Die neuste englische Eroberung in Ostindien

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Autor: unbekannt
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Titel: Die neuste englische Eroberung in Ostindien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 89–90
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Die neueste englische Eroberung in Ostindien.
(Königreich Oude mit der Hauptstadt Lucknow.)

Das ostindische Königreich Oude ist neuerdings wiederholt als Episode auf der Weltbühne aufgetreten. Wir wissen bereits etwas davon aus früherem Nummern, wie es zum Verschlingen von der englischen Compagnie eingeschnürt ward. Ganz wie´s die Riesenschlangen machen. Sie umarmen ihr Opfer, drücken ihm alle Knochen entzwei, machen es hübsch rund und glatt, speicheln es über und über ein und verschlingen´s dann mit Haut und Haar. Sind solche „Eroberungen“ sehr groß und die Riesenschlange auch, kommt letztere doch trotz riesenmäßiger Verdauungskraft nicht selten in den Fall, kraft- und bewegungslos da liegen zu müssen und sich mitten im Verdauungsprocesse todtschlagen lassen zu müssen. Die erobernden Staaten starben denn auch immer an der Unfähigkeit, das massenweis Verschlungene zu verdauen. Ihre Größe machte sie klein und schwach. England hat Irland noch nicht verdaut, noch nicht Südafrika, noch nicht seine Bissen in Centralamerika, die ihnen Amerika´s Präsident nicht gönnt, noch nicht Ostindien - und doch ist es eben schon wieder damit beschäftigt, ein ganzes Königreich aufzufressen.

Das königliche Schloß in Lucknow.

Das Königreich Oude, 25,000 englische Geviertmeilen umfassend, also halb so groß wie England, ist das einzige Terrain in der großen Gangesebene, welches der englischen Compagnie bisher noch nicht gehörte, und durch welches sie deshalb ihre beinahe europagroßen Besitzungen jetzt „abrunden“ will. Es dehnt sich in der Gangesebene zwischen dem 80. und 82. Grade östlicher Länge von den Ufern des Ganges bis in die Himalayagebirge aus. Wir wollen nicht in Einzelnheiten des ausgebrochenen Bürger- und Religionskrieges zwischen den Hindu´s und der muhamedgläubigen Bevölkerung von Oude eingehen, da weder die im Kriege begriffenen Glaubensartikel, noch die einzelnen Schlächtereien ein gedenkliches oder Kulturinteresse haben. Nur so viel, daß die Unterthanen des Königs von Oude, in Muhamedaner und buddhistische Hindu´s gespalten, mit beiden Religionen auch in dessen Heere dienen und der entzündete religiöse Haß durch diplomatische und strategische Kunststücke des englischen Kapitains Barlow, Commandeurs der „zur Ruhestiftung“ gesandten Truppen der englischen Compagnie, auch in den Truppen des Königs genährt und zum Ausbruche angeblasen ward. So theilte er Hindu´s und Muselmänner und hetzte sie gegen einander. Dazwischen ward es ihm nicht schwer, Meister auf verschiedenen Schlachtfeldern zu bleiben, obgleich die muselmännischen Truppen, als sie seinen Verrath merkten, mit dem heroischsten, todesmuthigsten Fanatismus kämpften und sich massenweise mit geschwungenen Schwertern den brüllenden Kanonenkugeln entgegenstürzten, um mitten unter den Feinden umherhauend niedergemetzelt zu werden.

Nur eine Einzelnheit. Kapitain Barlow hatte unter seinen Artilleristen einen einzigen Muhamedaner. Er weigerte sich, auf seine Glaubensgenossen zu schießen. Man sagte ihm, diese Weigerung werde mit dem Tode bestraft.

„Ich weiß das,“ antwortete er, „ich will lieber sterben, als meine Glaubensgenossen tödten!“

Kapitain Barlow ließ ihn auf der Stelle niedersäbeln. Die Pathaner (muselmännische Rebellen unter ihrem Propheten und Chef Amir Alee) ließ er sich in einer von ihm construirten Falle, so daß sie von ihm in Front und von Hindu´s im Rücken angegriffen wurden, kämpfend und um sich niedermähend bis auf den letzten Mann vernichten. Nicht Einer ergab sich lebendig. Niemand bat um Schonung, Niemandem ward sie. Das Schicksal Oude´s entschied sich im Verlaufe vorigen Novembers [90] zwischen der Hauptstadt des Königreichs Lucknow (wie die Engländer es schreiben, nicht Locknau) und Daryabad, einer etwa sieben deutsche Meilen davon entfernten andern Stadt.

Wahrscheinlich herrschen die Engländer schon in Lucknow, einem neuen fetten Posten für irgend einen Taugenichts von Banquier- oder Lordssohn. Jeder Engländer ist stolz auf die vielen auswärtigen Besitzungen und Eroberungen, obgleich er dafür die Interessen von 7,0000,0000,000 Thalern Kriegsschulden und die zu fabelhaften Millionen gewachsenen Armengelder bezahlen muß, und ihm diese Besitzungen außerdem nur noch Geld kosten, da der relative Profit lediglich von den privilegirten Klassen geschluckt wird.

Für die ehrliche, fleißige Hand der Civilisation ist Oude allerdings ein Crösusschatz. Es ist größtentheils eine ungeheuere, fruchtschwangere Ebene, besonders zwischen dem Ganges und dem Zumaa, die Duuab-Ebene, blos neun Meilen von Delhi. Lucknow, die Hauptstadt, war einst berühmt als blühender Sitz alter Hindukultur. Jetzt ist sie im Wesentlichen Ruine, wie noch mehr eine andere gleiches Namens, die gar nicht mehr von Menschen, sondern blos von Tigern, Schlangen und andern Raubthieren und giftigen Reptilien bewohnt wird. Die etwa 300,000 Einwohner der jetzigen Metropolis von Oude zerstreuen sich weit und breit in stroh- und bambusgedeckten Schmutzhütten. Nur die Häuser der Kaufleute und einige Regierungsgebäude stehen massiv und hoch und stolz, besonders das königliche Schloß auf der höchsten Höhe in der ganzen Umgegend, ein gerade- und rundgethurmtes Labyrinth von Pracht und Geschmacklosigkeit für Tiger, Elephanten, Gaukler, Tänzerinnen und Hofgesindel aller Art. Die charakteristische und bedeutendste Sehenswürdigkeit unweit des Schlosses ist das Mausoleum, die Ruhestätte alter Herrscher und Vasallen des ehemaligen Großmoguls mit einem großen Tempel in der Nähe, dessen kuppelartige und spitzige Thürme weithin in den sonnigen Himmel hinauf und in die grünen, von wundersamen, duftigen Blumen, Platanen und Palmen geschmückten Ebenen ringsum glänzen und schimmern.