Ein Hospiz für Verirrte

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Titel: Ein Hospiz für Verirrte
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 66, 67
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[66] Ein Hospiz für Verirrte. An den Westmarken des Reichs, zwischen den Quellen der schon dem Stromgebiet der Maas angehörenden Flüsse Roer (Ruhr), Vesdre (Weser) und Amblève breitet sich meilenweit ein ungastlicher öder Landstrich aus, das „hohe Venn“ („Venn“ oder „Veen“ = Moor, französisch „les hautes fagnes“), der ungefähr zu gleichen Theilen an die beiden hier zusammengrenzenden Staaten Preußen und Belgien fällt. Die Straße von Eupen nach Malmedy durchschneidet dieses nur spärlich bewohnte Hochmoor an seiner höchsten und gefährlichsten Stelle. Wehe dem Wanderer, der hier oben von einem Schneewetter überrascht wird! Im Nu ist Weg und Steg verschneit; keine Hand ist vor den Augen zu sehen; spitze Schnee- und Eisnadeln machen jeden Ausblick unmöglich und schlagen Gesicht und Hände blutrünstig, während ein durchdringender eisiger Wind das Blut beinahe ins Stocken bringt. Der Aermste ist verloren, wenn ihn nicht ein günstiger Zufall die einzige menschliche Wohnung in dieser Wüste erreichen läßt: die Baracke Michel.

Opferwillige Menschenliebe ist es, die Verirrten hier ein Asyl bereitet hat. Freilich, keine Bernhardiner werden hier ausgeschickt, um die Erstarrten aufzusuchen; aber stets während eines Unwetters wird man durch das Heulen des entfesselten Windes den Ruf eines Glöckchens vernehmen; der ermattete Wanderer strengt seine letzten Kräfte an, er folgt dem Glockenton und findet sich endlich angesichts einer Kapelle; es ist die Kapelle Fischbach gegenüber der Baracke Michel.

Die Baracke ist hart an der Grenze auf belgischem Boden erbaut. Einige ländliche Gebäude, von denen ein Theil vergangenen Herbst niedergebrannt ist, und ein Aussichtsthurm, das ist alles. Die Kapelle Fischbach liegt schon in Preußen.

Gegründet wurde die Baracke vor etwa 50 Jahren von einem Deutschen Namens Michael Schmitz, und noch heute ist das Anwesen im Besitz von dessen Familie, deren gegenwärtiges Oberhaupt sogar Angestellter des Brüsseler Observatoriums ist, da sich bei seinem Besitz, auf der höchsten Erhebung des belgischen Landes, 672 Meter über dem Meere, ein topographisches Höhenzeichen befindet. Besucht wird die Baracke, nach Fertigstellung der Bahnlinie Aachen-Malmedy, meist nur noch im Sommer von Touristen aus Spaa, Malmedy oder Aachen. Eine fast unbegrenzte Fernsicht genießt man von dort; mit einem guten Glase soll man die Helmspitzen des Domes von Antwerpen sehen können. [67] Als größte Merkwürdigkeit aber wird von dem Besitzer das „eiserne Buch“ gezeigt - eine Art Dankalbum. Die im Laufe der Jahre vom Tode Geretteten haben hier ihre Erlebnisse, ihren Kampf mit Sturm und Schnee und dem tückischen Moor niedergelegt sammt ihrem Dank für endliche Erlösung, und die Familie Schmitz bewahrt das Buch von Geschlecht zu Geschlecht als ihren größten Schatz.