Die Wahrheit über Freund Lampe

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Textdaten
Autor: Walther Kabel
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Titel: Die Wahrheit über Freund Lampe
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aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 7, S. 222–225
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
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Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
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[222] Die Wahrheit über Freund Lampe.[1] – Kein wildlebendes Tier unserer einheimischen Tierwelt ist seinem Äußeren nach bei jung und alt so bekannt als der Hase, keines auch als Wildbraten so geschätzt und daher so vielen Verfolgungen durch das Schrot des Jägers und die heimtückische Drahtschlinge des Wilderers ausgesetzt wie der flinke Löffelträger. Die Popularität Meister Lampes erstreckt sich jedoch nur auf sein Äußeres. Denn was die meisten von seinen sonstigen Eigenschaften zu wissen glauben, beruht zum größten Teil auf Märchen.

Vor mir liegt ein Band der neuesten Ausgabe eines weltbekannten Lexikons. In diesem Bande stehen unter „Hase“ die Sätze: „Seine Augenlider sind sehr kurz, und er schläft daher mit offenen Augen.“ – Diese Behauptung ist falsch. [223] Man mache sich einmal die geringe Mühe und untersuche einen geschossenen Hasen daraufhin. Dann sieht man sofort, daß sich die Lider ohne alle Mühe über die Augäpfel drücken lassen und diese vollkommen bedecken.

Wie ist nun dieses alte Märchen entstanden? Einfach dadurch, daß man höchst selten einen Hasen mit geschlossenen Augen in seinem Lager beobachten kann. Meister Lampe besitzt nämlich ein so ausgezeichnetes Gehör, daß man wirklich fast sagen kann, er hört das Gras wachsen. Außerdem ist die Erde ein vorzüglicher Schallleiter, und selbst auf dem weichsten Boden bemerkt deshalb der Hase, mag er auch noch so fest schlafen, jeden Näherkommenden und reißt erschreckt die Augen auf. Wenn er trotzdem noch regungslos sitzen bleibt, so darf daraus nicht gefolgert werden, daß er vielleicht doch nicht erwacht ist, und daß die Augen schon vorher offen gewesen sein können. Der schlaue Löffelträger hofft eben, daß ihn sein erdfarbener Pelz vor dem Erblicktwerden schützen wird – das ist die einzig richtige Lösung.

„Oft, besonders bei warmem Wetter,“ so erklärt ein Weidmann, „vertraut der Hase so sehr diesem Schutz, daß er buchstäblich getreten werden muß, ehe er aufsteht. Ich habe schon öfters auf der Hühnerjagd einen ausgewachsenen Hasen aus den Rüben hochgehoben, allerdings, um ihn baldigst wieder loszulassen, denn solch ein Bursche kratzt und schlägt ganz verteufelt um sich. Einem meiner Bekannten wurde bei einer solchen Gelegenheit eine Armwunde gerissen, an der er fast verblutete. Jüngst erblickte ich, über eine Furche wegschreitend, plötzlich vor mir einen Hasen, auf den ich unfehlbar beim Fortschreiten getreten wäre. Ich sah mir eine ganze Weile die mit festangelegten Löffeln zu meinen Füßen sitzende Hasenmama, denn eine solche war es, an und hob dann den Fuß, um über sie wegzuschreiten. Sowie ich den Fuß hob, zuckte Mama Lampe merklich zusammen, rührte sich sonst aber nicht. Ich stellte den Fuß wieder zurück und wiederholte die Sache wohl ein halbes Dutzendmal.“

