Ein Mutterherz

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Autor: Ferdinand Stolle
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Titel: Ein Mutterherz
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1–2, S. 2–4, 9–13
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[2]

Ein Mutterherz.

Erzählung nach einer wahren Begebenheit
von
Ferdinand Stolle.

In einem jener stillen grünen Thäler des schönen Sachsenlandes, wo lieblich die blauen Wellen der Mulde die Blumenufer küssen und der Himmel, so weit der Blick reicht, auf grüne Waldberge herabsinkt, umschatteten majestätische Linden ein freundliches Landhaus. Weithin über die gesegnete Gegend grüßten gastlich die grünen Jalousien, und der auf schlanken Säulen ruhende Altan war bekränzt mit blühenden Oleandern und buntfarbigen Hortensien. Fröhlich grünte auf der Morgenseite der Wein an sauber gehaltenem Geleite und in dem angrenzenden Garten ruhte der Frühling in stiller Pracht.

Aus der Glasthüre, die nach dem Balkon führte, trat eine nicht zu große, feingebaute Frau, mit sanften anmuthvollen Gesichtszügen. Ihr Anzug war einfach, aber geschmackvoll. Lange ruhte ihr schönes, von langen Wimpern umschattetes Auge auf der reichen Frühlingslandschaft; dann setzte sie sich an ein Tischchen in der Ecke des Balkon und nahm eine Stickerei zur Hand.

Rings athmete Stille: Lerchengesang klang von den Waldbergen herüber. Ueberall junges goldnes Grün – ein liebes Frühlingsbild.

Da knisterte von Neuem die Glasthüre, und vorsichtig, um von der geliebten Gattin nicht bemerkt zu werden, trat ein hoher stattlicher Mann heraus. Er trug ein Packet unterm Arme und nahte sich so leise wie möglich der Stickerin, um durch einen Kuß auf ihren schönen Nacken sie angenehm zu überraschen. Aber Felicitas hatte ein feines Ohr. Sie wandte das Köpfchen, und als sie den geliebten Gatten erschaute, eilte sie mit einem Freudenausruf dem unerwartet Heimgekehrten in die Arme.

Georg führte die Freudigüberraschte in den angrenzenden Salon, schlug das Packet auseinander, und indem er ihr einen Kuß auf die schöne Stirn drückte, schlang er mit Geschick und Grazie einen kostbaren Shawl um ihren Nacken.

Wo wäre das Weib, das beste nicht ausgenommen, das bei einem solchen aus Liebe dargebrachtem Geschenk nicht eine Art weiblicher Glückseligkeit empfände. Felicitas war ganz Freude, Glück und Dank. Sie war nicht putzsüchtig; aber ein solches kostbares Kleidungsstück, zugleich ächt und werthvoll, war schon immer der Wunsch ihres Herzens gewesen. Sie hatte ihn zwar nie laut ausgesprochen; aber der zartsinnige Gatte hatte ihn doch erlauscht und die erste passende Gelegenheit benutzt, ihn im reichen Maaße zu erfüllen.

Nach Felicitas kam die ganze Hausgenossenschaft an die Reihe. Da war Niemand vergessen. Jedem hatte der gute Hausherr ein passendes Geschenk, eine sogenannte „Messe“ mitgebracht. Da war Jubel im Hause. Eins zeigte seine Gabe dem Andern. Ueberall frohes Erstaunen, Bewundern, Dankgefühl. Ein kleiner Frühlingheiligerabend.




Als aber der Abendstern erblühte in himmlischer Schöne, die Lindenbäume stärker dufteten, das Wehr in der Ferne zu rauschen begann und die Nachtigall in langgehaltenen Tönen von Zeit zu Zeit aus den Waldbergen herüberschlug, saßen Georg und Felicitas wieder auf dem Balkon und erfreuten sich des himmlischen Frühlingsabends. Georg hatte seinen Arm um das geliebte Weib geschlungen, und sie auf ihre schönen Augen küssend, wie er so gern that, frug er: Nun, meine geliebte Königin der Unglücklichen, wie steht es in Deinem Reiche, was machen Deine Armen? Hast Du gereicht mit der Summe, die ich Dir zurückgelassen?

Felicitas seufzte. Mein guter lieber Mann, sprach sie, in dem ihr so eigenthümlich sanften, wohlthuenden Tone, Du glaubst nicht, wie groß das menschliche Elend ist, wenn man der Armuth nur etwas tiefer in das hohle Auge blickt. Die Summe, die ich vor Deiner Abreise überkommen, glaube mir, ist wohlangewendet; aber sie reichte nicht; und da ich kein Geheimniß vor Dir habe, mein guter Georg, so will ich Dir nur gestehen, selbst wenn Du schelten solltest, daß ich eine kleine Anleihe bei meiner Wirthschaftskasse gemacht habe, die ich durch spätere Ersparnisse wieder einzubringen gedenke.

Bei diesen Worten zuckte ein Strahl himmlischer Freude über Georg’s Gesicht. Er preßte das geliebte Weib inniger an’s Herz. Du Engel, sprach er, so will ich Dir eine recht frohe Botschaft mittheilen. Wisse, meine bedeutende Speculation vom vorigen Herbste ist von wunderbarem Segen begleitet gewesen. Ich kehre doppelt [3] so reich zurück, als ich es war, da ich von Dir Abschied nahm. Ich kann daher auch das Budget Deiner Barmherzigkeitskasse um das Doppelte erhöhen. Folge nun ganz[WS 1] Deinem edeln Herzen und thue wohl denen die Deiner Wohltaten bedürftig und ihrer würdig sind. Erfülle ganz Deinen Lieblingsspruch: Seid barmherzig, wie euer himmlischer Vater barmherzig ist.

