Ein Verdrängter

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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Ein Verdrängter
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aus: Die Gartenlaube, Heft 13, S. 212–215
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[212]
Ein Verdrängter.
Von Brehm.

In der sogenannten guten alten Zeit, welche außer Pfaffen und Rückschrittlern andrer Art nur Jäger und Naturforscher zu loben ein Recht haben, führte ein niedliches Raubthier in unserer norddeutschen Ebene möglichst versteckt und verborgen ein gemüthliches Stillleben. Noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts gab es hier in diesem Theile unseres Vaterlandes überall ausgedehnte und unzugängliche Brüche und Sümpfe, insbesondere in der Nähe der Flüsse, oder als Fortsetzung der heut zu Tage sehr beschränkten, auf ihren tiefsten Stand gebrachten Seen. Wo aber innerhalb des gemäßigten Gürtels derartige reich bewachsene Wasserflächen vorkommen, entfaltet sich stets ein reiches Thierleben; denn „die erstgeborenen Brüder des Menschen“ fühlen sich unbedingt da am glücklichsten, wo der Gebieter der Erde „nicht hinkommt mit seiner Qual“. Wenn wir alte Jagdbücher und Jagdregister durchblättern oder den ersten Vogelkundigen Deutschlands, des berühmten Naumann’s scharf beobachtenden Vater, in den ungeheuren Sumpf begleiten, welcher sich in Folge der drei Mißjahre 1770 bis 1772 im Anhaltischen gebildet hatte und in welchem der eifrige Beobachter ausharrte, bis ihm die Wasserstiefeln von den Füßen faulten, und das durch Sumpfkräuter von ihm selbst lange bekämpfte Fieber endlich übermächtig wurde, beschleicht uns, die wir der Göttin Diana huldigen oder uns mit Naturbeobachtungen befassen, ein wehmüthiges Gefühl ob unserer jetzigen Armuth. Wo sind sie hingezogen, alle die geflügelten Schaaren, welche damals

[213]

Ein Liebling der Pelzhändler.
Nach der Natur gezeichnet von Emil Schmidt.

[214] derartige Gebiete regelmäßig bewohnten und belebten? Wo sind auch sie hingekommen, die laufenden, schleichenden und lauernden Räuber, die Ure, Wiesents, Elche, Hirsche, welche damals dem zünftigen Waidmann noch vor das Rohr kamen? Wohl wandert vom Süden her ein hübscher Singvogel, der Girlitz, langsam ein in diese Ebene, wohl verbreitet sich mit den Landstraßen die Haubenlerche über Strecken, in welchen sie früher fehlte, wohl hat sich auch eine hochnordische Drossel, der Krammetsvogel, bei uns seßhaft gemacht: sie aber und die wenigen anderen, welche seit einem Menschenalter und darüber bei uns erschienen sind, können jene doch unmöglich ersetzen.

Zu denjenigen Säugethieren, welche durch die mit immer steigender Sorgfalt gehandhabte Ausnutzung des Bodens verdrängt und fast ausgerottet wurden, gehört auch ein dem Namen nach allbekannter, in seinem Treiben und Wesen jedoch noch sehr wenig erforschter Marder, in beschränktem Sinne ein Mittelglied zwischen Iltis und Fischotter, der Nörz oder Nerz, Fisch- oder Krebsotter, Wasserwiesel, Menk oder Wassermenk (Vison lutresola). Bekannt ist dieses Thier deshalb, weil laut Heinrich Lomer noch alljährlich im europäischen Rußland fünfundzwanzigtausend Felle im Gesammtwerthe von sechszigtausend Thalern, von seinem Verwandten im nördlichen Amerika, dem Mink (V. americanus), dagegen zweihunderttausend Felle im Gesammtwerthe von sechshundertvierzigtausend Thalern erbeutet und auf den Markt gebracht werden zur Freude Aller, welche schönhaariges, leichtes und doch wärmendes Pelzwerk lieben. In den mit großer Sorgfalt geführten Verzeichnissen und Listen des vorher genannten Rauchwaarengroßhändlers wird der Nörz nur noch für die beiden angegebenen Gegenden erwähnt, unser nördliches Deutschland dagegen gänzlich unerwähnt gelassen, und in der That, die wenigen Nörzfelle, welche von hier aus auf den Markt kommen, sind kaum der Erwähnung werth. Doch ist die Befürchtung der Jäger und Naturforscher, daß das theilnahmswerthe Thier bereits gänzlich ausgerottet sei, glücklicherweise noch unbegründet: der Nörz gehört noch heutigen Tages zu den deutschen Säugethieren, wird noch heutigen Tages in einzelnen Stücken gefangen und mag uns noch einige Jahrzehnte erhalten bleiben.

