Ein berüchtigtes Duell

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Walther Kabel
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein berüchtigtes Duell
Untertitel:
aus: Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, Jahrgang 1912, Bd. 12, S. 206–212
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Union Deutsche Verlagsgesellschaft
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Stuttgart, Berlin, Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[206]
(Nachdruck verboten.)

Ein berüchtigtes Duell. – Am 12. Februar 1729 morgens wurde Graf Armand v. Pelterelle in dem Schlafzimmer seines in der Nähe von Paris gelegenen Schlosses Horbistal tot aufgefunden. In demselben Gemach war ein halbes Jahr vorher die Gemahlin des Grafen ebenfalls gegen Morgen urplötzlich verschieden, ohne daß man die Todesursache festzustellen vermochte. Als jetzt ihr Gatte unter den gleichen geheimnisvollen Umständen verstarb, wurden Gerüchte laut, beider Tod sei auf verbrecherische Weise herbeigeführt worden.

König Ludwig XV. von Frankreich ließ daraufhin eine strenge Untersuchung durch den zu jener Zeit sehr berühmten Richter Lanteste einleiten. Der allgemeine Verdacht lenkte sich auf einen entfernten Verwandten des Grafen, den Baron v. Longreville, der aus einer verarmten Familie stammte, als Spieler und Raufbold früher in sehr schlechtem Rufe gestanden und erst in letzter Zeit seinen Lebenswandel etwas gebessert hatte. Der Baron weilte, und dieser Umstand belastete ihn hauptsächlich, auffallenderweise beide Male zu kurzem Besuch auf Schloß Horbistal, als den Grafen und die Gräfin in einem Zeitraum von sechs Monaten der Tod ereilte.

Die gegen ihn angestrengte Untersuchung hatte jedoch keinerlei Erfolg. Es wurde durch die Zeugenaussagen der langjährigen Bedienten der gräflichen Familie einwandfrei festgestellt, daß der junge Baron, nebenbei ein außergewöhnlich schöner Mann, sich in keiner Weise während seiner Anwesenheit auf Schloß Horbistal auffällig benommen hatte, und da auch die Sektion der beiden Leichen ergebnislos blieb, mußte das Verfahren gegen Longreville aus Mangel an Beweisen eingestellt werden.

[207] Trotzdem wollte sich die öffentliche Meinung nicht beschwichtigen lassen. Die Stimme des Volkes bezeichnete den Baron nach wie vor als Mörder, und wo er sich in Paris nur sehen ließ, bildete er die Zielscheibe unzweideutiger Bemerkungen, bis er eines Tages einige seiner alten Freunde, die jetzt jede Bekanntschaft mit ihm verleugneten, zum Duell herausforderte. Diese Zweikämpfe, im ganzen waren es fünf, wurden entgegen den damaligen Gebräuchen, die den Stoßdegen als die Kavalierwaffe vorschrieben, mit Pistolen ausgefochten, und zwar auf Verlangen des Forderers, des Barons v. Longreville. Bei diesen Zweikämpfen tötete er zwei seiner Gegner und verwundete die anderen schwer, ohne selbst auch nur einen Streifschuß zu erhalten.

Diesen Ausgang des Massenduells – sämtliche Zweikämpfe fanden an demselben Vormittag statt – nahm das Volk als ein Gottesurteil auf. Der Baron müsse unschuldig sein, da er so vollkommen unbeschädigt den Kugeln seiner Widersacher entgangen sei. Der König zog sogar den jungen Mann an seinen Hof und stellte ihn als Offizier in seiner Leibwache an.

Als Erbin des großen Pelterelleschen Besitzes war die einzige Tochter Etienne des gräflichen Paares, ein junges Mädchen von entzückendem Liebreiz, zurückgeblieben. Ein Jahr nach dem Tode ihrer Eltern nahm ihre Tante sie aus dem Kloster, in dem sie erzogen worden war, und führte sie bei Hofe ein, wo die schöne Etienne bald zur Hofdame der Gemahlin Ludwigs XV. ernannt wurde. Der König fand großes Gefallen an der jungen Gräfin, und zwar so großes, daß sie ihn verschiedentlich sehr nachdrücklich zurückweisen mußte, was zur Folge hatte, daß Ludwigs Leidenschaft sich in finsteren Haß verwandelte.

