Die Syrische Göttin

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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Die Syrische Göttin
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Vierzehntes Bändchen, Seite 1719–1751
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1831
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Περὶ τῆς Συρίης Θεοῦ
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
Von der syrischen Göttin übersetzt von Christoph Martin Wieland
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[1719]
Die Syrische Göttin.[1]

1. Es ist in Syrien eine Stadt, nicht fern von dem Flusse Euphrat, die heißt die heilige [Hierapolis], und ist heilig der Assyrischen Juno. Nach meinem Dafürhalten ist dieser Name der Stadt nicht gleich bei ihrer Gründung gegeben worden, sondern ihr ursprünglicher Name war ein anderer. Als aber in der Folge der große heilige Dienst in derselben eingeführt worden, hat sich ihre Benennung in die obige verwandelt. Von dieser Stadt nun komm’ ich zu reden, und zu beschreiben, was Alles in derselben sich findet: [1720] die gottesdienstlichen Gebräuche, so sie beobachten, die festlichen Versammlungen, so sie veranstalten, und die Opfer, so sie darbringen. Auch will ich melden, wie die Sage lautet von Denen, so das Heiligthum gestiftet, und auf welche Weise der Tempel entstanden sey. Ich aber, der ich Solches schreibe, bin aus Assyrien, und habe einen Theil Dessen, was ich berichten werde, selbst mit angesehen und kennen gelernt; das Uebrige, was die älteren Zeiten betrifft, habe ich von den Priestern erkundet.

2. Unter allen Völkern, die uns bekannt sind, sollen die Aegyptier die Ersten gewesen seyn, so den Begriff von Göttern gefaßt, Gottesdienste und heilige Oerter gestiftet und festliche Versammlungen angeordnet haben: wie sie denn auch die Ersten waren, die eine heilige Sprache, und heilige Sagen und Lehren besaßen. Nach nicht langer Zeit empfingen die Assyrier den heiligen Unterricht von den Aegyptiern, und errichteten Heiligthümer und Tempel, in welchen sie Bilder der Götter aus Stein oder Holz aufstellten. In älteren Zeiten aber waren die Tempel bei den Aegyptiern ohne solche Bilder gewesen.

3. Und auch in Syrien sind Heiligthümer, beinahe von gleichem Alter mit den Aegyptischen, von denen ich die meisten selbst gesehen. Eines davon ist zu Tyrus, und gehört dem Hercules; aber nicht dem Hercules, welchen die Griechen verehren, sondern der, welchen ich meine, ist weit älter und ein Halbgott der Tyrier.

4. Noch ein anderer großer Tempel ist in Phönicien, welchen die Sidonier besitzen und der, wie sie selbst sagen, der Astarte heilig ist. Die Astarte aber halte ich für die [1721] Selene [Mondgöttin]. Wie mir aber Einer der Priester angab, so ist dieß ein Tempel der Europa, der Schwester des Cadmus, und Tochter des Königs Agenor. Denn nachdem sie unsichtbar geworden war, hätten sie die Phönicier mit einem Tempel geehrt, und erzählten nun die heilige Sage, daß Jupiter um ihrer Schönheit willen ihrer begehrt, und in Gestalt eines Stieres sie entführt und nach Creta getragen habe. Diese Sage habe ich auch von den übrigen Phöniciern gehört, und die Münzen, deren sich die Sidonier bedienen, zeigen die Europa, sitzend auf dem zum Stier gewordenen Jupiter. Daß aber der Tempel der Europa heilig sey, darin stimmen sie nicht überein.

5. Auch haben die Phönicier noch einen andern Tempel, nicht Assyrischen, sondern Aegyptischen Ursprungs, dessen Dienst aus Heliopolis [der Sonnenstadt] nach Phönicien gekommen war. Ich habe ihn nicht selbst gesehen: er ist aber ebenfalls groß und uralt.

6. Ich sah aber auch in Byblus ein großes Heiligthum der Venus Byblia, in welchem sie die Mysterien des Adonis feiern. Diese Mysterien habe ich selbst kennen gelernt. Sie sagen nämlich, die Geschichte mit Adonis und dem wilden Eber habe sich auf ihrer Feldmarke zugetragen, weswegen sie das Andenken dieses Unglückes alljährlich mit der Mysterienfeier begehen, wobei sie wehklagen, sich mit Fäusten schlagen, und große Trauer über die ganze Gegend verbreiten. Wenn sie aber das Wehklagen und Bejammern eingestellt haben, so opfern sie erst dem Adonis als einem Todten; am folgenden Tage aber sagen sie, daß er wieder lebendig geworden sey, [1722] und entsenden ihn gen Himmel. Auch schneiden sie sich die Haare ab, wie die Aegyptier, wenn der Apis gestorben ist. Welche Weiber aber ihre Haare nicht abschneiden wollen, haben folgende Strafe zu erleiden. Sie müssen Einen Tag lang ihre Schönheit öffentlich feil bieten. Der Markt aber steht nur Fremden offen, und der Erlös ist ein Opfer für die Venus.

7. Es gibt aber auch Männer zu Byblus, die behaupten, der Aegyptische Osiris liege bei ihnen begraben, und die Weheklage und die ganze Mysterienfeier werde nicht dem Adonis, sondern dem Osiris zu Ehren angestellt. Ich will melden, wodurch auch diese Meinung glaublich werde. Alljährlich kommt ein Kopf aus Aegypten zu Byblus angeschwommen, indem er die Strecke einer siebentägigen Fahrt zurücklegt. Und indem ihn die Winde unter göttlicher Führung über die Gewässer dahintragen, dreht er sich nie um und landet auch nirgend anders als zu Byblus. Dieses Wunder trägt sich jedes Jahr zu, und geschah auch, so lange ich selbst zu Byblus war. Und ich habe den Kopf selbst betrachtet und gesehen, daß er aus dem Baste der Papierstaude [Byblos] gemacht war.

8. Es ist aber noch ein anderes Wunder in dem Lande von Byblus, nämlich am Fluß aus dem Gebirge Libanus, der sich hier in’s Meer ergießt, und Adonis genannt wird. Dieser Fluß verliert alljährlich seine natürliche Farbe, wird blutroth und färbt bei seiner Ausmündung auch das Meer weithin roth: und dieß ist das Zeichen für die Byblier, ihr Trauerfest zu beginnen. Denn, ihrer Sage nach, wird Adonis in diesen nämlichen Tagen auf dem Libanus verwundet, [1723] und sein Blut, das in den Fluß rinnt, färbt dessen Wasser, woher der Fluß auch seinen Namen trage. Solches ist die gemeine Sage zu Byblus. Mir aber hat ein byblischer Mann, der mir die Wahrheit zu sagen schien, eine andere Ursache dieser Erscheinung kund gethan. Er sprach aber zu mir, wie folgt: „Der Fluß Adonis,“ mein Fremdling, „strömt durch das Gebirge Libanus. Dieses Gebirge aber hat ein sehr röthliches Erdreich. Die heftigen Stürme nun, welche an jenen Tagen dort herrschen, führen den mennigrothen Staub in den Fluß, und geben ihm die blutige Farbe. So ist also nicht das Blut die Ursache dieser Erscheinung, wie die Leute sagen, sondern der Boden.“ So lautete die Aussage des Bybliers. Wenn er aber hierin untrüglich gesprochen, so scheint mir auch schon das Zusammentreffen dieser Stürme gar sehr von göttlicher Veranstaltung zu zeugen.

9. Von Byblus aus begab ich mich auf eine Tagreise weit in die Gebirgsgegend des Libanus, weil ich in Erfahrung gebracht hatte, daß daselbst ein alter Tempel der Venus befindlich sey, welchen Cinyras erbaut habe. Ich sah ihn und fand ihn sehr alt. Dieses sind die wichtigsten Heiligthümer Syriens aus alten Zeit.

