Die wissenschaftlichen Namen der Thiere und Pflanzen

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Emil Adolf Roßmäßler
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die wissenschaftlichen Namen der Thiere und Pflanzen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 140-141
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Teil 8 der Artikelreihe Aus der Menschenheimath.
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[140]

Aus der Menschenheimath.

Briefe
des Schulmeisters emer. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Achter Brief.
Die wissenschaftlichen Namen der Thiere und Pflanzen.

Du beklagtest Dich neulich über meine garstigen „unverständlichen Namen“ der Thiere und Pflanzen. Ohne Zweifel verstehst Du damit die wissenschaftlichen, aus der lateinischen und griechischen Sprache entlehnten Benennungen, welche ich namentlich neulich, als ich Dir von den Diatomeen schrieb, gebrauchte, ohne daneben deutsche hinzuzufügen. Ich gestehe Dir, mein Freund, daß ich diese Klage vorhergesehen, ja sogar erwartet habe. Dadurch erhalte ich nun von Dir selbst Veranlassung, Dir darüber Einiges zu schreiben, was Dir außerdem vielleicht gar zu trocken und uninteressant erschienen sein würde. Du kannst Dich über diese wissenschaftlichen Namen in meinen deutschen Briefen an einen deutschen Bauersmann, der nicht Lateinisch und Griechisch versteht, kaum mehr ärgern als ich selbst; aber – ich weiß nicht zu helfen.

Ich muß es daher versuchen, Dich mit den „garstigen, unverständlichen Namen“ auszusöhnen, oder Dich wenigstens über die Art der naturwissenschaftlichen Namengebung zu verständigen.

Sieh, mein lieber Freund, wie die Natur allen Menschen gemeinsam angehört, so ist auch die Wissenschaft der Natur so recht eigentlich eine allgemein menschliche Wissenschaft, welche sich nicht um die trennenden Schranken kümmert, durch welche die Menschen – ich will blos bei den Europäern stehen bleiben – in Deutsche, in Engländer, in Russen, in Franzosen, in Schweden, in Dänen, in Italiener, in Spanier und Türken zerfallen. Diese trennenden Schranken bestehen namentlich in der Sprachverschiedenheit. Die Naturwissenschaft ist das schöne Band, durch welches jene sprachgetrennten Menschen geeinigt werden. Keine Wissenschaft ist so sehr wie die Naturwissenschaft ein Werk, an welchem sich alle gebildeten Völker der Erde gemeinsam betheiligen, mögen sie Deutsch oder sonst wie sprechen. Bedenke, daß es wenigstens 200,000 bekannte Thier- und Pflanzenarten giebt. Hätte nun jede derselben blos einen Volksnamen, so hätte allein z. B. der Maikäfer in Europa etwa 16 verschiedene Namen (einen deutschen, einen englischen, türkischen etc. etc.); das gäbe, auf jedes der 200,000 Thiere und Gewächse angewendet 3,200,000 Namen! Wollte nun ein deutscher Naturforscher englische, französische und italienische naturgeschichtliche Werke studiren, so müßte er, außer der Kenntniß dieser Sprachen, auch noch dreimal 200,000 also 600,000 Namen der Thiere und Pflanzen kennen, welche jene 3 Nationen denselben geben. Das würde geradehin eine Unmöglichkeit sein und – das Studium der Naturwissenschaft würde aufhören, ein allen Nationen gemeinschaftliches zu sein und es würde bald nur eine deutsche, eine englische, eine französische Naturwissenschaft und so fort geben.

