Die Todten in der Ulkebüller Kirche

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Textdaten
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Autor: C. M.
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Titel: Die Todten in der Ulkebüller Kirche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 512
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[512] Die Todten in der Ulkebüller Kirche. Nur wer die volle Furchtbarkeit von Schlachtfeldern und Leichenstätten kennt, wird, wenn es gilt, ohne Bangen sein eigenes Dasein auf das Spiel setzen, denn die Schrecken des Toden liegen als erlebt hinter ihm. Aber er wird zurückschaudern vor dem Gedanken, je wieder in das wüste Kriegsgeschrei grundloser Streitsucht oder überreizten Ehrgeizes mit einzustimmen! Heutzutage liefert man nur noch Schlachten, um den Zeitpunkt herbeizuführen, wo es keine Schlachten mehr geben wird. Darum ist eine solche Statt des Todes der ganzen Menschheit geweiht und heilig, eine Station mehr auf dem steilen Pfade nach dem Tempel der Freiheit und des Friedens, doch heilig vor allem Andern ein Feld, das den Sieg der Sache der Freiheit und des Fortschritts schaute. –

Im Morgenglanze lag Sonderburg vor uns, noch in seinen rauchenden Trümmern schon in seiner Lage an dem tiefblauen Ostseewasser, geschmückt durch das mächtige Bauwerk des alten Schlosses, das einst Dänemarks und der Herzogthümer größten, blutbeflecktesten und unglücklichsten gemeinsamen Herrscher, den Adelsfeind und das Opfer des Adels, Christian II., siebenzehn Jahre lang gefesselt hielt. Dann hatte hier Herzog Johann der Jüngere residirt, von dessen Sohne Alexander sowohl die Augustenburgische, als die Beckische, durch König Friedrich’s VI. Gnade mit dem Titel der „Glücksburger“ beschenkte Linie des Oldenburgischen Hauses abstammt. Welch ein Wechsel der Zeiten seitdem! Jetzt hielten, zum zweiten Male in reichlich zwei Jahrhunderten, Brandenburger die Wache vor jenem Schlosse, preußische Krieger füllten die Stadt, die in keinem der früheren schleswig-holsteinischen Feldzüge dem Danebrog hatte entrissen werden können. Jetzt wird sie frei, in ihren Trümmern. Noch in den Straßen war drei Tage vorher gekämpft worden, die Höhe dort mit den Windmühlen hatte den letzten erbitterten Widerstand der Dänen-gesehen; nun waren dort die letzten Spuren des neulichen Kampfes vertilgt, die Todten moderten in der Erde, um deren Besitz sie lebend gerungen; in ihrem grünen Glanze, mit rothen und blauen Blumen untermischt, wogten die Kornfelder friedlich im Morgenwinde. Nach Nordosten hin, nach der Ulkebüller Kirche müsse, so hieß es, wer noch die tiefen Fußspuren des vorüberschreitenden Kriegsgottes sehen wolle.

Drei Hamburger Turner schlossen sich uns an, ernsthaft, ja gramvoll dreinschauend. Sie suchten einen Jugendfreund und Bundesbruder, der zu den Opfern der Eroberung gehörte, von Freundeshänden sollten seine Reste zur Ruhe getragen werden. Auch sie hatte man nach der Ulkebüller Kirche gewiesen, wo noch gegen fünfzig Leichen, Dänen wie Preußen, erst den Abend vorher von ihren Todesstätten zusammengetragen, der Beerdigung harren sollten.

