Ein Blick in das Südpolargebiet

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Autor: G. Hirth
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Titel: Ein Blick in das Südpolargebiet
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aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 148–152
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Unbekannte Gegenden.
Ein Blick in das Südpolargebiet.

Man sollte es kaum für möglich halten, daß das Wesen, welches sich stolz „Beherrscher der Erde“ nennt, so respectable Stücken seines Reiches unbeachtet, eingehüllt in einen undurchsichtigen Schleier liegen lassen konnte; und doch ist es Thatsache: das weite Gebiet um den südlichen Endpunkt der Erdaxe, Südpol genannt, einen Flächenraum von 250,000 Quadratmeilen einnehmend, bedeutend größer als Europa, ist von keinem Menschen gekannt. Ob sich dort ein freies Meer erstreckt, oder ob ein großes Festland – mit Schnee und Eis bedeckt – den unermeßlichen Raum ausfüllt – Niemand weiß es; wir stehen vor einem Räthsel, das alle Hypothesen und Vermuthungen nicht lösen können, und Niemand vermag, weil er nicht dort gewesen, der mittelalterlichen Mythe zu widersprechen, wonach just aus dem Südpol ein großes Loch in den Feuerschlund der Hölle führen soll.

Vor etwas mehr als zweihundert Jahren dachte man sich noch den ganzen unbekannten Theil der südlichen Hemisphäre als eine einzige große Landmasse, welche auf den damaligen Landkarten unter dem Namen „Terra Australis“ florirte. Die Umrisse dieses phantastischen Riesencontinents liefen in einem weiten Bogen südlich vom Cap Horn und der Südspitze Afrika’s in der Nordküste Australiens zusammen. Das so beschriebene Ländergebiet umfaßte ganz Australien, dessen Südküste (s. unsere Karte) noch nicht bekannt war, und kam an Flächenraum den Welttheilen Asien, Europa und Afrika zusammengenommen gleich. Mit der Umschiffung des australischen Festlandes durch Tasman (i. J. 1642) ward nun zwar der Riesenleib um ein großes Glied ärmer, doch betrug seine Längenausdehnung immer noch an 1400 Meilen, von der nördlichen Spitze Neuseelands bis zu den entgegengesetzten Bouvetinseln, welche Punkte als die beiden äußersten nördlichen Vorgebirge des räthselhaften Südlandes galten.

Hundert Jahre verstrichen, ohne daß diese fabelhaften Vorstellungen einer besseren Kenntniß gewichen wären. Da unternahm Cook seine denkwürdige zweite Entdeckungsreise, deren Hauptzweck die Lösung des antarktischen Problems war. Drei Jahre lang -

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Pinguinen auf den Possession-Inseln.   Vulcan Erebus  Cap Horn.     
Karte der Südpolargegenden.
      Sturm im Treibeis.   Südpolar-Eiswand.   Pinguinenfang.

[150] von Ende 1772 bis Anfang 1775 – durchsegelte der unermüdliche Forscher, von unseren berühmten Landsleuten Reinhold und Georg Förster begleitet, im Zickzack die Gewässer des südlichen Eismeeres und lüftete einigermaßen den Schleier, der sie bis dahin bedeckt gehalten. Durch Eisschollen und Nebel brach er der Wissenschaft Bahn, mit jeder Meile seiner Fahrt ein Stück des fabelhaften Landes im eigentlichsten Sinne des Wortes zu Wasser machend. So weit er auch nach Süden vorgedrungen war – nirgends hatte er eine Spur des problematischen Südpolarfestlandes auffinden können. Gleichwohl war die Existenz eines solchen noch nicht außer Zweifel gestellt, ja Cook glaubte selber daran. Die größte von ihm erreichte südl. Breite war 71° 10’ (unter 107’ westl. Länge), er war also noch 283 deutsche Meilen vom Südpol entfernt. Dort war ihm der Weg durch Packeis verrannt, worauf er den Versuch, weiter vorzudringen, gänzlich aufgab. „Die Gefahr,“ so sagt er in seinem Reiseberichte, „der man sich in diesem unbekannten Eismeere aussetzen würde, wollte man bis zum Lande vorzudringen versuchen und seine Küsten erforschen, ist so groß, daß ich dreist behaupte, daß kein Mensch es jemals wagen wird, weiter zu gehen, als ich, und daß daher auch das Land, das weiter südlich liegen kann, niemals entdeckt und erforscht werden wird.“ An einer andern Stelle spricht er sich dahin aus, daß sich das von ihm vorgefundene Packeis ganz bis zum Pole erstrecke oder sich vielleicht einem Lande anschließe, mit dem es seit der frühesten Zeit verbunden gewesen sei. „Ich schmeichle mir, daß nun die südliche Hemisphäre genugsam durchforscht worden und das Suchen nach einem südlichen Continent, welches die Aufmerksamkeit der seefahrenden Nationen beinahe zwei Jahrhunderte lang beschäftigt hat, ein für alle Mal zu Ende gebracht ist.“

