Die elektrischen Kräfte/Zusammenstellung:§3

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§. 3. Ueber gewisse Zerlegungen der sich entwickelnden Quantitäten von lebendiger Kraft und Wärme, entsprechend den verschiedenen Kräften.


     Bewegt sich ein ponderables Massenelement mit den Coordinaten unter der Einwirkung einer gegebenen ponderomotorischen Kraft mit den Componenten so lauten die Differentialgleichungen für diese Bewegung bekanntlich folgendermassen:


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vorausgesetzt, dass das zu Grunde gelegte rechtwinklige Axensystem ein absolut festes ist. Dabei bedeuten die Accente Differentiationen nach d.i. nach der Zeit. Multiplicirt man diese ponderomotorischen Fundamentalgleichungen (3.) mit denjenigen Verrückungen welche während der Zeit erleidet, so ergiebt sich:



und hieraus folgt successive:



wo dasjenige Quantum lebendiger Kraft repräsentirt, welches in der Masse hervorgerufen wird während der Zeit

     Ist die gegebene Kraft zusammengesetzt aus mehreren partiellen Kräften:



so zerfällt jenes Quantum in die entsprechenden Theile:



welche einzeln genommen die Werthe haben:



Hier haben offenbar genau dieselbe Bedeutung wie vorhin. Denn sowohl in (3.) wie in (5.a, b) sind unter die Componenten derjenigen Verrückung zu verstehen, welche während der Zeit in Wirklichkeit erleidet.

     Die Theile können in verschiedener Weise benannt werden. So z.B. kann der Theil mit vollem Recht bezeichnet werden als dasjenige Quantum lebendiger Kraft, welches in während der Zeit hervorgerufen wird speciell durch Einwirkung der Kraft andererseits aber wird jener Theil auf Grund der gewöhnlichen Ausdrucksweise, auch bezeichnet werden können als die während der Zeit von der Kraft auf ausgeübte (ponderomotorische) Arbeit. Für dieselbe Sache ergeben sich also zweierlei Ausdrucksweisen; und es wird im Folgenden zweckmässig sein, je nach Umständen, bald die eine bald die andere zu benutzen.

     Zerlegung, welche den durch (5.a, b) angedeuteten analog sind, ergeben sich offenbar auch dann, wenn statt eines einzelnen Massenelements ein aus beliebig vielen Elementen bestehendes System in| Betracht gezogen wird. Wird z. B. das gegebene System von Kräften beherrscht, die ihrer Natur nach in Gattungen zerfallen, so ist dasjenige Quantum lebendiger Kraft, welches während der Zeit im ganzen Systeme sich entwickelt, zerlegbar in einzelne Theile, entsprechend jenen Gattungen.

     Schliesslich sei noch bemerkt, dass die Gleichungen (3.), und folglich auch die Gleichungen (4.) und (5.a b) im Allgemeinen unrichtig sein werden, falls man, an Stelle des absolut festen Axensystems, ein in Bewegung begriffenes Axensystem zu Grunde gelegt sich denkt. Denn muliplicirt man jene Gleichungen (3.) mit Cosinus derjenigen Winkel, unter welchen eine in Bewegung begriffene Axe gegen die absolut festen Axen geneigt ist, so erhält man:



Diese Gleichung aber hat keineswegs die Form , sondern vielmehr die Form:



wo im Allgemeinen von Null verschieden ist. Selbstverständlich soll hier unter die der Axe entsprechende Coordinate von und unter die dieser Axe entsprechende Componente von verstanden sein. Das störende Glied hat demgemäss den Werth:





      Einigermassen Aehnliches ist nun ferner darzulegen in Betreff der elektromotorischen Kräfte.

      Auf einen starren Körper von beliebiger Grösse und Gestalt mögen einwirken irgend welche elektromotorischen Kräfte, deren Componenten gegeben sind als stetige Functionen der Coordinaten und der Zeit, folglich einerlei Werthe haben für alle Puncte eines unendlich kleinen Volumelements, und für alle Augenblicke eines unendlich kurzen Zeitintervalls.

      Sind Werthe jener Componenten zur Zeit für irgend eine Stelle des Körpers, und beizeichnet ein an dieser Stelle construirtes unendlich kleines Volumelement des Körpers, so werden die zur Zeit in vorhandenen elektrischen Strömungscomponenten bestimmt sein durch die Gleichungen



wo die elektrische Leitungsfähigkeit der in enthaltenen ponderablen Masse vorstellt. Dabei ist vorausgesetzt, das die Bezeichnungen und sich beziehen auf ein rechtwinkliges Axensystem, welches starr verbunden ist mit | der ponderablen Masse des betrachteten Körpers. Ob diese Masse selber in Ruhe oder Bewegung sich befindet, ist gleichgültig.