10. Unter allen diesen aber dünkt mich keines wichtiger als das in der heiligen Stadt, auch kein anderer Tempel ehrwürdiger, noch irgend ein ander Land heiliger, denn dieses. Auch sind in demselben kostbare Kunstwerke, uralte Weihgeschenke, viele Wunder, geschnitzte, leibhafte Ebenbilder der Götter, und die Götter erscheinen ihnen dort ganz sichtbarlich. Denn diese Bilder schwitzen sogar, bewegen sich, [1724] und weissagen. Oftmals sind laute Töne in dem Tempel, wenn er schon geschlossen war, vernommen worden, und Viele sind, die sie hörten. Vornehmlich aber auch in Hinsicht des Reichthums ist dieses Heiligthum das erste unter allen, die ich kenne. Denn es kommen ihm Schätze in Menge zu aus Arabien, Phönicien und Babylonien, wie auch aus Cappadocien, Cilicien und Assyrien. Ich habe auch Dasjenige gesehen, so an einem verborgenen Orte des Tempels aufbewahrt wird, sonderlich eine Menge kostbarer Gewänder, auch andere Dinge, so zum Gold oder Silber gerechnet werden. Feste aber und Wallfahrten sind in der ganzen Welt keine zu sehen, wie hier.

11. Wie ich nachfragte, wie viele Jahre dieses Heiligthum schon zähle, und Wer die Göttin nach dem Glauben der Einwohner wäre, hörte ich gar viele Sagen, Priesterlehre und Volkssagen, mitunter klare Erdichtungen und wunderliche Barbaren-Meinungen; etliche aber stimmten mit Griechischen Geschichten überein. Ich will sie sämmtlich melden, nehme sie selbst aber mit nichten für wahr an.

12. Die Mehrzahl sagt, der Scythe Deucalion habe das Heiligthum gestiftet, derselbe Deucalion, zu dessen Zeiten das große Wasser war. Von Deucalion aber habe ich eine Sage in Griechenland gehört, welche die Griechen folgendermaßen erzählen. Das jetzige Menschengeschlecht ist nicht das erste, sondern das erste Geschlecht ist gänzlich untergegangen. Die jetzigen Menschen sind von dem zweiten Geschlechte, das seit Deucalion abermals zu einer großen Menge gediehen ist. Von jenen früheren Menschen aber erzählten sie Folgendes. Sie waren gottlose Menschen und [1725] große Uebelthäter. Denn sie achteten nicht des Eides und beherbergten nicht den Fremdling, noch nahmen sie sich des Schutzflehenden an: darob kam eine große Heimsuchung über sie. Alsbald ergoß die Erde eine Menge Wassers, gewaltige Regengüsse stürzten herab, die Ströme traten weit über ihre Ufer, und selbst das Meer stieg hoch über sein Gestade, bis daß Alles Wasser wurde und alle Menschen umkamen. Deucalion aber war der einzige Mensch, der für ein zweites Geschlecht übrig blieb, um seiner Klugheit und Frömmigkeit willen. Seine Rettung aber geschah also: er hatte einen sehr großen Kasten; in diesen ließ er seine Weiber und Kinder steigen, und stieg zuletzt selbst hinein. Und wie er eben einstieg, so kamen Schweine herbei, und Pferde, und alle Arten wilder Thiere, und Schlangen und Alles, was auf Erden lebt, von jeder Art ein Paar. Er aber nahm sie alle auf. Und sie thaten ihm Nichts zu Leide, sondern die Götter stifteten Friede und Freundschaft zwischen ihnen. Und so schifften sie Alle zusammen in Einem Kasten, so lange das Wasser stark war auf Erden. Solches erzählen von Deucalion die Griechen.

13. Hierauf aber – und dieß ist die sehr wunderbare Sage der Leute von Hierapolis – habe sich in der Gegend dieser Stadt eine sehr große Kluft aufgethan und alles das viele Wasser wieder verschlungen. Und Deucalion habe nach diesem Allem Altäre aufgerichtet und über der Kluft der Juno einen Tempel erbaut. Ich selbst habe die Kluft gesehen, so unter dem Tempel ist, habe sie aber sehr klein befunden. Ob sie nun früher größer war, und erst allmählig so klein wurde, wie sie jetzt ist, weiß ich nicht. Die ich wenigstens [1726] sah, ist klein. Zum Gedächtniß dieser Begebenheit thun sie Folgendes. Zweimal in jedem Jahre wird Meerwasser in den Tempel gebracht. Die es aber tragen, sind nicht allein die Priester, sondern aus ganz Syrien und Arabien, und von jenseit des Euphrat her läuft eine Menge Volks an das Meer, und Alle bringen Wasser herbei. Dieses Wasser gießen sie im Tempel aus, von wo es in den besagten Schlund abläuft, und dieser Schlund nimmt, so klein er ist, eine gewaltige Menge Wassers auf. Solches thun sie, indem sie sagen, Deucalion habe es in diesem Tempel selbst, zum Gedächtniß der Heimsuchung so wie der göttlichen Gnade, also angeordnet. Dieß ist also die alte Ueberlieferung anlangend den Tempel zu Hierapolis.

14. Andere aber sind der Meinung, Semiramis, die Babylonierin, von welcher gar viele Werke in Asien sind, habe auch diesen heiligen Sitz gegründet, nicht aber der Juno, sondern ihrer Mutter, der Derceto. Das Bild der Derceto habe ich in Phönicien gesehen: ein seltsamer Anblick! die obere Hälfte ist ein Weib, die untere läuft von den Hüften an in einen Fischschwanz aus. Die Göttin zu Hierapolis aber ist ganz Weib. Die Beweise für ihre Sage sind jedoch nicht sehr einleuchtend. Die Fische halten sie für etwas Heiliges, und niemals rühren sie Fische an: von Vögeln essen sie alle eßbaren Gattungen; nur die Taube essen sie nicht, sie ist ihnen heilig. Und dieß thun sie nach ihrem Glauben um der Derceto und Semiramis willen: das Eine weil Derceto die Gestalt eines Fisches hat, das Andere, weil Semiramis zuletzt in eine Taube verwandelt worden. Daß der Tempel zwar ein Werk der Semiramis sey, läßt [1727] sich leicht annehmen: aber daß er der Derceto geheiligt sey, glaube ich keineswegs, sintemalen es auch in Aegypten Leute gibt, so keine Fische essen, solches aber nicht der Derceto zu Gefallen thun.

15. Noch besteht eine andere heilige Sage, die ich von einem weisen Manne vernommen, daß nämlich die Göttin des Tempels die Rhea sey, der Tempel selbst aber ein Werk des Attes. Attes aber war von Herkunft ein Lydier, und der Erste, so den geheimen Dienst der Rhea lehrte. Und was die Phrygier, die Lydier, und die Samothracier feiern, haben sie Alles von Attes gelernt. Denn da ihn Rhea verschnitten hatte, hörte er auf, nach Mannes Weise zu leben, nahm weibliche Gestalt an, trug Frauenkleider, wanderte durch alle Lande, feierte den geheimen Dienst, erzählte, was ihm widerfahren, und sang den Preis der Rhea. Auf solche Art kam er auch nach Syrien. Und als Diejenigen, so jenseit des Euphrat wohnen, weder ihn selbst noch seinen neuen Gottesdienst bei sich aufnehmen wollten, stiftete er das Heiligthum hier auf dieser Stätte. Auch kommt nach ihren Zeichen diese Göttin zumeist mit der Rhea überein. Denn sie wird von Löwen gezogen, trägt die Handpauke und auf dem Kopf die Thürme, gerade wie in Lydien die Rhea vorgestellt wird. Und in Betreff ihrer Priester, Gallen genannt, sagte mir der Mann, daß auch in diesem Tempel welche wären, und daß nie der Juno, wohl aber der Rhea zu Ehren solche Priester sich verschnitten, indem sie dem Attes nachahmten. Dieß schien mir nun zwar nicht ungereimt zu seyn, aber nicht wahr, indem ich auch von dieser Verschneidung [1728] eine andere, um Vieles wahrscheinlichere Ursache gehört habe.