Solche Worte, von solchem Manne ausgesprochen, mußten allerdings der wißbegierigen Welt die Ueberzeugung aufdringen, daß da unten im Süden nun einmal nichts mehr zu machen sei, und höchlichst überrascht über die sonstigen großen Entdeckungen Cook’s begnügte man sich weitere 50 Jahre mit der mangelhaften Anschauung, welche der große Reisende mitgebracht hatte. Noch immer prangte ein antarktischer Continent, wenn auch auf bescheidenere Verhältnisse reducirt, auf den Landkarten.

Erst zu Anfang der zwanziger-Jahre unseres Jahrhunderts wurde die menschenleere Wildniß wieder Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit und neuer Forschungen. Auf Befehl des Kaisers Alexander I. führte Bellingshausen 1820 eine wissenschaftliche Expedition dahin, welche die Entdeckungen Cook’s ansehnlich vermehrte. Mittlerweile waren i. J. 1819 von William Smith die Süd-Shetlandinseln entdeckt worden. Ihr ungeheurer Reichthum an Robben und Seeelephanten, der schon seit 1812 einzelnen Walfischfängern und Robbenschlägern bekannt gewesen, aber geheim gehalten worden sein soll, zog eine Unmasse von englischen, schottischen und amerikanischen Schiffen in die südöstlich von Cap Horn gelegenen Meerestheile. Doch hat sich unter den Expeditionen, deren nächster Zweck die Ausbeute jenes Reichthums war, nur eine um die weitere Erforschung der Südpolargegenden wesentlich verdient gemacht: Capitain James Weddell drang im Meridian der Insel Süd-Georgien (s. Karte) bis 74° 15’ südl. Breite, also 46 Meilen weiter nach dem Südpol vor, als Cook, und fand, ganz gegen die Annahme des letzteren, in dieser hohen Breite ein gänzlich eisfreies und schiffbares Meer, angenehmes und mildes Wetter, zahlreiche Walfische und außerordentliche Massen von Vögeln.

Die Walfisch- und Robbenfänger hatten bald so rücksichtslos gehaust, daß für sie nichts mehr zu fangen war. Mit ihnen wandte sich auch für einige Zeit das allgemeine Interesse von den unbekannten Südpolargegenden ab. Nur Biscoe entdeckte in den Jahren 1831 und 1832 südlich vom Cap Horn das Graham-Land und unter 50° östl. Länge die Enderby-Insel (so genannt nach den Herren Enderby in London, welche die Expedition aus Privatmitteln ausgerüstet hatten); und unweit von der letzteren fand i. J. 1834 Kemp eine Insel, die nach ihm benannt worden ist.

Mit dem Ende der dreißiger Jahre endlich begann eine Reihe neuer wichtiger Entdeckungsreisen, die freilich schon mit 1843 ihren Abschluß erhielt, ohne daß bis heute etwas Weiteres geschehen wäre. Es sind die Expeditionen von Balleny (1839), d’Urville (1840). Wilkes (1839–1840) und J. C. Roß (1840–1843).

Während die früheren Reisen eines Cook und Bellingshausen vorwiegend durch den räumlichen Umfang ihrer Entdeckungen von Bedeutung waren, sind es nun diese neueren durch die genauere physikalisch-geographische Erforschung einzelner kleiner Gebiete und der allgemeinern Verhältnisse der antarktischen Zone. Wir wollen auf die Darlegung der besonderen Verdienste jeder einzelnen dieser Expeditionen nicht eingehen, sondern uns gleich zu einer kurzen Charakteristik der gegenwärtigen Kenntniß unseres Gebiets wenden.