Letztere Behauptung und Versicherung hörte ich vor einigen Jahren zu meiner größten Verwunderung von zwei kundigen Leuten aussprechen, und bald darauf sandte mir der eine, Förster Claudius zu Behlendorf im Lauenburgischen, einen Nörz im Balge und Fleische zur Bekräftigung seiner Versicherung ein. Selbstverständlich erwachte in mir der Sammelgeist wie selten vorher; doch handelte es sich für mich nicht um Felle, sondern in erster Reihe um das lebende Thier selbst, in zweiter um Sammlung aller glaubwürdigen Nachrichten, welcher über Aufenthalt, Lebensweise und Gebühren zu erlangen sein möchten. Und so erfuhr ich denn, daß der Nörz in mehreren Brüchen und an mehreren Seen Mecklenburgs, Lauenburgs und Holsteins, überall zwar selten, aber doch noch regelmäßig vorkommt und alljährlich gefangen wird, in dem einen Jahre in größerer, in dem andern in geringerer Anzahl. Zu diesen Gewässern gehört vor Allem der Schweriner See und der etwa zwei Meilen lange Abfluß des Ratzeburgsees in die Trave bei Lübeck, die Wakenitz genannt. Letztere dürfte, laut Claudius, als diejenige Deutlichkeit zu bezeichnen sein, welche, so lange die Verhältnisse sich nicht ändern, noch einige Aussicht auf Erhaltung des Thieres zu bieten scheint. Es ist ein fast durchgängig von flachen Ufern begrenzter Wasserlauf ohne merkbaren Strom, da der Wasserspiegel unweit der Stadt Lübeck, welche aus der Wakenitz zum größten Theil ihren Wasserbedarf bezieht, künstlich aufgestaut wird. In Folge dessen sind die Ufer auf große Strecken gänzlich versumpft, mit Schilf und Erlenstöcken bestanden und, so sehr auch wirtschaftliche und gesundheitliche Rücksichten dafür sprechen würden, Verengerung der Ufer oder Trockenlegung derselben aus dem angegebenen Grunde unmöglich gemacht.

„Daß der Nörz hier vorkommt,“ schreibt mir Claudius, „erfuhr ich durch einen meiner Forstarbeiter, welcher hier mehrere Jahre als Fischerknecht gedient und seiner Zeit der Sumpf- oder Fischotterjagd obgelegen hatte. Durch seine Hülfe wurde es mir bald möglich, an Ort und Stelle mich durch eigenen Augenschein von der Richtigkeit seiner Angaben zu überzeugen und mir etwaige Gefangene zu sichern. Wie günstig die Oertlichkeit für das Thier hier ist, wurde mir auf den ersten Blick klar; der Nörz genießt hier während des größten Theiles vom Jahre die ungestörteste Ruhe, und selbst der Winter, welcher ihm am meisten gefährlich wird, tritt oft so milde auf, daß die Fischer, welche längs der Ufer in einzeln liegenden Gehöften wohnen, große Strecken des Bruches gar nicht betreten können. Dazu kommt, daß das immer nur vereinzelt auftretende Thier nur dann die Beachtung der Umwohner erregt, wenn es durch wiederholte Mausereien lästig fällt. Die gefangenem Fische werden hier nicht in geschlossenen Hältern, sondern in offenen Weidenkörben auf kleinen, zum Theil künstlich angelegten Inselchen in der Nähe der Wohnungen aufbewahrt. Eine so leicht zu erlangende Beute verschmäht der Nörz natürlich nicht, und wenn man ihm auch wohl den einen oder andern Fisch gönnen möchte, so kann man ihm doch den Schaden nicht verzeihen, welchen er dadurch verursacht, daß er lieber die oft daumdicken Weidenruthen durchschneidet, als über den Rand des offenen Korbes klettert, wie der Iltis in solchen Fällen unbedenklich thut. Wahrnehmung dieser Eigenheit des Thieres führt in der Regel zu seinem Verderben, obgleich die Fanganstalten, welche die Fischer treffen, mit einer Sorglosigkeit zugerichtet werden, daß sie mich lachen gemacht haben würden, hätte ich mich nicht mehrfach von ihrem guten Erfolge zu überzeugen Gelegenheit gehabt. Man streut nämlich auf diesen sogenannten Werdern, am liebsten beim ersten starken Froste, wenn der Nörz anfängt, Noth zu leiden, einige Fische aus, legt ein Paar gute Ratteneisen, verblendet sie nothdürftig und befestigt sie wie bei dem Otter, so daß der Fang mit dem Eisen das Wasser erreichen kann. Auf die Ausstiege nimmt man keine Rücksicht, nicht einmal auf die Fährten; die Bequemlichkeit des Fängers allein scheint maßgebend zu sein. Daß der Räuber dessenungeachtet in den meisten Fällen bald gefangen wird, spricht wenig für seine Vorsicht, so menschenscheu er sonst auch ist.“

Aehnliches erfuhr ich von anderen Leuten, dabei auch, daß ab und zu ein Jagdhund den Nörz trotz seiner Gewandtheit im Sumpfe oder selbst im Wasser greift.