16. Mir gefällt nämlich, was von diesem Heiligthum Andere in großer Uebereinstimmung mit den Griechen sagen, indem sie die Göttin für die Juno, und den Tempel für ein Werk des Bacchus, Sohnes der Semele, halten. Denn Bacchus war auf seinem Zuge aus Aethiopien auch nach Syrien gekommen, und noch finden sich in dem Tempel viele Denkzeichen des Stifters Bacchus: darunter Asiatische Gewänder, Indische Edelsteine, und Elephantenzähne, so Bacchus aus Aethiopien mitgebracht. Auch stehen vor der Tempelpforte zwei gewaltige Phallen [männliche Geschlechtszeichen] aufgerichtet, auf welchen die Inschrift eingegraben ist: Diese Phallen habe ich, Bacchus, meiner Stiefmutter Juno gewidmet. Zwar genügt mir schon Dieses. Ich will aber noch Etwas anführen, was in diesem Tempel zum geheimen Dienste des Bacchus gehört. Auch die Griechen richten dem Bacchus Phallen auf. Unter diesen haben sie eine ganz besondere Gattung, kleine aus Holz geschnitzte Männchen mit ungemein großen Schamgliedern Neurospasten[2] genannt. Nun ist auch hier ein solches, rechts in der Tempelhalle, zu sehen. Es ist ein kleiner sitzender Mann aus Erz mit einem großen Gliede.

17. Diese Sagen melden sie hier in Ansehung der Stifter dieses Heiligthums. Nun aber will ich reden von dem Tempel selbst, und wie und von Wem er aufgeführt worden [1729] ist. Sie sagen, der Tempel, wie er jetzt ist, sey nicht der gleich Anfangs erbaute; sondern der erste sey mit der Länge der Zeit endlich zusammengefallen. Der jetzt bestehende sey von Stratonice, der Gemahlin des Könige der Assyrier, erbaut worden. Meines Dafürhaltens war es dieselbe Stratonice, welche von ihrem Stiefsohne geliebt wurde, was durch den Scharfsinn eines Arztes an den Tag kam. Als Jenen die unglückliche Leidenschaft befiel, welche ihm selbst schändlich zu seyn dünkte, war er trostlos und verfiel in eine langwierige Krankheit. So lag er zwar ohne Schmerzen, aber seine Farbe änderte sich gänzlich, und sein Körper welkte sichtbarlich hin. Der Arzt, wie er kein wahrnehmbares Leiden an ihm fand, erkannte, daß seine Krankheit die Liebe sey. Denn es zeigten sich mehrere Zeichen einer geheimen Liebe, die matten Augen, die schwache Stimme, die blasse Farbe und die verstohlenen Thränen. Dieß merkend ging er also zu Werke. Er legte seine rechte Hand auf das Herz des jungen Mannes, und ließ Alle, so im Hause waren, herbei kommen. Einer trat um den Anderen herein, und der Kranke blieb ganz ruhig. Als aber seine Stiefmutter erschien, wechselte er die Farbe, der Schweiß brach ihm aus, alle seine Glieder zitterten, und das Herz pochte heftig. Diese Erscheinungen machten dem Arzte die Liebe vollends klar; und er heilte ihn nun auf folgende Weise.

18. Er rief den Vater, der sehr in Sorgen war, herbei, und sprach zu ihm: „Die Krankheit, an welcher dieser dein Sohn darniederliegt, ist keine Krankheit, sondern eine Thorheit. Am Körper leidet er nicht, wohl aber hat der Wahnsinn der Liebe sich seiner bemächtigt. Er sehnt sich nach [1730] Etwas, was ihm nie werden kann; denn er liebt mein Weib, das ich nicht von mir lassen werde.“ Also redete der Arzt klüglich die Unwahrheit. Da bat der König flehentlich, und beschwor ihn bei seiner Kunst und seiner Weisheit, ihm seinen Sohn nicht umkommen zu lassen. „Er hat sich ja“, sprach er „nicht freiwillig in diese Leidenschaft gestürzt; es ist eine Krankheit, die ihn unwillkürlich befallen. Wolle darum nicht aus Eifersucht das ganze Königreich in Trauer versetzen; und lasse, da du Arzt bist, nicht die Schuld einer Tödtung auf dich und deine Kunst kommen.“ So bat der Vater in seinem Irrthume. Der Arzt aber entgegnete: „Es ist ein unfeines Bemühen, meine eheliche Hausfrau mir entziehen zu wollen, und einem Arzte solcherlei Gewalt anzuthun. Was würdest du sagen, wenn er nach deiner eigenen Gemahlin Verlangen trüge, der du Solches von mir begehrest?“ Er aber antwortete darauf, daß ihm in diesem Falle auch sein eigen Weib nicht zu lieb wäre, und daß er dem Sohne seine Genesung auch dann nicht mißgönnen würde, wenn er der Stiefmutter begehrte. Denn es sey nicht einerlei Unglück, eine Gemahlin oder einen Sohn zu verlieren. Wie der Arzt diese Worte gehört, sprach er: „Nun denn, so tadle nicht mich. Nach Deinem Weibe verlangt ihn, und was ich gesagt, ist nicht die Wahrheit.“ Der König aber that also, und überließ dem Sohne sein Weib und sein Königreich. Er selbst ging nach Babylonien, und erbaute eine Stadt am Euphrat und nannte sie nach seinem Namen [Seleucia], allwo er auch sein Ende fand. Auf solche Weise hatte der Arzt die Liebeskrankheit erkannt und geheilt.

[1731] 19. Besagte Stratonice hatte aber, da sie noch mit ihrem ersten Gemahle lebte, einen Traum gehabt, und es war ihr gewesen, als ob sie von der Juno Befehl erhielte, ihr einen Tempel in der heiligen Stadt zu errichten. Wofern sie nicht gehorchen würde, so bedrohte sie die Göttin mit vielem Ungemach. Sie aber kehrte sich im Anfange nicht an dieses Gebot. Nachmals aber, da sie in eine schwere Krankheit verfiel, erzählte sie ihrem Manne das Traumgesicht’, und beschloß, um die Juno zu versöhnen, des Tempels Bau. Und alsbald ward sie gesund, und der König, ihr Gemahl, sandte sie in die heilige Stadt mit vielem Geld und vielem Kriegsvolk, theils zur Bauarbeit, theils der Sicherheit wegen. Er berief aber Einen seiner Freunde zu sich, einen Jüngling von großer Schönheit, deß Name war Combabus. Zu Diesem sprach er: „Du bist mir, mein Combabus, deiner Rechtschaffenheit wegen vor allen meinen Freunden lieb und werth, und ich lobe dich gar sehr um der Klugheit und Ergebenheit willen, so du gegen mich bewiesen. Nunmehr aber bedarf ich eines Mannes von großer Treue. Darum ist mein Wille, daß du meine Gemahlin begleitest, das Kriegsheer befehligest, und den Tempelbau und dessen Einweihung besorgen mögest. Bei deiner Zurückkunft aber soll dir von mir große Ehre wiederfahren.“ Auf dieses lag ihm Combabus mit Bitten flehentlich an, ihn nicht auszusenden, und ihm nicht ein Geschäft, dem er bei Weitem nicht gewachsen wäre, anzuvertrauen. Er fürchtete aber, der König möchte in der Folge auf ihn eifersüchtig werden um der Stratonice willen, mit welcher er allein von dannen ziehen sollte.

