Ein Palaver in Loango

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Textdaten
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Autor: Eduard Pechuel-Loesche
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Titel: Ein Palaver in Loango
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 627–632
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Ein Palaver in Loango.
Von Dr. Pechuel-Loesche.[1]

Es war eine böse Zeit für den Küstenstrich des Districtes Tschintschotscho, die Zeit vom März bis Mai des Jahres 1875. Die Regenzeit ging zu Ende, und die letzten großartigen Gewitter schütteten ihre Wassermassen auf Loango herab. Des Nachts deckten übelriechende Nebelschwaden die Erde; am Tage brütete die Sonne in voller Gluth über der Landschaft. Von den vermodernden organischen Substanzen in den Wäldern und Savannen, aus den Lagunen und Tümpeln stiegen mephistische Dünste auf; [628] die schwüle, erdrückende Luft war mit Miasmen geschwängert. In den Dörfern der Eingeborenen wüthete Krankheit und Tod, und auch auf der deutschen Station Tschintschotscho herrschte ein erschreckendes Hinsiechen und Sterben. Ein geheimnißvolles tückisches Leiden befiel ohne Unterschied Weiße und Schwarze und forderte, trotz aller Anstrengungen unseres Arztes, nur zu viele Opfer. Allenthalben in den umliegenden Ortschaften erschallten Tag und Nacht die Beschwörungsformeln der die Krankheit bannenden Nganga (Zauberärzte), die dumpfen Schläge der Holztrommeln, häufig untermischt mit dem langgezogenen Klagegeschrei trauernder Familien, dem Krachen der Steinschloßflinten und all dem bei Todtenbestattungen landesüblichen Lärm. Eine trübe Stimmung hatte sich unser Aller bemächtigt; die Sorge um die Zukunft der Expedition lastete schwer auf uns; wer konnte ferner wissen, ob und wie er selbst den nächsten Tag erleben würde?

In unserer Station wohnte als Oberaufseher und Dolmetscher der mächtigste und angesehenste Häuptling der Küste, der Muboma Liumba von Yenga, ein stattlicher Mann von vortrefflichem Charakter, der mit Recht unsere Achtung und unser Vertrauen besaß und durch seinen weitreichenden Einfluß unsere Beziehungen zu den Eingeborenen sehr günstig zu gestalten begann. Auch er wurde schließlich von der Krankheit ergriffen, während unser Arzt leider abwesend war. Der Zustand des Muboma verschlimmerte sich bald derartig, daß ihn seine Getreuen eilig nach seiner eigentlichen Residenz, dem Dorfe Yenga, eine Viertelstunde nördlich von unserem Gehöfte gelegen, überführten. Die Nachricht hatte sich schnell weithin im Lande verbreitet; von allen Seiten fanden sich Fürsten und Häuptlinge ein, um dem leidenden Oberrichter, einem Großwürdenträger des herrscherlosen Königreiches, ihre Theilnahme zu bezeugen.

Wir brachten und schickten dem Kranken das Beste, was wir besaßen, doch wurde sein Zustand immer hoffnungsloser. Eines Nachmittags stürmte denn auch ein Beamter aus Yenga in die Station, mit eigenthümlich modulirendem Geschrei und in höchstem Entsetzen verkündend, daß der Muboma soeben gestorben wäre. Sofort erschallte lautes Wehklagen aus der geräumigen Hütte, die er bei uns zu bewohnen pflegte, wo einige seiner Diener und Weiber zurückgeblieben waren. Wie sich die Nachricht verbreitete, wurde an allen Seiten das Geschrei aufgenommen, und von überall eilten erregte Menschen nach Yenga.

