Erste Predigt zu Neuendettelsau

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Autor: Wilhelm Löhe
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Titel: Erste Predigt zu Neuendettelsau
Untertitel: gehalten am 11. Sonntag nach Trinitatis 6. August 1837
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Auflage: 1
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Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Gottfried Löhe
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Wilhelm Löhe’s


erste Predigt zu Neuendettelsau


gehalten


am 11. Sonntag nach Trinitatis,


6. August 1837.




Nürnberg.

Verlag von Gottfr. Löhe.

1873.


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Schärtel’s Officin (Theodor Häßlein) in Nürnberg.


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Der Pfarrgemeinde Neuendettelsau.




     Die ersten Worte Eures nach fast 35jährigem Wirken unter Euch heimgegangenen Hirten und Lehrers, die er Euch zugerufen, bringt Euch hiemit am ersten Gedächtnistage seines Todes zu stets neuem lebendigen Andenken einer dar, welcher seitdem vermöge seines innigen Freundschaftsbundes mit dem Vollendeten bis zuletzt bei Euch ein- und ausgegangen, und dem sich an Neuendettelsau und dessen Kirche die theuersten Erinnerungen knüpfen, der auch durch seine Bekanntschaft mit so vielen theils entschlafenen, theils noch lebenden unter den Dettelsauer Pfarrkindern einen Beruf der Liebe hat zu dieser Spende. Beim Lesen dieser ersten Predigt werdet Ihr das treue Herz wieder erkennen, wie es von Anbeginn an unter Euch gewesen ist und sich bis zum Ende bewährt hat. Derselben hat der selige Pfarrer, wie er gewohnt war, ein Stoßgebetlein beigeschrieben: „O laß mich hören allein auf dein Wort, laß mich hören, laß mich bewahren, mich und die Gemeinde! O JEsu, JEsu! Amen.“ Der HErr hat an seiner Person sein Gebet erhört. Gottes heiliges Wort hat so viele Jahre unter Euch reichlich gewohnt, ist Euch mit Beweisung des Geistes und der Kraft verkündigt worden, wie es nicht vielen Gemeinden dieser Zeit vergönnt war. Von diesem auserwählten Rüstzeug der Gnade, das zunächst Euch geschenkt war, hat der HErr „Ströme lebendiger Predigt wie Wasser auf die Gemeinde fließen und Erkenntnis Seiner herrlichen| Gnade Eure Seelen bedecken lassen, wie Wasser des Meeres Grund bedeckt.“ Auch an vielen unter Euch hat der selige Pfarrer Erhörung erfahren, die lieblichsten Erfahrungen durfte er an Sterbebetten der Eurigen machen. O daß seine Freude in der seligen Ewigkeit durch reiche Erfahrungen an den überlebenden Pfarrkindern erhöht würde, wie Ihr auch nach seinem Abschied das Wort bewahrt und es in Euch habt kräftig werden lassen. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert. Darum „gedenket an Eure Lehrer, die Euch das Wort Gottes gesagt haben, welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“ Dies Gedächtnis zu bewahren und die Stimme Eures Hirten Euch und Eure Kinder zur Gemeinschaft der ewigen Güter mit ihm noch ferner rufen zu lassen, dazu diene Euch auch diese seine Antrittspredigt. Gott hat ihm einen Nachfolger gegeben, der das Gepflanzte begießt und pflegt im Sinne des Entschlafenen: ehret diesen durch Gehorsam gegen jenen und beweiset vor ihm, daß Ihr von seinem Vorgänger gelernt habt Gottes Wort zu hören und zu bewahren. Der Friede des HErrn sei mit Euch!


     Ansbach am 2. Januar 1873.

Friderich Hommel.     


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I. N. J.
Luc. 11, 28.
Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren!