Schon der Weg dahin war ein Schlachtfeld. Hierhin hatte sich die Flucht des dänischen Centrums gezogen, von Nordwesten nach Südosten zu, quer über Felder, Wiesen und Wald. Frische Gräber an einzelnen einsamen Punkten deuteten auf die Opfer des jüngsten Kampfes, eingescharrt, wo sie gefallen waren; breite und tiefe Fußspuren in den Gräben und Zäunen, umgebogene Gesträuche, vor Allem aber ganze Reihen blauer Patronenhülsen, symmetrisch auf den Boden gestreut, veranschaulichten den Gang des Gefechtes. Noch hingen hie und da Bajonnete und Seitengewehre in den Gebüschen, obgleich nach derartigen Gegenständen kriegerischer Brauchbarkeit das Feld natürlich längst abgesucht war; massenhaft dagegen lagen in den Gräben die geringfügigeren Utensilien des Soldaten, und die charakteristischen Holzpantoffeln und Holzschuhe verriethen in ihrer großen Anzahl nur zu deutlich, welche Nation hier in der blinden Angst wilder Flucht selbst ihre Fußbekleidung fortgeworfen hatte. Dazwischen, als werthlos aus den Tornistern ihrer gefallenen oder entflohenen Feinde von den Preußen ausgeschüttet, häuften sich dann wieder zahlreiche Briefe, so viele von ihnen ich gelesen habe, von melancholischem Inhalte, Sehnsucht nach dem Frieden, Hoffnungen, Wünsche und Gebete für die glückliche Heimkehr des Sohnes, Bruders, Geliebten oder Gatten und Versorgers aussprechend, die vielleicht schon im tiefen Grunde schliefen.

Dann machte der Weg eine Biegung; vor uns, friedlich von blühenden Bäumen umgeben, lag die Ulkebüller Kirche. Ich blieb stehen, ich kannte die Gegend. Vor gerate zehn Jahren war ich, damals ein Schüler der schamlos danisirten Flensburger Gelehrtenschule, bei Gelegenheit einer Schulfestlichkeit, wie sie dort jährlich veranstaltet wurden, desselben Weges gekommen, unwillig der Danebrogsfahne folgend, die von einigen Knaben eingewanderten dänischen Stammes dem Zuge vorangetragen wurde; jetzt, wo die glühenden Träume von blutiger und glorreicher Befreiung meines Vaterlandes Wahrheit geworden waren, schritt ich wieder über diese Erde dahin, um die theuren Opfer des Streites zu schauen! Noch giebt es eine ewige Gerechtigkeit und kein Unrecht bleibt ungesühnt, aber wer belebt die Herzen wieder, die in langjährigem hoffnungslosem Kampfe verzweifelten und brachen?

Schon klirrten die schweren Riegel des kleinen Gotteshauses. An zwei geöffneten Grüften, die ihrer Todten harrten, vorüber schritten wir die Eingangsstufen hinan. Ein tiefer Athemzug, ein Blick: dort, auf den Steinfliesen des Kreuzganges, zwischen die Kirchenstühle gebettet, ruhte die Ernte des Todes.

Das war der Tod in seiner ganzen schlichten Furchtbarkeit: das jähe Versiechen des eben noch schäumenden Lebensstromes. Deutete nicht die wachsbleiche Farbe, die kleine schwarzgeränderte Wunde in Kopf oder Brust an, daß die Seele dem Körper längst entflohen sei, man hätte die Dahingestreckten schlummern geglaubt, am Orte des Friedens sich erholend für neue blutige Mühsale. Im staubigen schwarzgrauen Mantel lagen die Sieger da, am Eingange der Kirche, als wollten sie den weiter unten gebetteten Feinden den Ausgang verwehren. Unnöthige Sorge, die so oft Fliehenden flohen hier nicht mehr, ein Stärkerer, als ihre Furcht, bannte sie an ihre Schlummerstätte!

