Ein Ostermorgen in einem Franciscaner-Kloster

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Autor: W.
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Titel: Ein Ostermorgen in einem Franciscaner-Kloster
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 405; 407–408
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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In der Sacristei eines Franziskaner-Klosters am Ostermorgen.

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Der Ostermorgen in einem Franciskaner-Kloster.

Wo weilt das Glück? Wenn es eine ausgemachte und unbestrittene Wahrheit ist, daß in allen Lebenslagen der Friede des Herzens die unerläßliche Grundbedingung des Glückes bildet, so müssen gerade die friedlich stillen Klostermauern als ein freundliches Asyl erscheinen, diesen Frieden zu bewahren oder denselben, wenn er in den Kämpfen und Stürmen des Lebens verloren wurde, wieder zu gewinnen. Von diesem Gesichtspunkte aus wurden und werden die klösterlichen Hallen auch vielfach betrachtet, was um so weniger auffallen kann, da von den Dissonanzen, die auch in der abgeschlossenen Zelle das harmonische Gemüthsleben stören, selten ein Nachklang zu den Ohren der Menge dringt, und die einsamen Thränen und Seufzer meistentheils ohne Zeugen spurlos verwehen. So hat sich über die schweigsamen Klostermauern ein halb idyllischer, halb romantischer Nimbus gebreitet, der freilich vor den hellen Streiflichtern der modernen Lebensanschauung immer mehr erbleichen muß.

Daß die gewaltigsten und furchtbarsten inneren Kämpfe auch diesen Räumen nicht fremd sind, dafür hat es nie an eindringlichen Beweisen und hervorragenden Beispielen gefehlt, von dem Tage, an welchem Savonarola unerschrocken den Scheiterhaufen bestieg, bis zu der verhängnißvollen Stunde, in welcher der gelehrte Benedictiner von Mölk in den blauen Fluthen der Donau ein freiwilliges Grab fand – jener Mann, der die erhabenen Gestalten der größten Dichter aller Zeiten in sein einfaches Studirzimmer bannte, der einen unserer bedeutendsten Dramatiker für die Bühne heranbildete, und dessen dramaturgische Schriften unseren Theaterdichtern nicht genug empfohlen werden können, wenn die deutsche Bühne von dem kläglichen Zustande, in den sie gegenwärtig versunken ist, sich nochmal emporraffen soll.

Aber auch viele jener gewichtigen Katastrophen, welche einem ganzen Welttheil für Jahrhunderte ihr Gepräge aufgedrückt, sind von bescheidenen Klosterräumen ausgegangen, und wie durch einzelne Mönchsorden in früheren Tagen die classischen Studien gefördert und zur Grundlage auch der germanischen Bildung gemacht wurden, steht in jedem Schulbuche zu lesen.

Außerordentliche Institute haben aber nur in außerordentlichen Zeiten ihre Berechtigung; unter veränderten Verhältnissen verlieren sie ihre Bestimmung und Bedeutung. Die Wissenschaft ist über die klösterliche Pflege und Zucht längst hinausgewachsen, die Bildung dringt unaufhaltsam in immer weitere Kreise, und in allen civilisirten Ländern wird der Unterricht als eine der wichtigsten Aufgaben betrachtet, deren Lösung dem Staate selbst obliegt.

Derjenige Orden, der gegenwärtig in Baiern und Oesterreich, zumal in Tyrol, noch am weitesten verbreitet ist und besonders auf dem Lande auch noch eine ziemlich umfangreiche Wirksamkeit ausübt, ist der der Franciskaner. Ein Orden, dessen Grundelement strenge Bußübungen bilden, kann natürlich nicht dazu berufen sein, eine hervorragende Stelle in der politischen oder literarischen Welt zu spielen. Die ehrwürdigen Patres mit den braunen Kutten haben sich daher auch nie von dem ehrgeizigen Streben verleiten lassen, in die Geschicke der Völker maßgebend und umgestaltend einzugreifen. Ihre Sphäre blieb fast ausschließlich der schlichte Kreis des Bürgers und Landmannes. Hier fanden sie auch die offene Bereitwilligkeit, für geistlichen Trost und Zuspruch leibliche Nahrung zu bieten, auf die sie trotz der gebotenen Ascese doch jederzeit vorsorglich Bedacht nahmen, und die sie sich nach der strengen Satzung ihres Stifters durch Betteln oder Terminiren, wie der landesübliche und euphemistische Ausdruck für dieses Geschäft lautet, erwerben müssen.