Es vergingen Jahre, bevor Claudius und durch ihn ich zu dem erwünschten Ziele gelangten, obwohl ein nicht unansehnlicher Preis für den ersten lebenden Nörz, welcher mir gebracht werden würde, ausgesetzt worden war. Erst Anfangs des Jahres 1868 erhielt ich von meinem eifrigen Freunde eine freudige Nachricht. „Endlich ist es mir gelungen,“ schreibt er, „in den Besitz eines lebenden Nörzes aus der Umgegend Lübecks zu gelangen. Das Thier, ein mittelstarkes Weibchen, ist mit dem Hinterlaufe auf einem Eisen gefangen, befindet sich jedoch bei Milch und frischer Fleischkost so wohl, daß ich bei seiner ruhigen Gemüthsart alle Hoffnung habe, den durch das Eisen verursachten Schaden bald ausgeheilt zu sehen. Er ist bei weitem gutartiger als seine Gattungsverwandten, und zürnt nur, wenn er geradezu gereizt wird. Sonst zieht er es vor, mich nicht zu beachten, läßt sich auch wohl mit einem Stöckchen den Balg streichen. Er liegt den ganzen Tag auf der einen Seite des Käfigs zusammengerollt auf seinem Heulager, während er auf der andern Seite regelmäßig in der äußersten Ecke sich löst und näßt. Nachts spaziert er in seiner ziemlich geräumigen Wohnung umher, hat sich auch verschiedene Male gewaltsam daraus entfernt; aber nur das erste Mal traf ich ihn Morgens außerhalb desselben in einem Winkel der Stube verborgen, worauf er sofort in den vorgehaltenen lästig wieder einlief. Später fand ich ihn, wenn er sich des Nachts befreit hatte, am Morgen regelmäßig wieder auf seinem Lager, als wenn er in seinen nächtlichen Wanderungen mehr eine Erheiterung als Befreiung aus seiner Haft suche.“

In einem zweiten Briefe erfuhr ich, daß der Nörz inzwischen sehr zahm geworden war, sich von seinem Pfleger widerstandslos greifen ließ, gegen Liebkosung sich empfänglich zeigte, kurz, sich mit seinem Loose vollständig ausgesöhnt hatte.

Claudius hatte die Güte, das seltene Thier bis zur Vollendung des betreffenden Käfigs im Berliner Aquarium, bekanntlich einem Vivarium im weitern Sinne, aufzubewahren und zu pflegen. Eines schönen Morgens endlich gelangte die von mir sehnlichst erwartete, durchlöcherte Kiste mit dem Vermerk „lebende Thiere, sofort zu bestellen“ in meine Hände. Jeder Thierfreund unter den Angestellten des Aquariums war selbstverständlich sofort zur Stelle und namentlich mein Futtermeister Seidel zeigte fast dieselbe Ungeduld wie ich, so lange die Kiste noch verschlossen war. Sie wurde geöffnet und – in einem duftigen, in der Mitte sanft eingedrückten und geglätteten Heuhaufen lag zusammengeringelt [215] das durch die Reise im höchsten Grade erbitterte Thier in möglichst schlechter Laune.

Ich will ehrlich sein und bekennen, daß in mir zuweilen ein sehr ungerechtfertigter und unverzeihlicher Verdacht aufgestiegen war, Freund Claudius möge sich doch geirrt und einen dunkeln Iltis für den Nörz angesehen haben, wie es so manch Anderem vor ihm geschehen war. Der erste Blick auf das angekommene Thier belehrte mich jedoch eines Besseren. Das war kein Iltis, wohl aber ein sehr naher Verwandter desselben und keineswegs ein richtiges Mittelglied zwischen Iltis und Fischotter, wie man bisher angenommen, sondern bis auf die an die Fischotterpranken erinnernden Tatzen vollständig Iltis. Eine Eigenschaft unseres Thieres fiel uns übrigens augenblicklich noch auf: es verbreitete nicht den geringsten Geruch, wie es ein Iltis, das Stinkthier Europas, unter ähnlichen Umständen unbedingt gethan haben würde.

