Die zwölf Brüder (1819)

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Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Die zwölf Brüder
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe.
S. 48-54
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1819
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
seit 1812: KHM 9
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Die zwölf Brüder.


[48]
9.
Die zwölf Brüder.

Es war einmal ein König und eine Königin, die lebten in Frieden mit einander und hatten zwölf Kinder, das waren aber lauter Buben. Nun sprach der König zu seiner Frau: „wenn das dreizehnte Kind, das du zur Welt bringst, ein Mädchen ist, so sollen die zwölf Buben sterben, damit sein Reichthum groß wird und es das Königreich allein erhält.“ Er ließ auch zwölf Särge machen, die waren schon mit Hobelspänen[1] gefüllt und in jedem lag das Todtenkißchen und ließ sie in eine verschloßene Stube bringen, davon gab er der Königin den Schlüssel und sprach, sie sollte niemand davon etwas sagen.

Die Mutter aber saß nun den ganzen Tag und trauerte, so daß der kleinste Sohn, der immer bei ihr war und den sie nach der Bibel Benjamin nannte, zu ihr sprach: „liebe Mutter, warum bist du so betraurig?“ „Liebstes Kind, antwortete sie, ich darf dirs nicht sagen.“ Er ließ ihr aber keine Ruhe, bis sie ging und die Stube aufschloß und ihm die zwölf Todtenladen [49] mit Hobelspänen schon gefüllt, zeigte und sprach: „mein liebster Benjamin, die hat dein Vater für dich und deine elf Brüder machen lassen, denn wenn ich ein Mädchen zur Welt bringe, so sollt ihr allesammt getödtet und in den Särgen da begraben werden.“ Da sagte der Sohn: „weine nicht, liebe Mutter, wir wollen uns helfen und wollen fortgehen.“ Sie sprach: „geh mit deinen elf Brüdern hinaus in den Wald, und einer setze sich immer auf den höchsten Baum, der zu finden ist und halte Wacht und schaue nach dem Thurm hier im Schloß. Gebär ich ein Söhnlein, so will ich eine weiße Fahne aufstecken und dann dürft ihr wieder kommen; gebär ich ein Töchterlein, so will ich eine rothe Fahne aufstecken, und dann flieht fort und der liebe Gott behüt euch. Alle Nacht will ich aufstehn und für euch beten: im Winter, daß ihr an einem Feuer euch wärmen könnt, im Sommer, daß ihr nicht in der Hitze schmachtet.“

Nachdem sie also ihre Söhne gesegnet hatte, gingen sie hinaus in den Wald. Einer hielt um den andern Wacht, fast auf der höchsten Eiche und schauete nach dem Thurm. Als elf Tage herum waren und die Reihe an Benjamin kam, da sah er wie eine Fahne aufgesteckt wurde, es war aber nicht die weiße, sondern die rothe Blutfahne, die verkündigte, daß sie alle sterben sollten. Wie die Brüder das nun hörten, wurden sie zornig und sprachen: sollten wir um eines Mädchens willen den Tod leiden; nun schwören wir, daß wo uns eins begegnet, wir uns rächen und sein rothes Blut fließen lassen.“

Darauf gingen sie tiefer in den großen Wald hinein und [50] mitten drin, wo er am dunkelsten war, fanden sie ein kleines verwünschtes Häuschen, das leer stand. Da sprachen sie: „hier wollen wir wohnen, und du Benjamin, du bist der jüngste und schwächste, du sollst daheim bleiben und haushalten, wir wollen ausgehen und Essen holen.“ Nun zogen sie in den Wald und schossen Hasen, wilde Rehe, Vögel und Täuberchen und was zu essen stand; das brachten sie dem Benjamin, der mußts ihnen zurecht machen, damit sie ihren Hunger stillen konnten. In dem Häuschen lebten sie zehn Jahre zusammen und die Zeit ward ihnen nicht lang.

