Ein Streit um die Stunde

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Autor: Hermann Joseph Klein
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Titel: Ein Streit um die Stunde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 27
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein Streit um die Stunde.
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Eine Zeitbetrachtung von Dr. H. J. Klein.


Nach einer Entschließung des Ministers Van den Peereboom soll mit dem 1. Mai des laufenden Jahres bei allen Post-, Eisenbahn-, Telegraphen- und Telephonämtern Belgiens das System der fortlaufenden Zählung der Stunden von 1 bis 24, beginnend mit Mitternacht, eintreten. Damit ist Belgien dem Wunsche der Internationalen Konferenz zur Einführung eines einheitlichen Meridians, welche 1884 zu Washington tagte, nachgekommen, einem Wunsche, welcher im vergangenen Jahre auf dem Eisenbahn-Kongreß zu London abermals ausgesprochen wurde. Fortlaufende Stundenzählung von 1 bis 24 hatten bis jetzt Italien, Canada und Britisch-Indien; die Astronomen befolgen die gleiche Zählungsweise, doch beginnen sie, wie schon der alte Ptolemäus that, den Tag nicht mit der Mitternachtsstunde, sondern mit dem Augenblicke des oberen Meridiandurchganges der Sonne, d. h. des Mittags. Sie werden auch hiervon so leicht nicht abgehen, denn der Umstand, welcher für das bürgerliche Leben den Datumwechsel auf Mitternacht verlegen ließ, nämlich die relative Ruhe im Drange der Arbeit, ist auch für sie maßgebend, da ihre Hauptbeobachtungsthätigkeit in die Nachtstunden fällt.

Bei den Babyloniern, den Syriern und Persern hub der Tag mit Sonnenaufgang an, während bei den Juden, den alten Athenern, den Chinesen und andern Völkern der bürgerliche Tag mit dem Untergange der Sonne begann. Daß diese beiden Zählungsweisen nur in Zeiten der Unwissenheit aufkommen und sich erhalten konnten, ist von selbst klar; weniger deutlich erscheint es dagegen, warum bei der Stundenzählung die Einteilung in 12 resp. 24 Zeitabschnitte üblich ist, während doch unsere ganze Arithmetik sich auf dem Dezimalsystem aufbaut.

Jedenfalls ist jene Einteilung uralt, auch wenn sich der Zeitpunkt ihres Ursprungs nicht mehr nachweisen läßt. Sie stammt wahrscheinlich aus Babylonien und bildet ein Ueberbleibsel uralter, längst verschollener Civilisation, welche sich, Staaten und Nationen überdauernd, bis heute erhalten hat. Wie sind aber, kann man fragen, die alten Babylonier zu der Zahl 12 als Grundeinheit der Stundenteilung gekommen? Diese Frage hat Houzeau, der verstorbene Direktor der Brüsseler Sternwarte, beantwortet. Die alten Babylonier hatten beobachtet, daß im Laufe eines Jahres ungefähr 12 Mondwechsel d. h. Mondumläufe stattfinden. Sie teilten deshalb den Weg der Sonne am Umfang der Himmelssphäre in 12 Teile oder Häuser und in jedem derselben fand sich die Sonne mit dem Monde zusammen. Während der Nacht sah man von diesen Himmelsteilen diejenigen, von denen die Sonne entfernt war, und man merkte sich die hauptsächlichsten Gestirne derselben. Auf diese Weise entstanden längs des Weges der Sonne am Himmel die 12 Konstellationen des Tierkreises. In jeder derselben wurde ein bestimmter Stern als Haupt oder Leiter angesehen, und sein Aufgang bezeichnete den Anfang der entsprechenden Stunde, die durchs Ausrufer verkündigt wurde. Man fand allmählich indessen, daß 12 Abschnitte für die tägliche Periode etwas lange dauern, und teilte schließlich jeden in zwei gleiche Teile, womit man bei der 24stündigen Einteilung angelangt war. In einem aus dem 13. Jahrh. v. Chr. stammenden egyptischen Königsgrabe sieht man an der Decke 12 Sterne eingemeißelt, deren Aufgang über dem Horizont von Theben den Beginn jeder der 12 Nachtstunden von der Abenddämmerung bis zur Morgenröte anzeigt.

Die Zwölfteilung, welche ursprünglich bei den Babyloniern entstanden und von den Egyptern angenommen worden ist, breitete sich später zu den Griechen aus und kam von diesen zu den Römern und in die abendländische Kultur. Allgemeingültigkeit aber hat sie niemals gehabt; die Chinesen huldigten dem Dezimalsystem, andere asiatische Völker teilten den Tag in 60, die alten Mexikaner dagegen in 8 Teile.

