Ein Bild versunkener Herrlichkeit

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Autor: Herbert König
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Titel: Ein Bild versunkener Herrlichkeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 603–607
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Portrait des Jagd- und Barockschloß Moritzburg mit Fasanerie und Wildgehege
Hierzu in Nr. 11 abgedruckte Zuschrift Das Riesengeweih von Amboise
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Ein Bild versunkener Herrlichkeit.

Ja, ein Bild versunkener Herrlichkeit ist Schloß Moritzburg. Seine glänzendsten Tage datiren aus der Zeit des prachtliebenden August des Starken, der nach üppigem Male mir stolzem Jägertroß den weiten Forst durchzog, der jetzt in melancholischem Schweigen ruht. Nur das Schilf in den nahen Teichen rauscht und flüstert noch wie ehedem, und erzählt sich allerhand Geschichtchen von dem Silberdrachen der schönsten Courtisanen, von den italienischen Nächten, den Gondelfahrten, den gehetzten Hirschen und Wildschweinen, die mit ihrem rothen Blute das grüne Wasser färbten, nachdem sie, halb zu Tode gehetzt und bis zur äußersten Verzweiflung getrieben, in den schützenden Fluthen die letzte Rettung suchten; aber auch hier erreichte sie die wüthende Meute, und nicht selten versanken Wild und Hunde, die sich verbissen hatten, wenn nicht zu rechter Zeit Piqueure in heraneilenden Nachen das Opfer

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Schloß Moritzburg. Originalzeichnung von Herbert König.

[606] an’s Ufer zogen. – Auch heute pflegt man noch des edeln Waidwerks hier, aber, der Gesittung des Jahrhunderts entsprechend, in humanerer Weise; auch heute noch versammelt man sich zeitweilig in dem alten Schlosse zu Festmahlen, aber das Ganze hat dann das Gepräge einer echt deutschen Familientafel, denn Der, welcher präsidirt, ist bekanntlich nicht allein einer der weisesten, sondern auch tugendhaften Fürsten. „Sic transit gloria mundi“, würde nicht ohne Stoßseufzer ein Cavalier der guten alten Zeit zwischen den Zähnen murmeln, wir aber rufen laut aus: Gott sei Dank, daß es mit dieser Gloria sein Ende hat!

Jagdschloß Moritzburg, sonst Dianenburg genannt, liegt drei Stunden von Dresden, mitten im gelichteten „Friedewalde“, auf dem felsigen Grunde einer Insel des zweiundfünfzig Acker großen und rings mit trefflichen Kastanienalleen geschmückten Schloßteiches. Der gewaltig imponirende Bau erhebt sich vier Etagen hoch, und sondert sich an den vierfachen breiten Fronten in vier runde Eckthürme, welche durch Mittelgebäude mit eisengegitterten Balcons verbunden sind, und vom schlanken Thurm der viel später erbauten Capelle überragt werden. Steinerne Barrièren, mit grotesk-komischen Statuen von Waidmännern besetzt, umschließen einen großen getäfelten Freiplatz auf allen Seiten des Schlosses, unter welchem sich Promenaden mit kunstvoll verschnittenen Pyramiden von Nadelholz hinziehen. Ein dreißig Ellen breiter Damm mit Zugbrücke verbindet die Insel mit dem Lande, welche erstere mit Alleen und vier symmetrisch angelegten Pavillons vor dem Schlosse besetzt ist, und die Wassergräben von dem Schloßteiche trennt; letzterer ist gegen Westen tausend, gegen Osten neunhundert Ellen breit, und wird mit dem See bei der Fasanerie durch einen breiten, eine halbe Stunde langen Canal verbunden. Das Hauptschloß, welches einen Flächenraum von fünf Ackern hundertdreiundachtzig Quadratruthen einnimmt, wurde aus Sandsteinquadern erbaut, 1542 durch Kurfürst Moritz gegründet, von Christian dem Ersten 1589 vollendet, und von den folgenden Regenten bis 1722 beträchtlich erweitert und verschönert, während es durch August den Starken (der auch 1720 die katholische Capelle bauen ließ) die jetzige Gestalt und kostbare innere Einrichtung erhielt. Dies wahrhaft majestätische Lustschloß hat durch die seltenen und kostbaren Kunstwerke, die prachtvolle Ausstattung und den hier befindlichen Reichthum an monströsen und andern seltenen Geweihen einen Ruf durch ganz Europa erlangt; es enthält nächst vielen andern Räumen sieben große Säle und zweihundert Zimmer, deren Sehenswürdigkeiten hier nur kurz angedeutet werden können. Der weiße, vierundzwanzig Ellen hohe und breite, dreißig Ellen lange, durch zwei Stockwerke gehende Tanzsaal – von dessen Balcon man neun durch den Wald gehauene Alleen übersieht, enthält zweiundsiebenzig Hirschköpfe mit Geweihen von vierundzwanzig bis fünfzig Enden; der eben so große Audienzsaal, auf vergoldeten Ledertapeten Scenen aus der Mythe der Diana vorstellend, enthält viele der seltensten monströsen Geweihe in ungeheurer Größe von Hirschen, Elen- und Rennthieren, darunter das Geweih eines Hirsches von sechsundsechszig Enden, welcher lebend sechs Centner wog, auch einen Hirschkopf, an welchem das starke Geweih vor dem Maul herunter gewachsen ist, weshalb das Thier vor Hunger verendete, und mehrere gehörnte Hasenköpfe. Der Speisesaal ist mit zweiundsiebenzig Elen- und Damhirschgeweihen geschmückt, worunter sich zwei Fünfzigender befinden, und enthält noch eine große Menge kostbarer Trinkgeschirre, alte Humpen in seltsamer Form und theils von riesiger Größe, silberne und goldene Pokale und Kelche, und ein Heer von Bechern in Gestalt von allerhand Thieren und Jägern, deren größter, ein Hirschhorn, drei Kannen hält und bis zur Stunde bei festlichen Gelegenheiten die Tafelrunde macht.