Um diese Zeit tauchte in Paris ein italienischer Edelmann, der Herzog Gisbert von Treveso, auf, der sich gleich beim ersten Zusammentreffen sterblich in die schöne Hofdame der Königin verliebte. Auch Etienne war der stattliche Herzog bald nicht mehr gleichgültig, und da die Königin Maria diese Herzensneigung offensichtlich begünstigte, sprach man bei Hofe schon allgemein von einer demnächst bevorstehenden Verlobung des [208] an Reichtum, Herkunft und Äußerem so gut füreinander passendes Paares.

Plötzlich trat aber ein neuer Bewerber um die Hand der reichen Erbin auf – ihr Vetter, der Baron v. Longreville. Dieser suchte, da Etienne ihm ihre Abneigung sehr deutlich zu erkennen gab, in heimtückischer Weise seinen bevorzugten Nebenbuhler, den Herzog, bei ihr zu verleumden, hatte hiermit aber wenig Erfolg. Trotzdem stellte er seine hinterlistigen Angriffe gegen den italienischen Edelmann nicht ein, sondern versuchte ihn auf jede nur denkbare Weise in Paris unmöglich zu machen. Eines Nachts wurde der Herzog dann in einer dunklen Gasse von drei Vermummten überfallen und entrann nur durch das zufällige Auftauchen eines Wächtertrupps den Dolchen der Meuchelmörder, die festgenommen wurden, jedoch später auf unerklärliche Weise aus dem Gefängnis entkamen. Nach diesen Ereignissen erzählte man sich überall, und dies nicht nur in den dem Königshause nahestehenden Kreisen, daß kein anderer als Ludwig XV. selbst bei dem Überfall und der nachherigen Befreiung der Attentäter seine Hand im Spiel gehabt habe. Diese Gerüchte kamen natürlich auch den Nächstbeteiligten zu Ohren, worauf der italienische Edelmann der Sache dadurch ein schnelles Ende bereiten wollte, daß er sich mit Etienne öffentlich verlobte.

Die Verlobungsfeier fand im Palaste der Gräfin Monzelle, der Tante Etiennes, unter größter Prachtentfaltung statt. Auch der König erschien dazu und überreichte der jungen Braut ein Diamantgeschmeide als Geschenk. Am nächsten Tage veranstaltete Ludwig[1] XV. ihr zu Ehren sogar ein großes Reiterfest, und bei dieser Gelegenheit wußte der Baron v. Longreville den Herzog derart zu provozieren, daß dieser ihm seine Sekundanten schicken mußte.

Als Ort für den Zweikampf wurde ein dichtes Gehölz in der Nähe von Paris bestimmt. Der Baron hatte wiederum darauf bestanden, daß das Duell mit Pistolen ausgefochten würde, und weiter war verabredet worden, daß die beiden Gegner gleichzeitig aufeinander feuern sollten. Der Herzog, ein vorzüglicher Schütze, sah dem Ausgange des Zweikampfes [209] um so hoffnungsfroher entgegen, als er das gute Recht auf seiner Seite wußte.

Zur festgesetzten Stunde trafen sich die Parteien in dem kleinen Wäldchen. Longrevilles Sekundanten wußten es so einzurichten, daß der Italiener neben ein undurchdringliches Gebüsch gestellt wurde. Auf das Kommando knallten zwei Schüsse. Beide Gegner sanken um. Der Baron hatte einen Streifschuß an der rechten Schulter, der jedoch nicht lebensgefährlich war. Dem Herzog dagegen war eine Kugel mitten durch das Herz gegangen.

