Die Vögel als Wetterpropheten

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Die Vögel als Wetterpropheten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 429–430
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die Vögel als Wetterpropheten.
Von Dr. A. E. Brehm.

Bei Mittheilung der merkwürdigen Beobachtungen eines unserer Freunde über die Vorausahnung der Witterung durch die Spinnen versprach ich, noch ähnliche nähere Beobachtungen über einige andere Thiere mitzutheilen. Nachstehendes mag gewissermaßen als eine Fortsetzung jener Skizze angesehen werden.

Es ist eine anerkannte Sache, daß die Thiere wirklich eine klarere Voraussicht der eintretenden Witterung besitzen, als der entweder zu wenig auf das Wetter achtende oder die Einwirkungen desselben nicht scharf genug erkennende Mensch. Die Landleute und namentlich die Schäfer, welche viel mit den Thieren verkehren, verstehen sich gewöhnlich ausgezeichnet auf die in Voraussicht des Kommenden erfolgenden Kundgebungen derselben:

„’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen
Mit Begierde Gras und Wächter scharrt die Erde,“

sagt der Hirt,

„Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug,“

der Fischer im Tell. An dem wilden Herumspringen der Rinder, welches man hier und da „Brieseln“ nennt, erkennen Erfahrene, daß an demselben Tage ein Donnerwetter sich entladen wird; durch den niedrigen Flug der Insecten, den man durch den tiefen Strich der Schwalben wahrnehmen kann, ebenso auch durch das erpichte Blutsaugen der Bremsen und Schnaken wird eintretender Regen verkündet. Vor einem Gewittersturm in den Tropen sind, wie ich vielfach beobachtete, alle Thiere äußerst erregt, wenn auch noch kaum ein Wölkchen am Himmel steht; lange Zeit vor dem Ausbrechen des gewaltigen Naturkampfes verkriechen sie sich bereits. In ähnlicher Weise benehmen sie sich vor Erdbeben. An die bekannte Thatsache, daß die Frösche gewöhnlich schon zwölf bis vierundzwanzig Stunden vor einem Regen lebhaft schwatzen und quaken, oder daß sie in ihren krystallnen Kerkern den höchsten Punkt zu erklettern streben, wenn gutes Wetter kommen will, brauche ich wohl kaum zu erinnern.

Jedenfalls ist es gar nicht unwichtig, wenigstens den Versuch zu machen, durch Beobachtung des Betragens der Thiere die kommende Witterung zu ergründen. Daß man daraus mehr lernen kann, als aus dem gläubigen Hangen an den beliebten Mondschwärmereien, ist ebenso richtig, als es gewiß ist, daß sie sich weit besser auf Wetterprophetenthum verstehen, als der biedere Professor Stiefel in München, welcher seinen gläubigen Lesern „einen guten Stiefel zumuthete, und mit seinen Voraussagungen schmählich Fiasco machte. Der Instinct der Thiere ist so eine eigene Sache, mit welcher es den Forschern geht, wie mit so vielen anderen geistigen Kräften; man kennt ihn ganz genau oder – leugnet ihn vollständig, weiß aber in dem einen Falle nicht recht, wie viele von den wirklich beobachteten Thatsachen, die ihn zu beweisen scheinen, man auf seine Rechnung setzen, in dem andern nicht, welcher Ursache oder Kraft man diese Thatsachen zuschieben soll. Gewöhnlich wird angenommen, daß das Thier durch eine große Empfindlichkeit des Nervensystems in den Stand gesetzt werde, sich dem Kommenden gemäß einzurichten und daß die meisten instinctmäßigen Handlungen desselben hiervon abzuleiten seien: aber diese Annahme erscheint insofern gewagt, als die Empfindlichkeit der Nerven der bezüglichen Thiere nicht auf Stunden und Tage, sondern auf Wochen und Monate hinausreicht, d. h. daß sich die Thiere auf Ereignisse vorbereiten, welche erst Wochen und Monate später eintreten sollen, und daß sie – was mir noch viel merkwürdiger scheint – den Luftdruck- und Wärmemesserstand ihres Nervensystems so gar vortrefflich zu deuten wissen. Ich bekenne meine Unwissenheit hierin, gestehe aber zugleich, daß mir ein derartiges Feingefühl der thierischen Nerven mindestens eben so wunderbar vorkommen will, als eine Geisteskraft, welche in ihrem dunklen Drange das Thier zu seinem Heile leitet. Mag man übrigens die Sache fassen, wie man eben Lust hat, so viel steht fest: die Thiere verstehen sich besser auf die kommende Witterung, als wir; wir können also von ihnen lernen, wenn wir auf sie achten wollen. Damit habe ich genug gesagt und darf nun getrost einzelne meinem Thema gemäße Beobachtungen von meinem Vater und mir folgen lassen.