Diese Säle, mit ledernen Goldtapeten (venetianischer Arbeit) ausgeschlagen, sind mit einer ungeheuren Menge von Jagdtrophäen und Schildereien geschmückt, enthalten große Spiegel, hohe Spiegelschränke, kostbare Uhren, Frescobilder mit Jagdpartien aus dem Leben August des Starken mit der Cosel, der Königsmark etc. Das Schlafgemach August’s mit dem ein einem Baldachin überspannten Prachtbett von gelbseidenem Damast enthält Tische, Schränke und Chieffonièren mit seltenster Blumenmosaik, das sogenannte Federzimmer Thronsessel, Baldachin und Wandbekleidung von Federn mexicanischer Vögel und Möbel von wohlriechenden brasilianischen Hölzern. Die übrigen Zimmer enthalten verschiedene, zum Theil sehr vorzügliche Stillleben nebst historischen Jagd- und Thierstücken, unter welchen sich besonders ein Oelgemälde mit einer Hetzjagd Friedrich des Weisen, 1549 von Lucas Kranach nach dem Leben gemalt, auszeichnet. Andererseits mag das Bild eines Raubschützen noch zu erwähnen sein, welcher beim Zerlegen eines geschossenen Rehbocks ertappt wird, worauf dieser Wilddieb auf Befehl des Kurfürst Moritz zur Strafe zwischen die Geweihe eines lebendigen Hirsches gebunden und mit Hunden in die Wildniß hinausgehetzt worden sein soll. Wir sagen: soll, denn das sehr gute Bild von Pauditz trägt die Jahreszahl 1660, zu welcher Zeit Kurfürst Moritz unmöglich den grausamen Befehl geben konnte, da er bereits hundertundsieben Jahre früher bei Sievershausen gefallen ist. Immerhin waren derartige Strafen an Wilddieben damals üblich, wie man auch einem Wilderer in flagranti die rechte Hand abzuhauen pflegte. Noch sind hier zwei Paar Hirschgeweihe zu bemerken, welche im Brunstkampfe der früheren Träger sich so ineinander verschränkten, daß keine Menschengewalt sie wieder zu lösen vermochte und daß die beiden Thiere so den Tod des Verschmachtens fanden. In der Capelle endlich ist ein lebensgroßer gegeißelter Christus sehenswerth von fleischfarbenem Marmor mit blutrothen Flecken, der als ein Meisterwerk der Bildhauerkunst gilt. Alles, was sich sonst den Blicken des Beschauers zeigt, erinnert lebhaft an den Prunk der jagdlustigen Zeit einer weltkundigen Glanzperiode, wo noch die hohe Jagd von blitzendem Jägertroß mit Halloruf, Hörnerton, Peitschenknall und Hundegebell die Forsten durchbrauste, wo bei glänzender Lustfahrt und Janitscharenmusik auf den Seen mit Türken- und Götteraufzügen paradirt wurde, Brillanten mit goldenen Netzen gefischt wurden, die man vorher in’s Wasser warf, um von der Königin des Festes, der Gräfin Aurora von Königsmark, wieder an’s Tageslicht befördert zu werden. Zum Schluß sei der Abbildung eines Riesengeweihes gedacht, das sich auf Schloss Amboise in Frankreich befindet. Dasselbe ist in natürlicher Größe ausgeführt, die zehn Fuß Höhe beträgt; ein hierzu eigens abgefaßtes Beglaubigungsschreiben sagt: daß zwei Cavaliere unter Pipin das Thier in Schwaben erlegt und dem französischen Herrscher zum Geschenk gemacht haben; Karl der Neunte habe es in Schloß Amboise aufgehängt, wo es sich noch befindet. Die ungeheure, fast nicht glaubliche Größe des Geweihes bestätigt der vormalige sächsische Gesandte am französischen Hofe, Graf v. Seebach.