O mein Freund, erwiederte Felicitas, indem sie ihre kleine weiße Hand dankbar in die des Gatten legte, wie glücklich machst Du mich. Wie soll ich Dir danken. Ja, fuhr sie nach einer Pause fort, und schaute mit seligem Lächeln in den sinkenden Abendstern, der Himmel meint es gut mit uns. Jetzt fehlt nichts mehr zu unserm Glücke, nichts. Gleichwohl trat eine Thräne in ihr schönes Auge und sie lehnte ihr weiches Lockenhaupt an die Brust des Gatten.

Mein gutes Kind, sprach in milden Trostesworten Georg, indem er sanft und liebevoll das seidene Haar seiner Gattin abwärts strich, bedenke, wie freundlich der Herr gegen uns ist. Er gab uns Gesundheit, Liebe und Frieden, Wohlhabenheit; er würdigte uns, Werkzeuge seiner Barmherzigkeit zu sein und unsern armen Brüdern und Schwestern von seinen Gaben freundlich mitzutheilen – warum sollte Er uns das Eine versagt haben, wenn er dabei nicht seine weisen Absichten hätte? Also, mein geliebtes Kind, hadern wir nicht mit einer weisen Vorsehung, sondern unterwerfen wir uns seinem Rathschlusse in kindlicher Demuth.

Ich hadre ja nicht mit Gott, sprach Felicitas, aber ich hoffe gewiß, daß er mir diese Thränen vergeben wird.

Die beiden Gatten verweilten noch geraume Zeit auf dem lieben Plätzchen und erfreuten sich des erquickenden Frühlingsabends. Die Linden dufteten. Die Wundertöne der Nachtigall ließen sich von Zeit zu Zeit vernehmen. Hinter den Waldbergen keimte das Silber des Mondes, der bald über das Frühlingsthal seinen feenhaften Silberschein breitete.


So weit die Rosen leuchteten in dem schönen Thale und die Lerchen sangen, gab es kein glücklicheres Paar als Georg und Felicitas. Ihrer Verbindung hatte keine Geldspeculation oder sonstige berechnete Rücksicht zu Grunde gelegen. Es war die Vereinigung zweier edeln Seelen, die sich verstanden, zweier Herzen, die sich liebten. Sie erkannten gegenseitig ihren Werth; darum die hohe Achtung gegen einander, die zarte Rücksichtsnahme in Betreff kleiner Schwächen, welche letztere nur zu oft geeignet sind, den Frieden der besten Ehe zeitweilig zu trüben.

Beide Gatten erfreuten sich der blühendsten Gesundheit, und was die irdischen Glücksgüter anlangte, so waren sie hiermit wenigstens in so weit gesegnet, daß sie sich dem schönen Zuge ihres Herzens, Andern wohlzuthun, in reichem Maaße hingeben konnten.

Das Sprichwort, wer Liebe säet, wird Liebe ernten, erfüllte sich daher auch bei ihnen. Ein gutes Volk ist wohl dankbar, wenn man es gut mit ihm meint. Felicitas galt für die gute und schöne Fee des ganzen Thales. Wenn daher das erste Veilchen oder Schneeglöckchen erblühte; wenn sich die erste Erdbeere röthete; wenn sich die erste Centifolie aufschloß, der hielt es für eine theure Pflicht, sie zu brechen und im saubern mit grünen Blättern austapezirten Körbchen nach dem freundlichen Landhause mit den grünen Jalousien und blanken Fenstern zu tragen.

Felicitas wußte dann für die Ueberbringer solcher Liebesgaben, für Jeden ein freundlich Wort. Sie erkundigte sich theilnehmend nach Eltern und Kindern, die sie fast alle persönlich kannte. Sie versprach, recht bald selbst zu kommen und sich für die schönen Blumen oder Früchte, deren Schönheit und Güte sie nicht genug loben konnte, zu bedanken. So kam es, daß Niemand ohne Herzensfreude das freundliche Landhaus verlies.

Ja, Felicitas führte ihren schönen Namen „Fee des Thals“ nicht vergebens. Sie war nicht blos wohlthätig in Folge ihres weichen Herzens; sie war auch wohlthätig mit Klugheit und Weisheit. Wohlzuthun ist eine große Kunst und diese Kunst verstand die edle Frau im schönsten Sinne des Worts. Wenn ihr menschliches Elend oft in abschreckender Gestalt vor Augen trat, so warf sie nicht, um nur des unangenehmen Anblicks ledig zu werden, eine Gabe hin; nein, sie blickte dem Unglück tiefer in das Auge und forschte, ob Heilung möglich, und war sie es nicht, suchte sie nach Kräften zu lindern. Sie ließ nicht blos durch ihre Dienerschaft Nahrung und Kleidung – Geld gab sie nur in seltenen Fällen – in arme Familien tragen, sie ging selbst in die ärmste Hütte und überzeugte sich durch den Augenschein, wie am zweckmäßigsten zu helfen sei. Sie frug auch nicht, ob dieser oder jener, der durch eigen Verschulden in’s Unglück gekommen, ob er ihrer Wohlthat auch würdig sei: die Noth war da, die Noth schrie zum Himmel, und Felicitas half.