[1732] 20. Weil ihm aber der König nicht nachgeben wollte, so wagte er die zweite Bitte, ihm wenigstens eine Frist von sieben Tagen zu bewilligen. Wenn er alsdann seine nöthigsten Angelegenheiten ins Reine gebracht hätte, so möge er ihn absenden. Diese Bitte ward ihm gewährt, und Combabus ging nach Hause. Hier aber warf er sich zu Boden und weheklagte: „O ich Unglückseliger! Was habe ich nun von meiner Treue? Eine Reise zu machen, deren Ausgang ich voraussehe! Ich bin jung, und soll der Begleiter eines schönen Weibes seyn? Das wird mein Verderben werden, wenn ich nicht Alles aus dem Wege schaffe, was mir ein Unglück bereiten kann. Darum – es muß seyn! ich muß eine schwere That vollbringen, die mich von aller Furcht befreien solle.“ Und da er also gesprochen, verstümmelte er sich selbst, indem er sich das Schamglied abschnitt, welches er, zugleich mit Myrrhen, Honig und sonstigen wohlriechenden Essenzen, in eine kleine Capsel verschloß. Diese versiegelte er mit seinem Ringe und heilte seine Wunde. Und als die Zeit gekommen war, die Reise anzutreten, trat er vor den den König, und übergab ihm im Beiseyn Vieler die Capsel, und sprach zu ihm also: „Dieses, mein Herr und Gebieter, ist das größte Kleinod, so ich in meinem Hause verwahrte, und was mir gar sehr am Herzen liegt. Nunmehr aber, da ich eine große Reise antrete, will ich dasselbe bei dir niederlegen. Du wollest es mir sicher verwahren. Denn es ist mir werther als Gold, und gilt mir so viel als mein eigen Leben. Und wofern ich wieder komme, möge ich es unversehrt wieder empfangen.“ Der König übernahm die Capsel, versiegelte sie [1733] auch mit seinem Ringe und übergab sie seinem Schatzmeister zur Obhut.

21. Combabus machte jetzt die Reise ohne Anfechtung. Und als sie zur heiligen Stadt gekommen waren, betrieben sie den Bau des Tempels mit allem Eifer; gleichwohl gingen ihnen drei Jahre über der Arbeit hin. Mittlerweile begab sich wirklich, wovor dem Combabus bange gewesen. Stratonice hatte längst schon mit Verlangen auf eine Annäherung von seiner Seite gewartet; nachgerade aber stieg ihre Liebe zum Wahnsinn. In Hierapolis sagen sie, Juno hätte dieß absichtlich so gefügt, nicht als ob sie gewußt, wie tugendhaft Combabus war, sondern um die Stratonice dafür zu bestrafen, daß sie sich nicht gleich zum Tempelbau hatte verstehen wollen.

22. Anfänglich war Stratonice so verständig, zu verbergen, wo es ihr fehle. Als aber das Uebel überhand nahm und ihr alle Ruhe raubte, ließ sie ihre Qual offenbar werden, weinte am hellen Tage, rief den Namen Combabus aus, und Combabus war ihr Ein und Alles. Endlich, wie sie sich nicht anders zu helfen wußte, suchte sie eine bequeme Gelegenheit, mit Bitten an ihn zu kommen. Allein einem Andern ihre Liebe zu gestehen, konnte sie nicht über sich bringen, und ihn selbst anzugehen, schämte sie sich. Da ersann sie Folgendes. Sie beschloß, sich in Wein zu berauschen, und dann eine Unterredung mit ihm anzuknüpfen. Denn wie der Wein in den Menschen eingeht, geht mit ihm auch der Muth, zu sprechen, ein; und wenn man eine Fehlbitte gethan hat, braucht man sich hernach nicht zu schämen: denn man weiß ja nicht, was man gethan. Wie sie also die [1734] Abendmahlzeit geendet hatten, begab sie sich in die Gemächer, in welchen Combabus die Nacht zuzubringen pflegte, gestand ihm ihre Liebe und umfaßte seine Kniee unter den flehentlichsten Bitten. Combabus aber nahm ihre Worte sehr unfreundlich auf, schlug ihr die Sache ab, und machte ihr Vorwürfe wegen ihrer Betrunkenheit. Da sie aber drohte, sich ein schweres Leid anzuthun, gerieth er in Furcht, und eröffnete ihr den Grund seiner Weigerung, indem er ihr erzählte, was er an sich selbst vorgenommen, und sie endlich von der Wahrheit durch den Augenschein überzeugte. Wie nun Stratonice wirklich sah, was sie nie geglaubt hätte, war sie zwar von der Raserei ihrer Leidenschaft geheilt, ihrer Liebe aber entsagte sie darum keineswegs, sondern lebte von jetzt an unzertrennlich mit ihm, um sich dadurch wenigstens einigen Ersatz für ihr unbefriedigtes Verlangen zu verschaffen. Und diese Art von Liebe kam in Gebrauch in der heiligen Stadt, und findet sich jetzt noch daselbst. Die Frauen sind mit besonderem Verlangen den verschnittenen Priestern zugethan, und diese Gallen hegen hinwiederum eine heftige Leidenschaft gegen die Frauen. Niemand aber verargt ihnen Solches aus Eifersucht; sondern sie sehen dort etwas Heiliges in dieser Liebe.

23. Dem Könige aber blieb keineswegs verborgen, was mit Stratonice in Hierapolis vorging, sondern es kamen nicht wenige Leute an, die sie bei ihm verklagten und ihm Alles hinterbrachten. Darüber höchlich aufgebracht, berief er, bevor noch das Werk vollendet war, den Combabus zurück. Andere erzählen, was nicht wahr ist, Stratonice selbst habe, da sie ihre Bitte nicht gewährt sah, den Combabus [1735] in einem Briefe bei ihrem Gemahle angeschwärzt, als ob er sie habe in Versuchung führen wollen. Was also die Griechen von Sthenoböa und Phädra aus Cnossus erzählen, fabeln die Assyrier von der Stratonice. Ich aber kann weder glauben, daß Sthenoböa, noch daß Phädra Solches gethan, wenn anders Phädra den Hippolytus aufrichtig geliebt hat.

24. Doch wie dem auch sey – als die Botschaft des Königs in der heiligen Stadt eingetroffen war, erkannte Combabus alsbald die Ursache, machte sich aber getrosten Muthes auf den Weg, weil er seinen Fürsprecher zu Hause gelassen. Bei seiner Ankunft ließ ihn der König ohne Verzug mit Ketten belegen und in festem Gewahrsam halten. Und als er seine Freunde versammelt hatte, dieselben, so bei der Aussendung des Combabus zugegen gewesen waren, ließ er Diesen vorführen und bezüchtigte ihn des frechen Unterfangens, mit seiner Gemahlin ehebrecherischen Umgang gepflogen zu haben. Zugleich machte er ihm die bittersten Vorwürfe, daß er sein Zutrauen und seine Freundschaft so schändlich getäuscht, und erklärte, Combabus habe dreifach gesündigt, da er Ehebruch verübt, das Vertrauen des Königs verhöhnt, und, indem er Solches während einer heiligen Verrichtung gethan, auch gegen die Göttin gefrevelt habe. Viele der Anwesenden bezeugten, daß sie Beide in großer Vertraulichkeit beisammen gesehen hätten. Die Meinung Aller ging endlich dahin, daß Combabus, da er des Todes würdige Dinge gethan, unverzüglich sterben solle.