Die alte Einteilung des Tages in zweimal 12 Stunden hängt aufs innigste mit der Art und Weise zusammen, wie die Stunde ermittelt wurde, ehe es mechanische Uhren gab. Der Himmel war damals das einzige Zifferblatt, welches man ablesen konnte. Dieses geschah, wie schon bemerkt, bei Nacht durch Wächter, welche die Stunde ausriefen, sobald der betreffende Stern über den Horizont stieg. Bei Tage aber konnte man die Sterne nicht sehen, statt ihrer beobachtete man deshalb die Bewegung des Schattens an der Sonnenuhr. Die Erfindung der letzteren reicht nämlich ebenfalls bis ins höchste Altertum zurück und ist wahrscheinlich den Babyloniern zuzuschreiben. Jedenfalls waren Sonnenuhren schon den Juden im 8. Jahrhundert v. Chr. bekannt. Die Stundenbestimmung bei Nacht und bei Tage geschah also in jener ältesten Zeit auf ganz verschiedene Art und man zählte deshalb zuletzt die Tagesstunden für sich und ebenso die Nachtstunden, jene begannen mit dem Aufgang der Sonne, diese mit ihrem Untergang. Das ist der Ursprung der doppelten Stundenzählung des Tages, und unsere heutigen Uhren tragen in ihrer Bezifferung noch gegenwärtig die Erinnerung an jene Urzeit der menschlichen Civilisation. Ob diese durch ihr Alter ehrwürdige Einteilung mehr Vorzüge als Nachteile gegenüber der durchlaufenden Stundenzählung von 1 bis 24 hat, ist eine Frage, die sich verschieden beantworten läßt. Houzeau und andere meinen, das Publikum werde sich leicht an die durchlaufende Zählung der Stunden gewöhnen, wenn solche einmal eingeführt wurde, genau so wie die Bewohner von Worsley bei Manchester seit jeher daran gewöhnt sind, ihre öffentliche Uhr um 1 Uhr nachmittags 13 mal schlagen zu hören. Fragt man, sagt er, weshalb wir heute noch im Verlauf eines Tages die Stunden zweimal bis 12 zählen, so kann man darauf keine andere Antwort finden als die: weil man während 4000 Jahren so gezählt hat, wie wir heute zählen.

Gewiß ist die durchlaufende Zählung der Stunden von 1 bis 24 einfacher und im ganzen auch bestimmter als die Zählung von 1 bis 12 mit Unterscheidung von Vor- und Nachmittag, allein ob es sich deshalb empfiehlt, dem Beispiele Italiens etc. und nun auch Belgiens zu folgen, ist nicht so leicht zu entscheiden. Es lassen sich in dieser Beziehung viel Momente für und gegen diese Neuerung anführen, darunter vor allem die Thatsache, daß bei solcher Neuordnung das Duodezimalsystem dennoch statt des sonst allgemein eingeführten Dezimalsystems beibehalten würde. Wollte man aber, was nur konsequent wäre, den Tag nach dem Dezimalsystem einteilen, wie in der That von verschiedenen Seiten vorgeschlagen worden ist, so würde man damit einen wahren Rattenkönig von notwendig werdenden anderweitigen Veränderungen heraufbeschwören. Man müßte dann nämlich auch die Kreisteilung ändern, was wiederum zur Folge haben würde, daß das Gradnetz am Himmel und auf der Erdkugel eine entsprechende Umgestaltung erlitte, die trigonometrischen Tafeln müßten umgerechnet werden und schließlich würden die Anhänger der strengen Konsequenz sich selbstverständlich an die Monatseinteilung des Jahres wagen und die Dezimaleinteilung auch für das Jahr verlangen. Ein greifbarer Nutzen ist aber aus solchen weitschweifigen Aenderungen doch nicht zu ersehen, und zuletzt könnte man nur sagen, daß diese radikalen Umwälzungen notwendig erschienen, weil man dem Publikum eingeredet hatte, es sei überaus unbequem und höchst lästig, der Angabe der Tagesstunden zuweilen das Wort „vormittags“ oder das Wort „nachmittags“ beifügen zu müssen. Denn mit der Zähl- und Rechnungsweise der Fachleute hat das große Publikum ja nichts zu thun. Sonach scheint es am besten, wenn wir zunächst bei der alten Stundeneinteilung des Tages verbleiben.