Der milde und freigebige Sinn gegen die Franciskanerklöster besteht bei dem tyrolischen Volke fast noch in ungeschwächter Kraft und Ausdauer. In den kleineren Orten und namentlich in den abgelegenen Einödhöfen wird der Zeitpunkt, wo die Klosterherren zur Collecte erscheinen, sogar immer als eine höchst willkommene Erscheinung begrüßt. Die Kinder freuen sich schon lange auf die bunten Heiligenbildchen, die sie bei dieser Gelegenheit erhalten, wofür sie dann dem hochwürdigen Herrn Pater dankbar und ehrfurchtsvoll die Hand küssen müssen. Die Bäuerin hat so manchen kleinen Familienkummer auf dem Herzen, für den der fromme und erfahrene Pater Rath schaffen soll. Ist in Haus oder Stall etwas nicht recht geheuer, so muß derselbe mit einer scharfen Benediction den dämonischen Unholden so hart auf den Leib rücken, bis sie, von deren Macht bezwungen, entsetzt von dannen fahren. Der Bauer, zu dem in seiner einsamen Abgeschiedenheit nur selten ein leiser Nachklang der lauten Welthändel dringt, läßt sich von dem Mönche berichten, wie draußen in den weiten Reichen die Völker auf einander schlagen; und nach und nach schleicht sich das ganze Hausgesinde herbei, um von der redseligen Weisheit des politisirenden und polemisirenden Peripatetikers auch ein Körnlein abzufangen. Der Bauer hat einen Krug vom Besten aus dem Keller geholt, um die sich allmählich trocken redende Zunge des Erzählers durch eine schmackhafte Anfeuchtung noch geläufiger zu machen, und dieser donnert nun in heiligem Eifer gegen die Versunkenheit der Welt und die Verderbniß des Zeitalters los, daß seine Standrede nahezu die Expectorationen des Kapuziners in „Wallensteins Lager“ erreicht, nur mit dem Unterschiede im Erfolge, daß ihm ein dankbareres [408] Publicum lauscht als weiland seinem Collegen vor der rauhen Soldateska des fatalistischen Friedländers.

Unterdessen hat sich der Klosterbruder, welcher den Pater als dienstthuender Famulus für die materiellen Zwecke der Geschäftsreise begleitet, mit der Hausfrau auf die Seite begeben, und diese bringt nun das Beste von Butter, Schmalz, Eiern, gedörrtem Obst, Mehl und Wein herbei; der Frater legt die neue Last auf den Rücken des schon reich bepackten Klosteresels, der sich die Zwischenzeit an der wohlbesetzten Pferdekrippe recht angenehm vertrieben hat und es sich nicht im Geringsten anfechten ließ, daß die edeln Thiere auf den grauen Eindringling mit stolzer Verachtung herabblickten. Nun spendet der Pater den Hausbewohnern für die reichen Gaben noch seinen Segen, und dann geht es weiter nach dem nächsten Hofe, wo der eben geschilderte Vorgang in gleicher Weise und mit gleichem Erfolge sich wiederholt.

Für zarter angelegte Naturen mag das Nehmen auf dem Wege des Bettels zuerst wohl seine äußerst bedenkliche Seite bieten. Aber die Gewohnheit stumpft auch feinere Gemüther allmählich ab, und wenn der Bettel nicht nur ein Privilegium besitzt, sondern noch dazu als eine demüthige Herablassung erscheint, so kann man sich im Laufe der Zeit ganz gemüthlich mit ihm befreunden. Deshalb dürfen auch für den Franciskaner die Tage, wo er zum Terminiren hinauszieht, nicht als eine Zeit der Qual und der Buße, sondern vielmehr der Erholung und des Vergnügens betrachtet werden. Das freie Umherschweifen in den lieblichen Gebirgsthälern, die in dem lenzigen Schmucke der Blüthen, in der sommerlichen Pracht der Aehren, in der herbstlichen Fülle des Obstes und der Trauben und selbst unter der winterlichen Krystalldecke ein prachtvolles Landschaftsbild bieten, gewährt eine wohlthuende Abwechslung gegen die schmucklosen Wände der Zelle und gegen die trübe Einförmigkeit des Klosterhofes.

Nicht immer jedoch braucht das Kloster seine Abgesandten ausziehen zu lassen, um die Nothdurft des Leibes auf Freund Langohrs geduldigem Rücken heimzuschleppen. Es giebt Zeiten, wo das Volk seine Gaben selbst herbeibringt. Dies ist namentlich am Ostermorgen der Fall, wo in den katholischen Kirchen eine segnende Weihe über die Ostereier ausgesprochen wird, denen man in der Regel auch noch ein hübsches Stück Schinken, Milchkuchen, Meerrettig und Salz beilegt. Diese Gegenstände nennt man dann „das Geweihte“, und dasselbe wird entweder ganz oder, wo die Ladung gar zu ergiebig wäre, wenigstens theilweise als Frühstück verzehrt. Es erhält da, wie einst im Lager bei Ampfing, jedes Mitglied des Hausstandes ein Ei, während sich nicht selten der Hausvater oder auch sonst ein Mitglied des engeren Familienbundes den Antheil des braven Schweppermann zumißt.