Wir stiegen über die Kirchstühle hinweg, um in schauerlicher Lust das Gepräge der Vernichtung aus den Zügen der Einzelnen zu betrachten. Selbst im Tod ist keine Gleichheit, auch hier waltet ein willkürliches Geschick. Wie lächelnde Kinder, wunderbar schön in ihrer tiefen Weichheit, zeigten sich Einige, den Kopf auf den Arm gelegt, wie Jemand, der sich zu tieferem Schlafe bequemer betten will, oder die Hände fromm gefaltet, in seliger Zuversicht. Auf andern Angesichtern war der kriegerische Muth verewigt; noch zu leben schienen sie mit der trotzigen Stirn, der geballten Faust, im siegreichen Anstürmen zur Ruhe gelegt. Schrecklicher war wieder Andern der Tod erschienen; mit verzerrten Gesichtern, einen unsäglich schmerzlichen, bittern und vorwurfsvollen Zug um den blassen Mund mit den hindurchschimmernden, unheimlich blanken Zähnen, schienen sie die Verzweiflung des Todes in das Jenseits mit hinüberzunehmen. Durch den Rücken geschossen auf wilder Flucht, wie ein Hirsch mit jähem Sprunge tief zusammengestürzt, das Gesicht wie in die Erde gebohrt, die weit vorgestreckten Hände und krampfhaft verschlungenen Beine wie eingewühlt in den Grund, als ob sie nach vergeblicher Rettung vom schrecklichen Tode gegraben hätten, lag ein Däne da; das gebrochene Auge und den stummen Mund unheimlich weit aufgerissen, wie durchschauert von einer entsetzlichen, unerwarteten Kunde, ein Anderer desselben Stammes. Den schrecklichsten Eindruck endlich hinterließen zwei Dänen, bei welchen der Tod offenbar augenblicklich eingetreten war; das durchaus leere, gänzlich ausdruckslose Gesicht mit dem eigenthümlich schwer dahingestreckten Körper schaute so stumpf und bleiern darein, daß man fast irre ward an diesen einstigen Wohnungen menschlicher Seelen. Wohin mochte die Psyche geflattert sein, so winzig und unentwickelt, ohne Denkmäler eigner Erlebnisse, einem unbeschriebenen Blatte vergleichbar?

Ein halb erstickter Aufschrei unterbrach diese schmerzlichen Gedanken. Unsere Begleiter hatten gefunden, was sie suchten. Sie umstanden die Leiche ihres Cameraden, sie knieten vor ihr nieder, sie hoben sie empor. Ein jugendlich kräftiges Gesicht, von blondem Haar umrahmt, unentstellt durch irgend einen schmerzlichen Zug, ernsten und gefaßten Ausdrucks, wie fast alle preußischen Leichen, nur geadelt durch die Marmorblässe der noch immer lebensvollen Züge, schaute uns einen Augenblick an, dann glitt das Haupt des Todten wieder auf die Steinquadern hinab, langsam und sanft, als könne er Schaden nehmen. Die Freunde küßten seine bleichen Lippen, sie schnitten Locken von seinem Haupthaar. Wir aber wandten uns ab, um dem Schmerz sein Recht tiefer Einsamkeit zu lassen; sorgsam über Leichen hinwegsteigend, gewannen wir den Ausgang.

Das also der Tod, wie ihn Helden suchen und Dichter besingen, der Tod für die köstlichsten Güter des Lebens! Und es war nur ein kleiner Theil der Opfer gewesen, welche die Befreiung nur dieses Stückes deutscher Erde gefordert hatte! Ich trauerte um die Todten, aber ich beneidete sie. War es nicht mein, des Landeskindes, Recht und meine Pflicht, so dazuliegen auf blutig erkauftem Grunde oder, den Helm mit Eichenlaub geschmückt, jetzt stolz in Siegesfreude einherzugehen? Unglückseliges Land, das sich Freiheit und Recht von seinen Brüdern entreißen und wieder erwerben lassen mußte! –

Die Sommersonne beschien den kleinen Friedhof, auf dem viele Generationen friedlicher Landleute von ihren kleinen Mühen und Freuden ausruhten, beschien die beiden langen tiefen Grüfte, die schon der Schläfer im Gotteshause harrten. Ueberreiche Saat des Blutes und der Thränen, wirst du als nutzlos verstreut den Zorn des Himmels erregen, oder einen Erntetag den Friedens und der Freiheit aufgehen lassen über diesem schönen und tief unglücklichen Lande?
C. M.