Was aber dem Wohlthun der edeln Frau die Sternenkrone aufsetzte – sie gab nie mit „Gnade“ sondern mit Liebe; sie gab nie mit vornehmer Herablassung, sondern mit schwesterlicher Theilnahme; denn sie war verklärt von der Lehre unsers Heilands Jesu Christi.

Ein solches Wohlthun konnte denn auch nur von reichem Segen begleitet sein. Felicitas erwarb sich Vertrauen. Sie ward nicht wie eine Herrin, sondern wie eine Mutter verehrt und geliebt, und als solche erwarb sie sich größern Einfluß, als wenn sie selbst Herrin des Thals gewesen wäre.

Sie verlangte aber für ihre Liebe und ihr Wohlthun auch Gegenbeweise von Liebe und Erkenntlichkeit. Wohnungen, die früher voll Schmutz und Unreinlichkeit, so daß sie eher dem Aufenthaltsorte von Thieren glichen als dem von Menschen, sie wurden nach und nach reinlicher, netter, wohnlicher. Kein Kind, und war es noch so arm, durfte in nachlässiger oder zerrissener Kleidung oder unsauber vor Felicitas erscheinen. In den Hütten, die sie besuchte, mußte Gottesfurcht und Gottvertrauen wohnen. Rohe Lästerreden, Flüche und Verwünschungen, wie man sie bei den ungebildeten Thalbewohnern früher so oft vernommen, sie verstummten allmählich. Der Gedanke an Felicitas, daß sie es nicht gern höre, wirkte oft wie ein Wunder selbst auf das verhärteste Gemüth. Und alle diese Opfer der Gewohnheit, Trägheit und Rohheit, man brachte sie gern und freudig, ohne alle Anstrengung, denn man brachte sie aus – Liebe. Ja, wer Liebe säet, wird Liebe ernten.

Also bereitete sich Felicitas ihren Himmel auf Erden.

Und doch sollte auch dieser Himmel getrübt sein. Ein Ton war es, der fort und fort tönte und mit leisem Weh selbst oft in den glücklichsten Stunden weinend durch ihr [4] Herz zog. Eine heiße Sehnsucht, die nie Erfüllung fand; eine geträumte Glückseligkeit, die nie zur Wahrheit ward; ein Reichthum von Liebe, der schweigend und trauernd in der Brust ruhte, weil er nie Erwiederung fand – kein lächelnd Kindlein erfreute das einsame Mutterherz.

Wenn auch Felicitas, obwohl mit schwerem Herzen für ihre Person auf das erträumte Glück verzichtet hätte, so war sie doch wahrhaft unglücklich, sobald sie ihres Gatten gedachte. Obwohl dieser in zarter Rücksicht es nie aussprach und im Gegentheil stets ihr liebreich Trost sprach, so lehrt sie doch ihr feiner weiblicher Instinct, wie glücklich Georg sein würde, wenn ihm ein holdes Kind heraufblühte, in welchem er seine Tugend, seinen reichen Geist, seinen edeln Sinn niederlegen und pflegen – ein holdes Kind, das ihm, wenn das Alter sein Haar weiß gefärbt, den eigenen schönen Jugendtraum zurückführen könne.

Und von Jahr zu Jahr ward die Hoffnung schwächer in der Brust des edeln Weibes; aber die Liebe, die unerfüllte Sehnsucht blieb dieselbe.

Das war die Wolke, die ihren Himmel trübte.

Ach, wie oft konnte sie Stunden lang sitzen in den Hütten der Armuth und sich erquicken in den Aeußerungen der mütterlichen und kindlichen Liebe in den kindergesegneten Familien. Wie liebte sie die Kleinen, wie ward auch zu sie von ihnen geliebt. Wie ward sie jubelnd umringt, wo sie sich blicken ließ; wie liebkoste und schmeichelte man ihr; aber mit stiller Wehmuth erkannte ihr weiblich Gemüth nur zu bald die ergreifende Wahrheit: die Mutter ist ihnen doch lieber.

Wie oft trat eine Thräne in ihr Auge, wenn ein kleinen liebes Mädchen einen Blumenstrauß brachte oder ein munter Knäblein ein Körbchen mit süßen Früchten, und die Kleinen so lieblich aufschauten und ihre kaum verständlichen Worte vorbrachten – wie manchmal trat da Felicitas eine Thräne in das Auge bei dem Gedanken: Wenn wir so ein Kindlein hätten!

Der gute Georg war unermüdlich in sanften Tröstungen. Wenn in einer befreundeten oder bekannten Familie der Himmel ein geliebtes Kind zu sich genommen, wie wußte er den Schmerz des gebeugten Vaterherzens und des gebrochenen Mutterherzens ergreifend zu schildern. Wenn er von einem Kinde erfuhr, das sich verirrt und das nur geboren schien, um den Seinen Kummer und Sorge zu bereiten; das alle auf ihn verwendete Liebe nur mit Undank und Lieblosigkeit belohnte, wie beklagte er die tiefgebeugten Eltern.

Sieh’, meine Felicitas, pflegte er dann zu sagen, wer weiß, ob es der Himmel nicht gut gemeint hat mit uns; ob er uns nicht ein so großes Herzeleid hat ersparen wollen.