25. Dieser hatte inzwischen dagestanden und kein Wort gesprochen. Als es aber an dem war, daß er zum Tode [1736] geführt werden sollte, hob er an zu reden, und forderte sein Kleinod, indem er sagte, daß der König ihn nicht um der Entehrung seines Weibes willen wolle tödten lassen, sondern weil er nach dem Kleinod trachte, so er ihm bei seiner Abreise anvertraut habe. Auf dieses rief der König dem Schatzmeister und befahl ihm, das Anvertraute herbeizubringen. Und da er es brachte, löste Combabus das Siegel, und zeigte sowohl, was darinnen war, als auch seine eigene Mangelhaftigkeit. Zum Könige aber sprach er: „Mein König, da ich Solches befürchtete, so bin ich ungerne dran gegangen, als du mir diese Reise auftrugst. Allein du legtest mir die Nothwendigkeit, zu gehorchen, auf, und somit that ich, wie du siehst. Was meinem Herrn zum Vortheil gereichte, ist für mich freilich nicht erfreulich: und gleichwohl werde ich, so wie ich bin, beschuldigt, das Verbrechen eines Mannes begangen zu haben!“ Der König voll Erstaunen und Rührung umarmte ihn und sprach: „O Combabus! was hast du gethan? Du konntest an dir selbst dieses Entsetzliche vollbringen, was noch Keiner an sich verübte? Das kann ich nimmer gut heißen, Bedauernswürdiger! Wollten die Götter, ich hätte so Etwas nie gesehen! Bedurfte es denn einer solchen Rechtfertigung? Nun denn, weil es das Verhängniß einmal so gewollt hat, so soll dir von mir volle Genugthuung zu Theil werden, zuerst der Tod deiner Verläumder, sodann die reichsten Geschenke aller Art, Gold und Silber in Fülle, Assyrische Gewänder und königlich Pferde. Du sollst jederzeit unangemeldet bei mir eintreten dürfen: Niemand soll dir’s wehren, vor mein Angesicht zu kommen, und wenn ich eben bei meiner Gemahlin läge.“ [1737] Solches sprach er und that darnach. Die Angeber wurden alsbald zum Tode geführt. Combabus aber ward beschenkt, und nahm stets zu in der Gnade des Königes. Und in ganz Assyrien war Niemand, der ihm an Glück und Weisheit vergleichbar schien.

26. Nunmehr aber erbat er sich, den Tempel, den er unvollendet zurückgelassen hatte, vollenden zu dürfen. Er ward also abermals ausgesendet, beendigte den Bau, und blieb hinfort in der heiligen Stadt wohnhaft. Der König aber verlieh ihm um seiner Verdienste und seiner Tugend willen die Ehre, daß seine Bildsäule aus Erz im Tempel aufgestellt wurde. Und noch jetzt steht dieser eherne Combabus daselbst, ein Werk des Hermocles aus Rhodus; die Züge sind wie bei einem Weibe, die Kleidung aber ist männlich. Auch sagt man, daß Etliche seiner Freunde, die ihm besonders wohl wollten, um ihm zum Troste zu dienen, sich entschloßen, sein Schicksal zu theilen. Sie entmannten sich nämlich gleichfalls, und erwählten auch seine Lebensweise. Andere aber führen eine heilige Sage an, indem sie erzählen, Juno selbst hätte den Combabus geliebt, und damit er über seine Entmannung nicht allein trauern müßte, noch mehreren Anderen in den Sinn gegeben, sich zu verschneiden.

27. Auf diese Weise ist ein Brauch entstanden, der zur Stunde noch besteht, indem sich jedes Jahr eine Anzahl junger Leute in dem Tempel verschneidet und in Weiber umgestaltet, sey es nun, daß sie es, um den Combabus zu trösten, oder der Juno zu Ehren thun. Wenn sie entmannt sind, tragen sie keine männliche Kleidung mehr, sondern [1738] legen Weibergewänder an, und verrichten weibliche Geschäfte. Und so viel ich hörte, hat auch hierzu Combabus die Veranlassung gegeben. Denn es hatte sich mit ihm Folgendes zu getragen. Eine fremde Frau, welche zu der großen festlichen Versammlung gekommen war, hatte den schönen Combabus, der damals noch Männerkleider trug, kaum zu Gesichte bekommen, als sie von einer heftigen Liebe zu ihm ergriffen wurde. Da sie aber erfuhr, daß er verstümmelt sey, entleibte sie sich selbst. Trostlos darüber, daß er in Liebessachen so unglücklich seyn sollte, legte er Weibertracht an, damit hinfort keine Frau mehr an ihm irre werden mochte. Dieß war die Veranlassung zu der weiblichen Tracht der Gallen. So viel also von Combabus. Der Gallen wird im Folgenden weitere Erwähnung geschehen, wo ich berichten werde, wie sie bei der Verschneidung verfahren, wie man sie, wenn sie gestorben, zu bestatten pflegt, und aus welcher Ursache sie den Tempel nicht betreten. Vorerst aber gedenke ich von der Lage des Tempels und von seiner Größe zu sprechen.

28. Der Platz, auf welchem der Tempel steht, ist eine Anhöhe, so ungefähr mitten in der Stadt liegt und von einer doppelten Mauer umgeben ist. Die erste Mauer ist schon alt, die andere nicht lange vor unserer Zeit erbaut worden. Der Vorhof des Tempels sieht nach Mitternacht und hat eine Größe von ungefähr hundert Klaftern. In demselben stehen die Phallen, so Bacchus gestiftet, und deren Höhe dreißig Klafter beträgt. Auf einen dieser Phallen steigt zweimal in jedem Jahre ein Mann, und hält sich sieben Tage lang auf der Spitze desselben auf. Als Ursache dieses Brauchs wird Folgendes angegeben. Das Volk glaubt, der Mann [1739] verkehre in dieser Höhe mit den Göttern selbst, und bete Heil und Segen auf ganz Syrien herab: denn je näher er den Göttern stehe, desto besser vernehmen sie seine Gebete. Andere aber glauben, daß auch dieses dem Deucalion zu Ehren und zur Erinnerung an jene Heimsuchung geschehe, wo die Menschen aus Furcht vor dem großen Gewässer Berge und hohe Bäume bestiegen. Mir ist aber auch dieses nicht glaublich, sondern ich vermuthe, daß dieser Brauch zu Ehren des Bacchus beobachtet wird. Ich schließe es aber daraus: Wer dem Bacchus Phallen errichtet, setzt denselben kleine hölzerne Männer auf. Warum dieß geschieht, sage ich nicht. Es scheint also, daß hier der Mann auf den Phallus steigt, um jene hölzerne Figur vorzustellen.