Auch wir gingen hin, die Ueberreste des besten schwarzen Mannes, den wir gekannt, durch einen letzten Besuch zu ehren. Dem Strande folgend, vernahmen wir, trotz des Getöses der Brandung, schon von weitem das Jammern im Dorfe. Ein verwirrender, betäubender Aufruhr empfing uns daselbst. Die Eingeborenen sprangen und taumelten wie außer sich umher, gesticulirend und die Haare raufend; einzelne Weiber schlugen die Brüste und wälzten sich sogar im Staube. Die Stimmen Aller mischten sich zu einem ununterbrochenen Klageton, der grell vibrirend die Luft erfüllte. Alle Gesichter waren von Thränen überströmt, von Schmerz verzerrt. Um das Schattendach, unter das man die Leiche geschafft, herrschte ein wildes Gedränge. Das jüngste, sehr hübsche Weib des Muboma, die sonst so heitere Ngalasi, umrannte schluchzend und jammernd die Stätte, die Arme erhoben, die Finger krampfhaft verschränkt, selbst in ihrer Verzweiflung noch anmuthig. Ein ebenfalls bedeutender Häuptling und Nachbar des Verstorbenen, der alte Mambuku, wandelte gemessenen Schrittes, sich leicht drehend und wendend, auf seinen langen Stab gestützt, in würdevoller Haltung einher, den einen ausgestreckten Arm leicht bewegend und mit thränenden Augen dem Abgeschiedenen sein Trauerlied intonirend. Verschiedene Nganga durchzogen einzeln und paarweise mit wie zum Gebet gefalteten Händen das Getümmel, bald mit leisem Murmeln, bald mit lautem Aufschreien ihre Beschwörungen recitirend.

Man begrüßte uns und schaffte uns Raum, während wir manchen Händedruck austauschten. Auf seinem Ruhebett lag der Muboma, die einst so mächtige, markige Gestalt abgezehrt und zusammengefallen. Frauen und Diener waren eben damit beschäftigt, die Nägel zu beschneiden und mit Hülfe von Rasirmessern das Kopfhaar zu entfernen, um den Körper zur Bestattungsfeier vorzubereiten. Es wurde nicht gesprochen; man hörte nur Stöhnen und abgebrochene Laute, während Einzelne, wie unfähig sich noch länger zu zügeln, plötzlich von ihrer Beschäftigung abließen und zwischen der die Stätte beständig umkreisenden Menge verschwanden, um sich auszutoben.

Ihre Trauer war gerecht; denn nicht nur einen angesehenen, braven Häuptling, den Patriarchen seines Gaues und Verwandten vieler Familien hatten sie verloren, auch mancherle1 neue politische Verwickelungen im alten Streite zwischen dem Innern und der Küste waren zu erwarten, und zunächst für viele Anklagen auf Leben und Tod wegen Hexerei. Der Muboma konnte nur in Folge bösen Zaubers geendet haben – das war Aller überzeugungsmäßige, oder doch wenigstens kund gegebene Meinung, und die Schuldigen mußten ausgefunden werden. Wer von Allen war aber sicher, daß schlimmer Verdacht nicht ihn selbst treffen könne?

Wir erhielten bald Gewißheit, daß mehrere Personen, namentlich verschiedene Häuptlinge des Districtes (die politische Intrigue lag für uns klar zu Tage), sowie Frauen des Verstorbenen beschuldigt worden seien, hüteten uns jedoch selbstverständlich in irgend welcher tactlosen Weise zu Gunsten derselben aufzutreten. Wir waren weder berufen, noch hatten wir die Macht, Eigenthümlichkeiten zu bekämpfen, die, weil sie so innig mit den gesammten Anschauungen eines Volkes verwachsen sind, sich gesondert gar nicht reformiren lassen, die sich ja bis noch vor nicht zu langer Zeit selbst bei Culturvölkern erhielten und theilweise auch heutigen Tages noch verstohlene Anhänger haben. Jede unüberlegte, rasche Einmischung in von Alters her ehrwürdige Landesgebräuche konnte uns nur Nachtheile, den Angeklagten aber keine Vortheile bringen.

