Die Weiber von Schorndorf

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Titel: Die Weiber von Schorndorf
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 627–628
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[627] Die Weiber von Schorndorf. Es war anfangs Dezember 1688, als der französische General Mélac zu Ehren seines allerchristlichsten Königs Ludwigs XIV. ohne Kriegsrecht mit seinen Mordbrennerhorden auch nach Württemberg vorgedrungen war und das wehrlose Land besetzte. Um Stuttgart vor Brand und Plünderung zu retten, übergab die Vormundschaftsregierung daselbst die festen Städte, welche die Franzosen begehrten. Nur Schorndorf im Remsthal, damals ebenfalls mit Wall und Graben befestigt und eine der bedeutendsten Städte des Herzogtums Württemberg, war noch übrig, und um die Franzosen auf ihr drohendes Verlangen auch in den Besitz dieser Stadt zu setzen und damit von ihren schamlosen Gewalttätigkeiten im Lande abzuhalten, begaben sich im Auftrage der Stuttgarter Regierung ein paar Beamte dorthin, welche mit dem Gemeinderath wegen Uebergabe der Stadt an die schrecklichen Bedränger unter milden Bedingungen verhandeln sollten Der wackere Kommandant von Schorndorf, Oberst Günther Krumhar, zeigte sich, obwohl er über keine nennenswerte Truppenmacht verfügte, durchaus abgeneigt, zu einem so schmählichen Handel die Hand zu bieten; aber Bürgermeister und Räthe erwiesen sich einem solchen Abkommen zugänglicher, wenn es ihnen Hab und Gut sichern würde und da ja doch ein längerer Widerstand der Stadt gegen die französische Macht nicht möglich ohne Hilfe von den entfernten Reichstruppen erschien, bei einer Erstürmung aber der Feind schonungslos gegen die Einwohnerschaft verfahren wäre.

Als die Frau Bürgermeisterin witterte, daß ihr Ehegemahl als Oberhaupt der Stadt für einen heroischen Entschluß in dieser Noth nicht fähig sein werde, faßte sie mit ihrem heißeren Blut selber einen solchen und ließ flugs, derweil der wohlweise Rath am 14. Dezember morgens mit den Stuttgarter Herren im Stadthaussaal verhandelte, in aller Heimlichkeit andere, ihr als muthig bekannte Nachbarinnen und Gevatterinnen zu sich laden. Sofort und ohne viel weibliches Gerede wurde da beschlossen, alle Weiber der Gemeinde aufzubieten, um vor das Rathhaus zu ziehen und mit schonungsloser Energie zu verhindern, daß die schwachmüthige Obrigkeit „einem liederlichen Trüpplein Franzosen“ die Ehre und die Habe, wenn nicht gar auch die Tugend der Weiber von Schorndorf feige und schmählich überliefere.

Blitzschnell wurde dieses Aufgebot verbreitet, und bald war vor dem Hause der Bürgermeisterin eine Menge von erregten Frauen versammelt, zunächst wohl älterer Jahrgänge und desto geeigneter, das große Werk zu unternehmen. Sie waren gleich in Waffen erschienen, mit Ofen-, Heu- und Mistgabeln, Bratspießen, Besenstielen, Kunkeln, Kuchel- und Stallgewehr, Hellebarden sogar und Nachtwächterpartisanen, oder wer es an dergleichen fehlte, die bekam es augenblicks. Die Anna Barbara Walch, die siebenunddreißigjährige „kleine, unansehnliche, aber äußerst tätige, muthvolle, gescheite und dabei angesehene“ Frau Bürgermeisterin übernahm selbstverständlich den Oberbefehl und führte ihre Armee, stramm in Reih und Glied geordnet, zum Rathhause. Dort soll sie vorsichtigerweise erst in den großen Kachelofen des Sitzungszimmers gekrochen sein, um zu horchen, was die Herren berathen, und, als sie sich derart überzeugt, daß ihre schlimme Befürchtung berechtigt sei, zunächst ihren Mann herausgerufen haben, um ihm zu erklären, daß sie ihn mit eigener Hand todtschlagen werde, wenn er sich unterstehe, die Stadt zu übergeben, und gleiches drohte sie dann im Saale allen verrätherisch gesinnten Vätern derselben an. Diese bewegte und höchst interessante Scene ist im Jahrgang 1867 der „Gartenlaube“ (S. 189) von der Meisterhand E. Häberlins in vortrefflicher Weise dargestellt.

[628] Die Sache war keineswegs spaßhaft für die versammelte Rathsweisheit und die Stuttgarter Herren; denn die bewaffneten Weiber hatten das Stadthaus besetzt und hielten die ganze Obrigkeit kaltherzig gefangen zwei Tage und drei Nächte lang. Derweil waren unter dem weiblichen Oberkommando die Maßregeln zur Vertheidigung der Stadt getroffen, woran natürlich Oberst Krumhar mit Leib und Seele sich betheiligte. Die anrückenden Franzosen wurden mit ihrer Forderung um Uebergabe schnöde abgewiesen, reitende Boten hatte man gen Ulm um Hilfe geschickt und richtig nahte sich dieselbe. Die Franzosen aber zogen sich davor schleunigst zurück und Schorndorf war gerettet. Seinen muthigen rebellischen Weibern war es zu danken gewesen, und ihr Verdienst war um so größer, als das Beispiel von Schorndorf den Geist des Volkes im Lande belebte und es zur Selbsthilfe gegen die schamlose Willkür des eingedrungenen Feindes in Bewegung setzte.

Und Anna Barbara Walch, die Bürgermeisterin, hatte sich in erster Reihe um ihr Schorndorf verdient gemacht. Sie wurde als Frau Künkele oder Künkelin gebührend in der Geschichte und in Dichtungen gefeiert; zur Zeit ihrer Heldenthat war sie aber, wie urkundlich in neuerer Zeit erwiesen wurde, an den Bürgermeister Walch verheirathet und erst ein Jahr danach, nachdem ihr 63jähriger Gemahl das Zeitliche gesegnet, gab ihr der Rathsherr Künkelin seine Hand und seinen Namen. Er war auch Walchs Nachfolger als Bürgermeister von Schorndorf. Seine berühmte Frau starb 90 Jahre alt erst im Jahre 1741 und daher kannten ihre Zeitgenossen sie nur als die Künkelin. Ihr und der zweihundertjährigen Jubelfeier in diesem Jahre zu Ehren hat Karl Mayer in Stuttgart ein Festspiel in fünf Akten gedichtet, das sich an die Ergebnisse der neuesten geschichtlichen Ermittelung hält und das unter vielem Beifall auch auf dem Theater in Cannstatt mehrfach zur Aufführung kam. Friedrich Lauffer hat ferner eine „Festschrift zur zweihundertjährigen Jubelfeier der Befreiung von Stadt und Festung Schorndorf im Jahre 1688“ herausgegeben, die des Interessanten viel bietet, während die Stadt selbst anfangs September in einem großartigen und sinnreichen Dank- und Freudenfest das Andenken ihrer tapferen Bürgerinnen ehrte, welche Schorndorf aus den Mordbrennerhänden Mélacs vor 200 Jahren retteten und der Welt ein Beispiel gaben, wie „die stolze französische Kriegswellen durch Weibercourage, zu ihrem ewigen Ruhmgedächtniß, der hochmüthigen Reuter aber ewigem Spott niedergeleget worden“.