Zunächst fragt sich’s wohl, was denn die bisherigen Besucher der Südpolargegenden wirklich gesehen, was sie nach genauerer Untersuchung als Land, was sie als Meer, als Eis erkannt haben. Von einem großen Theil des Gebiets müssen wir dabei vollständig absehen. Wenn wir oben erwähnten, daß Weddell an einer Stelle bis 74° 15’ südl. Breite vorgedrungen, so hat ihn hierin bis jetzt nur Roß übertroffen (s. die Karte), der – an einer fast entgegengesetzten Stelle – die Breite von 78° 10’ erreichte. Weddell war also noch 256, Roß noch 177 Meilen vom Südpol[1] entfernt. Außer an diesen beiden Stellen ist der 70° südl. Breite kaum bemerkenswerth überschritten worden, ja zum großen Theil bildet noch der Polarkreis die Grenze der südlichen Entdeckungen. Der eigentliche Kern des Südpolargebiets ist demnach noch gänzlich unbekannt, und wenn auch die Vermuthung gegründet ist, daß derselbe eher aus einem großen Meere als einer zusammenhängenden Landmasse bestehen möchte, so berechtigt uns doch Nichts, eines von beiden auf eine Karte zu zeichnen oder bei der Eintheilung der Erdoberfläche in Meere und Länder mit einem bestimmten Zahlenwerthe zu verrechnen – wie noch neuerdings im Rufe der Wissenschaftlichkeit stehende Geographen gethan haben.

Nur wenige Küstenstriche und Eilande an der Grenze dieses großen unbekannten Gebiets sind es, von denen wir sichere Kunde haben. Von den größeren: Graham-, Victoria- und Wilkesland wissen wir nicht, wie weit sie sich nach innen erstrecken, ob sie unter einander zusammenhängen oder vereinzelte größere Inseln bilden. Es ist hier wohl auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, welche der Bestimmung von Land in den südlichen Eisregionen entgegenstehen. Von einer wirklichen Bestimmung können wir überhaupt nur dann reden, wenn entweder der Boden an Ort und Stelle untersucht und als Land – aus erdigen oder steinigen Bestandtheilen – erkannt, oder wenn die Umrisse der in Frage kommenden Erscheinung längere Zeit aus der Ferne beobachtet worden sind. Denn nirgends täuschen Wolken- und Dampfgebilde unser Auge mehr, als in hohen nördlichen oder südlichen Breiten. Nach oben von dem dampfleeren, klaren Himmel scharf abgegrenzt, stellen sie sich dem Auge deutlich, bald als sanft hingedehnte Küsten, bald als riesige, groteske, mit Eis und Schnee bedeckte Gebirgsreihen, dar. Selbst Roß, der erfahrenste Polarfahrer, wurde noch häufig durch solche Trugbilder getäuscht und seines Irrthums nicht eher gewahr, als bis er mitten durch die trügerische Lufterscheinung hindurchgesegelt war. Ein Zweites, was das Erkennen von Land erschwert, ist das Vorkommen von großen Eismassen. Vereinzelte Schollen, schwimmende Eisberge und Eisinseln, sind als solche leicht zu erkennen; schwieriger wird die Entscheidung, wenn das Eis in langgestreckten, zusammenhängenden hohen Wänden, als sogenanntes Packeis, auftritt. Unüberschreitbar und undurchdringlich, wie es dann häufig ist, verschließt es dem Forscher den Einblick in das dahinter liegende Gebiet und führt ihn auch wohl, wenn sich noch dazu auf dem hohen Eisfelde trügerische Dampf- und Wolkenschichten aufthürmen, irre. Solche Packeislinien sind von allen Besuchern der antarktischen Zone in großer Anzahl, jedoch fast ausschließlich südlich vom 60. Breitengrad vorgefunden worden. Die wichtigsten von ihnen haben wir auf unserer Karte angedeutet, und das unterste Bild unseres Tableau’s stellt einen Theil der von Roß unter 78° südl. Breite verfolgten unabsehbaren Eiswand von 150–300 Fuß Höhe dar. Daß übrigens diese Eislinien keinen unveränderlichen Charakter haben, beweist die Thatsache, daß mehrere der von früheren Reisenden vorgefundenen schon nach wenigen Jahren von den betreffenden Stellen verschwunden waren. Roß ist der Ansicht, daß selbst die von ihm entdeckte große Eiswand nicht bis zum Seeboden reiche und also auch keine unveränderliche Stellung habe.

