Ein internationaler Congreß der Zukunft

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Textdaten
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Autor: E. A. Roßmäßler
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Titel: Ein internationaler Congreß der Zukunft
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 218–219
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Marchand, A.: Über die Entwaldung der Gebirge, 1849, MDZ München
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Ein internationaler Congreß der Zukunft.

Von E. A. Roßmäßler.
– nicht vergessend, daß der größere Theil des Klima’s nicht an dem Orte selbst, wo die Entholzung vorgeht, sondern viele hundert Meilen davon gemacht wird.
Alexander von Humboldt, brieflich den 6. März 1858.

Mehr als Eisenbahnverkehr und Zolleinigung, mehr als Post- und Telegraphenverbindung scheint für die Zukunft das Wasser berufen zu sein, die internationale Freundnachbarlichkeit der Staatsverwaltungen über weite Grenzen hin auszudehnen und zu einem Schutz- und Trutzbündniß gegen die größten Gefahren zu gestalten.

Der Wald wird dabei die Vermittler-Rolle übernehmen.

Es ist mindestens eine auffallende Erscheinung zu nennen, daß bereits seit Jahrzehenden in mehr oder weniger ausgeführter Weise auf den klimabedingenden Einfluß der Waldungen hingewiesen wird, unter Anführung der erschreckendsten Beispiele von den Folgen der Entwaldung, und daß dennoch diese Frage, unseres Wissens wenigstens, noch von keiner Seite praktisch zu einer internationalen erhoben worden ist.

Man spricht von Privat-, Gemeinde- und Staats-Waldbesitz, aber von internationalem spricht man nicht, d. h. von solchem, an welchem nicht blos diejenige Nation oder derjenige Staat ein Eigenthumsrecht hat, auf dessen Gebiete er liegt, sondern an dem auch andere, und zwar nicht immer blos die unmittelbar benachbarten, Staaten ein klimatisches Nutznießungsrecht geltend zu machen haben, oder wenigstens geltend machen sollten.

Der Wald hat das Unglück, von aller Welt geliebt und dabei von aller Welt verkannt zu werden. Von der poetischen Waldliebe an, zu der sich Jedermann bekennt, bis zu der staatsweisen Waldbewirthschaftung treffen doch weder diese beiden Endpunkte, noch eine der zahlreichen dazwischenliegenden Abstufungen das Wahre, den Kernpunkt in der Beurtheilung des Werthes der Waldungen. Diese Behauptung wird nicht widerlegt durch die Tausende, denn Viele sind deren allerdings bereits, welche den Schwerpunkt des Waldes an die richtige Stelle legen: in seine klimatische Bedeutung. Einzelne, und wären ihrer Hunderttausende, zählen nicht, so lange die Ueberzeugung von dieser Bedeutung des Waldes die Regierungen nicht durchdrungen, und mehr noch, so lange nicht ein gemeinsames, von gleichem Sinne beseeltes Vorgehen in diesem Punkte verbündeter Regierungen thatsächlich besteht.

Es ist hier nicht die Veranlassung, wenn auch nur von den deutschen Waldungen, von Julius Cäsar’s Zeit an bis heute die Wandlungen aufzuzählen, welche die Auffassung von dem Werthe und der Bedeutung des Waldes durchlaufen hat. Bis vor nicht langer Zeit galt es als höchste und staatsweiseste Auffassung, den Wald so zu bewirthschaften, daß er eine nachhaltige Quelle der Befriedigung des Holzbedarfes der Staatsangehörigen sei und bleibe.

Heute stehen wir an dem Punkte, von wo an die klimatische Bedeutung des Waldes als die höchste und am meisten maßgebende erkannt zu werden anfängt; und ich trage keinen Augenblick Bedenken, es auszusprechen: wir sind höchst wahrscheinlich auf dem Punkte bereits angekommen, von welchem aus jede wesentliche Verminderung unserer mitteleuropäischen Waldbestände ein Verbrechen an der Zukunft ist.

Ich sage mitteleuropäischen, nicht deutschen; denn das „international“ soll sich nicht auf die 36 Staaten des Bundesstaates Deutschland beziehen, sondern auf die Nationen, welche im Mittelpunkte Europa’s aneinander grenzen und, wenn nicht mit den Waldungen mehrgenannter Auffassung gemäß verfahren wird, mit allen Continentalklima’s von ihrem Gebiete abzuhalten, während jezt die geringe Festlandsmasse Europa’s sich beinahe eines Küstenklima’s erfreut. Allerdings ist Deutschland am meisten betheiligt, weil es als Mittelpunkt dieses Gebietes bei dieser Veränderung am meisten zu leiden haben würde.

Die klimatischen Zustände des bezeichneten Gebietes, für welches ich die südlichen und westlichen Gebirgszüge, Nord- und Ostsee und die russisch-polnische Linie als Begrenzung annehme, sind ein zusammenhängendes Ganze und machen daher als solches auch jenes Gebiet selbst zu einem Ganzen.