Der neue Ankömmling, welcher ein ärgerliches Knurren und Zwitschern vernehmen ließ, sich überhaupt sehr unwirsch geberdete, wurde nunmehr mit gebührender Sorgfalt in den für ihn bestimmten Käfig gebracht, um beobachtet zu werden. Leider muß ich sagen, daß das Ergebniß dieser Beobachtungen meinen Erwartungen in keiner Weise entsprach. Doch trifft die Schuld hiervon weniger den Nörz als die Räumlichkeit, in welcher er untergebracht ist. Während des ganzen Tages liegt unser Raubthier zusammengeringelt auf seinem Lager, welches in einem vorn verschließbaren Kästchen angebracht worden ist, und nur selten, nicht einmal immer durch Vorhaltung von Leckerbissen, gelingt es, ihn aufstehen zu machen und hervorzulocken. Erst ziemlich spät am Abend, jedenfalls nicht vor Sonnenuntergang, verläßt er das Lager und treibt sich nun in dem leider recht engen Raum seines Käfigs umher. Diese Lebensweise beobachtet er einen und alle Tage, im Sommer wie im Winter, und daraus erklärt sich mir zur Genüge die allgemeine Unkenntniß über sein Freileben. Den Edelmarder kann man im Walde unter Umständen aufspüren und gewaltsam aus seinem Versteck heraustreiben, im Sommer auch wohl mit seinen Jungen spielen oder der Eichhornjagd obliegen sehen; der Steinmarder und Iltis lassen sich als Bewohner alter oder doch stiller Gebäude mindestens in hellen Mondnächten beobachten, und der Fischotter wählt sich, wenn er sich zeigt, die breite Wasserstraße; wer aber vermag im Dunkel der Nacht dem Nörz in seinem eigentlichen Heimgebiete, dem Bruche oder Sumpfe, zu folgen? In seinen Bewegungen steht das Thier, soweit man von dem im engen Raume untergebrachten Gefangenen urtheilen kann, dem Iltis am nächsten. Er besitzt alle Gewandtheit der Marder, nur nicht die Kletterfertigkeit der hervorragendsten Glieder dieser Familie und ebensowenig die Bewegungslust oder Freudigkeit derselben. Man möchte sagen, daß er keinen Schritt unnütz thue.

Ein Edel- oder Baummarder vergnügt sich im Käfige zuweilen stundenlang mit absonderlichen Sprüngen, indem er gegen die eine Wand seines Käfigs setzt, zurückschnellend sich überschlägt, in der Mitte des Raumes auf den Boden springt, nach der andern Wand sich wendet und hier wie an jener verfährt, kurz die Figur einer Acht beschreibt, und zwar mit solcher Schnelligkeit, daß man vermeint, diese Zahl durch den Leib des Thieres gebildet zu sehen. Auf solche Spielereien läßt sich, soweit meine Beobachtungen reichen, der Nörz niemals ein. Trippelnden Ganges schießt er mehr, als er geht, seines Weges dahin, gleitet rasch und behend über alle Unebenheiten weg, hält sich aber immer auf dem Boden und strebt nie nach der Höhe. In das Wasser geht er aus freien Stücken nicht, sondern nur, wenn er muß, insbesondere, wenn ihm eine Beute dort winkt. Bei allen Bewegungen ist das sehr klug aussehende Köpfchen nicht einen Augenblick lang ruhig; die scharfen Augen durchmustern ohne Unterlaß den ganzen Raum, und die kleinen Ohren spitzen sich soweit als möglich, um das wahrzunehmen, was jenen entgehen könnte. Reicht man ihm jetzt eine lebende Beute, so ist er augenblicklich zur Stelle, faßt das Opfer mit vollster Mardergewandtheit, beißt es mit ein paar raschen Bissen todt und schleppt es in seine Höhle. Schmidt beobachtete, daß er Frösche an den Hinterschenkeln packte und diese zunächst durchbiß, um den Lurch zu lähmen; ich habe stets gesehen, daß er sie wie alle übrigen ihm vorgehaltenen Thiere am Kopfe packte und diesen so schleunig als möglich zermalmte. Hat er mehr Nahrung, als er zunächst bedarf, so schleppt er ein Stück nach dem andern nach seiner Höhle, frißt jedoch in der Regel von dem ersten eilfertig ein wenig und wirft es erst dann zur Seite, wenn ein anderes lebendiges Thier seine Mordlust wieder erregt. Fische und Frösche scheinen ihm die liebste Beute zu sein, obgleich Claudius meinte, daß er Fleischkost allem Uebrigen vorziehe und Fische nur dann verzehre, wenn er kein Fleisch bekommt. Soviel ist ganz richtig, daß er Fische liegen läßt, wenn ihm eine lebende Maus, ein Vogel oder Lurch gereicht wird; es reizt ihn dann das Bewegen seiner Beute, und er beeilt sich gleichsam seine Fertigkeit im Fangen und Abwürgen zu zeigen. Hat er aber seine Opfer getödtet und reicht man ihm dann einen Fisch, so pflegt er letzteren zuerst zu sich zu nehmen.