     Wenn ein Mensch alle Freude, alle Güter, alle Ehren – in Summa alle Herrlichkeit der Erde eingeerntet und genossen hätte, wie Salomo, der König Israels, was bliebe ihm denn davon übrig für die Zeit, wo Leib und Seele scheiden, der Leib zur Erde wird und der Geist zu Gott heimkehrt, von dem er geschaffen ist? Das Auge wird vom Sehen, das Ohr vom Hören nicht satt, kein Sinn vom Genuß der Sinne: wie sollte das Herz davon satt werden, das zu Gott und für die Ewigkeit und ihre Freuden geschaffen ist? Unser Herz kann keine Ruhe in irdischen Dingen haben, es hat einen Durst, der hier und durch hiesige und sichtbare Dinge nicht gestillt werden kann, wenn wir gleich nicht läugnen können, daß er übertäubt werden könne. Wir hungern und dürsten nach einem Leben, das am Ende dieses Lebens beginnt, – nach der Ewigkeit, nach der ewigen Seligkeit. Auch ihr alle, die ihr um mich her schweiget, dürstet nach Seligkeit, und keiner von euch kann den Gedanken vertragen, daß er verloren gehen sollte. Wohlan alle, die ihr hungrig und durstig seid, hört, was der spricht, der uns zur Seligkeit erschaffen und, weil wir derselben durch Sünde verlustig geworden, wieder zur Seligkeit erkauft hat, – hört, was Er euch als nothwendig zur ewigen Seligkeit nennt:

Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren!
So spricht ER – und was heißt das anders, als:
Hört, Menschenkinder, wenn ihr:
1) Gottes Wort habet, – denn wie sollt ihrs hören oder bewahren, wenn ihrs nicht in eurer Mitte habt, wenns euch nicht gepredigt wird, wenn ihr es nicht hören könnet;|
2) wenn ihrs höret;
3) wenn ihrs bewahret.
Dann seid ihr selig zu preisen hier schon auf der Erde, und dort braucht ihr das Seligpreisen gar nicht mehr, denn ihr seid dann vollkommen selig.

     Lieben Brüder, von den drei Stücken, welche euch zur Seligkeit nothwendig sind, lasset mich heute ein wenig zu euch reden, und der HErr verleihe, daß alle drei euch immer mehr gegeben werden und mir dazu, damit wir von nun an mit einander der ewigen Seligkeit entgegenreifen.