29. Das Aufsteigen aber wird auf folgende Weise bewerkstelligt. Der Mann wirft ein langes Seil um sich und um den Phallus; steigt hierauf an kleinen Hölzern, die nur so weit aus dem Phallus herausragen, um die Fußspitze darauf setzen zu können, hinan, indem er mit jedem Tritt das Seil, indem er es schüttelt, wie die Fuhrleute das Leitseil, in die Höhe wirft. Wer dieses noch nicht gesehen, dagegen aber gesehen hat, wie man in Arabien, Aegypten und anderwärts auf die Palmbäume steigt, wird verstehen, wie ich es meine. Wenn er aber auf dem Gipfel angelangt ist, läßt er ein anderes, sehr langes Seil, das er bei sich hat, herab, und zieht an demselben Holz, Kleider, Geräthe aller Art, kurz Alles, was er bei sich haben will, hinauf. Daraus erbaut er sich eine Art Nest, worin er sitzt, und, wie gesagt, eine Zeit von sieben Tagen ausharren muß. Und nun kommen [1740] von allen Seiten Leute herbei und bringen Gold und Silber, Etliche auch Kupfer. Dieß legen sie unten am Phallus nieder, sagen Jeder seinen Namen, und gehen wieder von dannen. Ein Mann, der dabei steht, ruft den Namen hinauf: und wenn der oben Sitzende ihn vernommen, verrichtet er für denselben sein Gebet, wobei er zugleich an ein kupfernes Instrument schlägt, das einen sehr starken und scharfen Ton von sich gibt. Schlafen darf er niemals; denn sobald ihn ein Schlummer überfällt, so steigt ein Scorpion hinauf, weckt ihn und richtet ihn übel zu: und dieß ist seine Strafe, wenn er eingeschlafen ist. Was man aber von diesem Scorpion erzählt, ist geheimnißvoll und heilig; ob wahr, weiß ich nicht zu sagen. Nach meinem Ermessen trägt schon die Furcht, herabzufallen, Vieles zur Schlaflosigkeit bei. So viel möge genügen von diesem Phallussteigen.

30. Der Tempel aber sieht gegen die aufgehende Sonne, und gleicht nach Gestalt und Bauart den Tempeln in Ionien. Er ruht auf einer Basis von zwei Klaftern Höhe über dem Boden, auf welche eine kurze Treppe von Marmor hinauf führt. Wenn man oben ist, so gewährt schon die Vorhalle mit den künstlich gearbeiteten, vergoldeten Flügelthüren einen wundervollen Anblick. Das Innere des Tempels aber strahlt von einer Fülle Goldes; und auch die Decke ist ganz vergoldet. Ein ambrosischer Duft, dergleichen die Gefilde Arabiens aushauchen sollen, weht schon von Ferne dem Herbeikommenden mit unbeschreiblichem Wohlgeruche entgegen, den man nicht verliert, auch wenn man wieder weggegangen ist: denn man trägt ihn in den Kleidern mit sich, und wird noch lange nachher überall an ihn erinnert.

[1741] 31. Das Innere des Tempels bildet nicht ein Ganzes: sondern es ist von demselben ein zweiter Raum abgetheilt, wiewohl nicht durch Thüren von dem ersten gesondert, sondern nach vorn ganz offen, in welchen man ein paar Stufen hinaufsteigt. In den vordern, großen Raum des Tempels darf Jedermann eintreten: in die zweite Abtheilung aber nur die Priester, und nicht einmal alle Priester, sondern nur Diejenigen unter ihnen, welche der Gottheit am nächsten stehen, und denen der gesammte heilige Dienst obliegt. In diesem Raume stehen die Bilder der Götter, die Juno nämlich, und ein Gott, der kein anderer als Jupiter ist, wiewohl sie ihm einen anderen Namen geben. Beide sind von Gold, und Beide sind sitzend vorgestellt, die Juno von Löwen gezogen, der Gott aber von Stieren. Und dieses Gottes Bild deutet völlig auf Jupiter, nach Haupt, Bekleidung und Stellung, so daß man ihn, auch wenn man wollte, mit keinem Anderen vergleichen könnte.

32. Allein diese Juno zeigt, wenn man sie näher betrachtet, ein Mannichfaltiges in ihrer Gestaltung. Im Ganzen zwar ist sie unstreitig die Juno: sie hat aber auch Etwas von der Minerva, der Venus, der Luna, der Rhea, der Diana, der Nemesis und den Parcen. In der einen Hand hält sie ein Scepter, in der anderen eine Spindel. Auf dem Haupte hat sie Strahlen und einen Thurm, und um den Leib einen Gürtel, womit man sonst nur die Venus Urania schmückt. Außerdem trägt sie goldenen Schmuck aller Art an sich, und die kostbarsten Edelsteine, theils weiße oder wasserblaue, theils feuerfarbene: auch sind darunter viele Sardonyche, Hyacinthe und Smaragde, so ihr von Aegyptiern, [1742] Indiern, Aethiopiern, Mediern, Armeniern und Babyloniern dargebracht worden. Was aber am meisten Beachtung verdient, ist Folgendes. Sie trägt auf dem Kopfe einen Stein, so die Lampe heißt, und dessen Benennung mit seiner Wirkung übereinkommt. Denn aus ihm strahlt des Nachts ein sehr heller Glanz aus, von welchem der ganze Tempel wie von Lampen erleuchtet wird. Am Tage ist dieser Schein viel schwächer, hat aber doch eine stark feuergelbe Farbe. Ein anderes Wunder an diesem Götterbilde ist dieses, daß es dir, wenn du ihm gegenüber stehst, gerade ins Gesicht sieht, und mit seinem Blicke dir folgt, wenn du deine Stellung veränderst, zu gleicher Zeit aber Demjenigen, der von einer ganz anderen Seite diesen Versuch macht, ganz dieselbe Erscheinung gewährt.

33. In der Mitte zwischen diesen Beiden steht ein anderes vergoldetes Bild, den anderen keineswegs ähnlich. Es hat keine eigenthümliche Form, sondern trägt eine aus allen übrigen Götterbildern zusammengesetzte Gestalt. Die Assyrier selbst nennen es das Wunderbild, indem sie ihm keinen eigenen Namen geben, und eben so wenig über seine Herkunft und Bedeutung Etwas zu sagen wissen. Doch beziehen es Einige auf den Bacchus, Andere auf den Deucalion, wieder Andere auf die Semiramis. Denn weil es eine goldene Taube auf der Scheitel stehen hat, so fabeln Einige, es sey ein Bild der Semiramis. Es wandert aber zweimal des Jahres zum Meere, wenn das Wasser dort geholt wird, wovon ich oben gesprochen.

34. In dem vordern Tempelraume, zur Linken, wenn man hineingeht, steht der Thron des Sonnengottes. Sein [1743] Bild selbst aber ist nicht da: denn der Sonnengott und die Mondgöttin sind die einzigen, von welchen sie keine Bilder haben. Warum dieß so ist, habe ich ebenfalls erkundet. Sie sagen nämlich, von den übrigen Gottheiten sey es erlaubt, sich Bilder zu verfertigen, denn sie erscheinen nicht Jedermann in sichtbarer Gestalt: der Sonnengott hingegen und die Mondgöttin erscheinen helle leuchtend aller Welt und werden von männiglich gesehen. Wozu solle man also ein Bild verfertigen von Dem, was sichtbarlich am Himmel stehe?

35. Von diesem Throne weiterhin steht die Bildsäule des Apollo, aber nicht, wie sie gewöhnlich gemacht wird. Denn alle Andern denken sich den Apollo als Jüngling, und stellen ihn in der ersten Jugendblüthe dar: hier allein aber hat man ein bärtiges Apollobild. Und hierin behaupten sie allein recht daran zu seyn, und tadeln die Griechen und alle anderen Völker, so den Apollo als einen jugendlichen Gott verehren. Der Grund ist aber der. Es scheint ihnen großer Unverstand zu seyn, den Göttern unvollkommene Gestalten zu geben: die Jugend aber halten sie für etwas noch Unvollkommenes. Und auch dieß ist etwas Besonderes an ihrem Apollo, daß sie ihm eine Bekleidung geben.