Und abermals war ein Jahr dahin gegangen. Ein reizender Frühlingsmorgen war aufgeblüht. In tausend Glocken und Kelchen blitzten Diamanten, Rubinen, Smaragden, der himmlische Brautschmuck des Morgens.

Georg war bereits früh aufgestanden und zeichnete in seinem morgensonnlichen, nach den Waldbergen hinausgelegenen Arbeitszimmer an einem Bauplane zu einem neuen, geräumigeren und freundlicheren Schulhause, verbunden mit einer Kleinkinderbewahranstalt – einem längst gehegten Lieblingswunsche seiner Felicitas; wo die Kleinen, wenn die armen Eltern auf der Arbeit und keine Zeit haben, Aufsicht zu führen, die Kindleins unter freundlicher Aufsicht stehen und theils spielende, theils nützliche Beschäftigung finden.

Finken und Grasmücken schmetterten unmittelbar vor den offenstehenden Fenstern, durch welche erfrischende Morgenluft herein wehte.

Georg war so eben in Betrachtung des herrlichen Naturbildes versunken, das vor ihm ausgebreitet lag, als die Thür aufging und Felicitas, schön wie eine junge Frühlingsrose hereintrat. Ihr Gesicht[WS 2] leuchtete in seliger Freude.

Sie eilte auf Georg zu und seine beiden Hände ergreifend, drückte sie dieselben mit sprachloser Innigkeit.

Endlich begann sie: Denke Dir nur, Georg, ich habe einen himmlischen Traum gehabt. Denke Dir nur, Gott hatte mir ein kleines Mädchen geschenkt. Es ruhte an meiner Brust und blickte mich mit seinen blauen Goldäugelein himmelgroß an.

Georg, der eben kein Traumgläubiger war, gedachte des Sprichworts: Träume sind Schäume. Aber er wollte die selige Stimmung seiner Gattin nicht zerstören. Darum küßte er sie und sagte in prophetischem Tone: Träume kommen von Gott: drum sei nicht hoffnungslos, meine Seele.

Felicitas erröthete; bei dem Gedanken an diese Hoffnung verklärte sich ihr Antlitz und in ihr Auge trat eine Thräne, schöner, heiliger, himmlischer als alle Diamanten und Perlen, die draußen in den Glocken der Blumen liegen.

Doch sollte ihr Traum wunderbarerweise auf andre Art in Erfüllung gehen.

[9] Dem prachtvollen Frühlingsmorgen folgte ein wonniger Maientag. Felicitas, welcher der nächtliche Traum wie ein stiller Segen in der Brust ruhte, war hinaussgeeilt in die Frühlingswelt. An ihrem Arme hing ein Körbchen, gefüllt mit nutzbaren Kleinigkeiten, mit welchen sie einige arme Familien zu erfreuen gedachte. Sie vertheilte heute in erhöhter rosiger Gemüthsstimmung ihre Liebesgaben und kehrte erst nach Lindenruh – unter diesem Namen war ihr freundliches Besitzthum in der ganzen Gegend bekannt - zurück, als die Sonne bereits hoch über den Bergen stand und ihre Strahlen stechend herniedersandte. Felicitas, um im wohlthuenden Schatten zu wandeln, schlug den Heimweg durch einen freundlichen Buchenwald ein, der sich längst dem Abhange eines Baches wie ein grüner Dom dahinzog.

An einem schönen Frühlingsmorgen durch einen Wald mit schattenreichem Laubholz zu wandeln, nichts geht darüber. Dieser prächtige Finkenschlag, bald von diesem bald von jenem Baume; dieses reizende Geschwätz der Grasmücke, und aus den Tiefen des Waldes der Ruf des einsiedlerisch verborgenen Kuckucks. In den grünen Aesten Eichhörnleins munter hin und wieder springend; Moos und Gebüsch balsamisch duftend, mit Thau befeuchtet, Waldeinsamkeit, rings Licht und Dunkelgrün in erquicklicher Abwechselung – Alles ruhend in schönem stillen Frieden.

Felicitas wandelte glückselig durch dies grüne Paradies, hie und da eine weiße und blaue Waldblume oder rothe Walderdbeere pflückend. Ihr Körbchen hatte sich ganz gefüllt, als sie das Ende des Waldes erreichte.

Schon blitzte Sonnengold durch die Baumwipfel, schon that sich die sonnenreiche Landschaft vor ihren Blicken auf, als die Aufmerksamkeit der einsamen Wandlerin durch eine interessante Scene in Anspruch genommen und ihr Schritt gehemmt wurde. Am Ende des Waldes, im wohlthuenden Schatten einer uralten Eiche, im hohen fetten Grase hatte sich eine arme Korbflechterfamilie gelagert; eine Mutter mit sieben Kindern, deren jüngstes, ein Säugling, ruhig an ihrem Busen schlummerte.