Hier kommen nun aber die überall verbreiteten beiden alten Sprachen als Helferinnen in der Noth trefflich zu statten. Jedes neuentdeckte Thier und Gewächs erhält sofort von seinem Entdecker einen aus Wörtern dieser beiden Sprachen gebildeten Namen, mag der Entdecker sonst eine Sprache reden wie immer, der sofort von den Naturforschern aller Nationen angenommen wird. Findet ein europäischer Naturforscher, mag er ein Norweger oder ein Spanier sein in einem Buche den Namen Coccinella bipunctata, so weiß er, welches Thier damit gemeint ist. Es ist der wissenschaftliche Name unseres – ja wie nennt Ihr denn in Eurem Dorfe dieses kleine allbekannte hellkreisförmige Käferchen mit den zinnoberrothen Flügeldecken, mit 2 schwarzen Punkten und den 2 weißen Flecken auf dem schwarzen Halsschilde? Ich könnte Dir jetzt wenigstens 10 deutsche Namen für dies Thierchen herzählen, welche es in den verschiedenen Theilen Deutschlands hat. Da siehst Du, wohin die Verwerfung der wissenschaftlichen Namen führen würde. Es würde eine babylonische Sprachverwirrung werden; denn jener bekannte Käfer, [141] ich meine das Marienkäferchen, auch Gottesküh’chen, Gottesschäfchen genannt, hat ebenso in England und Frankreich seine zehnerlei Volksnamen.

Du siehst also, welch einen außerordentlichen Vortheil die wissenschaftlichen Namen gewähren.

Ich will Dir aber noch eine andere Seite der Sache vorhalten.

Du mußt im Auge behalten, daß nationale Benennungen neben den wissenschaftlichen für die Naturwissenschaft ganz ohne Bedeutung sind. Sie würden, wenn die Entdecker neben den wissenschaftlichen immer auch einen nationalen Namen bilden wollten, von den Naturforschern ganz unbeachtet bleiben. Wir würden also in Europa jedes Jahr im mindesten Falle 8000 neue Nationalnamen erhalten, denn 500 neue Thier- und Pflanzenarten werden jährlich mindestens entdeckt, die blos gemacht würden, um wieder vergessen zu werden. Warum? weil von ihnen nur äußerst wenige in’s Volk eindringen würden, welches nur selten von neuen Entdeckungen, weil diese meist seltene und ausländische Thiere und Pflanzen sind, Kenntniß nimmt. Die dem Volke von Alters her bekannten Thiere und Pflanzen haben schon Volksnamen, hier diesen, zwei Stunden davon oft schon wieder einen andern. Die läßt sich das Volk auch nicht nehmen, wenn es den Naturforschern auch einfallen sollte, einen davon gewissermaßen zu sanktioniren. Deutsche Thier- und Pflanzennamen, um als Deutsche zu reden, giebt das Volk ohne Zuthun der Gelehrten; ja gegen den Ausspruch derselben. Die Namengebung ist bei dem Volke Sache des Gemüths und der Einbildungskraft. Da läßt es sich nicht hineinreden.

Wo freilich für eine Thier- oder Pflanzenart ein deutscher Name vorhanden ist, da werde ich ihn gewiß stets brauchen, und den wissenschaftlichen blos zu mehrer Sicherheit vor Mißverständniß hinzufügen.

Ich denke so: Wenn Jemand Thiere und Pflanzen kennen lernen will, so muß er sich auch die Namen gefallen lassen, bei deren Nennung er sicher ist, daß keine Verwechselungen stattfinden. Hat ja doch jedes Gewerbe, denke dabei auch an die Waidmannssprache, seine eignen Benennungen. Ich möchte die Naturwissenschaft – versteht sich nicht mit gelehrter Gründlichkeit und Vollständigkeit – das Universalgewerbe jedes rechten Menschen nennen. Nun so muß auch jeder Mensch sich den Formen, wenn sie zweckmäßige sind, nach Kräften fügen. Ich kenne ja manchen Bauer und Handwerker, welcher in der naturwissenschaftlichen Namengebung ganz zu Hause ist und über seinen Sammlungen seinen Acker und seine Werkstatt durchaus nicht vernachlässigt.

Siehst Du, mein lieber Freund, so steht die Sache. Bist Du noch nicht beruhigt, so schreib’ mir weiter darüber.