Die amerikanischen Dampf-Fähren

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Autor: A. Douai
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Titel: Die amerikanischen Dampf-Fähren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 31/32, S. 503–504
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[503] Die amerikanischen Dampf-Fähren. Wer zum ersten Male eine amerikanische Dampf-Fähre mit ihren elastischen Docks sieht, dem fällt das Ei des Columbus ein. Hier sind auf eine wunderbar einfache Weise verschiedene mechanische Schwierigkeiten überwunden, auf eine so einfache, daß Jeder denken möchte, eine solche Aufgabe hätte er auch wohl lösen können, bis er bei näherer Ueberlegung findet, daß Genie nicht geringen Grades dazu gehört hat, die Sache zum ersten Male zu unternehmen.

Die mächtigen Ströme Amerikas können entweder gar nicht, oder nur mit ungeheuren Kosten überbrückt werden; selbst an Stellen, wo dem Brückenbau keine übermäßigen natürlichen Hindernisse entgegentreten, verbietet sich derselbe durch eine höchst lebhafte Schifffahrt. Die Aufgabe war also, an Stelle der Brücken überall da, wo der Verkehr quer über den Strom lebhaft ist, das nach einer Brücke nächstbeste Beförderungsmittel herzustellen. Es galt, Dampfboote zu erdenken, welche Schnellsegler wären, mit dem geringsten Zeitverlust beladen und entladen werden und im Verhältniß zur Tonnenzahl die größtmögliche Geräumigkeit bieten könnten; Dampfboote, welche zu jeder Landung und Abfahrt nicht mehr als zwei bis drei Minuten Zeit brauchten, während alle anderen damit oft halbe Stunden verschwenden, ganz ungerechnet den Zeitverlust beim Ein- und Ausladen der Güter, welche also im Lauf einer Stunde vier bis sechs Fahrten quer über einen oft eine Viertelstunde und darüber breiten, reißenden Strom machen und welche auf jeder Fahrt tausend und mehr Personen und zehn oder mehr beladene und bespannte Wagen befördern könnten, also im Laufe eines Tages fünfzig- bis hunderttausend Personen und fünfhundert bis eintausend solche Wagen. Dabei mußten die Frachtkosten sehr gering sein, um den Verkehr auf diese Art allgemein willkommen zu machen, und es müße eine fast vollkommene Sicherheit für Leben und Eigenthum erzielt werden.

Die Aufgabe ist, wie gesagt auf wunderbar einfache Weise gelöst. Das Dampffährboot ist scharf, wie jeder Schnellsegler, gebaut, und zwar vorn und hinten scharf, denn es giebt daran kein Vorn und Hinten, sie segeln gleichgut vor- und rückwärts. Zu diesem Behufe ist an jedem Ende ein Steuer vor dem Buge angebracht, das leicht ausgehoben und in einen Wellenbrecher verwandelt werden kann, auf der Seite, welche gerade [504] die vordere ist. Das Deck ist im Verhältniß zum Schiffsrumpfe übermäßig groß, breit und sehr stark gebaut, es ragt über denselben ringsum vier bis acht Fuß hervor und fängt alle Stöße auf, welche dem Schiffe beim Begegnen mit andern Schiffen oder beim Einlaufen in’s Dock widerfahren könnten. Dieses breite und lange Verdeck trägt alle zu befördernden Personen, Viehheerden und Gespanne und einen leichten Oberbau, welcher theils die Passagiere und Wagen überdacht zum Schutze gegen das Wetter, theils ein Thürmchen hoch emporhält, in welchem der Capitän oder Steuermann, um von hier aus das ganze Fahrwasser zu überblicken, den Steuerapparat mittels eines senkrechten Rades in Bewegung setzt. Die Maschine und der Feuerraum sind ganz unterhalb des Deckes im Schiffskörper eingelassen, den sie eben ausfüllen; nur der Ingenieur, welcher die Maschine in Bewegung oder Ruhe setzt, und die ihm dazu dienenden Theile der Maschine sind ebenfalls über dem Deck, und zwar in einem schmalen Gehäuse längs der Achsenrichtung desselben eingeschlossen. Der mächtige Balancier endlich spielt in der Luft, über dem Dache der Deckräume und neben dem Steuerhäuschen. Der Dampfer ist ein Raddampfer; die Maschine eine Niederdruckmaschine. Das Dock, in welches er auf beiden Ufern einläuft, ist ganz elastisch; eine Anzahl mächtiger Balken ist eben nur so tief eingerammt, daß sie dem Stoße des Schiffes nach- und denselben sanft zurückgeben, um das etwa schief eingelaufene Boot wieder in die gerade Richtung zu bringen. An diese elastischen Balken ist ein ganzes Netzwerk anderer Balken nach innen befestigt, an welche das einlaufende Boot anstreift, ohne einen empfindlichen Stoß zu erleiden, da kurz vorher der Dampf abgesperrt und erforderlichen Falls die Steuerung rückwärts gestellt worden ist. Die Steuerleute bekommen aber bald eine bedeutende Uebung darin, den rechten Bedarf an Dampfkraft sowohl als an Geschwindigkeit zu bemessen, mit welchem sie möglichst ohne Stoß in’s Dock und an die Landungsbrücke gelangen können. Die letztere ist in der Regel eine schwimmende, aus starkgebautem Schiffskörper errichtet und hinterwärts mit eisernen Gewinden an den feststehenden Theil der Brücke befestigt. So hebt sie sich mit Fluth und Hochwasser, oder senkt sich mit Ebbe und Tiefwasser genau um ebensoviel, wie das anlandende Dampfboot, dessen Deck also mit der Brücke immer in gleicher Ebene bleibt. Das Deck ist im Halbkreise convex, der bewegliche Theil der Brücke, daran passend, concav ausgeschnitten, so daß das Boot, wenn es an die Brücke festgehakt ist, mit derselben einen zusammenhängenden Flur bildet. Vorn und hinten hat das Deck keine Brustwehr noch Geländer, sondern wird nur während der Fahrt mit einer Kette gesperrt. Es können also in der Mitte des hier offenen, breiten Weges Wagen und auf beiden Seiten Menschen unmittelbar nach erfolgter Landung in breitem Strome rasch ausgesetzt und gleich darauf eine neue Ladung eingenommen werden. Eines oder zwei Glockensignale sind die nie mißverständliche Sprache, durch welche der Steuermann mit dem Ingenieur und dieser mit den Heizern verkehrt.