Anders lagen die Verhältnisse in Rücksicht auf die möglichen politischen Umgestaltungen. Bei diesen waren wir, kraft unserer Verträge mit den Eingeborenen, als Grundbesitzer und Führer einer bedeutenden von uns abhängigen Menschenzahl, in directer Weise betheiligt, denn die Zukunft der Expedition wurde in nicht geringem Maße bedingt von der Haltung der im Districte herrschenden Häuptlinge. Es stand zu befürchten, daß die alte Eifersucht zwischen Küste und Innerem heftiger sich äußern würde, da der mächtigste Gegner der Häuptlinge binnenwärts liegender Gebiete, der Muboma, dieselben nicht mehr in Schach hielt. Vor wenigen Monaten erst war dieser mit den Küstenbewohnern offen auf unsere Seite getreten, als in Folge alter Mißhelligkeiten verschiedene Führer des Innern die uns benachbarte Handelsfactorei bedrohten, das Trinkwasser abschnitten, und auch uns zwangen Tag und Nacht zum Schutze der Station unter Waffen zu stehen. Jetzt war die Gelegenheit zu günstig für jene, um nicht zu versuchen, entweder auf diplomatischem Wege oder mit Kriegesmacht ihre Herrschaft bis nach der Küste auszudehnen. Kamen sie doch dadurch in nächste Fühlung mit den Weißen und ihren Schätzen, und konnten als Herren des Landes den Handel monopolisiren, die alten, von ihnen nicht abgeschlossenen Verträge mißachten und nach dem beliebten Ausnutzungs-System den Europäern neue Bedingungen aufzwingen, behaglich Tribut und reiche Sporteln erheben.

In Erwägung aller dieser Umstände hatten wir den Eingeborenen unsere Absicht kund gethan, an den zwischen ihnen bevorstehenden Verhandlungen theilzunehmen. War dies auch in Loango bisher nicht üblich gewesen, so sprachen doch viele gewichtige Momente für uns, und, mochten auch einzelne Parteien sehr unzufrieden mit der schließlichen Entscheidung sein, wir empfingen dennoch die gewünschte Einladung zu dem schon für den nächsten Tag anberaumten „Palaver“.

Palaver (ein an der Westküste im Verkehr zwischen Weißen und Schwarzen aus dem Portugiesischen eingebürgertes Wort) nennt man alle möglichen Zusammenkünfte von Europäern und Afrikanern, oder von letzteren allein (die selbstverständlich ihre eigenen verschiedenen Bezeichnungen dafür haben, je nach dem Zweck der Versammlungen), während welcher man Streitigkeiten schlichtet, Verträge abschließt, zu Gericht sitzt über Leben und Tod, sowie Verhandlungen über wichtige Staatsactionen führt. Palaver sind der Schrecken aller Weißen an der Küste, da sie gleichbedeutend sind mit unvermeidlicher Aussaugung der Händler. Allerdings muß man den Eingeborenen Loangos nachrühmen, daß sie selbst bei Streitigkeiten mit den Europäern, nach Landesgesetz, ohne Ansehen der Person im Schiedsgericht unbefangen und gerecht aburtheilen; dennoch weiß der schlaue Sieger seinen Vortheil gar zu vorzüglich wahrzunehmen und versteht es, dem Weißen gegenüber, [630] zuweilen sogar noch seine Verurtheilung in einen, wenn auch noch so geringen, materiellen Gewinn zu verwandeln. Je nach der Tragweite der Verhandlungen sind bald nur wenige Menschen, bald Hunderte und sogar Tausende versammelt. Große Palaver, die unter den Eingeborenen allein geführt werden, bei denen es sich um bedeutsame innere Vorgänge handelt, sind, ungeachtet manches dem Fremden grotesk Erscheinenden, durchaus feierliche und in ihrem würdevollen Verlaufe imponirende Ereignisse.

In Loango hält man streng auf exacte Beobachtung ceremonieller Höflichkeit, parlamentarischer Regeln; die Leute sind gewiegte Diplomaten, erfahrene Redner, die ihre wohllautende Sprache meisterhaft zu handhaben verstehen. Ein Obmann und gewählte Sprecher leiten die Debatten. Jener, gewöhnlich ein Muboma, führt als Zeichen seiner Würde das Tschimpapa, ein breites, stumpfes und eigenartig ausgezacktes Sceptermesser, das eine ähnliche Macht verleiht, wie die Klingel, der Hammer bei Culturnationen, dessen Handhabung jedoch auch die zahlreichste und erregteste Versammlung vollständig beherrscht. Sobald tumultuarische Auftritte den Gang der Verhandlungen gefährden könnten und der Ordnungsruf des mit dem Tschimpapa Betrauten unbeachtet verhallt, wirft er zwischen die Streitenden sein Würdezeichen zur Erde nieder. Sofort haben die Parteien zu schweigen, zu ihren Plätzen zurückzukehren und sich so lange ruhig zu verhalten, bis der Obmann das Tschimpapa wieder aufnimmt und damit die Fortsetzung der Erörterungen gestattet, Jemandem das Wort ertheilt oder auch die Versammlung vertagt.