Das Töchterchen, das ihre Mutter Königin geboren, war nun herangewachsen, war gar schön und hatte einen goldenen Stern auf der Stirne. Einmal, als große Wäsche war, sah es darunter zwölf Mannshemden und fragte seine Mutter: „wem gehören diese zwölf Hemden, für den Vater sind sie doch viel zu klein?“ Da antwortete sie mit schwerem Herzen: „liebes Kind, die gehören deinen zwölf Brüdern.“ Sprach das Fräulein: „wo sind den meine zwölf Brüder, von denen habe ich noch niemals gehört.“ Sie antwortete: „daß weiß Gott, wo sie sind, sie irren in der Welt herum.“ Da nahm sie das Mädchen und schloß ihm das Zimmer auf und zeigte ihm die zwölf Särge mit den Hobelspänen und den Todtenkißchen. „Die sprach sie, waren für sie bestimmt, aber sie sind heimlich fortgegangen, eh du geboren warst“ und erzählte ihm, wie sich alles zugetragen hatte. Da sagte das Mädchen: „liebe Mutter, weine nicht, ich will gehen und meine Brüder suchen.“


Nun nahm es die zwölf Hemden und ging fort, und geradezu [51] in den großen Wald hinein. Es ging den ganzen Tag, und am Abend kam es zu dem verwünschten Häuschen. Da trat es hinein und fand einen jungen Knaben, der fragte: „wo kommst du her und wo willst du hin?“ und erstaunte, daß sie so gar schön war, königliche Kleider trug und einen Stern auf der Stirne hatte. Da antwortete sie: „ich bin eine Königstochter und suche meine zwölf Brüder und will gehen, so weit der Himmel blau ist, bis ich sie finde.“ Und zeigte ihm die zwölf Hemder, die ihnen gehörten. Da sah Benjamin, daß es seine Schwester war, und sprach: „ich bin Benjamin, dein jüngster Bruder!“ Und sie fing an zu weinen vor Freude und Benjamin auch und sie küßten und herzten einander vor großer Liebe. Hernach sprach er: „Liebe Schwester, es ist noch ein Vorbehalt da, wir hatten beschlossen und verabredet, daß ein jedes Mädchen, das uns begegnete, sterben sollte, weil wir um ein Mädchen unser Königreich verlassen mußten.“ Da sagte sie: „ich will gern sterben, wenn ich damit meine zwölf Brüder erlösen kann.“ „Nein antwortete er, du sollst nicht sterben, setz dich unter diese Bütte bis die elf Brüder kommen, dann will ich schon einig mit ihnen werden.“ Also that sie; und wie es Nacht ward, kamen die andern von[2] der Jagd und die Mahlzeit war bereit. Und als sie am Tisch saßen und aßen, fragten sie: „was giebts neues?“ Sprach Benjamin: „wißts ihr nichts?“ „Nein“ antworteten sie. Sprach er weiter: „ihr seid im Wald gewesen und ich bin daheim geblieben und weiß doch mehr als ihr.“ „So erzähl uns“ riefen sie. Antwortete er: „versprecht ihr mir auch, daß das erste Mädchen das uns begegnet, nicht soll getödtet werden?“ „Ja, riefen sie alle, [52] das soll Gnade haben, erzähl uns nur.“ Da sprach er: „unsere Schwester ist da“ und hub die Butte auf, und die Königstochter kam hervor in ihren königlichen Kleidern mit dem goldenen Stern auf der Stirne und war so schön zart und fein. Da freuten sie sich alle, fielen ihr um den Hals und küßten sie und hatten sie von Herzen lieb.

Nun blieb sie bei Benjamin zu Haus und half ihm in der Arbeit. Die elfe zogen in den Wald, suchten Wilder (Gewild), Rehe, Hasen, Vögel und Täuberchen, damit sie zu essen hatten und die Schwester und Benjamin sorgten, daß es zubereitet wurde. Sie suchte das Holz zum Kochen, und die Kräuter zum Gemüs und stellte zu am Feuer, also daß die Mahlzeit immer fertig war, wenn die elfe kamen. Sie hielt auch sonst Ordnung im Häuschen und deckte die Bettlein hübsch weiß und rein und die Brüder waren immer zufrieden und lebten in großer Einigkeit mit ihr.