Von den drei größeren auf der Karte bezeichneten Landstrichen wurde das der Südspitze Amerika’s zunächst liegende Graham und Alexander I.-Land am frühesten entdeckt; der Zusammenhang des letzteren, das von Bellingshausen i. J. 1821 nur aus der [151] Ferne gesehen wurde, mit dem ersteren ist nicht erwiesen. Am genauesten bekannt sind in diesem Gebiete die Südshetlandinseln. Ueber die Existenz des nach Australien zugekehrten Wilkeslands ist viel gestritten worden, und noch jetzt ist es unentschieden, ob wir es hier mit einem zusammenhängenden Küstenstrich oder mit einer Reihe getrennter Inseln zu thun haben. Auf dem ganzen Striche, der sich unter dem Polarkreis in einer Länge von 400 Meilen ausdehnt, sind nur an einzelnen Punkten bestimmte Anzeichen von Land gesehen worden, immer aber nur aus der Ferne und meist hinter einer langgestreckten Packeislinie liegend. Capitain Wilkes, der den nach ihm benannten Küstenstrich in ununterbrochener Ausdehnung gesehen haben will, soll es mit seinen Beobachtungen nicht eben genau genommen und häufig das für Land gehalten haben, was wohl in Wirklichkeit nur Dampfgebilde waren. Trotzdem ist nicht anzunehmen, daß ihn fünf Wochen lang solche Trugbilder unablässig verfolgt haben, und zudem wurde auf dem fraglichen Strich schon vor Wilkes an einzelnen Punkten Land gesehen. Bestimmter ist unsere Kenntniß von einer Inselgruppe, welche Balleny Anfang 1839 unter 165° östl. Länge und dem Polarkreis entdeckte und die nach ihm benannt wurde; die größte dieser Inseln hat nach ihm eine Höhe von 12.000 Fuß, und aus zwei Gipfeln einer anderen sah er mächtige Rauchsäulen aufsteigen, so daß ihre vulcanische Natur außer allem Zweifel ist.

Der dritte größere antarktische Landstrich endlich ist das von Roß entdeckte Victorialand; für uns der wichtigste einmal wegen seiner hohen südlichen Lage, sodann wegen seiner merkwürdigen geographischen Beschaffenheit, die in Roß einen ebenso kundigen wie gründlichen Erforscher gefunden hat. Roß – berühmt durch seine großartigen Nordpolfahrten[2] – hat, ganz abgesehen davon, daß er die höchste südliche Breite erreichte, in wissenschaftlicher Beziehung Bedeutenderes geleistet, als alle seine Vorgänger. Seine meteorologischen Beobachtungen, drei Jahre hindurch von Stunde zu Stunde angestellt, haben uns erst einen rechten Einblick in die physikalischen Grundzüge der antarktischen Meer- und Eiswelt verschafft. Eine unverwüstliche Eisnatur, scheute der kühne Forscher keines jener augenblicklichen Hindernisse, die Andere vor ihm zum schleunigen Umkehren bewogen hatten; häufig saß er, allzukühn vorgedrungen, Tage, Wochen, ja Monde mit seinen beiden Schiffen in den Spalten einer Packeiswand fest; und gerade solche Zeiten boten seinem wackern, ganz nach ihm gearteten Schiffsvolk die herrlichste Gelegenheit zu allerlei frohen Lustbarkeiten, zu Spiel und selbst zu ausgelassenen Maskeraden auf den umliegenden Eisfeldern – zum Ersatz für so manche gefahrvolle Stunde, in der der Sturmwind die mit mächtigen Eisschollen übersäeten Meereswogen an die Wände der Schiffe geworfen, Untergang und Verderben drohend.

