Die Uebersetzung von Richard Wagner’s Tannhäuser in’s Französische

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Autor: unbekannt
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Titel: Die Uebersetzung von Richard Wagner’s Tannhäuser in’s Französische
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aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 64
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Eduard Roche
Blätter und Blüthen
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[64] Die Uebersetzung von Richard Wagner’s Tannhäuser in’s Französische. In Paris lebte ein unbekannter junger Dichter, Eduard Roche, ein sehr begabter, talentvoller und unterrichteter Mann, den der Tod in der Blüthe der Jugend nach unaufhörlichen Anstrengungen und fruchtlosen Kämpfen dahingerafft hat, bevor es ihm gelang, sich einen Namen zu erringen und einige Sprossen auf der Leiter des Glückes zu erklimmen. Einmal jedoch schien sein Unstern müde zu werden, einmal schien „der Augenblick des Glücks“ für ihn zu erscheinen, der sich im Künstlerleben gewöhnlich nur ein einziges Mal zeigt und dann im Fluge ergriffen und benützt werden muß, ehe er für immer verfliegt.

Eines Tages, als Roche in seinem düsteren Zoll-Bureau auf dem Bahnhofe saß und arbeitete, wurde seine Aufmerksamkeit durch den Lärm einer heftigen Auseinandersetzung erregt, welche unweit seines Fensters stattfand. Ein eben angekommener Reisender, und zwar ein Deutscher, ereiferte sich bitter gegen die tausenderlei Formalitäten, mit denen man in Frankreich belästigt wird. Roche geht hinaus und hört bei den Streitigkeiten, daß der Fremde sich „Wagner“ nennt; da tritt er an ihn heran, verbeugt sich, beseitigt sofort alle Schwierigkeiten und sagt, als Wagner ihm seinen Dank dafür ausspricht:

„Ich bin sehr erfreut einem so berühmten Künstler gefällig sein zu können.“

„Wie, Sie kennen mich?“ ruft Wagner ganz überrascht, daß sein Name bei der französischen Mauth so gut angeschrieben sei.

Roche lächelt und beginnt statt jeder Antwort einige Melodien aus Tannhäuser und Lohengrin vor sich hinzusummen.

„O,“ sagt Wagner ganz entzückt, „das ist mir eine sehr gute Vorbedeutung. Der erste Pariser, dem ich begegne, kennt und schätzt meine Musik; das muß ich gleich an Liszt schreiben. … Aber wir müssen uns wiedersehen, mein Herr!“

Wagner suchte einen Uebersetzer des Textbuches vom Tannhäuser; Niemand eignete sich besser dazu, als Roche. Derselbe verwandte ein ganzes Jahr der angestrengtesten, eifrigsten Arbeit darauf und opferte diesem Vorhaben seine Tage und Nächte, denn er konnte natürlich nur die Zeit, welche ihm sein Amt freiließ, dazu benützen. So sehr er Richard Wagner bewunderte, so schilderte er ihn doch dabei als einen „schrecklichen Menschen“, der ihn unerbittlich zum aufreibendsten Fleiße antrieb.

Die Sonntage, wo nicht im Bureau gearbeitet wurde, nahm Wagner natürlich auch für seine Uebersetzung in Beschlag und dann war es mit irgend einem Gedanken an Ruhe und Erholung für den armen Roche vorbei.

„Um sieben Uhr Morgens,“ erzählte er, „saßen wir schon bei der Arbeit, und so ging es ohne Rast und Pause bis Mittag fort: ich, über meine Schreiberei gebeugt, mit Schreiben, Ausradiren und dem Aussinnen der Silbe, die gerade auf die und die Note und den Sinn paßte, beschäftigt, er, mit flammendem Auge und zorniger Geberde ungeduldig hin- und herlaufend, indem er im Vorübereilen auf das Clavier losschlug, sang und fortwährend ‚Vorwärts, vorwärts!‘ auf mich hineinschrie. Um zwölf oder ein Uhr, ja sogar oft erst um zwei, ließ ich erschöpft, halb todt vor Hunger, meine Feder fallen und war auf dem Punkte, ohnmächtig zu werden. ‚Was ist Ihnen denn?‘ fragte dann Wagner ganz erstaunt.

‚Ach, ich habe Hunger!‘

‚O, ganz recht, ich dachte nicht daran. Gut, essen wir schnell etwas und fahren dann fort.‘

Wir schlangen nun einige Bissen hinunter, dann ging es weiter, bis der Abend uns überraschte; ich fühlte mich ordentlich hin, der Kopf glühte mir wie Feuer und ich war halb toll von dieser rastlosen Hetzjagd nach den eigenthümlichsten Worten – aber er ging noch immer ebenso frisch und ohne jede Müdigkeit, wie früh beim Anfang unserer Arbeit, auf und ab, hämmerte auf dem Clavier herum, und sein eckiger Schatten, der beim Lampenschimmer an der Wand hin- und hertanzte, jagte mir zuletzt förmlichen Schrecken ein; er kam mir mit seinem ewigen, ‚Vorwärts, immer vorwärts!‘ wie eine der gespenstischen Personen aus E. T. A. Hoffmann’s Schauergeschichten vor, die mir kabbalistische Worte und geisterhafte Noten in die Ohren gellte.“

Die Uebersetzung wurde aber doch endlich fertig. Man weiß, wie in einem Zeitraume von drei Abenden alle Hoffnungen Richard Wagner’s in Paris scheiterten; mit denselben zugleich sank die letzte Verheißung für den armen Roche in ein Nichts zusammen. Wagner erholte sich schnell genug von dem momentanen Mißerfolg, seine kräftige, unerschütterliche Natur wurde davon nicht so tief berührt; aber Roche, der geglaubt hatte, nun endlich bei dieser Gelegenheit bekannt zu werden, sich emporzuschwingen, erhielt durch das Fiasco des Tannhäuser einen Schlag, den er nicht wieder verwinden konnte. Am darauffolgenden 16. December ist er gestorben.