Die heilige Hildegunde zu Schönau

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Autor: Albert Ludwig Grimm
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Titel: Die heilige Hildegunde zu Schönau
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 572–575
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Die heilige Hildegunde zu Schönau.[1]

In der Nähe der Stadt Köln lebten zwei fromme Eheleute in Wohlstand und Ansehen. Eines fehlte aber zu ihrem vollkommenen Glücke: ihre Ehe war nämlich seither kinderlos geblieben. Alle Gebete und Gelübde, die sie gen Himmel schickten, schienen lange nicht Erhörung zu finden. Als eine besondere Gunst desselben sahen sie daher die endlich erfolgte glückliche Geburt zweier Zwillingsschwestern an. Eine derselben war Hildegunde. Kaum waren die beiden Schwestern den Jahren der hülfsbedürftigen Kindheit entwachsen, so brachten sie die Eltern, um ihr Dankgelöbniß zu erfüllen, in ein Frauenkloster zu Neuß, damit sie dort erzogen würden und begaben sich auf die weite Pilgerreise nach dem gelobten Lande.

Kein Unfall störte die Reise des frommen Paares und es kehrte glücklich in die Heimath zurück. Allein bald darauf starb die Mutter. Da entschloß sich der Vater, vom Drange seines gotterfüllten Herzens getrieben, noch einmal die heiligen Stellen zu besuchen, wo der Heiland gelebt und gelitten. Als er Hildegunden sein Vorhaben mittheilte, lag sie ihm mit Bitten und Thränen so lange an, bis er ihr erlaubte, ihn zu begleiten. Schnell waren ihre Zurüstungen gemacht, und um jedem Anstoße vorzubeugen, den ihr Geschlecht auf der weiten Reise hervorrufen möchte, zog sie, als junger Pilgersmann verkleidet, mit ihrem Vater aus der Heimath auf die Wallfahrt, indem sie sich den Namen Joseph beilegte. Ein einziger Knecht folgte ihnen.

Allein auf der langen Seereise überfiel ihren Vater eine Krankheit, welche rasch seinem Leben ein Ende machte. Dennoch setzte sie unerschrocken ihre Reise fort, gelangte glücklich nach Palästina und besuchte schon die heiligen Stellen, wo der Herr einst gewandelt, gelehrt und gewirkt hatte.

Noch war sie aber nicht bis Jerusalem gekommen, als eines Tages ihr treuloser Knecht mit all’ ihrer Habe sich aus dem Staube machte und sie hülflos und arm in dem fremden Lande zurückließ.

Ein frommer Mann sah ihre Noth und mitleidig nahm er [573] den jungen Pilgerknaben mit sich nach Jerusalem, wo er ihn bei den Tempelherren unterbrachte. Diese behielten ihn ein ganzes Jahr bei sich, bis sie endlich in einem Landsmann einen Begleiter für ihn fanden, der ihn nach Köln zurückbrachte. Obwohl nun der Heimath so nahe, war Hildegunde doch in Köln ganz fremd. Sie behielt ihre Kleidung und den Namen Joseph bei, und trat, hülflos wie sie war, bei einem Kanonikus in Dienste. Geschäfte riefen diesen bald darauf nach Rom. Er machte die Reise zu Pferde, und Hildegunde-Joseph, als sein Diener, mußte ihm zu Fuße folgen. Da gesellte sich auf freiem Felde einst ein Mann zu ihm, der einen Sack auf seinem Rücken trug. Sie waren schon eine gute Strecke miteinander gegangen, als ihnen einige Männer eilig nachfolgten: „Willst du nicht so gut seyn,“ – sprach da sein Gefährte zu ihm – „meinen Sack eine Strecke zu tragen? Dort im Walde will ich mir nur einen Reisestecken schneiden. Geh indessen nur langsam voran, ich hole dich bald wieder ein.“

Nichts Arges ahnend, nahm ihm der gutmüthige Joseph den Sack ab, hängte ihn auf seinen Rücken und schritt damit langsam weiter, während sein Gefährte schnell nach dem nahen Walde seitwärts eilte und in dem Dickicht desselben verschwand.

Die nacheilenden Männer waren inzwischen näher und näher gekommen und Joseph hörte sie nun deutlich rufen: „Haltet den Dieb!“ – Bei diesem Rufe sah er sich um, den Dieb mit den Augen suchend, der da gehalten werden sollte. Da er aber Niemanden erblickte, hielt er das Ganze für einen Scherz und schritt unbesorgt weiter. Jetzt hatten ihn aber die Männer eingeholt und fielen mit Ungestüm über ihn her, entrissen ihm den Sack und führten den Armen unter Schlägen und wilden Drohreden in das nächste Städtchen.