Die besten Wetterpropheten dürften unter allen Thieren die Vögel sein; wenigstens sind sie diejenigen, welche unserer Beobachtung am zugänglichsten sind. Denn wenn es auch sicher richtig ist, daß man einen strengen Winter zu erwarten hat, wenn sich die Regenwürmer tief in den Boden vergraben, oder die Roßameisen sich in die tiefsten Gänge ihrer Wohnung zurückziehen, oder die Wicklerraupen sich besonders dicht in Blätter einspinnen, so erfordert doch die Erforschung dieser Thatsachen mehr Arbeit, als ich meinen Lesern zumuthen kann. Die Beobachtung der Vögel dagegen hat eben keine besonderen Schwierigkeiten. Man sieht oder hört sie kommen und gehen, ohne daß man sich gerade sehr mit ihnen beschäftigt; und die ganze Kunst, aus ihrem Betragen auf die Witterung zu schließen, beruht einfach darin, ein wenig mehr auf sie zu achten, als man sonst zu thun pflegt. Einige Beispiele werden dies beweisen.

Wenn ein strenger Winter bevorsteht, sagt mein Vater, gestützt auf seine mehr als fünfzigjährigen Beobachtungen, erscheinen die nordischen Zugvögel ungewöhnlich häufig an den Küsten der Nord- und Ostsee und gehen oft tief in das Land hinein. Man sieht dann auf den weit von der Küste entfernten Seen und Teichen Sumpf- und Wasservögel, welche in Jahren daselbst nicht vorgekommen sind. Selbst der Zug der nordischen Landvögel ist dann viel häufiger, als in anderen Jahren. Wenn die Drosseln und Ziemer, Edel- und Bergfinken sehr unruhig sind, beim Vogelheerde nicht gut thun, wie die Vogelsteller sagen, dann kommt stürmische Witterung; eilen sie sehr, so daß sie sich zum Fressen kaum Zeit nehmen, dann ist frühzeitiger Schnee zu erwarten. Die nordischen wilden Gänse bleiben auf den getreide- und wasserreichen Ebenen unseres Vaterlandes, so lange sie sich von der Wintersaat nähren können. Brechen sie aber auf und ziehen nicht blos bei Tage, sondern auch des Nachts, dann kann man auf einen baldigen Schneefall rechnen, welcher ihnen die Saat unzugänglich machen wird. Sicht man hingegen im December noch viele Edelfinken und einzelne Feldlerchen in Nord- und Mitteldeutschland, dann ist kein strenger Winter zu erwarten.

Auch der Zug der Saatkrähen ist wohl zu beachten. Gewöhnlich verlassen sie unser Vaterland zu Ende des November oder zu Anfang des December. Im vorigen Herbste aber wanderten sie schon im October von uns weg und thaten sehr recht daran, denn der ungewöhnlich frühe und im November strenge Winter hätte ihnen alle Nahrung entzogen.

Noch mehr aber läßt das Betragen der Vögel im Frühjahre die Beschaffenheit der künftigen Witterung errathen.

Im Frühjahre 1817 waren die nordischen Bergfinken, in Thüringen Buchfinken, an anderen Gegenden unseres Vaterlandes Quäker genannt, in nie gesehenen Schaaren auf unsern Feldern und wollten, wie die nordischen Ziemer, gar nicht wegziehen. Das Frühjahr war aber auch eins der ungünstigsten, welches wir erlebt haben. [430] Wir hatten jedoch im Frühlinge der Jahre 1816 und 1817 noch andere Anzeichen von der nassen Witterung derselben. Die Eisvögel brüten gewöhnlich uns am nächsten in den steilen Stellen der Saalufer. Im April 1816 und 1817 aber legten sie ihre Nester oberhalb Oberrenthendorf an den schroffen Ufern der dort sehr kleinen Roda an. Meine Vermuthung. von kommenden Ueberschwemmungen traf ein, denn diese waren so arg, daß die Saale übertrat und dadurch alle an ihren Ufern befindlichen Eisvögelnester zu Grunde gerichtet haben würde. An den Ufern der kleinen Roda aber konnte das Anschwellen des Wassers sie nicht erreichen.