[10] Die Familie gewährte den Anblick eines kleinen Zigeunerlagers. Während zwei ältere Knaben beschäftigt waren, am Rande des Waldes Binsen zu schneiden, die hier in großer Menge vorhanden waren, vertheilte die Mutter Stückleins von hartem Brote, das Almosen mitleidiger Landleute. Ein achtjährig Mädchen war bemüht, einen alten irdenen Topf mit frischem Quellwasser herbeizuschleppen, das mit zum Frühstück diente. Ein kleiner vierrädriger Wagen, in welchem ein zweijähriges Kind saß, das sich, munter in die Händchen klatschend, den grünen Wald anschaute, und ein paar noch unverkaufte im Hintergrunde des Wägleins aufgespeicherte Weidenkörbe war der ganze Reichthum der armen Familie. Mutter und Kinder waren fast nur in Lumpen gehüllt. Das Frühstück war das frugalste, welches es geben konnte. Für die Kleinen mußten freilich die dürren Brotstücken erst in Wasser aufgeweicht werden, während die größern Kinder mit ihren jungen Zähnen, den Eichhörnchens gleich, die harten Brotrinden zu verarbeiten verstanden. Ein klein wenig Salz vertrat die Stelle der Butter. Das alte Sprichwort: der Hunger ist der beste Koch, bewährte sich auch hier. Das einfache Mahl ward mit Appetit und sichtbarem Wohlbehagen verzehrt und hatte auch noch das Gute, daß es der kleinen Familie wohl zu bekommen schien. Die Kinder, groß und klein, sahen alle gesund und munter.

Felicitas sah geraume Zeit aus ihrem grünen Versteck mit innigem Interesse der kümmerlichen Frühstückscene zu. Dann trat sie hervor und redete die kindergesegnete Mutter freundlich an.

Als die Kleinen die schöne Dame erschauten, die so plötzlich aus dem Waldesgrün trat, hielten sie dieselbe für ein überirdisches Wesen und versammelten sich furchtsam um ihre Mutter. Jetzt erwachte auch der Säugling und blickte mit seinen blauen Augen himmelgroß zu Felicitas auf. Dieser knickten aber beim Anblick des Kleinen fast die Knie; ein electrischer Strahl durchzuckte ihr ganzes Wesen. Das war ja das Kindlein, welches sie im Traume erschaut. Dieselben blonden Härchen, blauen Augen; dasselbe himmelvolle Aufschauen.

Wie alt ist das Kleine? frug Felicitas, nachdem sie sich in Etwas gefaßt hatte.

Sie wird nächste Woche das halbe Jahr, erwiederte die Mutter und drückte einen Kuß auf die Stirn des Kindes, das sie mit ihren Armen sanft hin und herwiegte.

Felicitas konnte der Versuchung nicht widerstehen, das Kindlein in ihre Arme zu nehmen. Sie lies es sich von der Mutter geben und dasselbe ebenfalls hin und herwiegend, liebkoste sie es mit mütterlicher Zärtlichkeit. Das kleine Mädchen blickte auch so vertrauend zu ihr auf und verhielt sich so ruhig, gleichsam als wisse es, in welch´ guten Händen es sich befinde.

Felicitas erkundigte sich nach den nähern Verhältnissen der Korbflechterin. Es waren die allerdürftigsten. Der Vater, ein armer Steinbrecher im Gebirg, war bereits seit einem Jahr gestorben. Er hatte die kleine Marie, so hieß das jüngste Mädchen, nicht mehr gekannt. Die arme Familie war genöthigt gewesen, den Wanderstab zu ergreifen und sich theils durch Körbeflechten - der einzigen Kunst, die sie erlernt hatte - und theils durch Ansprüche an die Barmherzigkeit der Menschen ihr armselig Leben zu fristen. Oft freilich war mancher Abend herabgesunken, wo Mutter und Kinder hungernd ihr hartes Lager auf irgend einem Boden, in einer Scheuer oder Stalle suchen mußten. Doch grämten sie sich darüber nicht. Der Mangel war ihr Begleiter von frühster Jugend an gewesen; und der Hunger hatte für sie weniger Abschreckendes, sobald er nicht zu unerbittlich anklopfte. Auch hatten sie, so weit der Himmel schaute, unter dem sie dahin zogen, noch immer gute Menschen gefunden, die sich ihrer Armuth erbarmt und die hülfreiche Hand darboten. Selbst manch abgetragenes Kleidungsstück war ihnen von Zeit zu Zeit menschenfreundlich gereicht worden. So befand sich diese arme Familie fast ein Jahr schon auf ihrer Wanderung.

Im Sommer geht es, erzählte die arme Mutter, da ist die Erde so warm und die Sonne scheint so goldig; aber der Winter, der Winter, wenn der Sturmwind eisig über die Felder weht und der Schnee die Wege bedeckt, daß wir nicht wissen, wo die Schritte hinwenden und erstarren vor grimmiger Kälte.

Aber, gute Frau, frug Felicitas, die noch immer liebevoll das kleine Mädchen in ihren Armen wiegte, Ihr könnt doch nicht Euer Lebelang so durch die Welt ziehen. Ist es denn nicht möglich, daß Ihr in Eurer Heimath einen kleinen Haushalt gründen und Euch auf bessre Weise das Brot erwerben könntet?

Nein, liebe gnädige Frau, gab die Korbflechterin mit vieler Resignation zur Antwort, das ist nicht möglich.

Nennt mich nicht gnädig, sprach sanft Felicitas, kein Mensch, nur Gott ist gnädig.

Unsre Absicht war Anfangs, fuhr die arme Frau fort, einen kleinen Glashandel anzulegen; auch wollte die alte Muhme meines Mannes das Geld dazu hergeben; aber ein böser Advocat brachte sie noch in ihren alten Tagen um all das Ihre. Sie war, als sie starb, so arm wie wir.

Ein kleiner Glashandel glaubt Ihr, daß der Euch nähren würde? frug Felicitas.