Diese Sitte wird namentlich in Tyrol sorgfältig beobachtet. Jeder gute Tyroler ißt am Ostersonntag-Morgen sein „G’weichtes“, und er würde es für eine Entheiligung des festlichen Tages halten, wenn er etwas Anderes in den Mund brächte, ehe er dasselbe genossen hat.

Es ist nun ganz natürlich und selbstverständlich, daß auch die Herren Patres und Fratres ihr Geweihtes erhalten müssen, und da spenden denn die besonders eifrigen Anhänger und Wohlthäter des Klosters die oben erwähnten Gaben in solcher Fülle, daß die Herren wochenlang tüchtig davon frühstücken können. Wie unser Bild einen kleinen Begriff davon giebt, ist an diesem Morgen die geräumige Sacristei der Klosterkirche dicht mit reichbeladenen Körben angefüllt, und in dem weiten Raume verbreitet sich ein eigenthümlicher Wohlgeruch, der den Klosterbewohnern würzig und verlockend in die Nase steigt, die sich denn auch den saftigen Schinken nach der vierzigtägigen Fastenzeit, in welcher ihnen der Genuß von Fleischspeisen untersagt ist, ganz vortrefflich schmecken lassen.

Der Ostertag ist überhaupt im Franciskanerkloster eines der willkommensten Feste. Der lange Winter, der in großen Städten die Gesellschaft zusammenführt und durch eine bunte Reihe von Zerstreuungen und Vergnügungen zusammenhält, bringt schon für kleinere Orte ein dumpfes und trübseliges Einerlei; um so mehr für ein von aller Welt abgeschiedenes Franciskaner-Hospiz, wo in der Regel die Vorbedingungen für eine tiefere geistige Anregung fehlen, wo zwischen den einzelnen Conventualen bei dem häufigen Ortswechsel, dem sie unterworfen sind, selten eine herzliche Vertraulichkeit, oft aber eine gegenseitige argwöhnische Beobachtung herrscht, und wo die Hauptbeschäftigung in mechanischen liturgischen Formeln, ascetischen Gebräuchen und contemplativem Hindämmern besteht. Der Frühling bringt wenigstens wieder längere Tage; er erschließt die Pforten zu Spaziergängen in der verjüngten Natur; er bringt Besuche und mit ihnen zerstreuende Kunde aus Nähe und Ferne; er öffnet in Bälde den Klostergarten mit der obligaten Kegelbahn.

Die Ostertage bilden für die Söhne des seraphischen Vaters auch Tage der Erholung, da die beiden vorhergehenden Wochen für sie so ziemlich die angestrengtesten des ganzen Jahres sind.

Nämlich die Osterbeichte, der sich in Tyrol nicht leicht Jemand entziehen kann oder auch nur entziehen will, führt nicht nur große Schaaren des Landvolkes in die Beichtstühle der Klosterkirche, auch die Honoratioren des nahen Städtchens oder Marktes tragen ihre Sündenpäcklein alljährlich regelmäßig zu den Franciskanern.

Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, tiefer in die Geheimnisse des Klosterlebens einzudringen oder die Gründe, welche für den Fortbestand, für die Umgestaltung oder etwa auch für die Aufhebung der Klöster sprechen, genauer zu untersuchen.

Wir wollen schließlich nur nochmals auf den im Anfange dieser Zeilen angeregten Gesichtspunkt zurückkommen. „Wo weilt das Glück?“ ruft alle Welt, und wenn wir mit dieser schmerzlichen Frage an die Klosterpforten klopfen, so wird uns auch hier eine verneinende oder doch wenigstens eine abweisende Antwort entgegentönen. Gewiß nur Wenigen hat ein wahrer innerer Drang und wirklicher unabweisbarer Beruf diese Pforten erschlossen. Unklare, gefühlsschwelgende Schwärmerei, bittere Erfahrungen und herbe Täuschungen eines Herzens, das sich nicht stark genug fühlt, weiteren Schlägen des Schicksals zu trotzen; Mangel an Kraft und Muth, sich nach fehlgeschlagenen und zertrümmerten Hoffnungen einen neuen Boden für eine freundliche Zukunft zu erkämpfen – das mögen wohl in den meisten Fällen die Motive sein, welche den Weg hinter diese Mauern gebahnt haben. Und dann bleibt immer noch zu bedenken, daß der Mensch nicht dazu geboren ist, um in stiller Abgeschlossenheit an den kleinen Freuden und Leiden des eigenen Herzens zu zehren, sondern daß er, und sei es auch nur in geringem Maße und in bescheidener Stellung, sich an der Aufgabe der Menschheit zu betheiligen hat, und daß er nur als werkthätiges Glied der menschlichen Gesellschaft dasjenige Maß des Glückes beanspruchen und erreichen kann, das dem Sterblichen hienieden überhaupt zugemessen ist.
W.