     1) Um die ewige Seligkeit erlangen zu können, müßen wir, wie unser Text ausweist, fürs erste Gottes Wort haben, d. i. wir müßen Gelegenheit haben es hören zu können. Dies erste Stück ist das Hauptstück zur Seligkeit – und hängt durchaus nicht von uns ab, sondern allein von Gott, dem HErrn. Viele hundert Gemeinden in der Christenheit können Gottes Wort nicht hören, denn Gott hat es ihnen hinweggenommen; an ihnen geht in Erfüllung, was St. Paul von den Heiden sagt: „Wer den Namen des HErrn wird anrufen, soll selig werden. Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie sollen sie aber hören ohne Prediger?“ Röm. 10, 13, 14. Ohne rechte Prediger, welche Gottes Wort rein und lauter predigen, denn es ist ja nicht wahr, daß alle Prediger Gottes Wort predigen. Warum nun der HErr der einen Gemeinde Prediger gibt, welche Gottes Wort im Munde führen, so vielen andern Gemeinden aber nicht, das ist uns verborgen, wir haben danach nicht zu fragen; Er selbst weist Röm. 10, 15 alle Fragen mit den Worten zurück: „Welchem Ich gnädig bin, dem bin Ich gnädig, und welches Ich mich erbarme, des erbarme Ich mich.“ Das aber ist außer allem Zweifel, daß euch, meine Lieben, Gnade widerfahren ist von dem HErrn; denn ihr habet seit Jahren Gottes Wort rein, und in dem letzten Jahre rein und mit Beweisung des Geistes und der Kraft hören können, – ihr seid ein Land, über das Gottes Regen schon oft gekommen ist (Ebr. 6, 7), so daß, auch wenn euer neuer Pfarrer nicht mit den vorigen, namentlich mit dem theuern| Verweser der Pfarrstelle[1], einmüthig und einhellig, wenn er sogar das Widerspiel des letzteren wäre, was er, Gott sei Dank, nicht ist, – von euch doch zu erwarten wäre, daß ihr bequemes Kraut dem himmlischen Gärtner trüget. Der HErr hat euch aber noch mehr gethan zu dem, was Er schon gethan hat, – Er hat zwar den vorigen geliebten Lehrer hinweggenommen, damit ihr eure Herzen nicht, statt an den Schöpfer und Erlöser, an eine Creatur hienget; allein da ich mit dem Abgegangenen Ein Herz und Eine Seele bin, so habt ihr unter meinem Hirtenstabe, wenn auch nicht denselben liebenswürdigen Hirten, doch dieselbe Weide, dieselben Wasserbäche – d. i. ohne Bild zu reden, dasselbe Gotteswort behalten, welches kann eure Seelen selig machen.
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     Ja, es ist nicht übermüthiger Stolz von meiner Seite, sondern ich will nur nicht undankbar sein gegen die Gnade, welche mir widerfahren ist, ich darfs sagen: „Nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit komme ich zu euch, euch zu verkündigen die göttliche Predigt, – ich halte mich nicht dafür, daß ich etwas wüßte unter euch, ohne allein JEsum Christum den Gekreuzigten,“ an welchen ich glaube und darum rede, in dessen Erfahrung ich wandle und darum zu Ihm jedermann ernstlich einladen kann; bei dem meiner Seele wohl ist, weshalb ich fröhlich bin auch andere zu gleicher Freude im HErrn zu laden. Sehet, hie bin ich – und mit mir kommt und bleibt bei euch Gottes Wort. Das Wort Gottes, wie das Kreuz JEsu Christi, ist eines Theils eine Predigt des Gesetzes, – wohlan, mit mir kommt zu euch die Predigt des Gesetzes, den Unrath der Sünde wie mit einer hellen Fackel zu beleuchten das Selbstvertrauen und den eitlen Stolz unserer in Sünden versunkenen Herzen zu zernichten, das Herz zu zerschlagen und demüthig zu machen! Hie Schwert des HErrn, – Hammer, der Felsen zerschmeißt, – Feuer, das jeden Widerstand verzehrt! – Ja, komm mit mir, Gottes Wort! komm mit mir, mein Gott! Mache dich auf, mache dich auf – zeuch aus mit mir und wirf dahin in den Staub Deine Feinde, auf daß sie nicht, nicht mehr Deine Feinde seien! – – Gottes Wort ist andern Theils| Evangelium, die Freudenbotschaft der völlig, umsonst vollbrachten Erlösung, die Botschaft, daß vom Sünder die Bezahlung seiner Schulden nicht mehr verlangt werden soll, weil Einer, Ein Gerechter für alle gebüßt, für alle gezahlt hat; die Botschaft, daß auch die, welche am meisten Ursach hätten sich vor dem Gesetz zu fürchten, zu trauern, zu verzweifeln, Freudenöl für Traurigkeit und schöne Kleider für ihren betrübten Geist erhalten sollen; – die Botschaft, daß eine angenehme Zeit, ein gnädiges Jahr des HErrn gekommen ist, daß alle Gebete um der durch Christi Tod vollendeten Erlösung willen erhört sind, daß wir einen Zugang zum Vater haben und in Seiner Hütte uns bergen können zur bösen Zeit und in Ewigkeit. Wohlan, ihr Sünder, betrübten Herzens, ihr unter die Laster wie unter Mörder gefallenen Seelen, hie bin ich und mit mir Gottes Wort, Gottes Evangelium, die Ölflasche des barmherzigen Samariters, das Blut der Versöhnung, aller Sünder Trost! – HErr, gnädiger, barmherziger Gott! Du hasts gut mit mir gemeint, denn Du hast mich die Kraft Deiner Versöhnung schmecken lassen, – ich weiß, was drum ist; – Du hasts aber auch gut gemeint mit diesem Volke, daß Du ihnen mit mir Deine Zeugnisse zu ihres Herzens Wonne gibst! So rüst mich nun aus mit täglicher, demüthiger Erfahrung der versöhnenden und erlösenden Liebe, – laß Ströme lebendiger Predigt wie Wasser auf die Gemeinde von mir fließen – und Erkenntnis Deiner herrlichen Gnade die Seelen bedecken, wie Wasser des Meeres Grund bedeckt; – ach, laß mich nicht allein durchs Gesetz erwecken, sondern auch durchs Evangelium trösten, nicht bloß zur Buße, sondern auch zum Frieden der Rechtfertigung, nicht bloß zum Gefühl Deiner Nähe, sondern auch zu dem großen Glauben an Deine liebe Nähe, nicht bloß zur Erkenntnis der Sünde, sondern auch zur Verläugnung derselben, zur Heiligung der Herzen die Deinigen hindurchführen, – auf daß erkannt werde, daß ich Dein Wort predige, nicht meines, und die Lästerung der elenden Weltkinder durch ein heiliges, stilles, demüthiges Leben der Gläubigen verstopft werde!
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     2) Wenn aber nun auf diese Weise Gottes Wort unter euch von mir gepredigt werden wird, woran ich gar keinen Zweifel habe, weil ich Gottes Verheißungen traue; so muß von eurer Seite auch| beachtet werden, was unser Text behauptet: es ist nicht genug, Gottes Wort zu haben, man muß es auch hören, wenn man selig werden will.