Am Morgen des Palavertages bemerkten wir Schaaren zum Theil bewaffneter Leute nach Yenga ziehend, in langen, charakteristischen Einzelreihen geordnet, wie die zwischen hoher Vegetation sich entlang windenden schmalen Pfade sie bedingen. Vom Strande herauf dröhnte barbarische Musik; die Deputirten vom unfern gelegenen, sehr wohlhabenden Nachbardorfe Makaya passirten vorüber und ehrten uns durch einen Gruß aus ihren vier kostbaren Mpundschi. Unter letzteren versteht man die Loango eigenthümlichen und in vornehmen Familien forterbenden Elfenbeinhörner, vollständige, verschieden große Elephantenzähne, welche mühsam bis nahe zur Spitze durchbohrt und gewöhnlich mit reicher und origineller Schnitzerei verziert sind.

Um zehn Uhr sandte man uns Botschaft, daß die Häuptlinge vollzählig versammelt seien. Wir nahmen unsere Gewehre und begaben uns nach Yenga mit einigen der stattlichsten unserer Leute, von denen der Intelligenteste und Getreueste, unser späterer Dolmetscher Ngo, nicht unerfahren war in den Künsten der Nganga. Er trug seinen in seine Felle gehüllten, mit landesüblichen Eisenglöckchen behangenen Fetischbeutel über der linken Schulter.

Unter einem weitverästelten Baume, einem Ficus, auf dem Dorfplatze fanden wir das Negerparlament tagend. Es mochten an dreihundert Eingeborene anwesend sein, Abgeordnete aller betheiligten Gaue und Ortschaften des Districtes, welche in guter Ordnung, ernst und schweigend, theils auf der Erde, theils auf Papyrusmatten (Luangu) mit gekreuzten oder sonst bequem gelegten Beinen saßen. Zahlreiche Weiber mit und ohne kleine Kinder, die Jugend beiderlei Geschlechts aus der Umgegend, sowie Sclaven bildeten in angemessener Entfernung einen neugierigen Zuschauerkreis. Die Sitz und Stimme habenden Parteien umrahmten alle Seiten eines Vierecks, das ungefähr fünfzehn Schritt im Quadrat hielt und gänzlich frei gelassen sowie sauber gefegt war. Die erste Reihe jeder Abtheilung bildeten die betreffenden Häuptlinge mit einigen ihrer im Range zunächst kommenden Vertrauten; noch vor ihnen saßen, jeder allein, ihre Kriegsobersten. Letztere hatten ihre breiten, leicht gebogenen säbelähnlichen Messer einheimischer Arbeit, mit der Schneide nach ihrer Person zu, vor sich in der Erde stecken.

Die bei weitem stärkste Truppe bestand aus den Leuten des todten Muboma. Neben ihnen am rechten Flügel nahmen auch wir Platz auf für uns bereit gehaltenen Stühlen und verstärkten auf diese Weise moralisch die Coalition der Küstenbewohner. Sie alle waren kenntlich an den Stirnbändern von indigoblauem Stoffe, dem Zeichen der Trauer; sie alle waren ausnahmslos bewaffnet mit Steinschloßflinten, die sie aber sämmtlich mit der Mündung zur Erde und gegen die linke Schulter gelehnt hielten. Die übrigen Parteien hatten nur wenige Schießwaffen mitgebracht, befanden sich auch in der Minderzahl gegenüber diesen auf Seite in geschlossenen Reihen hinter ihren Führern geschaarten Kriegern. Vor ihnen saß auf der Erde der Oberste des todten Muboma, ein großer stattlicher Mann; er allein unter Allen trug das kriegerische Abzeichen seiner Würde, einen Streifen Leopardenfell um seinen linken Oberarm. In seiner rechten Hand und zurückgelegt an die Schulter hielt er das schon erwähnte Tschimpapa, das Machtzeichen des verstorbenen Oberrichters. Angehörige von Fürstenfamilien waren nicht erschienen.