Ein solcher, längst der böhmischen Grenze, läßt nicht zu Schanden werden, antwortete die Frau. Ja, wenn wir den hätten, fuhr sie fort, da wären wir glücklich; wollten das Korbflechten gern sein lassen und nie aus dem Gebirge herabkommen.

Und wie groß wäre wohl die Summe, die Ihr zu Anlegung eines solchen Handels bedürftet?

Ach Viel, sehr Viel, liebe gute Dame.

Ungefähr?

Unter einer Mandel[WS 3] Thaler würde es kaum gehen.

Felicitas, nachdem sie dem kleinen Engel, der zeither in ihren Armen geruht noch einen Kuß gegeben, legte ihn in die Arme seiner Mutter zurück. Bei dem Anblicke dieses Kindes aber und bei den Worten der Korbflechterin leuchtete, wie aus Himmelshöhen ein Gedanke durch ihre Seele.

Sollte mein Traum ein Wink voll Oben sein? frug sie sich; und nach längrer Pause sprach sie mildlächelnd zu der Korbflechterin: Ihr könntet mir Euer Kindlein hier lassen, gute Frau; ich selbst habe keine Kinder und würde wie eine Mutter dasselbe halten.

Die schöne Dame will sich einen Scherz mit einer armen Frau machen!

[11] Gewiß nicht, fuhr Felicitas lebhafter und wärmer fort; bedenkt, Ihr habt noch so viel Kinder, für die Ihr zu sorgen habt. Die Kleine bedarf noch so der Pflege und macht Euch doppelte Mühe. Seid versichert, sie soll bei mir weit besser aufgehoben sein und soll es weit besser haben, als es bei Euerm herumziehenden Leben möglich ist.

Die Korbflechterin schaute noch immer auf, als ob sie die Worte der fremden Dame für Scherz hielt und lächelte ohne ein Wort zu erwiedern.

Auch würde, fuhr Felicitas in sanftem, aber einem Tone fort, der die Wahrheit ihrer Rede nicht länger verkennen lies, mein guter Mann, der ebenfalls ein großer Kinderfreund ist, Euch so viel Geld geben, daß Ihr einen kleinen Glashandel anfangen und das armselige umherschweifende Leben aufgeben könntet.

Bei dem Worte Glashandel zuckte ein Freudenstrahl über das Gesicht der armen Frau. Der Gedanke an dieses Glück war zu groß, als daß sie ihn ganz zu erfassen vermocht hätte.

Felicitas, welche den Gemüthszustand der Korbflechterin sofort erkannte, fuhr in wohlwollendem und ermunterndem Tone fort: Es ist mein voller Ernst, gute Frau. Ich glaube wohl, daß Euch mein Antrag überraschend kommt; auch sollt Ihr Euch nicht sogleich entscheiden. Ueberlegt Euch die Sache, reiflich und wohl. Geht mit Euerm Verstande und auch mit Euerm Herzen zu Rathe.

Dort, sprach sie nach einer Pause, seht Ihr das schöne Landhaus, da wohne ich; da kommt hin heut Mittag mit all Euern Kindern, Ihr sollt ein gutes Mittagbrot erhalten. Ich gehe jetzt dahin, um es Euch bereiten zu helfen. Da sprechen wir weiter über meinen Vorschlag.

Mit diesen Worten reichte sie freundlich der armen Mutter, die noch nicht zu sich selbst zu kommen vermochte, und den übrigen Kindern, die sich jetzt vertrauensvoll ihr näherten, die Hand, blickte noch einige Augenblicke lächelnd auf das Kind ihres Traumes und kehrte, die Brust von wunderbarsten Gefühlen bewegt, längst eines grünen Kornfeldes nach Lindenruh zurück.


Binnen wenig Stunden nach der Frühstückscene am Waldesrande ward unter Anwesenheit einiger Gerichtspersonen vom benachbarten Landgericht in aller Form Rechtens einer der seltensten Verträge abgeschlossen. Georg war mit Freuden dem Wunsche seiner Gattin, die kleine Marie an Kindesstatt anzunehmen, entgegen gekommen. Mutter Martha - von der für sie außerordentlichen Summe von Funfzig blanken Reichsthalern geblendet - entsagte allen Rechten und Ansprüchen auf ihr Kind. Zugleich erhielt sie Reisegeld, damit sie ohne Sorgen ihre Heimath erreichen konnte. Kinder und Mutter wurden in der Eile nach Kräften ausstaffirt, freundlich gepflegt, gespeist und getränkt, so daß die arme Familie behaupten konnte, in ihrem Leben keinen glücklichern Tag verlebt zu haben.

Georg selbst hatte sich auf´s Pferd geworfen und war in der Gegend nach einer Amme umhergeritten. Alle weiblichen Hände in Lindenruh wurden in Bewegung gesetzt, Klnderwäsche anzufertigen und ein weiches warmes Bettchen zu bereiten, Felicitas selbst in wahrhaftem Gottvergnügtsein that alles Mögliche, ihrem kleinen Lieblinge den neuen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen.

Am andern Morgen trat die kleine Caravane, nachdem sie noch ein wackeres Frühstück eingenommen und das Wäglein mit Mundvorrath aller Art reichlich versehen war, ihre Reise nach der Heimath an.