Die von Roß entdeckte Küste dehnt sich von Nord nach Süd an 160 deutsche Meilen bis zum 78° südl. Breite aus. Hinter ihr liegen kolossale Gebirgszüge, die an Höhe den Alpen gleichkommen. Vom Scheitel bis zum Fuße mit einer ewigen Schnee- und Eisdecke überzogen, erscheinen diese himmelanstrebenden Bergriesen um so höher, da sie sich in ganz geringer Entfernung von der Küste erheben; Roß nennt uns Höhen von zwölf-, vierzehn-, ja von fünfzehntausend Fuß, und wir können an der Angabe eines so erfahrenen Polarfahrers nicht zweifeln. Von ganz besonderem Interesse sind die gewaltigen Vulcane, welche am südlichen Ende der Victoriaküste – da, wo jene schon oben erwähnte undurchdringliche Eiswand ihren Anfang nahm – gesehen wurden: gewaltig hohe, schneeweiße Kegel, in ihren äußeren Umrissen dem Riesenleibe des Aetna vergleichbar, aus denen stoßweise über tausend Fuß hohe und an dreihundert Fuß breite Flammen- und Rauchsäulen emporstiegen, deren Gehalt an Wasser sich in der endlosen klaren Höhe zu Dampf verdichtete und als Schnee und Nebel herniederstieg und allmählich verschwand. Ein großartigerer Contrast, als er in diesem Bilde enthalten, ist kaum denkbar; mitten aus der starren, leblosen Eiswelt lodert ein glühender Feuerstrahl hoch auf, als wollte er der Natur um ihn her Trotz bieten – doch ohnmächtig sinkt er besiegt zurück, und alle seine erzürnten Nachfolger erreicht dasselbe Geschick.

Unsere Abbildung stellt den 12.367 engl. Fuß hohen Vulcan Erebus dar. Ob diesem Aetna des fernen Südens je ein zweiter Sartorius von Waltershausen erstehen wird, um ihn in einer geistvollen und erschöpfenden Monographie zu verherrlichen? Der praktische Mann ist der Ansicht, daß dabei „wenig herausspringen“ wird. – Aber auch Denen, die überall nach dem materiellen Nutzen fragen, haben die Roß’schen Entdeckungen genug gethan.

Noch südlich vom 71° südl. Breite gewahrte Roß große Massen von Walfischen, oft wurden von ihm dreißig auf einmal in verschiedenen Richtungen gezählt; er glaubt, den Handelsunternehmungen eine neue Quelle des Reichthums eröffnet zu haben, die, mit Kühnheit und Ausdauer verfolgt, nothwendig reichlich productiv werden müsse. Fast von noch größerem Interesse ist das Vorkommen von Guano[3] in den Südpolargegenden. Von den Possession-Inseln, deren Lage auf unserer Karte ersichtlich, erzählt Roß u. A.: „Wir sahen nicht die geringste Spur von Vegetation, aber unbegreifliche Mengen von Fettgänsen (Pinguinen) bedeckten vollkommen und dicht die gesammte Oberfläche der Insel an den Rändern der Felsenwände und selbst bis zu den Gipfeln der Hügel; sie griffen uns heftig an, als wir durch ihre Reihen hindurchwateten, und hackten mit ihren scharfen Schnäbeln nach uns; … der unerträgliche Geruch des tiefen Guanolagers, das seit Jahrhunderten sich hier gebildet hat und einst den Ackerbauern der australischen Colonien werthvoll werden kann, ließ uns nicht lange hier verweilen.“

Die Pinguinen gehörten zur größten Art und waren meist 60–70 Pfund schwer; ein solches Thier wog sogar 78 Pfund. Sie zeigten sich furchtbar dumm und täppisch, und die Jagd auf sie – namentlich auf glatten Eisflächen, wo sie unbehülflich ausrutschten – bot der Schiffsmannschaft ein ganz besonderes Vergnügen. – Seitdem Roß alle diese Beobachtungen gemacht, sind über zwanzig Jahre verflossen. Thatsache ist, daß seitdem seine sicherlich werthvollen Winke unbeachtet geblieben sind.

Es erübrigt noch, einige Andeutungen über die allgemeine physische Beschaffenheit des Südpolargebiets zu geben.