Etienne Pelterelle, untröstlich über den Verlust des Geliebten, zog sich nach dessen Beerdigung vorläufig in dasselbe Kloster zurück, wo sie ihre Jugendjahre verlebt hatte. Trotzdem wollte ihr Vetter Longreville die Hoffnung, sie für sich zu erringen, noch nicht aufgeben. Er schrieb ihr heuchlerische Briefe, in denen er sein tiefes Bedauern darüber aussprach, daß seine Kugel eine so verhängnisvolle, von ihm selbst nicht beabsichtigte Richtung genommen hätte. Etienne würdigte ihn keiner Antwort, veranlaßte vielmehr den Pariser Arzt Dr. Duchanelle, den Leichnam des Herzogs, der in einer Gruft beigesetzt war, genau zu untersuchen, die tödliche Kugel aus der Brust herauszunehmen und sie ihr als schmerzlichstes Andenken an den Verlobten zuzusenden. Duchanelle tat, was von ihm verlangt wurde, und als er das verderbliche Bleigeschoß, welches nur ein wenig plattgedrückt war, in der Hand hielt, erstaunte er nicht wenig, da es ihm eine für eine Pistolenkugel ganz außergewöhnliche Größe zu haben schien.

Nachdem er sich die Sache noch einen halben Tag hatte durch den Kopf gehen lassen, begab er sich zu dem ihm befreundeten Richter Lanteste und zeigte diesem die Kugel. Lanteste wollte es gar nicht glauben, daß das Geschoß wirklich aus der Brust des Herzogs von Treveso herausgeschnitten worden sei. Als der Arzt ihm dies jedoch nochmals hoch und heilig versicherte, wurde er sehr ernst und bat Duchanelle, von der ganzen Angelegenheit vorläufig niemand etwas mitzuteilen.

Am 14. Mai 1732 wurde der Baron v. Longreville urplötzlich unter der Beschuldigung verhaftet, den Tod des Herzogs von [210] Treveso auf hinterlistige Weise veranlaßt zu haben. Der Richter Lanteste hatte nämlich festgestellt, daß die für den italienischen Edelmann so verhängnisvolle Bleikugel nicht aus der von dem Baron bei jenem Duell benützten Pistole abgefeuert sein konnte, vielmehr aus einer der damals gerade eingeführten verbesserten Steinschloßflinten mit sechzehneckigem Lauf, wie die Kanten an dem Geschoß noch deutlich zeigten. Ferner hatte, was Duchanelle ebenfalls aufgefallen war, der Schußkanal in der Brust des Herzogs eine so schräge Richtung, daß die Kugel unmöglich von vorne, sondern vielmehr von seitwärts eingedrungen sein mußte. Hieraus ließ sich aber nur der eine Schluß ziehen, daß bei dem Duell nicht Longreville selbst, sondern ein in der Nähe versteckter Meuchelmörder den tödlichen Schuß aus seiner Flinte abgegeben habe.

Die Kunde von dieser sensationellen Verhaftung verbreitete sich mit Blitzesschnelle durch ganz Paris. Als Ludwig XV. davon erfuhr, ließ er sofort den Richter Lanteste, der die Verhaftung befohlen hatte, zu sich rufen und verlangte von ihm die gegen den Baron sprechenden Verdachtsgründe zu hören. Lanteste trug das von ihm gesammelte Belastungsmaterial im Zusammenhange vor, wurde aber von Ludwig sehr ungnädig mit dem Befehl fortgeschickt, Longreville solle sofort wieder freigelassen werden.

Inzwischen aber hatten die Pariser alle jene Einzelheiten erfahren, die zu der Festnahme des Barons geführt hatten, und jedermann billigte aus vollem Herzen das energische Vorgehen des Richters, dessen Gerechtigkeitsgefühl selbst vor einem Günstling und Vertrauten des Herrschers nicht halt machte. Unter diesen Umständen mußte die Freilassung des unter so schwerem Verdacht Stehenden viel böses Blut erregen, zumal der König bei der Bevölkerung der Hauptstadt infolge seiner Verschwendungssucht und seines zügellosen Lebenswandels sehr wenig beliebt war. In den Straßen rotteten sich die Leute zusammen und erörterten mit wenig schmeichelhaften Ausdrücken diese neuesten Geschehnisse, aus denen nur zu klar hervorzugehen schien, daß Ludwig an der frevelhaften Duellkomödie irgendwie beteiligt sein mußte. Außerdem erinnerte man [211] sich jetzt auch wieder jener noch immer nicht aufgeklärten Flucht der drei Banditen, die seinerzeit den Herzog von Treveso nachts überfallen hatten, und denen der König wahrscheinlich ebenfalls bei ihrem Entkommen behilflich gewesen war.