Mutter Martha, obschon sie ihr Lebelang nicht auf so weichem und angenehmem Lager geruht, hatte gleichwohl eine ziemlich unruhige Nacht gehabt. Der plötzliche Glückswechsel auf der einen und die Hingabe ihres Kindes auf der andern Seite, erfüllten ihre Brust mit den sich widersprechendsten Gefühlen. Der Abschied von ihrer kleinen Marie war eine ergreifende Scene zärtlicher Mutterliebe. Thränen entströmten ihren Augen und sie vermochte sich gar nicht von ihrem Kinde zu trennen. Erst nach langem liebevollen Zureden von Seiten Georg's und seiner Gattin, gelang es, die gebeugte Mutter zu beruhigen und aufzurichten. Nachdem sie nochmals ihr Kind an's Herz gedrückt und mit Küssen bedeckt hatte, nahm sie Abschied, für die großen Wohlthaten dankend; und bald sah man die arme Familie mit ihrem Wäglein durch die grünen Kornfelder gen Süden ziehen.

Aber je weiter das gastliche Dach zurückwich und je ferner seine grünen Jalousien daher schauten, desto schwerer ward das Herz der armen Mutter. Aller fünf Minuten blieb sie stehen und schaute zurück nach dem Hause, wo ihr kleiner Liebling weilte. Die ältern Kinder, denen der Verlust des kleinen Schwesterchens weniger zu Herzen ging, waren bemüht, die weinende Mutter zu trösten.

Wie gut hat es Mariechen, sprach Christine, die älteste, weit besser als wir. Denke nur das weiße, weiche Bettchen, in welchem sie schlief, und die schöne blaue Stube, worin sie wohnte, und wie alle Leute sie so lieb hatten.

Bei solchen Worten trocknete sich zwar Mutter Martha die Augen, aber es währte nicht lange, da blieb sie wieder stehen, schaute zurück und von Neuem füllten sie sich mit Wasser.


Während aber die arme Mutter mit ihren Kindern trauernd dahin zog, gab es in Lindenruh reges und freudiges Leben. Der kleine Ankömmling hielt das ganze Haus in Bewegung. Am glücklichsten war Felicitas. Wie oft nahm sie die Kleine aus den Armen der Amme und schwebte mit ihr tänzelnd und liebkosend auf und ab. Auch Georg nahm den herzlichsten Antheil und pries den glücklichen Zufall, welcher so unverhofft den kleinen Engel in´s Haus geführt hatte.

Am andern Morgen saßen die beiden Gatten in dem mit schönen Landschafttapeten geschmückten, freundlichen Frühstücksalon, von wo man die herrliche Aussicht längst des Thales und nach den grünen Waldbergen hatte. Die kleine Marie schlummerte noch süß in ihrem Bettlein. Bereits hatte Felicitas wiederholt der kleinen Schläferin einen Besuch abgestattet und sich mit stillem, ächt weiblichem Entzücken an den unschuldvollen Zügen des träumenden Kindesantlitzes geweidet. Sie theilte jetzt Georg ihren weisen Erziehungsplan mit: wie sie dies Kind körperlich, sittlich und geistig herauszubilden gedachte. Sie träumte sich Marien schon als heraufblühendes Mädchen, wie sie dasselbe in allem Guten und Schönen mütterlich unterrichten wollte, [12] und war ganz glücklich in diesen Zukunftplänen, als Katharina, die Wirthschafterin etwas betreten in den Salon trat.

Frau Martha, berichtete sie, steht draußen mit verstörtem Antlitz und beschwört um Gotteswillen, vor den Herrn und die Madame gelassen zu werden.

Eine Ahnung floh bei diesen Worten durch Georg’s Seele, und von derselben Ahnung ergriffen, begann Felicitas zu zittern und erbleichte sichtlich.

In demselben Augenblicke schwankte Martha herein. Ihr Auge war starr und thränenlos. Sie sank, ohne ein Wort zu sprechen, auf die Knie; die funfzig blanken Thalerstücke, die sie in der Schürze trug, rollten dahin auf dem glatten Parketboden und mit einem Tone, wie ihn nur ein gequältes Mutterherz hervorzubringen vermag, rief sie: Hier haben Sie Ihr Geld, geben Sie mir mein Kind wieder!

Und nach einer Pause:

Ich habe gerungen und gebetet – es half Alles nichts. Ich will arm bleiben – aber geben Sie mir mein Kind wieder!

Und zu Felicitas gewendet, die unvermögend ein Wort zu erwiedern, im Sopha zurückgesunken war:

O Sie himmlisch gute Madam – vergeben Sie – aber Sie haben kein Kind – Sie wissen nicht, wie es – sie deutete auf's Herz – hier wehe thut, wenn eine Mutter ihr Kind hergeben soll.




Als der Abend nahte, zog Martha mit der kleinen Marie wieder hinaus in die ferne, fremde Welt. Aus dem liebevollsten, freundlichsten Asyle ward das Kindlein wieder hinausgetrieben; aller Wahrscheinlichkeit nach wieder der Armuth und dem Elende entgegen. Zwar hatte Georg, gerührt von der Mutterliebe der armen Frau, die lieber auf eine in ihren Augen außerordentliche Geldsumme, lieber auf die Aussicht einer glücklichen Zukunft, als auf ihr Kind verzichtet, die funfzig Thaler nicht wieder zurückgenommen; auch versprochen, der armen Familie ferner zu gedenken, falls sie sich seiner Wohlthaten würdig erweise – gleichwohl blieb das Schicksal des Kindes, dem einen Augenblick lang ein so glücklicher Stern geleuchtet, einer nur zu unsichern Zukunft preisgegeben.