     Multiplicirt man diese elektromotorischen Fundamentalgleichungen (6.) mit und addirt, so ergiebt sich:



Nach dem Joule’schen Gesetz (pag. 6) ist aber die in dem Volumelement während der Zeit sich entwickelnde Wärmemenge dargestellt durch



somit ergiebt sich:



     Ist nun die elektromotorische Kraft zusammengesetzt aus mehreren partiellen Kräften:



so zerfällt jene Wärmemenge in die entsprechenden Theile:



welche einzeln genommen die Werthe besitzen:



Hier repräsentieren genau ebenso wie früher in (7.), diejenigen Strömungscomponenten, welche zur Zeit im Elemente in Wirklichkeit vorhanden sind.

      Der Theil wird zu bezeichnen sein als dasjenige Quantum Wärme, welches in während der Zeit hervorgerufen wird speciell durch die Kraft ebenso gut könnte man vielleicht dieses auch bezeichnen als die während der Zeit auf das Volumen von der Kraft ausgeübte elektromotorische Arbeit. Doch soll von der letzteren Ausdrucksweise im Folgenden kein Gebrauch gemacht werden.

     Eine mit (8.a, b) analoge Zerlegung ist offenbar auch ausführbar bei derjenigen Wärmemenge, welche im ganzen Körper, oder in irgend einem System solcher Körper sich entwickelt. Zerfallen z. B. die auf das gegebene System einwirkenden elektromotorischen Kräfte in Gattungen, so wird die während der Zeit im System sich entwickelnde Wärmemenge zerlegbar sein in entsprechende Theile.

      Zu bemerken ist schliesslich, dass die Gleichungen (6.) und folglich auch die Gleichungen (7.) und (8.a, b) auch dann noch gültig sind, wenn an Stelle des mit dem betrachteten Körper starr verbundenen Axensystemes irgend welches andere| gelegt gedacht wird; einerlei ob dasselbe absolut fest, oder begriffen ist in irgend welcher Bewegung. Multiplicirt man nämlich die Gleichungen (6.) mit den Cosinus derjenigen Winkel, unter welchen eine in Ruhe oder Bewegung befindliche Axe gegen die bisher benutzten Axen geneigt ist, so ergiebt sich



Dies Gleichung aber sagt uns, dass



ist, falls man nämlich unter und die der Axe entsprechenden Componenten von und versteht.


      Die zuletzt entwickelten Formeln (6.), (7.), (8.a, b) gestalten sich ein wenig anders, wenn der betrachtete Körper von linearer Beschaffenheit, mämlich drahtförmig ist; denn alsdann wird die elektrische Materie im Innern des Körpers an jeder Stelle nur nach einer bestimmten Richtung hin beweglich sein.

     Als Volumelement mag in diesem Falle ein Element des Drahtes, d. i. ein kleiner Cylinder genommen werden, so dass ist, wo den Querschnitt des Drahtes, und die Länge des betrachteten Drahtelementes repräsentirt. Von der im Elemente oder vorhandenen elektromotorischen Kraft kommt in diesem Falle nur diejenige Componente zur Geltung, welche parallel mit ist. Die in dem Elemente vorhandene elektrische Strömung wird daher mit parallel sein, und ihrer Stärke nach sich bestimmen durch die Formel:



es ist nämlich falls man unter die Richtungs-Cosinus von versteht. Der Bequemlichkeit willen mag dabei, ebenso wie früher, ein Axensystem zu Grunde gelegt sein, welches mit der ponderablen Masse des betrachteten Elementes oder in starrer Verbindung sich befindet.

      Aus (9) folgt duch Multiplication mit



Nun besitzt die während der Zeit in dem Elemente während der Zeit sich entwickelnde Wärmemenge nach dem Joule’schen Gesetz (pag. 6) den Werth:



somit folgt:



| Es ist nämlich oder (was dasselbe) vorausgesetzt dass man unter die in dem betrachteten Element vorhandene Stromstärke versteht.

     Ist nun die Kraft zusammengesetzt aus mehreren partiellen Kräften, und folglich die Componente ebenfalls zusammengesetzt aus mehreren Theilen:



so kann die Wärmemenge zerlegt werden in die entsprechenden Theile



welche einzeln genommen die Werthe besitzen:



wo ebenso wie in (10.), immer diejenige Stromstärke vorstellt, welche während des betrachteten Zeitelementes im Elemente in Wirklichkeit vorhanden ist.



     Es ist schon bemerkt worden, dass die Fundamentalgleichungen (3.):



nur gültig sind für ein absolut unbewegliches Coordinatensystem, und eine ganz andere Gestalt annehmen würden, falls man sie transformiren wollte auf ein in Bewegung begriffenes Coordinatensystem; dass hingegen die Fundamentalgleichungen (6.)



gültig sind für jedes beliebige rechtwinklige Coordinatensystem, einerlei, ob dasselbe absolut fest ist, oder in irgend welcher Bewegung sich befindet.