Durch Wald und Wiesen führt ein halbstündiger Weg nach der Fasanerie, in deren unmittelbarer Nähe sich die Forstmeisterei, die Jägerhäuser, der pittoreske alte Springbrunnen und der Leuchtthurm auf dem Großteiche befiinden. Das neue Schloß, 1769 von Friedrich August dem Dritten in chinesischem Geschmacke erbaut und mit der Fasanerie in Verbindung stehend, zeichnet sich nicht minder durch seine ebenso bequeme, wie harmonische Einrichtung aus, was jene Zeit, mag man sie nun „Rococo“ oder „zopfig“ nennen, immerhin vorteilhaft charakterisirt.

Der von der Fasanerie getrennte, umzäunte Thiergarten, dessen Wildzaun vier bis fünf Stunden Umfange hat, enthält zwei Abtheilungen, in der einen verschiedenes Rothwild, bunte und auch weiße Hirsche und Rehe, in der anderen über dreihundert wilde Schweine als Schwarzwild, welche sich zur Stunde der Fütterung an gehörigem Platze versammeln. Inmitten des Thiergartens steht auf einer dreißig Ellen hohen Anhöhe ein achteckiges hohes steinernes Jagdhaus, das „Hellhaus“ genannt von feinem weißen Anstrich. Vom Dache aus, das mit eisenumgitterter Galerie versehen ist und die höchsten Wipfel der Bäume überragt, kann man in die acht den Thiergarten durchschneidenden Alleen sehen und somit das Jagdrevier ziemlich beherrschen. Bei den sonst hier häufig gehaltenen Perforcejagden und Schweinshatzen wurde von der Zinne dieses hohen Waldpavillons durch eine Fahne jedesmal die Allee bezeichnet, durch welche das Wild den Lauf genommen. Rechts an dem See bemerken wir noch den Entenfang, und am anderen Gestade das Teichhaus, jetzt ziemlich verödet. Von den umliegenden mehr denn siebenzig Teichen bilden die zum Staatsgut Moritzburg gehörigen neunundvierzig die Amtsfischei mit mehreren Teichwärtern. Auch sei noch der königliche Landbeschälungsanstalt unter Direction eines Landstallmeisters hier gedacht, die 1733 gegründet wurde und sich bei den Herren vom Sport eines vorzüglichen Rufes erfreut.

Seit einer Reihe von Jahren besuchte eine Anzahl der vorzüglichsten und berühmtesten Persönlichkeiten das Schloß, deren Namen wir treulichst als Facsimilia in jenen grünsammetnen Quartbändchen verzeichnet finden, die kurz vor aufgehobener Tafel herumgereicht wurden und noch werden, um die Zahl und Namen der Gäste der Nachwelt aufzubewahren. Nicht immer ist da der [607] Namenszug von sicherer Hand geführt, denn man merke wohl, das große Hirschhorn ging eben im Kreise herum, und Jeder und Jede erhielten ihre Censur, je nachdem sie nun bestanden – oder nicht. Ganz bescheiden, unter einer sehr kühnen und halb verwischten Handschrift, bemerken wir ein sehr klein geschriebenes „Frédérik“ – es ist der Namenszug Friedrich des Großen, der, damals kaum siebenzehnjährig, mit seinem Vater den sächsischen Hof und auch Moritzburg besuchte. Napoleon des Ersten Handschrift hat einst ein kühner Sammler nebst mehreren Seiten herausgerissen, weshalb man im Vorzeigen gedachter Bücher mit Recht behutsamer geworden ist. Noch eines Gastes, wenn auch nicht fürstlichen, doch nicht minder edlen Geblüts, darf ich wohl noch hier erwähnen und ihn bezeichnen als den eigentlichen Stammgast von Moritzburg. Es ist dies unser gemeinschaftlicher Freund, Ihr geschätzter Mitarbeiter Guido Hammer, der mit einer Liebe und Pietät diese stillen Forsten durchstreift, als wären die Bäume seine Schutzbefohlenen und die Hirsche und Rehe seine Kinder. Hier besonders entwirft er seine trefflichen Jagdstudien in Bild und Wort, hier entstand und spielte auch sein „Buschlieb“, eine der trefflichsten Schilderungen einsamen, beschaulichen Waldlebens.

Doch es wird Abend und es ist Zeit zu scheiden. Die Wasserrosen haben sich schon längst mit Sonnenuntergang geschlossen, noch rauscht ein aufgescheuchter Vogel im Rohre, und die Zinnen und Firsten des alten Schlosses beleuchtet schon der Mond. In mächtigen Umrissen hebt sich der Bau aus den Wassern – wie ein Schatten einstiger Herrlichkeit.
H. Kg.