Diese allgemeine Empörung über die Willkür des Monarchen nahm bald so ernste Formen an, daß die Minister bei Ludwig vorstellig wurden und ihm im eigenen Interesse dringend rieten, der Gerechtigkeit freien Lauf zu lassen. So kam es, daß der Baron abermals gefänglich eingezogen wurde.

Zunächst versuchte er alles abzuleugnen. Dann aber legte er ein umfassendes Geständnis ab. Danach war die ganze Duellkomödie von dem Baron und seinen beiden Sekundanten bis ins einzelne vorher genau vorbereitet worden. Ein gewisser Dastorel, ein Soldat der königlichen Leibgarde, bekannt als vorzüglicher Gewehrschütze, wurde in jenem Gebüsch versteckt, neben dem man dem Herzog seinen Standort anwies. Die Sekundanten des Italieners aber, die dem Brauche gemäß in der Nähe des Gegners, des Barons also, Aufstellung nehmen und diesen beobachten mußten, konnten nur hinter zwei ziemlich weit entfernten Eichen Posto fassen, von wo sie in der nebeligen Morgenluft die Vorgänge auf der anderen Seite des Kampfplatzes nicht genau zu überschauen vermochten. Das Kommando zum Feuern gab einer der Sekundanten Longrevilles ab, die wieder umgekehrt in der Nähe des Herzogs in Deckung standen. Auf das verabredete Zeichen feuerten nicht nur die beiden Gegner ihre Pistolen, sondern gleichzeitig auch der in dem Gebüsch versteckte Dastorel seine Flinte ab, und das Echo der drei nur um Bruchteile von Sekunden aufeinander folgenden Schüsse vermischte sich in der Waldlichtung derart, daß die Sekundanten des Herzogs keinerlei Argwohn schöpften.

Als diese Vorgänge zu Protokoll gebracht waren, wurde der Baron weiter gefragt, ob er sich auch schuldig bekenne, damals jenen Überfall auf den Herzog ins Werk gesetzt zu haben. Aus Furcht vor der Folter gab Longreville dies ohne Zögern zu. Er trug schon wieder ein sehr freches Benehmen zur Schau, sicherlich in der Hoffnung, der König würde seine Hinrichtung nicht zulassen, da er dessen Mitwisserschaft bei diesen Schandtaten [212] schlauerweise verschwiegen hatte. Als nun aber der Richter auch noch auf den Tod des Grafen und der Gräfin Pelterelle überging und dieserhalb allerlei Fragen an Longreville richtete, erblaßte dieser immer mehr, und er gab zu Protokoll, daß er die Gräfin und den Grafen tatsächlich vergiftet habe, indem er ihnen abends vergiftete Süßigkeiten reichte, die erst nach Stunden, dann aber absolut tödlich wirkten. Gefragt, wer ihm das Gift geliefert habe, behauptete er, er habe es von einer seiner Reisen aus Venedig mitgebracht. Obgleich dies sehr unglaubwürdig erschien, drang man nicht weiter in ihn.

Einen Monat später fand die öffentliche Gerichtsverhandlung gegen den Baron, seine beiden Sekundanten und den Soldaten der Leibgarde Dastorel statt. Longreville und Dastorel wurden zum Tode durch das Rad, die Sekundanten zum Tode durch den Strang verurteilt. Am Nachmittag des Verhandlungstages, als Longreville eben in seine Zelle zurückgeführt worden war und seine Mahlzeit eingenommen hatte, verfiel er in Krämpfe und starb kurz darauf. Die Volksstimme beschuldigte Ludwig, den ihm unbequemen Mitwisser so vieler gefährlicher Geheimnisse auf diese Weise beseitigt zu haben. Die Hinrichtung der drei anderen Verurteilten fand auf Befehl des Königs schon am nächsten Morgen statt, eine Beschleunigung der Urteilsvollstreckung, die in den Annalen der Justiz nur höchst selten vorgekommen ist. In diesem Falle dürfte sie ebenfalls nur den Zweck gehabt haben, den Mund der Vertrauten Longrevilles möglichst schnell für alle Zeiten stumm zu machen.

Etienne Pelterelle nahm den Schleier und starb 1773 als Oberin des Klosters in Amiens.

W. K.


Errata (Wikisource)

  1. Vorlage: Luwig