     Es ist begreiflich, daß man ein seligmachendes Wort entweder hören oder lesen muß, wenn man die Frucht der Seligkeit durch dasselbe erlangen will. Da nun Gottes Wort überall oder wenigstens bei uns gepredigt wird, so scheiden sich die Gemeindeglieder fürs erste in solche, die Gottes Wort hören, und in solche, die es nicht hören. Die, welche Gottes Wort gar nicht hören, gar nicht in die Kirche kommen mögen, sind bedauernswerthe Menschen, ebenso bedauernswerth als unbarmherzig gegen ihre eigene Seele; denn sie schneiden, so viel an ihnen liegt, dem Worte Gottes alle Gelegenheit ab zum Heile ihrer Seelen sich wirksam zu erweisen. So viel kommt, wie auch die Glaubensschriften unserer Kirche richtig lehren, auf den eignen Willen eines Menschen an, ob er Gottes Wort höre oder nicht: – es nicht hören wollen, findet drum gar keine Entschuldigung, ist eine Sünde, die man eigentlich nicht verantworten kann; denn man hört zu, es mag leicht irgend ein Geschwätz oder Gerücht auskommen: solls denn nicht eine ungemeine Gleichgiltigkeit sein, das Wort nicht hören zu wollen, welches sich für heilig, für höher als jedes andere Wort, für Gottes Wort ausgibt? Ich will hoffen, daß in meiner Gemeinde sich wenige solche Verächter des göttlichen Worts finden; will hoffen, daß die Glieder derselben insgemein so geartet seien, daß sie Gottes heilwärtiges Wort ohne Noth einmal nicht versäumen; wenn mich aber meine Hoffnung täuscht, so sollen dergleichen Leute wissen, daß zwar meine Liebe zu ihnen, so Gott will, sich gleich bleiben wird, daß ich sie auch hie und da zu gewinnen suchen werde, aber auch, daß ich bei fortwährendem Widerstreben sie nicht weiter belästigen, vielmehr den Staub vor ihren Thüren abschütteln, sie einem andern befehlen werde, der die Herzen lenkt wie Wasserbäche und Seine Zeiten und Stunden für die Seelen hat; – ich will in Erinnerung des Wortes handeln: „Ihr sollt die Perlen nicht vor die Säue, noch das Heiligtum vor die Hunde werfen.“

