen Stelle des Flusses hausen in unergründlicher Tiefe Riesenfische[10].

Von den Vögeln ist vor allem der Schwan zu nennen, der aus der Lohengrinsage jedem vertraut ist. Die Walküren haben Schwanenhemde; Jupiter verwandelte sich, als er die Leda besuchte, in einen Schwan.

Die Gans kommt in der Sage als Hexenhülle vor und wird zum Wahrsagen benutzt; Vertriebene oder verkannte Prinzessinnen sind oft Gänsemägde; zauberische Personen sollen Gänsefüße haben.

Der Storch bringt Segen und Kinder und schützt Haus und Dach vor Blitz und Brand. Störche gelten oft als verwandelte Menschen, besonders als Freimaurer und Hexen.

Der Hahn ist häufig in Teufelssagen. Er wird statt des vom Teufel erwarteten Menschen ein Opfer des Bösen (Brückenbau zu Frankfurt a. M.), oder er kräht früher, als der Teufel die Bedingung für den Pakt ausgeführt hat (Erbauung des Domes oder anderer Gebäude in manchen Orten). Die Sage kennt auch Hühner, die goldene Eier legen.

Die Taube ist ein Bild der Unschuld, der Liebe und der Menschenseele, besonders die weiße Taube im Gegensatz zu dem schwarzen Raben, der oft geradezu eine Personifikation [98] des Bösen ist. Auf Odins Schultern saßen die beiden Raben Hugin und Munin Gedanke und Gedächtnis. Raben sollen verwandelte Menschen sein; so ist nach der englischen Volkssage der König Artus (Gralsage) in einen Raben verwandelt, weshalb auch kein Engländer einen solchen Vogel töten soll. In vielen Gegenden kennt man den bösen Nachtraben, von dem Heine eine tiefsinnige Geschichte nach einem dänischen Volkslied erzählt.

Krähe und Elster gelten im Voigtlande und in der Schweiz als verwunschene oder sonst verwandelte Hexen; besonders soll die Elster in diesem Falle den Jägern manchen Streich spielen.

Der Specht steht mit der in Sagen eine große Rolle spielenden Springwurzel in Verbindung; er kann dieses Zauberinstrument verschaffen. Wenn man nämlich das Nest eines Grün- oder Schwarzspechts zukeilt, holt der Vogel die Springwurzel herbei, zieht damit den Keil heraus und läßt sie, wenn man Lärm macht, erschreckt fallen[11].

In der Gestalt des Kuckucks erschien schon Zeus der Hera und flüchtete so unter Sturm und Regenschauern in ihren Schoß. Noch heute herrscht der Kuckuck im Volksglauben mancher Gegend.

Die Eule kommt besonders in Sagen von Tod und Vorgeschichten vor.

Der Adler spielt in der Sagenwelt seit jeher eine große Rolle als König der Vögel und als Attribut der höchsten Gottheiten. Bei den Griechen schon war der Adler als Begleiter und Bote des Zeus ein heiliger Vogel; die Perser gebrauchten ihn zuerst als Heereszeichen, später außer vielen andern Völkern auch die Römer, bei denen der Adler auch als der heilige Vogel Jupiters galt. Es mag erwähnt werden, daß der Adler das verbreitetste aller Wappenbilder ist.

Die Sage kennt auch rein sagenhafte Vögel, z. B. den Greif und den Phönix. Der Greif hat Löwengröße, -Stärke und -Gestalt, aber einen Adlerkopf und zwei Adlerflügel. Er entstammt ursprünglich der orientalischen Sage. In Tirol hatten Räuber aus Burg Greifenstein einen Greif in ihren Diensten, der ihnen die Beute zutrug, Roß und Wagen in einem Fluge heranholte.

[99] Der Phönix ist ein Symbol der Unsterblichkeit, der immer sich erneuernden Verjüngung; denn von Zeit zu Zeit, wenn er eben erscheint, baut er sich ein Nest, in welchem er sich auf einem Scheiterhaufen verbrennt, um aus seiner Asche sogleich verjüngt wieder hervorzugehen. Er wird in Adlergröße, aber in Kranichgestalt gedacht, von roter und goldener Farbe. Man kennt ihn besonders in Arabien, Indien und Ägypten; aber auch in der heutigen Volkssage kommt er als Vogel Fenis noch mehrfach vor. In Tirol kennt man noch eine schöne Sage, nach der der Vogel Phönix einen blinden König durch seinen Gesang heilt[12].