Das Parlament wurde angemessen durch Musik eröffnet. Die vier Leute mit den Elfenbeinhörnern aus Makaha traten in die Mitte des freigelassenen Vierecks, wandten sich dann hinüber zu der Kriegerschaar des Muboma, knieten oder hockten vor derselben nieder und bliesen einen markigen, streng ryhthmischen Satz im Viervierteltact, den ich später auch bei Palavern in anderen Provinzen gehört habe, eine Art Heroldsruf. Das größte an fünf Fuß lange Horn begann und intonirte das charakteristische Motiv; die übrigen nahmen dasselbe der Reihe nach auf, das kleinste zuletzt, sodaß gleichsam ein allerdings sehr barbarischer Kanon entstand, dessen unleugbare dauernde Disharmonie inmitten einer solchen Umgebung seiner fast grandios zu nennenden Eigenart keinen Abbruch that. Das musikalische Verständniß der Vortragenden war natürlich ein sehr primitives; ihre Bestrebungen concentrirten sich auf das Tacthalten und namentlich einen möglichst kräftigen Gebrauch ihrer Lungen. Die äußerst machtvollen Töne dieser Instrumente ähneln in Klangfarbe den riesigen Schalmeien oder Muscheltrompeten und erinnern sehr an die unserer Tuba, unserer Posaune, sind jedoch weicher.

Von rechts nach links umziehend, wiederholte das Orchester diesen längeren einleitenden Heroldsruf vor jeder der vier Seiten. Als dies beendet, erhob sich der Kriegsoberste von Munoma’s Anhängern, schritt gemessen in die Mitte des Vierecks, rief die Versammelten an und begrüßte sie, indem er vor jeder Partei sich auf das rechte Knie niederließ, das Tschimpapa mit dem Griff auf die Erde stieß und, mit dem oberen Ende nach den Angeredeten zu, niederlegte. Dann schlug er langsam dreimal doppelt in die Hände, wobei ihm sämmtliche der begrüßten Partei Zugehörenden genau nachahmten, und hielt ihnen eine kurze Rede, während welcher sie wiederum beistimmend und emphatisch bei dem letzten Worte jedes Satzes einfielen, wie es der von Alters her überkommene Gebrauch erforderte. Zum Schlusse folgte wieder das gravitätische dreifach doppelte Händeklappen. Nachdem dies geschehen, trat jener in die Mitte des Raumes, legte, ein Knie beugend, das Tschimpapa vor sich zur Erde und verkündete feierlich, daß der Muboma todt sei. Unter wunderbar dramatischen Geberden, mit reicher Modulation der Stimme, scheinbar jedes Wort abwägend, hielt er eine Rede über Alles, was vorgegangen, dabei auf uns deutend und besonders betonend, daß selbst die Weißen erschienen seien. Die ganze Versammlung unterstützte und ermunterte ihn einmüthig durch kurze Beifallsäußerungen, die genau in die Redepausen fielen, oder indem man das letzte Wort eines Satzes nachdrucksvoll gleichzeitig mitrief. Dies Alles verlief so würdevoll und gehalten, daß auch der Europäer einen bedeutsamen Eindruck empfangen mußte – und doch! wie viel List und Hintergedanken mochten auch in dieser so ceremoniös versammelten Menge verborgen sein!