     Unter denen, welche Gottes Wort hören, ist auch wieder eine große Verschiedenheit. Denn wahrlich nicht alle, die es hören, sind| selig zu preisen. Erinnert euch nur an die Worte des HErrn, welche in heiliger Schrift mehrmals vorkommen: „Sie haben Ohren und hören nicht;“ – erinnert euch an Menschen, die nicht selten sind, welche Jahre lang, ja ihr ganzes Leben lang das Gotteshaus fleißig besuchten, ohne nur dem Verstand nach unterscheiden zu lernen, welcher Prediger Gottes Wort wirklich predige und welcher nicht, ohne nur zur Einsicht über das zu kommen, was eigentlich zu einer christlichen Predigt gehöre: sie hörten und hörten doch nicht, sie giengen hinaus, wie sie hineingegangen waren, und man könnte drüber streiten, ob es für sie nicht besser gewesen wäre, gar nicht in die Kirche zu gehen. Wenn unter euch, Brüder, solche taube, todte Ohren, solche blinde Geistesaugen, so erstorbene Herzen sind, ach so erbarme sich über euch der allmächtige Heiland und spreche euch ein kräftiges Hephatha in eure Ohren, und sende mich doch von nun an aufzuthun eure Augen, und segne Sein heiliges Wort aus steinernen Herzen fleischerne zu machen. Denn so wie sie sind, so wie sie zuhören, geht sie nun einmal die Seligpreisung unsers Textes nichts an. O denket doch an das Gleichnis vom vierfachen Ackerwerk und bittet den HErrn, daß Er euch zum guten Lande mache, daß Er, wenn ihr Wegland, euch furche und pflüge, wenn ihr steinichtes Land, euer hartes Herz zermalme und zerschlage, wenn ihr dornicht, alle Dornen, alle Sorgen und Wollüste dieses Lebens ausrotte, damit Sein gütiges Wort über euch die heilsame Gewalt übe, welche ihm gebührt. Andere von denen, welche Gottes Wort zu hören pflegen, hören nicht theilnahmlos zu, sie haben ein Interesse beim Zuhören, aber was für eines? Nicht sich wollen sie kennen lernen, nicht den Weg zum Himmelreiche, nicht JEsum Christum, das Heil und Leben der Sünder, sondern andere Absichten haben sie. Sie kommen zu der Art Predigern, wie mein nächster Vorfahr, und, Gott Lob und Dank, auch ich, um zu sammeln – nicht, worüber sie reine Freude haben könnten, aber wohl was ihnen Stoff zum Lachen und Spott unter der ihnen etwa gleichen und drum vertrauten Rotte von verlorenen und leichtsinnigen Buben geben kann; – sie lauern auf falsche, oder ihnen nur, weil sie von der Wahrheit nichts verstehen, unverständliche Ausdrücke des Predigers, um durch Betrachtung seiner Versehen im Reden ihre schreienden Sünden im| Leben zuzudecken und ihre blutenden Gewissen zu stillen, von denen sie längst die Weisung und die in ihrem Herzen brennende Gewisheit haben, daß nur, wie die Prediger des göttlichen Worts reden, ihnen zu helfen stehe zum ewigen Leben. Gibt es dergleichen blinde, tappende, umnebelte – arme Menschen unter euch, – oder gefällts einigen aus der Nachbarschaft, wie bei meinem ehrwürdigen Vorgänger, so nun bei dessen geringem Nachfolger ihren giftigen Honig zu saugen; so will ich ihnen sagen: „Willkommen!“ Die Ordnung und Ruhe der mir vertrauten Gemeinde dürfen weder sie noch andere Kirchgänger stören; sie werdens auch nicht, dazu sind sie zu klug; denn wo sie das thäten, würden sie mit dem weltlichen Arme, d. i. mit ihrem eigenen, angetastet werden können, – die Gesetze sind bekannt, und ich habe Lust und Muth genug, meine Herde wider Wölfe und meinen Weinberg wider wilde Schweine zu vertheidigen. Wofern sie aber Ruhe und Ordnung achten und der ihnen anhangenden Art nicht allzusehr den Zügel lassen, soll sie niemand aus meiner Kirche verjagen. Sie mögen nur recht eifrig zuhören, – sie mögen spotten, so lang sie können, – lügen, so lang es ihnen beim Lügen wohl ist, es ist noch nicht aller Tage Abend, – es ist gefährlich, Gottes Worte zuhören, so zu sagen; es hat manchen Paulus gemacht und manchen Spötter zum Beter – und der HErr, unser Heiland, hat die Verheißung, daß Er mitten unter Seinen Feinden siegen werde.      