Es ist daher der Mittel- und Norddeutsche am Fortbestande der Gebirgswälder im Süden betheiligt, alle Rheinanwohner sind mit ihren Interessen, so weit dieselben mit dem Rheinstrome zusammenhängen, an die Waldungen des Quellgebietes des Rheines gefesselt. Also nicht blos der Deutsche, sondern auch der Franzose und Holländer ist von dem Gebahren des Schweizers abhängig.

Und das ist nur die handgreifliche Seite der Frage, die Auffassung der Waldgebirge als Heger und Pfleger der Quellen, aus [219] denen sich Bäche, Flüsse und Ströme zusammensetzen. Es bleibt die wichtigere, wenigstens die weniger in die Augen springende Seite übrig: der Einfluß der Waldungen auf die atmosphärischen Niederschläge in den umliegenden Landstrichen.

Man darf hier vielleicht jetzt schon an das Bevorstehen eines Ereignisses erinnern. Wenn nämlich die deutsche Ostgrenze an mehreren Punkten durch Eisenbahnen durchbrochen sein wird, so werden neue Ansiedelungen an der russisch-polnischen Seite nicht ausbleiben und Urbarmachungen und Holzbedürfniß werden die vorhandenen Waldungen bedeutend lichten.

Daß übrigens der Wald in der angedeuteten Weise eine wichtige Bedeutung habe, dafür redet bereits eine kleine besondere Literatur und in anderen dafür geeigneten Schriften eine große Anzahl eingehender Aufsätze. Wie in so vielen Fragen der physischen Geographie, so hat auch in dieser Humboldt zuerst in eingehender Weise aufmerksam gemacht und zwar bereits im dritten Bande seines Reisewerkes. Neuere sind ihm gefolgt, von denen ich nur Boussingault, Dove, Blanqui, Marschand, Petersen, Fraas, Sendtner, Wessely, Michelsen, von Lattorff, Rentzsch nenne. Die Schrift des Letztgenannten ist eine von den landwirthschaftlichen Vereinen Sachsens gekrönte Preisschrift, die den Urhebern der Preisaufgabe zu hohen Ehren gereicht.

Von besonderem Interesse ist das kleine Schriftchen von dem Berner Kantonsforstmeister Marschand (Bern, bei Jenni. 1849. 6 Ngr.), weil es die Schweizer Gebirgswaldungen im Auge hat, welche für Deutschland eine große Wichtigkeit haben.

Die physischen Vorgänge, durch welche der Wald diese große Bedeutung gewinnt, mögen immerhin in einigen Punkten noch nicht aufgeklärt sein, so daß selbst ein Alexander von Humboldt in dem Briefe, aus welchem obiges Motte entnommen ist, sich darüber in den etwas zurückhaltenden Worten ausspricht: „Ich glaube, daß der Einfluß des Waldes auf die drei wechselnden Processe der gegenseitigen Strahlung, der Ausdunstung und des Schutzes vor Insolation (Besonnung, Einstrahlung) nicht genug berücksichtigt worden ist.“

Neben diesen Einflüssen ist besonders derjenige sehr hoch anzuschlagen, den ich den sparenden nennen möchte. Der auf einem bewaldeten Gebirge niederfallende Regen wird großentheils in der aus Moos und Flechten und andern Pflanzen mancherlei Art, so wie aus dem Laub- und Nadelfall gebildeten Bodendecke festgehalten und so in der Nähe der Baumwurzeln angesammelt. Von da kommt nur das Wasser, was nicht von den Baumwurzeln aufgesogen und von den Moderbestandtheilen des Bodens gebunden wird, den Quellen zu Gute, und es muß lange und anhaltend geregnet haben, ehe die aus dem Waldgebirge abfließenden Quellen eine merkliche Wasserzunahme zeigen. Die Wasserverdunstung der Laubkronen, deren Betrag überraschend große Zahlen gibt, versorgt die Luft mit Wasserdampf und vermittelt sonach die atmosphärischen Niederschläge. Denken wir uns dasselbe Waldgebirge kahl abgeholzt, so werden zunächst die des Waldschattens beraubten Bodenpflanzen absterben und ehe sich andere, den freieren Standort vertragende, eingefunden haben, werden die Regengüsse die Bodendecke und allen beweglichen Boden selbst hinwegschwemmen. Was der Wald aufgespart und mit nachhaltigem Nutzen allmählich der Ebene zum Nießbrauch zukommen ließ, das überschwemmt diese in jähen Fluthen, Erde und Schutt auf lachende Fluren wälzend. Der oben genannte Blanqui entwirft ein trauriges Bild von den Verwüstungen der Regenströme, welche von den während der ersten französischen Revolution entwaldeten Gebirgen der südöstlichen Departements der Alpengrenze alljährlich sich ergießen. Er sagt: „Wer die Thäler von Barcelonette, von Embrun, von Verdun und das steinige Land der Oberalpen, Devoluy genannt, besucht hat, der weiß, daß keine Zeit mehr zu verlieren ist, oder aber, daß binnen funfzig Jahren Frankreich von Piemont getrennt sein wird, wie Egypten von Syrien – durch eine Wüste.“

Die Ueberschwemmungen, welche 1857 Lyon und seine Umgebungen verwüsteten, scheinen ähnlichen Ursprungs zu sein, denn Herr von Humboldt macht auch in jenem blos diese Angelegenheit betreffenden Briefe auf ein Werk von Vallès aufmerksam, was ich mir noch nicht verschaffen konnte, des Titels: Etudes des inondations, leurs causes et effets: 1857, und hebt dabei die Capitelüberschrift: Incertitudes du deboisement et du reboisement besonders hervor.