Während der Sprecher sich zu seinem Platz wandte, trat rasch und herausfordernd ein Unterbeamter des Verstorbenen in das Viereck, der Ankläger. Wild, in sprudelnder Rede, unter den heftigsten Gesticulationen, rief er: „Der Muboma ist todt, aber die Zauberer, die ihn umgebracht, die leben; wo sind sie? wer zeigt sie?“ Die Umsitzenden fixirend, nach allen vier Seiten die Hände mit ausgepreizten Fingern schüttelnd, erhob er wieder und wieder seine Stimme. Da sprang mit lautem Ausruf ein junger Mann von einer Gegenpartei in den Raum, den Kriegstanz aufführend, das Gewand hochgeschürzt, ein großes Buschmesser schwingend, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Die Weiber brachen eilig grüne Büsche ab, liefen herbei und steckten dem ob dieser Störung etwas Ungeduldigen einen Zweig in seinen Gürtel. Er raste etwa drei Minuten lang umher.

Der Sprecher des mächtigsten Häuptlings aus dem Innern erhob sich hierauf, ein klug dreinschauender alter Mann, schmächtig, mit intelligentem Gesicht. Vom Leiter der Verhandlungen sich das Tschimpapa entlehnend, begrüßte er im Namen seiner Partei in derselben umständlichen Weise wie jener die Versammlung und [631] hielt dann eine lange Ansprache, zuweilen in einen eigenthümlich singenden Ton verfallend. Schweigend hörte man ihn an.

Ihm folgte schnell ein Anderer, wieder mit dem Kriegstanze; vom weiblichen Geschlechte ebenfalls sorglich mit grünen Reisern geschmückt, leistete er das Beste, was ich je und nicht nur unter Naturvölkern gesehen. Er war ein junger Neger aus dem Binnenlande Tschintschotschos, der wohl die dunkle Haut, jedoch nur sehr wenig vom Gesichts-Typus seiner Race besaß, prachtvoll schlank gewachsen, geschmeidig wie eine Schlange, behend wie eine Katze. Seine Bewegungen waren im höchsten Grade dramatisch, von furchtbarer Wildheit; die Augen verdrehend, die Zunge aus dem offenen Munde bleckend, gab er seinem Gesichte einen wahrhaft abschreckenden Ausdruck, der etwas Medusenhaftes hatte, an gewaltsamen Tod erinnerte, doch trotz seiner Gräßlichkeit nicht gemein häßlich war. Ein großes Säbelmesser schwingend, tobte er umher, daß der Staub aufwirbelte; vor und zurück laufend, haltend, sich drehend, dabei wie rasend um sich hauend und stechend, vollführte er in schnellster Folge erstaunliche Sprünge, wie sie nur höchste Kraft und Gewandtheit ermöglichen können. Und als er dann durch die Reihen der Seinigen schritt und sprang, jede Muskel mächtig gespannt, die Waffe in der Linken, den rechten Arm mit zwingender Geberde ausstreckend, auf jeden Einzelnen zeigend, gleichsam fragend: Ist Der, Der, Jener schuldig? und drohend: Er wird gefunden, er muß sterben – da erreichte er eine überwältigende Wirkung. Bei dieser Macht des Ausdruckes mußte jeder sich schuldig Dünkende von Furcht befallen werden. Als der Mann seinen Platz wieder einnahm, erschien er seltsamer Weise nicht im Geringsten erregt und athmete durchaus nicht auffallend schneller.

Jede Abtheilung ließ nun von einem der Ihrigen den Kriegstanz wiederholen; stets waren es die stattlichsten jungen Männer von den Anwesenden, aber Erfolge wie Jener erzielte Keiner wieder. Besonders charakteristisch und wirksam wurden alle Kriegstänze insofern noch, als die jeweilige Partei während der Dauer der Pantomime mit aller Kraft ihrer Lungen das Kriegsgeschrei anstimmte, ein dröhnendes, fast schmetterndes Gellen, welches noch schallender gemacht wurde dadurch, daß Jeder der Mitwirkenden mit der flachen Hand schnell abwechselnd sich vor den geöffneten Mund schlug und auf diese Weise ein erschütterndes Tremoliren, erzielte. Der Lärm, den die starke Schaar von Muboma’s Leuten erzeugte, war geradezu betäubend.

