Eine seltsame Audienz

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Titel: Eine seltsame Audienz
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 68
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[68] Eine seltsame Audienz. Der Zar Peter der Große hatte am Hofe von St. James schon wiederholt den Wunsch zu erkennen gegeben, mit England einen Handelsvertrag abzuschließen; aber letzteres zögerte, auf dieses Verlangen einzugehen, weil es fürchtete, damit die heimische Industrie zu schädigen. Endlich aber gab die britische Regierung dem Verlangen des Kaisers nach und sandte eine Gesandtschaft an denselben ab, um den Vertrag zum Abschluß zu bringen. Der Zar ließ die Engländer sehr lange warten, ehe er die nachgesuchte Audienz bewilligte; schließlich aber erhielten sie die Mittheilung, daß der Kaiser bereit sei, sie zu empfangen, aber auf einem im Hafen liegenden Dreimaster. So eigenthümlich auch der Ort gewählt war, so mußten die Gesandten sich doch fügen, und sie fanden sich daher zur bestimmten Stunde auf dem Schiffe ein. Wie erstaunten sie aber, als man ihnen sagte, Seine Majestät befinde sich oben im Mastkorbe des Besanmastes und lasse sie ersuchen, sich dort oben ihm vorzustellen. Was war zu thun? Der mächtige Zar ließ nicht mit sich spaßen und unverrichteter Sache durften sie nicht nach England zurückkehren; sie mußten sich daher wohl oder übel der Grille des Kaisers fügen, der gewöhnt war, unbedingten Gehorsam zu finden. Zitternd vor Angst machten sich die Gesandten, die wohl das Parkett des Windsorpalastes, aber nicht die schwankenden Strickleitern eines mächtigen Segelschiffes kannten, auf den Weg, und nach einer bangen Viertelstunde waren sie oben in schwindelnder Höhe auf dem engen und schmalen Platz angelangt. Würdevoll, als sitze er auf seinem Throne, empfing sie Peter, vernahm ihre Anrede und erwiederte dann in Ausdrücken, die für England und dessen König außerordentlich schmeichelhaft waren. Aber einen Zug von Schadenfreude vermochte er nicht zu unterdrücken, und als endlich Alle die gefährliche Reise abwärts glücklich zurückgelegt und auf dem Verdeck wieder festen Boden unter den Füßen hatten, da erklärte ihnen der Kaiser lachend, daß die kleine Prüfung, welche er ihnen auferlegte, eine Strafe fur ihre verspätete Ankunft gewesen sei. Der Handelsvertrag aber kam zu Stande, und zwar unter Bedingungen, die für England sehr vortheilhaft waren, so daß die Gesandten entschädigt für die ausgestandene Angst und befriedigt von dem Erfolg in ihre Heimath zurückkehrten.