Ein solches Fährboot von zwei- bis dreihundert Pferdekraft wird also durch vier, höchstens fünf Angestellte bedient: den Capitän, welcher zugleich steuert, den Ingenieur, einen oder zwei Heizer und eine Deckhand, welche Ordnung unter den Passagieren und Gespannen hält, die Aus- und Einladung, das Fest- und Losmachen des Fährbootes an der Landungsbrücke, das Aus- und Einhängen des Steuers und der Sperrketten, das Einnehmen von Kohlen und Wasser und die Reinlichkeit des Decks besorgt. Der Heizer erspart durch seine große Uebung im Bemessen des Hitzegrades eine Menge Kohlen. Kurz, die Dampffähre ist billig bedient, und deshalb kann das Fahrgeld für die Person auf ein, zwei, höchstens drei Cents, für den Wagen auf zwölf ein halb bis fünfzig Cents erniedrigt werden. Die Dampffähren sind zugleich die sicherste Personenbeförderung, die es geben kann. Auf zehn Millionen beförderte Passagiere geht noch nicht ein Menschenleben verloren. Mitunter verunglückt ein solches Boot durch Zusammenstoß mit anderen Schiffen, durch deren Gewühl sie sich höchst geschickt hindurchwinden; aber sie sind in der Regel so eingerichtet, daß sie nicht rasch ganz versinken können, sondern Zeit behalten, die Passagiere zu retten. Auf solchen Dampffähren strömen z. B. der Stadt New-York täglich eine halbe Million Menschen zu, welche in den Nachbarstädten Brooklyn, Williamsburg, Jersey-City, Hoboken und zahlreichen anderen wohnen, um gesündere Luft, billigere Lebensweise oder den Besitz eines eigenen Grundstücks zu genießen, während sie in New-York ihren Lebensunterhalt finden. Die Fahrt auf diesen Dampffähren ist, außer zu Zeiten des Eisganges oder dichter Nebel, höchst regelmäßig und sehr angenehm. Es ist eine Vergnügungsfahrt, bei welcher man seinen Geschäften nachgeht. Während derselben verschlingt der Geschäftsmann, wie der einfache Arbeiter, den Hauptinhalt seiner täglichen Zeitung. Auf dieser Fahrt treffen sich Hunderte von Bekannten, die sich sonst bei den großen Ortsentfernungen das ganze Jahr nicht sehen würden. Hier werden die neuesten Neuigkeiten wie Lauffeuer verbreitet, Geschäfte aller Art verabredet und geschlossen, Liebeshändel und Bekanntschaften von weniger Bedeutung für das Leben angeknüpft, und alles Dieses angesichts einer prächtigen Scenerie, wie sie die Wasserseite aller amerikanischen Großstädte einschließt.
A. Douai.