Als der Tanz die Reihe umgegangen war, gebot der Obmann Ruhe; ein neuer Sprecher entnahm von ihm das Tschimpapa, vollzog wiederum in umständlicher Weise alle Ceremonien der Begrüßung und führte dann die Berathung fort. Inzwischen näherte sich aus dem Zuschauerkreis ein wohlgekleidetes junges Weib, rief ein paar Worte in die Versammlung, welche zusagend und einstimmig antwortete, und trat dann, ihre Gewänder zusammenraffend, leichten Schrittes in die Mitte des Vierecks. Prinzessinnen besitzen allerdings in Loango von jeher das Vorrecht, bei Berathungen der Männer mit Sitz und Stimme sich zu betheiligen, doch die so überraschend sich hier Einmischende hatte nicht einen so hohen Rang; sie war die Tochter eines einfachen Dorfchefs der Umgegend. Nach kurzer wohlbetonter und mit schönen Gesten begleiteter Ansprache ließ dieselbe ihr weites togaähnliches Obergewand zur Erde fallen, schritt zu einigen der Häuptlinge, beugte sich unter Beifallsgeschrei der Versammelten und der Zuschauer zu diesen nieder und schob einem Jeden schnell ihren rechten Arm unter seinen linken, dann den linken unter seinen rechten, nahm ihr Tuch vom Boden auf und verschwand. Mit solcher Ceremonie gab sie diesen vor allem Volke ein Zeichen höchsten Vertrauens und höchster Ehre, gewissermaßen in feierlicher Weise einen Bund bekräftigend. Mehrere andere junge und alte Frauen, darunter auch einige nach altem Brauche an ihrer vernachlässigten Toilette kenntliche Wittwen des Muboma, drangen nach jener, ohne erst anzufragen, ebenfalls in den Mittelraum; Einige krochen sogar wie Schlangen am Boden. Alle jammerten und schrieen, hoben die Hände empor, begrüßten verschiedene Würdenträger und zogen sich dann zurück.

Nach diesem eigenartigen Intermezzo lockerte sich die Ordnung in der Versammlung. Die Männer, gleichsam zu wilderen Anstrengungen vom weiblichen Geschlechte begeistert, begannen in gehobener Stimmung wieder ihre Kriegstänze in rascherer Folge. Hatte Einer kurze Zeit getobt, so lief ein Anderer herbei, kroch ihm geschickt zwischen den Beinen hindurch, von vorn nach hinten und wieder zurück, nahm ihm die Waffe aus der Hand und führte den Tanz weiter, bis ein Dritter ihn in gleicher Weise ablöste – und so fort. Der Staub wirbelte auf in der Arena; das Kriegsgeschrei hallte ununterbrochen; selbst Knaben fielen mit ein, während die umgebende Menge näher drängte.

Endlich trat wieder Ruhe und Ordnung ein. Noch einige Zeit führten verschiedene Sprecher, wie gewöhnlich, in ernster Weise die Berathung weiter. Die Angeklagten, die schon früher allgemein Beschuldigten von hohem und niederem Range, waren sämmtlich zugegen, saßen sogar größtentheils mit in den Reihen der Berathenden. Keiner derselben bekannte sich natürlich als böser Zauberer, denn dann wäre er sofort von dem abergläubischen und rachedürstenden Volke niedergeschlagen und verbrannt worden; jeder derselben zeigte sich jedoch bereit, seine Unschuld im Ordal durch Nehmen der Giftrinde zu erweisen. Die Verhandlungen wurden in Folge dessen außerordentlich vereinfacht, die politische Intrigue in den Hintergrund geschoben; über die Wahl eines einstweiligen Vertreters des verstorbenen Oberrichters vermochte man sich nicht zu einigen. Der erste Sprecher und Leiter des Palavers, der Oberst des Muboma, hielt nun unter allgemeinem Schweigen eine letzte Rede und vollführte darauf einen kurzen eigenthümlichen Reigen, einen sehr maßvollen feierlichen Kriegstanz. Dann begab er sich zu den anwesenden Parteien. Er trat dicht vor den höchsten Vertreter einer jeden; dieser legte seine rechte Hand an den Knöchel des vorgeschobenen rechten Beines des Sprechers und blickte sitzend zu dem vor ihm Stehenden auf, der ihm leise murmelnd das Tschimpapa mit leicht ausgestrecktem Arme horizontal frei über den Kopf hielt. Mit dieser letzten feierlichen Ceremonie, die ringsum in tiefstem Schweigen ausgeführt wurde, waren alle Parteien vorläufig bis zum nächsten Palaver zum vollsten Landfrieden gebunden, und das Parlament wurde endlich für geschlossen erklärt.