Die nächste Frage ist nach der Temperatur. Von dem Grade der Wärme hängt alles organische Leben, der Zustand des festen Bodens wie der Meere ab; umgekehrt, wenn auch in zweiter Linie, wirkt dann die natürliche Beschaffenheit der Erdoberfläche wiederum auf den Temperaturzustand ein. Große Landflächen sind den größten Wärmeunterschieden ausgesetzt, große Wassermassen gleichen dieselben aus. Unser Gebiet nun hat von Haus aus eine sehr niedrige Temperatur, eben so niedrig wie die Nordpolarzone; wie hier, so entsendet auch dort die Sonne, wenig über den Horizont sich erhebend, selbst im Sommer nur matte Strahlen. Gleichwohl sind die Temperaturverhältnisse beider Zonen sehr von einander verschieden. Am Nordpol sind die Sommer warm, die Winter streng, am Südpol umgekehrt die Sommer verhältnißmäßig kühl und die Winter mild.[4] Die Erklärung dieser auffallenden Erscheinung finden wir in dem vorwiegend oceanischen Charakter der Südpolargegenden und den damit verbundenen Eisbildungen. Jene schon oben erwähnten Packeiswände und -Felder, Eisberge und Inseln, die ihren Hauptzuwachs im Winter erhalten, treten im Sommer von den südlichen Breiten aus ihre Wanderungen nach Norden an und kühlen die benachbarten Meere bedeutend ab, bis sie, zu immer kleineren Schollen zusammengeschmolzen, in wärmeren Breiten endlich ganz flüssig werden. Die bisherigen Beobachtungen haben ergeben, daß das wandernde Polareis in Form von ausgedehnten Packeisfeldern meist nur südlich vom 60° südl. Breite, in Form von losem Treibeis aber (namentlich im Atlantischen Oceane weit gegen den Aequator hin vorkommt; die nördliche Grenze desselben findet sich auf unserer Karte verzeichnet. Daher kommt es, daß die antarktischen Meere im Winter am meisten, im Sommer am wenigsten frei von Eis sind, und es ist sehr wahrscheinlich, daß ein Versuch, im Winter nach dem Südpol vorzudringen, viel leichter gelingt, als im Sommer, der Jahreszeit, in welche alle bisher gemachten Versuche der Art fallen.

Alle Anzeichen weisen darauf hin, daß sich südlich von den bis jetzt von Weddell und Roß erreichten Punkten noch weite Wasserflächen ausdehnen, und daß es mit Zuhülfenahme der reichen Erfahrungen aller Süd- und Nordpolfahrer nicht schwer halten wird,

[152] durch eine abermalige Expedition das antarktische Problem endlich glücklich zu lösen. Neuerdings hat besonders der bekannte Geograph A. Petermann durch eine gründliche Zusammenstellung aller bisherigen Beobachtungen zur Klärung der Südpolarfrage beigetragen. Seine „Südpolarkarte“, auf der sich die Routen sämmtlicher Expeditionen von Cook bis Roß und alle von diesen beobachteten Eiserscheinungen finden, hat auch unserem Blatte als Vorbild gedient. Petermann erwartet namentlich von den aufblühenden Coloniereichen in Australien und Neuseeland, daß sie sich der weiteren Erforschung der antarktischen Regionen baldigst annehmen werden. Von Sydney und Melbourne sind die reichen Guanolager auf den Possessioninseln (zu Dampfschiff) in neun Tagen zu erreichen, und von da ist der Südpol – falls der Fahrt keine Hindernisse entgegentreten – nur vier Tagereisen weiter.
G. Hirth. 

  1. E. K. Kane hatte auf seiner berühmten Nordpolexpedition nur noch 115 deutsche Meilen bis zum Nordpol!
  2. Im Jahre 1818 begleitete er seinen Onkel John Roß auf dessen erster Expedition nach der Baffinsbai, von 1819 bis 1827 machte er die vier Polarreisen Parry’s, von 1829–33 wiederum die seines Onkels mit, von 1839–43 sehen wir ihn in den antarktischen Regionen und von 1848 bis 49 als Befehlshaber einer Expedition zur Aufsuchung Franklin’s. Admiral Sir James Clarke Roß starb am 3. April 1862.
  3. Ueber die Vorbedingungen zu dessen Güte s. unseren Aufsatz „Der Guano und seine Fundorte“, Gartenlaube 1863 S. 263.
  4. Der antarktische Winter umfaßt die Monate März bis November, der Sommer December, Januar und Februar.