Mäuse und Ratten begegnen in verschiedenen Sagen: Der Hamelnsche Rattenfänger führt sie in die Weser; in Eger in Böhmen läßt ein Mann bei einem Zauber weiße Mäuse erscheinen; ebendort erscheint der Teufel in der Gestalt einer Maus; auch wird die Seele des Menschen oft unter derselben Gestalt gesehen.

Der Hase, das Symbol der Fruchtbarkeit, kommt in Sagen als verwandelter Mensch vor, als solcher gewöhnlich dreibeinig. Meistens sind es Frauen, Hexen, die die Hülle des Hasen zur Verwandlung wählen. Zum Verwandeln gebrauchen sie einen Leibriemen aus Menschenhaut oder aus Garn, das während des Gottesdienstes gesponnen ist. Hasen erscheinen auch, wenn ein Unheil bevorsteht, wenn sich z. B. jemand erhängen will, oder wenn sonst jemand stirbt.

Auch der Fuchs erscheint als Hexenhülle und oft dreibeinig. In Schwaben geht unter seiner Gestalt ein Geist, der den Jägern verderblich werden kann.

Der Wolf kommt in der Sage vor allem als Werwolf vor, als ein Mensch, der Wolfsgestalt annehmen kann. Schon die Griechen kannten den Lykanthropos, und die Römer wußten viel vom Versipellis zu erzählen. In Frankreich heißt er jetzt loupgarou, in Skandinavien Varulf. Der Glaube an den Werwolf herrschte bei allen slavischen, keltischen und romanischen Völkern. Die Verwandlung geschieht durch Überwerfen eines Wolfshemdes oder wie beim Hasen durch einen Gürtel. Gewöhnlich ist die Rückkehr zur menschlichen Gestalt nicht freiwillig, sondern geschieht erst nach einer bestimmten [100] Anzahl von Tagen oder Jahren. Der Werwolf hat mit der Umwandlung auch Stimme und Wildheit, Blutgier und Gefräßigkeit des Wolfes erhalten und raubt Vieh und Menschen.

Der Bär erscheint in Sagen und Märchen als Geist, auch als neckisches Nachtgespenst und als Verwandlung von Zwergen; in Tirol kennt man ihn als das einen geisterhaften See bewohnende Ungetüm. Bekannt ist er auch als Hülle eines glänzenden Königssohnes.

Der Hirsch tritt besonders in alten Sagen auf, sowohl in der griechischen als in der nordischen Sage. Genoveva rettete ihren Knaben durch die Hilfe der Hirschkuh. Hirsche führen die Jäger irre und zeigen ihnen einen heilkräftigen Born oder eine heilige Stelle. Sagenhafte Bergstiege und weite Sprünge erzählt man sich von ihnen (Hirschsprung bei Berlebeck in Lippe).

Wie der Löwe als leuchtendes Beispiel der Treue, Dankbarkeit und Ergebung hingestellt wird, zeigt uns so recht die Sage von Heinrich dem Löwen, der einen Leuen von einem bösen Lindwurm befreit, den Drachen tötet und von nun an den dankbaren Löwen als treuen Begleiter findet, der ihm in der langjährigen Einsamkeit eines großen Waldes lebenserhaltende Dienste leistet. Als der Herzog endlich abreist und den Löwen zurücklassen will, schwimmt dieser ihm nach und erreicht das Schiff, das lange auf den Wogen umhertreibt und ihnen keine Hoffnung auf Rettung bietet. Da erscheint der Teufel, ihn zu retten. Nach langer Weigerung des Herzogs einigen sie sich endlich: der Satan bringt den Fürsten auf den Giersberg bei Braunschweig, dann will er den Löwen nachholen; trifft er bei der Rückkehr den Herzog schlafend, so ist dessen Seele sein. Der todmüde Herzog schläft wirklich ein, worauf der Teufel gerechnet hatte; aber sein treuer Löwe rettet ihn auch hier. Vor der Ankunft erhebt er oben in der Luft ein heftiges Gebrüll, weckt dadurch den Herzog, rettet ihm also das Leben und endlich den Thron und nimmt den argen Fall – der Satan läßt ihn vor Zorn aus der Höhe niederstürzen – gern in Kauf.