„Warum mißhandelt ihr mich also?“ – fragte Joseph. – „Wie? du fragst noch?“ – versetzten die Männer – „Hast du doch deinen Ankläger, den Sack mit dem gestohlenen Gute, selbst auf dem Rücken getragen! Du mußt hängen!“ – Unter diesen und ähnlichen Vorwürfen ward der Knabe vor den Ortsrichter gebracht. Hier sprach er: „Ich bin unschuldig! Ich erkenne nun aber, daß man mich für schuldig halten muß. Denn der Schuldige hat sich indessen gerettet und dafür mich mit diesem [574] Sacke in den Verdacht gebracht. Ich bin bereit, meine Unschuld durch ein Gottesurtheil zu beweisen.“

„Es sey,“ – sprach der Richter. Darauf brachte man eine glühende Pflugschar und unversehrt wandelte der Beklagte langsamen Schrittes mit bloßen Füßen darüber hin. Richter und Kläger sahens mit Staunen und riefen: „Unschuldig!“ Und nun erzählte Joseph den Hergang, wie er zu dem Sacke gekommen. Dabei beschrieb er den Dieb so genau, daß man in ihm einen Einwohner derselben Stadt erkannte. Der Richter läßt ihn sogleich herbeiholen. Er war inzwischen auf Nebenwegen nach Hause gekommen. Man ergreift ihn; bei Josephs Anblick gesteht er sogleich im Verhör seine Schuld und muß sie noch am selbigen Tage mit dem Leben büßen.

Als Joseph aber darauf wieder von dannen zog, umringten ihn auf einer einsamen Stelle in dem Walde, durch welchen sein Weg führte, die Verwandten und Diebsgenossen des Gehängten: „Du bist der Urheber seines Todes! du hast unsern Meister verrathen! dein Tod soll ihn rächen!“ Mit diesem Geschrei stürzten sie auf ihn los, hingen ihn am nächsten Baume auf, und eilten davon.

Da kamen einige Hirten zufällig in die Nähe. Den hängenden Körper sehen und vom Stricke losschneiden, war das Werk eines Augenblicks. Da jedoch der Jüngling kein Lebenszeichen mehr von sich gab, schickten sie sich an, ihn zu begraben. Indem sie aber noch beschäftigt waren, sein Grab aufzuwerfen – siehe, da sprengt vom nahen Hügel daher ein Ritter in weißem Gewande auf schneeweißem Rosse, von strahlendem Lichtglanz umflossen. Die Hirten werfen sich demüthig zur Erde nieder und beten: „Herr, Herr! erbarme dich unser!“ Der lichtglänzende Reiter schwingt sich vom Pferde, faßt die Leiche in seine Arme, besteigt mit ihr seinen Schimmel wieder und ist im Fluge den Blicken der staunenden Hirten entschwunden.

Es war ein Engel des Herrn gewesen. In seinen Armen belebte sich die Leiche wieder und als Joseph zu sich selbst kam, fand er sich bei dem Amphitheater in Verona liegen und sah seinen Herrn, der ihm voraus gereist war, gerade auf sich zukommen. Nachdem er ihm sein wundervolles Abenteuer erzählt, gleitete ihn der Knabe nach Rom und kehrte später mit ihm nach Teutschland zurück.

[575] In Speyer hörte Joseph von dem frommen Wandel der Mönche im Kloster Schönau und sogleich entschloß er sich, zu ihnen zu gehen, um sich durch fromme Uebungen des ewigen Heiles würdig zu machen.

Die Brüder nahmen den neuen Zögling bereitwillig auf und unterrichteten ihn in den Regeln ihres Ordens; er aber kam als Novize seinen Pflichten aufs Pünktlichste und Getreueste nach.

Noch war aber das Probejahr nicht ganz vorüber, als Joseph erkrankte. Die Anstrengungen seiner weiten Reise, die ausgestandenen Gefahren und Kasteiungen hatten die Kräfte seines Körpers aufgerieben.

Am 20. April 1188 entschlief er selig in dem Herrn.

Sein Geschlecht war bis zu seinem Tode unerkannt geblieben; erst jetzt entdeckte man, bei Einkleidung des Leichnams, daß der vermeinte Knabe Joseph die Jungfrau Hildegunde war. Sie ward im Kloster Schönau begraben, ist aber später als Verklärte vielen Frommen erschienen und hat manche Wunder gewirkt. Wo aber jetzt ihre Reliquien aufbewahrt werden, ist unbekannt.

A. L. Grimm.
(Aus dessen: „Die malerischen und romantischen Stellen des Odenwaldes in ihrer Vorzeit und Gegenwart.“ Darmstadt 1843. Leske.)

  1. Städtchen, von Heidelberg 2 Stunden nordöstlich, liegt in einem von der Steinach gebildeten Seitenthale.