Diese Anführung aus einem Privatbriefe des Altmeisters der Naturforscher, der darin in seinem neunzigsten Lebensjahre diese hochwichtige Angelegenheit mit aller ihm eigenen geistigen Frische behandelt, wird eben hierdurch vollständig gerechtfertigt sein.

Man wird sich erinnern, daß nach den Verwüstungen von Lyon Napoleon III. selbst Hand an das Werk legte, um – ein System von Deichbauten zu entwerfen. Dort liegt die Wurzel des Uebels nicht. Auf kahlen, einst bewaldeten Höhen muß er sie suchen.

Aber – und das ist eben das Verhängnißvolle – des Menschen Gewalt ist dann in der Regel nicht im Stande, das „reboisement“, die Wiederbewaldung, zu bewerkstelligen. Ein „zu spät“ rächt sich in der Forstwirthschaft fürchterlich.

Die Unkenntniß von dem Forstwesen, an dem doch Alle, Alle betheiligt sind, und zwar tiefer, als man ahnt, ist ein Unglück. Man bilde sich nicht ein, daß der Wald aus hingestreuten Samen und eingesetzten Pflänzchen immer gutwillig wächst und gedeiht. Der Beruf des Forstmanns ist ein sorgenvoller, und unter dem grünen Rocke schlägt oft ein bekümmertes Herz. Danken wir es ihm, indem wir sein Werk würdigen. Er bedarf mittelbar der Unterstützung Aller. Darum ist es hohe Zeit, den Wald unter den Schutz des Wissens Aller zu stellen.

Die stets wachsenden Ansprüche an die Leistungsfähigkeit des Waldes, die zu Urbarmachungen verlockende steigende Bodenrente, die durch die jährlich zunehmenden Transportmittel erleichterte Umwandlung eines Waldbestandes in flüssiges Capital, die in manchen Ländern, z. B. in den österreichischen Alpenländern nach Wesselys Mittheilungen zur Zeit noch gangbare unheilvolle Form des Holz-Großhandels – das Alles muß die einzeln ihrer Landesgesetzgebung gegenüber mehr oder weniger machtlosen Regierungen zu gemeinsamen Schutzmaßregeln aufrufen. Ein „deutsches Forstculturgesetz“ wäre eine würdige, ja ist eine dringend nothwendige Aufgabe des Bundestages. Die Waldbehandlung in den Bundesstaaten ist keine versechsunddreißigfachte, sondern eine einige deutsche, ja eine mitteleuropäische Frage.

Ein Eingriff in das freie Gebahren mit dem Eigenthum ist hinsichtlich der Privat- und Gemeindewaldungen mehr als erlaubt, ist geboten; ja der Waldbesitz des Einzelstaates wird in demselben Sinne verpflichteter Privatbesitz gegenüber der oben angedeuteten klimatischen Union Mitteleuropa’s.

Wohl möglich, daß manche, daß viele meiner Leser bis hieher über „unzeitigen Eifer“ gelächelt haben werden. „Man merkt ja noch nichts!“

Wenn man es merken wird, nicht nur die Verarmung der Flüsse, denn die merkt man bereits, sondern auch die Veränderung des Klima’s, dann wird es zu einem Einschreiten wahrscheinlich zu spät sein. Es wird leichter sein, den großen Waldbesitzer zu zwingen, seine Waldungen zu erhalten, als die einstigen kleinen Besitzer seines urbar gemachten, parcellirten Bodens zu bewegen, ihre Parcellen wieder herzugeben, oder in Wald umzuschaffen.

Man wird es nicht dahin kommen lassen. Mein „internationaler Congreß der Zukunft“ steht vielleicht nahe bevor. In Frankfurt a. M. wird er tagen. Es wird eine schöne Aufgabe sein, an der Hand der Wissenschaft für des Wohl der kommenden Geschlechter zu sorgen.[1]



  1. Die Augsburger Allgemeine Zeitung wieß diesen seinem Wesen nach sehr wichtigen Artikel zurück. Obgleich die Haltung desselben mehr auf die Leser der genannten Zeitung berechnet ist, so glauben wir doch, daß er Beitrag auch in dieser Fassung das Interesse unserer Leser in Anspruch nehmen wird.
    D. Red.