Den Hund kennt die heutige Sage vor allem als großes schwarzes Untier mit glühenden Augen, die Dorfstraßen und besonders die Kreuzwege unsicher und unheimlich [101] machend. Schon die Griechen fürchteten den dreiköpfigen Cerberus, den Höllenhund. Auch die nordische Sage berichtet von Hunden; sie sind u. a. Begleiter der Nornen. Oft tritt er noch heute als Hüter unterirdischer Schätze und verzauberter Jungfrauen auf. Gespenstische Hunde sind meistens groß wie ein Kalb, springen auch dem Wanderer auf den Rücken und hetzen ihn fast zu Tode. An Kreuzwegen, vor einem Hufeisen, in der Nähe der Kirche verschwinden sie wieder.

Welche Bedeutung die Katzen im ägyptischen Kultus hatten, ist bekannt; auch bei uns wurden ihnen allerlei prophetische Gaben beigelegt. Sie gelten in unserer Volkssage als Verwandlungen von Hexen, besonders die schwarzen Katzen; überhaupt ist eine Hexe ohne Katze schier undenkbar. Sie sind auch oft Gespenster und Hüter von großen Schätzen.

Das Schwein erscheint als Nachtgespenst und Hexentier; es ist rot und mürrisch, grunzt und lärmt, hat oft feurige Augen, rennt wütend durch die menschlichen Siedelungen, wächst ins Riesenhafte und fliegt selbst durch die Luft. Die germanische Mythologie kennt die goldborstigen Eber Freias; ein Eber tötet auch den wilden Jäger Hackelbernd.

Noch heute denkt sich die Volkssage den Teufel oft unter der Gestalt des Ziegenbockes, den jener auch zu seinen Ritten benutzt. Die alten Griechen und Römer erzählten sich von Wesen, die den Ziegen einen Teil ihres Leibes entlehnt hatten, nämlich von Faunen und Satyrn. Der Wagen des Thor oder Wodan wird von Ziegenböcken gezogen. Ziegen gelten noch jetzt als verwandelte Menschen, und manche Sage berichtet davon.

Auch das Schaf oder der Widder kann als Nachtgespenst erscheinen, bedroht dann die Begegnenden mit den Hörnern und wirft ihnen Steine nach. In Österreich kennt man das Schaf auch als verwünschten Königssohn.

Der Stier war bei den Ägyptern ein heiliges Tier; selbst die Hebräer fingen den Stierdienst öfter an. Zeus verwandelte sich in einen Stier, um die Europa zu entführen. Auch in einem norwegischen Märchen entführt ein Stier eine Königstochter, allerdings um sie zu retten. Der Riese Ymir der nordischen Sage ernährte sich aus den vier Milchströmen, die der Kuh Audhumbla entflossen. In der Schweiz erzählt man sich Sagen, in denen ein [102] weißer Stier die Gegend von einem Untier (Schaf, Ziegenbock, Kalb, Lindwurm) erlöst. Gespenstische Kühe und Ochsen oder Kälber kennt man noch jetzt in vielen Gegenden.

Die nordische Sage berichtet vom edlen Roß Odins, Sleipnir, das mit acht Füßen dahineilte; es hatte Runen auf den Zähnen. Die alten Germanen brachten ihren Göttern Pferdeopfer, und noch jetzt zieren Pferdeköpfe die Giebel niedersächsischer Häuser. Das riesige Roß der vier Haimonskinder, das Karl der Große ertränken ließ, ist der Sage nach nicht tot, sondern lebt noch im Ardennenwald. Nachtrosse, besonders schwarze, erscheinen als gespenstische Tiere und wachsen oft haushoch. Zuweilen hat das Nachtroß nur drei Beine; es durchfliegt die hohen Lüfte, besonders wenn es jemanden verleitet hat, es zu besteigen. Einige Sagen berichten von Pferden mit verkehrt genagelten Hufeisen, andere von solchen ohne Eisen. In den russischen Sagen erscheinen Pferde mit flammenden Augen und dampfschnaubenden Nüstern.