Etwas Aehnliches erlebten wir im Frühjahre 1843. Im März erschienen auf unsern Bergebenen die Kiebitze und schlugen ihre Wohnung daselbst auf. Darauf schloß ich auf ein nasses Frühjahr und hatte mich nicht geirrt. Der Regen fiel so häufig und befeuchtete die Felder unserer Berghöhen so sehr, daß die Kiebitze hinlängliche Nahrung auf ihnen fanden, während die Ufer des Frießnitzer und Tautendorfer See’s, die gewöhnlichen Brutplätze unserer Kiebitze, so überschwemmt wurden, daß nicht ein einziges Kiebitznest unversehrt geblieben wäre. In demselben Frühlinge verkündete eine andere Erscheinung die Nässe des Frühjahres und Sommers. In den Umgebungen Renthendorfs lebten im April jenes Jahres sechs Paar Thurmfalken (Rüttelgeier). Sie begatteten sich, legten ihre Eier aber nicht in den Horst, sondern ließen sie fallen, zwei Paar ausgenommen, welche einen Horst bauten und Junge ausbrüteten. Aber das Aufziehen derselben gelang ihnen nicht, denn die ungewöhnliche Nässe hatte Tausende von Insecten, die Hauptnahrung der Thurmfalken, vernichtet. Sie konnten in jenem Frühjahre kaum so viel Futter auftreiben, als zur Erhaltung ihres eigenen Lebens nöthig war, und mußten ihre Jungen sterben lassen. Die in dem einen Horste gingen sehr frühe zu Grunde, die in dem andern, als sie zu kielen anfingen. – Auch das Auftreten der Wiesenknarrer (Wachtelkönige, Schnerze) in unsern an Riedgras reichen Thälern oder in unsern Kleeäckern bedeutet gewöhnlich ein nasses Jahr; denn in trockenen bewohnen sie die mit Niedgras bedeckten Niederungen unseres Vaterlandes.

Wie nun die Vögel nach dem Aufgeführten nasse Jahre andeuten, ebenso zeigen auch manche Wasservögel trockene Frühjahre an. Naumann erzählt davon ein merkwürdiges Beispiel. Nicht weit von Ziebigk, dem durch Naumann weltberühmten Wohnorte desselben, brütete vor vielen Jahren eine Graugans, die Stammmutter unserer Hausgänse, ihre Eier in einem großen Teiche aus. Beide Eltern führten ihre Jungen, sobald sie etwas herangewachsen waren, in einen viel kleineren Teich, was nicht geringe Verwunderung erregte. Das Räthsel löste sich indessen bald. Der ungewöhnlich heiße und an Regen arme Juni jenes Jahres trocknete den großen Teich, den Brutort der Gänse, aus, konnte aber den kleinen Teich, den jetzigen Aufenthaltsort der Graugänse, seines Wassers nicht berauben und gab der ganzen Gänsefamilie hinlängliche Nahrung. Wie sicher hatte der Instinct diese Vögel geleitet!

Im Jahre 1832 reiste ich nach Berlin und freute mich sehr, auf der Rückreise mit meinem verstorbenen Freunde, dem großen Ornithologen Freiherrn von Seyffertitz auf Ahlsdorf, eine und die andere Jagd auf dem eine Stunde langen Ahlsdorfer Bruch zu unternehmen; allein da, wo sonst Tausende von Enten lagen, jagten wir einen Fuchs auf und schossen einen Hasen, denn der Bruch war gänzlich ausgetrocknet. Mein Freund sagte mir, er habe schon Anfangs Mai gewußt, daß der Bruch austrocknen würde; denn im April seien die Fische durch die Abzugsgräben nach der schwarzen Elster gezogen und die Enten und Wasserhühner seien, wie im Mai die später ankommenden Wasser- und Krampfstrandläufer, Rohr- und Teichhühner, sowie die schwarzen Seeschwalben, davon geflogen. Wenn das geschehe, könnte man jeder Zeit mit Gewißheit auf einen sehr trockenen Sommer rechnen.

Auch aus dem Brüten der Seeschwalben kann man auf die Beschaffenheit der Frühlings- und Sommerwitterung schließen. Nisten sie auf den in den Strömen liegenden niedrigen Sandinseln, dann kann man mit Sicherheit ein trockenes, von Ueberschwemmungen freies Jahr erwarten. Brüten sie aber auf hohen Sandbänken oder gar auf etwas hohen Uferstellen, so sind Ueberschwemmungen sehr zu befürchten.

Nasse Sommer kann man ferner aus der geringen Eierzahl der Kerbthierfresser bestimmen. Im Jahre 1843 z. B. legten die gemeinen Fliegenfänger anstatt fünf bis sechs Eier nur zwei, höchstens drei, und hatten wirklich gerade genug mit Erziehung der aus denselben geschlüpften Jungen zu thun.

Es wäre leicht, noch eine Reihe ähnlicher Beobachtungen hier mitzutheilen; ich glaube aber, schon mit dem Vorstehenden den Weg angezeigt zu haben, welchen man gehen muß, um eine möglichst hohe Stufe des Prophetenthums zu erreichen. Diesen Gegenstand weiter zu verfolgen, dürfte gewiß von Nutzen sein. Naturforscher, Naturfreunde, Land- und Forstwirthe sind die rechten Leute, derartige Beobachtungen anzustellen; und höchst wahrscheinlich haben schon viele Leser der so außerordentlich verbreiteten „Gartenlaube“ solche gemacht. Sie möchte ich ersuchen, dieselben entweder selbst zu veröffentlichen oder mir mitzutheilen; ich würde dadurch in den Stand gesetzt werden, eine ohne Zweifel höchst wichtige und interessante Zusammenstellung derartiger werthvoller und oft nur Wenigen bekannter Erfahrungen veröffentlichen zu können.