Dem Hasen wird ferner nachgesagt, er sei außerordentlich wasserscheu, da er nicht schwimmen könne. Das ist ebenfalls unrichtig. Auch dieses Märchen wird aus dem Grunde entstanden [224] sein, weil sich nicht häufig Gelegenheit bietet, Meister Lampe als Schwimmkünstler zu bewundern. Unser Gewährsmann hat die Erfahrung gemacht, daß der Hase nicht nur vor dem verfolgenden Hunde Wassergräben und Flüsse durchschwimmt, sondern dies auch ganz freiwillig tut, um auf der anderen Seite des Wassers nach reicherer Äsung zu suchen. Viele kundige Weidmänner behaupten sogar, daß er das feuchte Element ganz gern aufsucht. Ein bayrischer Förster erklärt hierzu zum Beispiel folgendes: „Es ist den Jägern in den oft überschwemmten Bruchgegenden wohl bekannt, daß der Hase sich zunächst die ihm zusagende Deckung aussucht, und daß es ihm des weiteren dann vollkommen gleichgültig ist, ob sein Lager handhoch im Wasser liegt oder vollständig trocken ist. Und zwar trifft das nicht etwa nur für die heißen Sommertage zu, in denen ja auch anderes Wild so gern Wasserlachen zur Kühlung aufsucht, sondern ich fand mehrfach Hasen in ziemlicher Anzahl im schönsten Gemisch von Schnee, Eis und Wasser im Schilf sitzen, aus dem sie bei meinem Nahen herausfuhren, daß sie in eine Wolke von Spritzwasser gehüllt waren. Und trotzdem war stets trockener Boden, Ackerland und dergleichen in der Nähe. Auch habe ich beobachtet, daß der Hase bei Waldtreibjagden anstatt geräuschlos auf dem trockenen Moose mit lautem Planschen den Jäger im nassen Bruch anläuft. So unsinnig uns das auch scheint, er wird schon seinen Grund dafür haben, genau so, wie wenn er gewandt und rasch, fast wie ein Fischotter, einen Fluß durchschwimmt. Spaßig ist es nur, daß viele Jäger mit fanatischer Bestimmtheit versichern, wenn der Hasenbalg naß sei, so schlüge das Schrot nicht so gut durch. Es wird wohl aber daran liegen, daß man bei trübem, feuchtem Wetter schlechter schießt oder vielleicht auch das Pulver an Treibkraft einbüßt.“

Schließlich sei hier auch Meister Lampe gegen den ihm nur zu häufig gemachten Vorwurf besonders großer Feigheit verteidigt. Daß er vor seinen Feinden, unter denen hauptsächlich der Mensch und der Fuchs zu nennen ist, das „Hasenpanier“ ergreift – welches Tier täte dies wohl nicht! Anderseits sind Fälle bekannt, in denen Hasenmütter ihre Jungen gegen [225] Angriffe aufs tapferste verteidigt haben. „Einmal,“ so erzählt ein Forstmann, „wurde ich bei einem Pirschgang durch das laute Geschrei von Krähen auf eine Szene aufmerksam, die zu dem Eigenartigsten gehört, was ich während meiner Praxis in meinem Revier erlebt habe. Vorsichtig durch eine Tannenschonung mich heranschleichend, gewahrte ich vier Krähen, die unter wütendem Gekrächz stets aufs neue auf einen Junghasen herabstießen, der schon völlig ermattet im Grase des Waldraines lag. Neben dem Junghasen hockte ein zweiter, ausgewachsener Hase, der jedesmal emporschnellte und nach den Krähen biß, sobald eine einen neuen Angriff wagte. Nachdem ich mehrere Minuten diesem Kampfe zugeschaut hatte, bemerkte ich, wie von einem nahen Hochwaldstreifen drei weitere Krähen herbeiflogen, offenbar durch das Geschrei ihrer Artgenossen herbeigelockt. Gegen diese Übermacht wird sich der tapfere Verteidiger nicht lange halten können, sagte ich mir und erwartete, daß der Hase nun schleunigst flüchten und das junge Tier seinem Schicksal überlassen würde. Weit gefehlt. Meister Lampe blieb auf seinem Posten, trotzdem unter den Schnabelhieben der Krähen die Wolle aus seinem Pelz in großen Flocken herumflog. Die Art des Hasen, die Vögel abzuwehren, sah bisweilen geradezu possierlich aus. Oft schnellte er sich in offenbarer Wut fast einen Meter hoch in die Luft, die großen Löffel zum Schutz des Genickes dicht anklatschend, oft wieder richtete er sich auf den Hinterläufen auf und schlug mit den Vorderläufen nach seinen Gegnern. Trotzdem merkte ich sehr bald, daß seine Kräfte erlahmten. Bisweilen saß er schon für Sekunden regungslos neben dem hingestreckten Junghasen und ließ teilnahmlos alles über sich ergehen. Ein Schuß aus dem Schrotlauf meiner Büchsflinte änderte dann schnell das Bild, und drei Krähen büßten diesen Überfall mit ihrem Leben. Meister Lampe war auf den Schuß wie ein Blitz in der Schonung verschwunden. Den Junghasen nahm ich mit nach Hause, wo er sich bald erholte und später vollständig zahm wurde.“

W. K.



  1. Anläßlich des Artikels „Hasenmut“ im 5. Bande sind uns viele Zuschriften zugegangen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Wir greifen daher gerne nochmals auf den Gegenstand zurück.