So geschieht es bei uns, vielleicht blos deshalb, weil Fische seine regelmäßige Nahrung bilden und er sich mehr an diese als an Fleisch von warmblütigen Thieren oder Lurchen gewöhnt hat. Denn daß Gewöhnung bei der Auswahl seiner Speisen ebenfalls das Seinige thut, beweisen Schmidt’s Beobachtungen an einem andern Gefangenen, welcher Krebse ohne Weiteres packte und sich nicht einmal dadurch stören ließ, daß ihn eins oder das andere dieser Thiere mit den Scheeren wacker zwickte, während unser Gefangener bis jetzt alle Krebse hartnäckig verschmäht hat, gleichviel, ob ihm dieselben lebendig oder todt, mit dem Panzer oder ohne diesen gereicht wurden. Claudius schrieb mir, daß er sich um einen Krebs, womit ihm sein Gebieter einen besonderen Gefallen zu thun glaubte, nicht im Geringsten kümmerte, sich vielmehr durch den täppischen Gesellen so belästigt fühlte, daß er ausbrach. „Jetzt,“ sagt mein Gewährsmann, „tödtete ich den Krebs; aber auch so schenkte er ihm keine Beachtung, und dies änderte sich auch dann nicht, als ich das Brustschild abgelöst und das Fleisch bloßgelegt hatte, obgleich er inzwischen keine andere Nahrung erhielt. Von einer Maus verzehrte er nur den Kopf, eine lebendige, welche ich Nachts zu ihm that, ließ er gewähren, ohne sich ihretwegen vom Lager zu erheben.“ So gleichgültig gegen lebende Säugethiere und Mäuse hat er sich bei mir nicht gezeigt, sein Benehmen gegen einen Krebs ist aber auch jetzt noch dasselbe geblieben.

Schmidt erwähnt, daß sein Gefangener Eier sehr wohl zu verwerthen wisse und deren Inhalt gern auslecke; unserem Nörz haben wir Eier wiederholt vergeblich vorgesetzt, er hat sich nicht um sie bekümmert. Demungeachtet glaube ich gern, daß er im Freileben so gut wie andere Marder auch ein Vogelnest ausnehmen und seines Inhalts berauben wird, wie er denn auch wohl gelegentlich auf das eine oder andere Kerbthier Jagd machen dürfte. Jedenfalls möchte ich nicht wagen, von dem einen Gefangenen auf das Betragen aller und am wenigsten auf das Benehmen der freilebenden Thiere dieser Art zu schließen. Besonders auffallend ist es mir, daß unser Gefangener sich so wenig aus dem Wasser macht, ja sogar fast vor demselben zu scheuen scheint. Ein Fischotter bekundet sich auch in der Gefangenschaft als echtes Wasserthier und versucht selbst in dem kleinsten Raume das befreundete Element in irgend einer Weise für sich auszunutzen. Der Nörz denkt hieran nicht, und das Wasser dient ihm eigentlich nur zum Trinken, niemals aber zum Baden oder gar als Tummelplatz. Setzt man ihm dagegen lebende Fische in sein Becken, so stürzt er sich unverzüglich in das Wasser, schwimmt in gerader Linie auf den Fisch zu, ergreift ihn sehr rasch und springt dann sofort mit seiner Beute in dem Maule wieder aus dem Becken heraus, um jenen an der gewohnten Stelle ungestört zu verzehren.

Unser Gefangener hat im Laufe der Zeit seinen Wärter wohl kennen gelernt und ist mit ihm in ein gewisses Verhältniß getreten. Von freundschaftlichen Gefühlen seinerseits zu dem Pfleger habe ich wenig zu berichten; doch trägt hieran, wie schon bemerkt, der Käfig und auch der Pfleger selbst, dem es an Zeit mangelt sich mit ihm genügend abzugeben, die größere Hälfte der Schuld. Als Zimmergenosse würde er wahrscheinlich schon zum niedlichen Schooßthiere geworden sein.