Auf eine Zeit hatten die beide daheim eine schöne Kost zurecht gemacht und wie sie nun alle beisammen waren, setzten sie sich, aßen und tranken und waren voller Freude. Es war aber ein kleines Gärtchen an dem verwünschten Häuschen, darin standen zwölf Lilienblumen, die man auch Studenten heißt; nun wollte sie ihren Brüdern ein Vergnügen machen, brach die zwölf Blumen ab und dachte jedem aufs Essen eine zu schenken.Wie sie aber die Blumen abgebrochen hatte in demselben Augenblick waren die zwölf Brüder in zwölf Raben verwandelt und flogen über den Wald hin fort, und das Haus mit dem Garten war auch verschwunden. Da war nun das arme Mädchen allein in [53] dem wilden Wald und wie es sich umsah, so stand eine alte Frau neben ihm, die sprach: „ei! ei! mein Kind was hast du angefangen? warum hast du die zwölf weißen Blumen nicht stehen lassen, das waren deine Brüder, die sind nun auf immer in Raben verwandelt.“ Das Mädchen sprach weinend: „ist denn kein Mittel, sie zu erlösen?“ „Nein, sagte die Alte, es ist keins auf der ganzen Welt, als eins, das ist aber so schwer, daß du sie damit nicht befreien wirst, denn du must sieben Jahre stumm seyn, darfst nicht sprechen und nicht lachen und sprichst du ein einziges Wort und es fehlt nur eine Stunde an den sieben Jahren, so ist alles umsonst und deine Brüder werden von dem Wort getödtet.“

Da sprach das Mädchen in seinem Herzen: „ich will meine Brüder gewiß erlösen“ und ging und suchte einen hohen Baum, setzte sich darauf und spann und sprach nicht und lachte nicht. Nun trugs sich zu, daß ein König in dem Wald jagte, der hatte eine große Windel (Windhund), die lief zu dem Baum, wo das Fräulein drauf saß, sprang herum, schrie und bellte hinauf. Da kam der König herbei und sah die schöne Königstochter mit dem goldnen Stern auf der Stirne, und war so entzückt über ihre Schönheit daß er hinauf rief, ob sie seine Gemahlin werden wollte. Sie gab keine Antwort, nickte aber ein wenig mit dem Kopf; da stieg er selbst hinauf, trug sie herab, setze sie auf sein Pferd und da ward die Hochzeit, obgleich die Braut stumm war und nicht lachte, mit großer Pracht und Freude gefeiert. Als sie ein paar Jahre mit einander vergnügt gelebt, fing die Mutter des Königs, die eine böse Frau war, an, die junge Königin zu verläumden [54] und sprach zum König: „es ist ein gemeines Bettelmädchen, daß du dir mitgebracht, wer weiß, was für Böses sie heimlich treibt. Wenn sie stumm ist und nicht sprechen kann, so könnte sie doch einmal lachen, aber wer nicht lacht, der hat ein böses Gewissen.“ Der König wollte zuerst nicht daran glauben, aber sie trieb es so lang, bis er sich endlich überreden ließ und sie zum Tod verurtheilte.

Nun ward im Hof ein großes Feuer angezündet, darin sie sollte verbrannt werden und der König stand oben und sahs mit weinenden Augen an, weil er sie noch immer so lieb hatte. Und als sie schon an den Pfahl festgebunden war und das Feuer schon nach ihren Kleidern die Zungen streckte, da war eben der letzte Augenblick von den sieben Jahren verflossen und in der Luft ließ sich ein Geschwirr hören. Zwölf Raben kamen hergezogen und senkten sich nieder und wie sie die Erde berührten, waren es ihre zwölf Brüder, die sie erlöst hatte. Sie rissen das Feuer auseinander, löschten die Flammen, machten ihre liebe Schwester frei und küßten und herzten sie. Nun durfte sie ihren Mund aufthun und reden und erzählte dem König, wie es gekommen war, daß sie stumm gewesen und niemals gelacht hatte, der freute sich, daß sie unschuldig war, und sie lebten nun alle zusammen in Lust und Einigkeit bis an ihren Tod. Die böse Stiefmutter ward in ein Faß gesteckt, das mit siedendem Oehl und giftigen Schlangen angefüllt war und starb eines bösen Todes.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Hobelspäne (Druckfehler. Siehe S. 440)
  2. Vorlage: ander nvon