Ganze Viehherden werden in der Schweiz oft fortgetragen; man nennt dies das Alprücken; es soll geheimnisvoll geschehen. Man hört laute Rufe und Jodler in der Luft, als ob ein ganzes Senntum durch die Luft getrieben werde. Die Erscheinung soll Regen oder sonst schlimmes Wetter bedeuten. Am Pilatus treibt ein langbärtiger Zwerg das Vieh von der Alp in die Lüfte, wenn die Sennen abends unterlassen haben, den Alpsegen und das Ave Maria auszurufen. Erst am dritten Tage kommen die Tiere zurück, aber mager, elend und vergeltet, d. h. von der Milch gekommen. In anderen Gegenden kommen sie zurück, ohne Schaden gelitten zu haben. Gelingt es dem Senn, über die Kühe den Melkstuhl zu schleudern, so bleiben diese zurück. Gegen solche Hexerei wird zuweilen ein schwarzer Hahn auf der Senn gehalten; das soll helfen.

Vielfach ist es nur ein Gespenst, das Nachtvolk, ein verwünschter Senn oder dergleichen, wodurch der Spuk hervorgerufen wird.

Das Einhorn ist ein reines Fabeltier, von dem schon die Alten berichteten. Es soll Pferdegestalt, vor der Stirn ein langes gerades Horn haben, das es als gefährliche Waffe gebraucht, und in Indien und Afrika zu Hause sein. Früher sah man den Stoßzahn des Narwals als Horn des Einhorns an.


[103] Literatur: Karl Schiller, Zum Tier- und Kräuterbuche des Mecklenburgischen Volkes. 3 Hefte. Schwerin 1861–1864. – E. J. Steiner, Die Tierwelt, nach ihrer Stellung in Mythologie und Volksglauben, in Sitte u. Sage, in Geschichte und Literatur, in Sprichwort und Volksfest. Beiträge zur Belebung des Unterrichts … Gotha 1891. – Th. Bodin, Die Fledermaus in Sage und Volksglauben. (Europa 1882. Nr. 38). – E. S. Zürn, Sagenumwobene Vögel. (Leipziger Zeitung, Wissenschaftl. Beilage. 1895. Nr. 10). – Paul Cassel, Der Schwan in Sage und Leben. Eine Abhandlung. 3. verbess. Ausgabe. Berlin 1872. – A. Haas, Der Storch im Munde des pommerschen Volkes [nebst Sagen]. Stettin 1894. – C. M. Blaas, Die Sage vom Kreuzschnabel (Wiener Abendpost. 1879. Beilage Nr. 238). – Schlangensagen in Steiermark (Die Heimat, hrsg. von J. Ziegler, IV. 1879. Nr. 38). – Die Schlange im Gewand der Mythe und Sage (Europa 1880. Nr. 50). – C. Olbrich, Deutsche Schlangensagen (Mitteilung der schlesischen Gesellsch. für Volkskunde. V. 1898. S. 39–47). – C. Olbrich, Aal und Schlange (Ebda. VIII. 1901. S. 1–3). – W. v. Schulenburg, Schlange und Aal im deutschen Volksglauben (Ztschrft. f. Ethnologie. XI, 2. 1883. S. 95. 96). – J. Th. Glock, Die Symbolik der Bienen und ihrer Produkte in Sage, Dichtung, Kultur, Kunst und Bräuchen der Völker. Heidelberg 1891.


  1. Alpenburg, Mythen und Sagen Tirols. S. 217.
  2. Adalbert Kuhn, Märk. Sagen u. Märchen. Berl. 1843.
  3. Vergl. Gerles historischer Bllderatlas. II. S. 125 und Henne-Am-Rhyn, a. a. O. S. 108 ff.
  4. Grohmann, Sagenbuch aus Böhmen u. Mähren. S. 221.
  5. Pröhle, Deutsche Sagen. S. 86.
  6. Vergl. Nowack, Die Melusinensage. Zürich 1886, und die verschiedenen Ausgaben der Volksbücher.
  7. Strackerjan, Aberglaube u. Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg. II. S. 109.
  8. Vergl. Niederhöffer, Mecklenburgs Volkss. IV. S. 148.
  9. Anton Birlinger, Aus Schwaben. I. Wien 1874. S. 193.
  10. Eisel, Sagenbuch des Voigtlandes. S. 154. 155.
  11. Brüder Grimm, Deutsche Sagen. I. Nr. 9 (von dem lippischen Dorfe Köterberg).
  12. Zingerle, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol. 1859. S. 446.


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