36. Von den Verrichtungen dieses Apollo hätte ich zwar Vieles zu sagen: allein ich will nur das Merkwürdigste anführen, und zuerst seines Orakels erwähnen. Zwar gibt es auch bei den Griechen viele Orakel, und nicht minder bei den Aegyptiern, in Libyen und ganz Asien. Aber von allen diesen vernimmt man die Sprüche nur durch den Mund der Priester und Propheten. Dieser Apollo dagegen bewegt sich selbst und verrichtet das ganze Geschäft der Weissagung völlig [1744] allein. Es geht aber dabei folgendermaßen zu: Wenn er ein Orakel ergehen lassen will, fängt er an, auf seinem Stze sich zu bewegen; und nun heben ihn die Priester sogleich in die Höhe. Wenn sie dieß nicht thun, so bricht ihm der Schweiß aus, und er bewegt sich immer sichtbarer und heftiger. Sobald sie ihn aber auf ihre Schultern genommen haben, treibt er sie im Kreise herum und springt von Einem auf den Andern. Endlich stellt sich ihm der Oberpriester gegenüber, und befragt ihn über Alles. Wenn denn nun der Gott will, daß Etwas nicht gethan werden soll, so geht er rückwärts: gibt er zu Etwas seinen Beifall, so treibt er seine Träger vorwärts wie ein Fuhrmann. Auf diese Art holen sie die göttlichen Offenbarungen ein, und vorher unternehmen sie weder ein heiliges noch ein Privat-Geschäft. Er sagt auch die Beschaffenheit des Jahres und die Witterung voraus, und bestimmt die Zeit, wenn das Wunderbild seine oben besagte Reise antreten soll.

37. Noch will ich eines Wunders erwähnen, welches er in meiner Gegenwart verrichtete. Die Priester trugen ihn auf ihren Schultern. Er aber ließ sie auf der Erde stehen, erhob sich und schwebte ganz frei in den Lüften.

38. Nach dem Apollo kommt man zur Bildsäule des Atlas, und hierauf zu Mercur und Lucina.

39. So Vieles von demjenigen, womit das Innere des Tempels geschmückt ist. Außerhalb desselben steht ein sehr großer Altar aus Erz, und eine ungemein zahlreiche Menge eherner Standbilder von Königen und Priestern, von welchen ich die merkwürdigsten nennen will. Links vom Tenel steht die Bildsäule der Semiramis, die mit der rechten Hand [1745] auf den Tempel deutet. Die Ursache, warum sie hier steht, ist diese. Sie hatte allem Volke, das in Syrien wohnt, das Gesetz gegeben, sie wie eine Gottheit zu verehren, und der anderen Götter, und selbst der Juno nicht zu achten. Und das Volk that also. Hernach aber, als die Götter Krankheit, Unglück und Jammer über sie kommen ließen, ließ sie ab von ihrer Thorheit, bekannte, daß sie nur eine Sterbliche sey, und gebot ihren Unterthanen, sich wieder zur Juno zu wenden. Aus dieser Ursache steht sie solchergestalt hier, weist alle Ankommenden auf die Verehrung der Juno hin, und gesteht somit, daß nicht sie selbst, sondern Jene die Göttin sey.

40. Ferner sah ich daselbst die Standbilder der Helena, Hecuba, Andromache, des Paris, Hector und Achilles. Ingleichen ein Bild des Nireus, Sohnes des Aglaïa, die Philoméle und Procne in ihrer weiblichen Gestalt, den Tereus selbst, in einen Vogel verwandelt, ein zweites Standbild der Semiramis, das obenerwähnte des Combabus, eine ausnehmend schöne Statue der Stratonice, und eine von Alexander dem Großen, die ihm sehr ähnlich ist. Neben ihm steht Sardanapal, ein Bild von sehr verschiedenem Aussehen und ganz anderer Tracht.

41. In dem Hofraume laufen große Stiere, Pferde, Adler, Bären und Löwen ganz frei herum und weiden. Sie thun keinem Menschen Etwas zu Leide, sondern alle sind heilige Thiere und völlig zahm.

42. Priester sind hier in großer Zahl angestellt, von denen die Einen die Opferthiere schlachten, Andere die Trankopfer tragen, wieder Andere die Feuerträger und Altarpriester [1746] heißen. Als ich dort war, sah ich ihrer mehr als dreihundert bei einem Opfer zugegen. Alle tragen weiße Gewänder und Hüte. Jedes Jahr wird wieder ein neuer Oberpriester eingesetzt: und dieser allein trägt einen Purpurmantel und hat eine goldene Tiara um das Haupt gewunden.

43. Außer Diesen gibt es noch ein Menge zum heiligen Dienst gehöriger Leute, Flötenbläser, Pfeifer, Gallen, und vom heiligen Wahnsinn ergriffene Weiber.

44. Alle Tage wird zweimal geopfert, wobei sich alle diese Leute versammeln. Dem Jupiter opfern sie ganz in der Stille, ohne Gesang und Flötenspiel. Aber wenn der Gottesdienst der Juno angeht, so singen sie und pfeifen und klappern. Warum dieß geschieht, wußten sie mir nicht deutlich zu sagen.

45. Nicht ferne von dem Tempel ist ein See, in welchem heilige Fische in großer Anzahl und von den verschiedensten Gattungen gefüttert werden. Einige derselben erreichen eine ungemeine Größe, haben ihre eigenen Namen und kommen herbei, wenn man sie ruft. Als ich sie sah, war einer unter ihnen, der eine goldene Verzierung trug. An seinen Floßfedern nämlich war eine Goldarbeit gar künstlich angebracht. Ich habe ihn oftmals gesehen und jedesmal hatte er diese Verzierung.

46. Die Tiefe des Sees, welche sehr bedeutend ist, habe ich zwar nicht untersucht: sie sagen aber, daß dieselbe über zweihundert Klafter betrage. In der Mitte des Sees steht ein steinerner Altar, der, beim ersten Aublick wenigstens, sich schwimmend über dem Wasser zu halten scheint: und Viele glauben dieß wirklich. Meine Meinung aber ist, [1747] daß der Altar von einer sehr hohen im Wasser stehenden Säule getragen wird. Er ist jederzeit bekränzt und duftet von Weihrauch, da kein Tag vergeht, da nicht Viele hinzuschwimmen, um ihre Andacht daselbst zu verrichten und ihn mit Kränzen zu behängen.

47. Daselbst werden auch sehr große festliche Aufzüge gehalten, welche man die See-Processionen nennt, weil alsdann die heiligen Bilder alle an den See hinabkommen. Unter diesen kommt die Juno zuerst, um der Fische willen, damit sie nicht zuerst von Jupiter gesehen werden. Denn wenn dieß geschähe, behauptet man, so gingen sie alle zu Grunde. Und nun kommt Jupiter wirklich, um sie gleichfalls zu sehen; aber Juno stellt sich ihm entgegen, hält ihn ab, und bewegt ihn endlich durch viele Bitten, umzukehren.

48. Die größte aller Feierlichkeiten aber ist die Wallfahrt an das Meer. Ich weiß indessen nichts Zuverlässiges hierüber zu melden, weil ich diese Reise nicht selbst mitgemacht habe. Was sie aber bei ihrer Zurückkunft vorgenommen, habe ich gesehen und will es berichten. Ein Jeder bringt ein mit Wasser voll gefülltes und verschlossenes Gefäß mit, das mit Wachs versiegelt ist. Dieses Gefäß darf Niemand selbst öffnen, sondern ein heiliger Hahn, der seinen Aufenthalt neben dem See hat, empfängt sämmtliche Gefäße, besieht jedes Siegel, löst, nachdem er eine Belohnung erhalten, den Bindfaden auf, und nimmt das Wachs weg. Und so gehen dem Hahn für dieses Geschäft keine geringe Summen ein. Jetzt tragen sie selbst die Gefäße in den Tempel, gießen sie aus, opfern, und gehen wieder nach Hause.