     Dass die Formeln als elektromotorische Fundamentalgleichungen von mir bezeichnet, und den ponderomotorischen Fundamentalgleichungen zur Seite gestellt sind, wird allerdings bedenklich erscheinen, dürfte indessen einigermassen gerechtfertigt sein durch den Umstand, dass fast alle Untersuchungen, die über die Bewegung der elektrischen Materie bisher angestellt worden sind, auf jene Formeln sich stützen.

      In der That begegnet man den Formeln nicht nur in den Abhandlungen meines Vaters [1], sondern ebenso auch in den Schriften| von Kirchhoff [2] und Helmholtz[3]. Dabei darf indessen nicht verschwiegen werden, dass Weber, und ebenso auch Kirchhoff, geleitet durch eine höher stehende Theorie, jenen Formeln nur eine bedingte Gültigkeit zuerkennen [4], dass nämlich denselben nach der Anschauungsweise Weber’s erst nach Hinzufügung gewisser Glieder ein Anspruch auf wirkliche Strenge einzuräumen ist, und dass die in solcher Weise modificirten Formeln in der That als Ausgangspunct benutzt worden sind sowohl von Weber selbst bei einer Untersuchung über die elektrische Bewegung in linearen Leitern, als auch| von Lorberg bei der betreffenden allgemeinern Untersuchung für körperliche Leiter [5].

      Wie dem auch sei –, bei denjenigen Expositionen, welche hier zu geben meine Absicht ist, sollen jene Formeln und als wirkliche Fundamentalgleichungen, oder (besser vielleicht ausgedrückt) als die Definitionen der ponderomotorischen und elektromotorischen Kräfte angesehen werden.


  1. Vergl. F. Neumann: Die mathemat. Gesetze der inducirten elektrischen Ströme, in den Abhandl. der Berliner Akad., vorgelesen am 27. October 1847. In §. 2. dieses Aufsatzes findet sich nämlich für die in einem linearen Leiter entstehende Stromstärke der Ausdruck angegeben:


    woraus durch Fortlassung des Factors (des Querschnittes) folgt:



    Dort ist unter die an der betrachteten Stelle vorhandende elektromotorische Kraft zu verstehen, gerechnet in der Richtung des Leiters. Bezeichnet man also diese Kraft mit so erhält man:

    Diese Formel aber entspricht, für den Fall eines linearen Leiters, vollständig den von mir aufgestellten Fundamentalgleichungen

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Fußnote wurde auf dieser Seite vervollständigt.

  2. Vergl. Kirchhoff: Ueber die Bewegung der Elektricität in Leitern, Pogg. Annal., Bd. 102, pag. 530.
  3. Vergl. Helmholtz: Ueber die Bewegungsgleichungen der Elektricität für ruhende leitende Körper, Borchardt’s Journal, Bd. 72, pag. 81. Daselbst ist statt gesetzt.
  4. So sagt z. B. Kirchhoff (Pogg. Ann., Bd. 100, pag. 199):
         „Bei einem stationären elektrischen Strom ist die Strömung (Stromdichtigkeit) gleich dem Product aus der, auf die Einheit der Elektricitätsmenge bezogenen, elektromotorischen Kraft in die Leitungsfähigkeit; ich mache die Annahme, dass dasselbe auch stattfindet, wenn der Strom kein stationärer ist. Diese Annahme wird erfüllt sein, wenn die auf die Elektricitätstheilchen wirkenden Kräfte, welche den Widerstand ausmachen, so mächtig sind, dass die Zeit, während welcher ein Elektricitätstheilchen noch in Bewegung bleibt nach dem Aufhören von beschleunigenden Kräften in Folge der Trägheit, als unendlich klein angesehen werden darf selbst gegen die kleinen Zeiträume, welche bei einem nicht stationären elektrischen Strom in Betracht kommen.“
         Bei Wiedergabe dieses Citates habe ich mir in sofern eine kleine Abänderung erlaubt, als ich an Stelle des von Kirchhoff benutzten Wortes: „Stromdichtigkeit“ eine etwas andere (falls ich nicht irre) von Helmholtz eingeführte Benennung, nämlich das schon im Vorhergehenden von mir benutzte Wort „Strömung“ substituirt habe.
  5. *) Nach Weber’s Anschauungsweise würde die Formeln falls sie Anspruch auf wirkliche Strenge haben sollen, umzugestalten sein in folgende:


    wo einen Coefficienten vorstellt, welcher proportional ist mit der Trägheit der elektrischen Materie.

          Vergl. Weber: Elektrodynamische Maasbestimmungen, Abhandl. der K. Sächs. Ges. d. Wss., Bd. VI, pag. 593–597; und ferner Lorberg’s Aufsatz im Borchardt’schen Journal, Bd. 71, pag. 56.