Lange schauten Georg und Felicitas, von ihrem Altane der dahinziehenden Mutter nach, die zwar arm am irdischen Gut, aber reich an Liebe für ihr Kind, dasselbe innig an ihre Brust gedrückt, wieder mit sich nahm. Sie blieb oft stehen und winkte dankend mit der Hand zurück, bis sie hinter einem rothblühenden hochaufgewachsenen Kleefelde, um das sich der Pfad bog, den Nachschauenden verschwand. Martha wanderte nach einem unfernen Dorfe, wo ihre Kinder sie erwarteten.

Georg aber umarmte sein Weib mit der theilnehmendsten Innigkeit. Arme Felicitas, sprach er sanft und küßte eine Thräne von ihrer Wange, Gott hat es nicht gewollt. Er schenkte Dir einen wunderschönen Traum, aber es sollte nur ein Traum bleiben. Ach setzte er nach einer Pause düster hinzu, unser ganzes Leben ist ja nur ein Traum.

Dem ein schöneres Erwachen folgen wird, flüsterte Felicitas wie von einer Ahnung durchweht und schaute lange hinaus in den Frühling, der immer abendlich röther wurde, während die Abendglocken des Thales fromm zu läuten begannen.




Und der Traum sollte zur Wahrheit werden und ihr höchster Erdenwunsch sollte in Erfüllung gehen. Als die Gipfel der Waldberge sich herbstlich zu röthen begannen, die Schwalben auf dem hohen Giebeldache von Lindenruh ihre baldige Abreise beredeten und in dem Garten die letzten Georginen ihre Blüthen aufschlossen, vertraute Felicitas erröthend ihrem Gatten das seligste Geheimniß ihres Lebens. Wer beschreibt die Seligkeit der Glücklichen, und doch, – was ist selbst das höchste Glück hienieden!

Als die ersten Lerchen den nahenden Frühling verkündeten, genaß Felicitas eines Mädchens. Doch nur wenige Stunden sollte ihr hienieden vergönnt sein, das Glück der Mutter zu empfinden. Der Himmel nahm sie zu sich, sanft, wie sie gelebt, würdig einer schönern Welt. Mit verklärtem Lächeln reichte sie dem an ihrem Lager niedergesunkenen Georg die Hand zum Lebewohl für dieses Leben. – Es war dieselbe Stunde, wo wieder die Abendglocken durch das Thal hallten, so ahnungsvoll, so Frühling verkündend.

Ihre jahrelange Sehnsucht war erfüllt, ihr jahrelanges Gebet ward erhört – aber sie mußte das heißersehnte und heißerbetete Geschenk des Himmels mit ihrem Leben bezahlen. Also bestürmen wir armen Sterblichen so oft den Himmel um Gaben, die nur zum Verderben uns gereichen. Ja Vater im Himmel, unerforschlich, doch weise sind deine Wege.

Georg's Kindlein folgte seiner Mutter noch am selbigen Tage. Wo hätte es auch hienieden eine solche Mutter gefunden.

Der bejammernswerthe Gatte und Vater war der Verzweiflung nahe. Nach Jahr und Tag war der einst so rüstige und lebensfrohe Mann kaum mehr zu erkennen. Ein organisches Brustleiden, das lange in ihm geschlummert, kam zum Ausbruch. – Er ruht bereits seit manchem Jahre [13] an der Seite von Felicitas und seinem Kind auf einem stillen Friedhofe im Thale der Mulde.


Und was ist aus Martha geworden, dem treuen Mutterherzen, und der kleinen Marie?

Georg hatte auf das väterlichste für die arme Familie gesorgt. So ward der guten Martha das Glück und die Freude, ihre Kinder alle wohl versorgt zu sehen und sie selbst konnte sich eines sorgenlosen Lebensabends erfreuen.

Marie, der kleine Liebling der Felicitas, war besonders begünstigt worden. Durch die Fürsorge Georg’s genoß sie eine sorgfältige Erziehung; und als die Zeit des Brautkranzes gekommen, war auch für eine stattliche Aussteuer Sorge getragen. Marie lebt noch heut als die geliebte Hausfrau eines wackern Schulmannes in der Gegend von G.

Von Lindenruh selbst ist keine Spur mehr vorhanden. Sogar der Name ist verklungen. Aus den Fenstern, deren grüne Jalousien einst so freundlich hinausleuchteten über die gesegnete Gegend, schauen jetzt bleiche Fabrikgesichter. Wo die alten Linden ihre grünen Arme gastlich ausbreiteten, braußen Dampfmaschinen, und in dem Garten, wo Felicitas ihre Blumen baute, thürmen sich Steinkohlenhaufen, aufgespeichert zum Gebrauch für die zahlreichen Hohöfen.

So verweht Alles! Und nur wenn an schönen Sommerabenden, nach des Tages Arbeit und Schwüle, die armen Leute vor ihren Hütten sitzen, klingt wie eine fromme Sage das Andenken an Felicitas durch ihre einfachen Gespräche.

Ja von dieser Felicitas konnte man wohl mit des Dichters Worten sagen: „Vom Himmel war sie gekommen, auf Erden hat sie gelebt und in den Herzen der Armen war ihr Grab.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: gang
  2. Vorlage: Gesiche
  3. altes Zählmaß von 15 bzw. 16 Stück


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