Die Zuschauer mischten sich unter die Deputirten. Die Kriegerschaar, welche Muboma’s Leute bildeten, erhob sich wie auf Commando und zog, die Führer voran, in langer Einzelreihe nach einem anderen Platze des Dorfes, um in einiger Entfernung unter sich weiter zu berathen. Wir hielten es nun auch an der Zeit aufzubrechen. Mit manchen wohlbekannten Eingeborenen noch Grüße austauschend, begaben wir uns auf den Heimweg zur Station.

Nicht lange währte es, und wir hörten wieder die Töne der Mpundschi; die versammelt Gewesenen gingen nach allen Seiten aus einander. Verschiedene Häuptlinge statteten uns mit ihrem Gefolge noch einen Ehrenbesuch ab und wurden mit einem Trunke gebrannten Wassers für ihren Rückmarsch gestärkt – eine unvermeidliche Höflichkeit der Küste, der sich der Europäer nicht wohl entziehen kann, wenn er mit den Landesbewohnern in freundschaftlichem Verkehre bleiben will.

Wie so häufig in Afrika und anderswo, war im Parlamente an diesem Tage nicht eigentlich Besonderes gethan und erzielt worden. Jeder hatte hauptsächlich seine persönlichen Anschauungen vorgetragen und seine weiter reichenden Wünsche nach Möglichkeit zu verbergen gesucht, obgleich dieselben im Grunde genommen ein öffentliches Geheimniß waren. Nur das Eine war unleugbar: die Küsten-Coalition hatte in ihrer festen Geschlossenheit einen moralischen Sieg errungen, der Partei aus dem Innern imponirt und ihr deutlich gezeigt, daß Herrschaftsgelüste sich vorläufig nicht verwirklichen ließen. Die ganze Angelegenheit wurde in Folge dessen auf die lange Bank geschoben und hörte endlich auf die Gemüther zu beschäftigen.

Die der Zauberei Beschuldigten verstanden es in ihrer Negerschlauheit vortrefflich, den Tag der Ordalien in eine ungewisse Zukunft zu verlegen; schließlich gerieth auch diese Angelegenheit in den Nebel der Vergessenheit. Die Häuptlinge des Innern beriefen allerdings mehrere Male die Abgeordneten der Provinz nach ihrem Hauptdorfe, doch wurde die Aufforderung von den Küstenleuten gar nicht beachtet, und jene mußten wohl oder übel allein tagen. Einige Versuche, sich in nachdrücklicherer Weise, namentlich in die Fischerei-Gerechtsame am Meere einzumischen, endeten in noch schmählicherer Weise.

So blieb es, so lange die deutsche Expedition in Loango verweilte, und es ist auch bis heute nicht wesentlich anders geworden. Nur den mächtigsten und einflußreichsten Häuptling des Innern, [632] einen riesenhaften und allerdings auch recht muthigen und unerschrockenen Mann, der überall als Unruhstifter und Ränkeschmied bekannt war und uns sowohl wie Anderen manche Noth bereitet hatte, ereilte die Nemesis. Als er, seit unserem Abzug immer übermüthiger geworden, im vorigen Jahre gegen die der ehemaligen deutschen Station benachbarten Factorei, die in ihren Handelsbeziehungen schon viel von ihm zu leiden gehabt hatte, einen Gewaltstreich auszuüben versuchte, wurde er von dem Factoristen vor der Thür seines bedrohten Waarenlagers erschossen. Der Küstenstrich hat keinen Grund über seinen Tod zu trauern.

  1. Die folgende Schilderung wird in dem bei Paul Frohberg in Leipzig erscheinenden Werke der Loango-Expedition nicht enthalten sein.