[1748] 49. Unter den Festen, die ich kenne, wird das größte mit dem Beginn des Frühlings gefeiert. Sie heißen es das Brand- oder Fackelfest, und beobachten dabei folgende besondere Weise der Opferung. Sie hauen große Bäume um, und richten sie im Hofraume des Tempels auf. Hierauf werden Ziegen, Schafe und andere Opferthiere herbeigetrieben, und lebendig an den Bäumen aufgehangen: dazu kommen noch Vögel, Kleider, goldene und silberne Kostbarkeiten. Wenn nun dieses Alles gehörig vorbereitet ist, so werden die heiligen Bilder im Kreise um die Bäume herumgetragen. Hierauf zündet man die Bäume an, und in wenigen Augenblicken geht Alles in Flammen auf. Zu diesem Feste kommt viel Volk aus Syrien und allen umliegenden Landschaften, und Jegliche bringen ihre heiligen Bilder und Abbildungen mit, so darnach geformt sind.

50. An bestimmten Tagen versammelt sich das Volk in großer Menge bei dem Tempel. Hier verrichten viele Gallen und die oben erwähnten heiligen Leute den mystischen Dienst, wobei sie sich in die Arme schneiden und mit dem Rücken gegen einander stoßen. Eine Anzahl derselben steht dabei und bläst auf Flöten; Andere schlagen die Handpauken; wieder Andere singen begeisterte, heilige Lieder. Alles Dieses aber geht außerhalb des Tempels vor: denn so lange sie Solches verrichten, betreten sie den Tempel nicht.

51. An diesen Tagen entstehen auch Gallen. Denn während die Anderen unter Flötentönen den heiligen Dienst begehen, wandelt die Raserei auch Viele der Umstehenden an, und Manche, die nur um zuzusehen gekommen waren, verübten an sich, was ich jetzt beschreiben will. Der Jüngling, [1749] den dieser Zustand befällt, reißt sich die Kleider vom Leibe, rennt unter lautem Schreien mitten in den Kreis der Priester hinein, ergreift dort eines der Schwerter, die seit vielen Jahren, wie es scheint, hiezu in Bereitschaft stehen, verschneidet sich damit, und läuft durch die Stadt, indem er in den Händen hält, Was er sich abgeschnitten. Und in welches Haus er es hineinwirft, aus demselben erhält er weibliche Kleidung und weiblichen Putz. Also verfahren sie bei der Verschneidung.

52. Wenn ein Galle gestorben ist, so wird er nicht begraben, wie andere Leute, sondern seine Freunde nehmen ihn auf die Schultern und tragen ihn vor die Stadt hinaus. Hier legen sie ihn sammt der Tragbahre, auf welcher sie ihn brachten, nieder, bedecken ihn mit Steinen, und begeben sich wieder nach Hause. Und nun müssen sie sieben Tage abwarten, bis sie den Tempel wieder betreten dürfen; wenn sie früher hineingingen, wäre es ihnen Sünde.

53. Sie beobachten in dieser Hinsicht noch folgende andere Gesetze: Wer einen Todten gesehen hat, kommt an diesem Tage nicht in das Heiligthum: am folgenden Tage reinigt er sich und tritt ein. Die Angehörigen des Verstorbenen aber warten Alle die Frist von dreißig Tagen ab, scheren sich dann das Haupt, und treten ein. Ehe sie Dieses thun, ist es ihnen Sünde, hinein zu gehen.

54. Die Thiere, so sie opfern, sind Stiere und Kühe, und Ziegen, und Schafe. Schweine allein sind ihnen ein Gräuel; sie opfern sie nicht, noch essen sie welche. Einige aber glauben, dieß geschehe, nicht weil sie ein Gräuel, sondern weil sie heilig seyen. Von den Vögeln gilt ihnen die [1750] Taube für ein hochheiliges Thier, und sie halten es für Sünde, eine Taube auch nur anzurühren. Wer es zufällig gethan, ist selbigen Tag unrein. Aus dieser Ursache leben die Tauben dort ganz friedlich unter den Menschen, gehen in ihre Wohnungen und suchen ihr Futter auf der Straße.

55. Auch habe ich zu sagen, was Diejenigen vornehmen, welche die festlichen Versammlungen zu besuchen kommen. Wenn ein Mann zum erstenmal in die heilige Stadt kommt, so läßt er sich die Haupthaare und die Augbraunen abscheren. Alsdann opfert er ein Schaf, und hält von dem übrigen Fleische eine Mahlzeit. Das Vließ aber breitet er auf die Erde aus, knieet darauf, und legt die Füße und den Kopf des Opferthieres auf sein Haupt. Solchergestalt verrichtet er ein Gebet, und bittet, sein gegenwärtiges Opfer annehmen zu wollen; zugleich verspricht er für’s Künftige ein reichlicheres. Wenn er dieß gethan, bekränzt er sich und alle Uebrigen, so mit ihm desselben Weges gereist sind. Wenn er aus seiner Heimath aufgebrochen und auf der Wallfahrt ist, darf er sich zum Baden und zum Trinken blos des kalten Wassers bedienen, und nicht anders, als auf der bloßen Erde schlafen. Denn es wäre ihm Sünde, ein Bette zu besteigen, bevor er die Reise vollendet und seine Heimath wieder erreicht hat.

56. In der heiligen Stadt empfängt ein Gastwirth den unbekannten Fremdling. Denn für jede auswärtige Stadt ist hier ein besonderer Gastwirth bestimmt, der nach alter Sitte die aus derselben Ankommenden bei sich aufnimmt. Diese Wirthe heißen bei den Assyriern Lehrer, weil sie den Fremden in allen Stücken Anweisung ertheilen.

[1751] 57. Die Fremden opfern übrigens nicht in dem Heiligthum selbst, sondern führen das Thier blos vor den Altar, verrichten die Libation, und führen es lebendig wieder nach Hause, wo sie es schlachten und ihre Gebete verrichten.

58. Eine andere Art zu opfern ist diese. Man stürzt die bekränzten Opferthiere über die Terrasse des Vorhofes hinab, so daß der Fall sie tödtet. Einige stürzen sogar ihre Kinder von hier hinab, aber nicht wie die Opferthiere, sondern indem sie dieselben in einen Schlauch stecken, und diesen eigenhändig hinabstoßen, wobei sie Schmähworte ausstoßen und sagen, es seyen keine Kinder, sondern Kälber.

59. Es herrscht die allgemeine Sitte, sich auf die Hände oder auf den Nacken Punkte einzustechen. Und daher kommt es, daß alle Assyrier auf diese Weise gezeichnet sind.

60. Endlich haben sie noch einen Brauch, worin sie unter allen Griechen allein mit den Trözeniern übereinkommen. Die Trözenier nämlich haben den Jungfrauen und Jünglingen zum Gesetze gemacht, nicht eher zur Vermählung zu schreiten, als bis sie dem Hippolytus ihre Locken geopfert haben. Dasselbe geschieht auch in der heiligen Stadt. Die jungen Männer opfern die Erstlinge ihres Bartes. Den Knaben aber läßt man von Kindheit an die Locken als etwas Heiliges wachsen. Hernach aber gehen sie in den Tempel, schneiden dieselben ab, legen sie in eine silberne, Viele auch in eine goldene Capsel, die sie, mit ihrem Namen versehen, im Tempel aufhängen. Dieses habe auch ich in meiner Jugend gethan, und noch befindet sich im Tempel meine Haarlocke und mein Name.



  1. Die Aechtheit dieses Aufsatzes wird bezweifelt. Wenn Lucian wirklich der Verfasser ist, so hat sich seine Laune dießmal darauf beschränkt, einen barbarischen Cultus mit possirlich-andächtiger Naivetät, und in Herodots alterthümlicher Manier, so wie in dessen Mundart, der Ionischen, beschreiben.
  2. Eine Art Marionetten, die mit Saiten oder Fäden (Neuron) gezogen (span) und in Bewegung gesetzt wurden.