Wenn ich aber die willkommen heiße, welche ein schlechtes Interesse haben, Gottes Wort zu hören, wie viel mehr werde ich die willkommen heißen, welche in Gottes Wort die Quelle ihrer Seligkeit erkennen, welche mit Lust und heiligem Eifer kommen, sich leiten und weiden zu lassen an den lebendigen Wasserbächen, welche einsehen, daß alle Menschenweisheit nichts gewisses über ein jenseitiges Leben, über Seligkeit und Verdammnis, über Gottes Zorn und Gnade geben kann, und darum für eine himmlische Belehrung, für Gottes Offenbarung ein offenes und gehorsames Ohr haben, – welche die Wahrheit für höher achten als alle Güter der Welt, sichtbare oder unsichtbare, und eben darum sich auch von keinem Gute der Welt abhalten lassen nach der Wahrheit zu streben, eben darum lieber alles hingeben, um die eine Perle und den Schatz im Acker zu| gewinnen. Hört, Brüder, wenn ich wüßte, wo eine solche hangende, bangende, nach Gottes seligmachendem Wort hungernde und dürstende Seele ist: ich bin ein Mensch, dem nichts, was gut ist, zuzutrauen aus eigner Kraft, aber ich hoffe, der Geist meines Erzhirten würde mich über Berge und Thäler treiben, einer solchen Seele das erwünschte Himmelsbrot des göttlichen Wortes zuzutragen – – warum sollte ich nicht einer solchen Seele dienen, die unter der mir anvertrauten Herde sich befindet? Gebet euch nur zu erkennen, ihr Hungrigen am Geiste, mein HErr will euch durch mich speisen, – ihr Kranken am Geiste, lasset mich nur euern Zustand merken, die Arzenei des barmherzigen Samariters ist bereit, – – – ihr Mühseligen und Beladenen allzumal, höret nur Gottes Wort; ihr wisset ja: „Selig sind, die Gottes Wort hören;“ – wo es mit Inbrunst und Andacht gehört wird, da fehlt auf die Länge der Segen nicht; denn Seine Verheißungen trügen nicht!
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     3) Indes lasset uns unsern Text etwas genauer ansehen; er lautet nicht: „Selig sind, die Gottes Wort hören,“ sondern er hat einen Zusatz, der nicht vergessen werden darf: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren.“ Was hilfts, wenn ich einen Schatz finde, und vergesse ihn oder lasse mir ihn wieder entwenden? Ebenso – was hilft es, Gottes Wort zu hören, wofern man es nicht bewahrt? Am Bewahren liegt viel, ja am Ende liegt fast alles dran. Gottes Wort bewahrt man, wie jedes Wort, im Gedächtnis; aber was hilft es, etwas im Gedächtnis zu bewahren, wenn es einem nicht zur rechten Zeit einfällt? Bewahre Gottes Wort also, daß du es hast, wenn dus brauchst. Kannst du auch gleich beim Lernen des göttlichen Wortes nicht einsehen, wozu dir diese oder jene Lehre dienen soll, meinest du an wenigerem, als du hast, für dein Herz genug zu haben; so halte drum doch nichts für überflüssig: es kommen verschiedene Stunden, in denen man auch verschiedenes braucht. Wenn dein Herz hart, lau, leichtsinnig werden will, dann greif, o Mensch, der du mit Furcht und Zittern nach deiner Seligkeit verlangst, nach dem Gesetz des HErrn, – bewahrs für solche Zeiten, damit du allezeit Licht könnest haben über dich selbst, damit du an ihm allezeit eine Kraft zur Demüthigung habest. Wenn dein Herz voll Wunden und Schmerzen über deine Sünden ist, wenn ein weniges| von jenem Gefühle dich ergriffen hat, welches in der hellen, grellen Hölle aller Sünder Gewissen durchzucken und durchbeben wird ohne Ende; dann gedenke ans Evangelium des Friedens, an die Vergebung der Sünden, welche das Wort Gottes predigt; – bewahrs für solche Zeiten und tröste dein armes Herz damit. Ja, wenn dein Herz keine fühlbare Tröstung aus Gottes Wort sollte nehmen können, wenn von demselben keine Freude in deinen Geist übergehen sollte, wenn es dem Gefühl nach für dich unnütz scheinen, todt scheinen sollte: denk doch dran, denke grade recht ernstlich dran, halt dich dran, so kalt und eisig es dir vorkomme, es ist dennoch voll Lebenskraft und Wärme, – vergiß es nicht! Ach Bruder, es ist keine Kunst ein Christ zu sein, wenn man an den Brüsten des göttlichen Wortes die Kräfte jener Welt und himmlische Freuden saugt; aber das ist Gnade Christi, wenn man dem Gefühle nach verlassen scheint, Gottes Wort zu bewahren und Seine im Wort ausgesprochene Vergebung für größer und wahrer zu halten als den Brand und Zweifel im Herzen, die verheißene Freude, den gelobten ewigen Frieden für viel edler und erwählenswerther als alle Freude, die man hier spüren könnte. Bruder, bewahr das Wort vom Kreuz, von der Vergebung, vom Frieden: wer das bewahrt, kann nicht verloren gehen. Höret, meine Lieben! Nicht wahr, ihr habet bereits Gottes Wort gehört, ihr habet es in der letzten Zeit kennen gelernt, manche unter euch haben wirklich eine Liebe dazu gewonnen; nun sehet zu, daß ihrs bewahret! Gesäet ist, gepflanzt ist, ich will begießen, der HErr will Gedeihen geben; so bringt nun Frucht in Geduld und wachset durch die Kraft des HErrn von einer Klarheit zu der andern und von Gnade in Gnade hinein! Es ist leicht für den Menschen, am Wort fest halten, so lange der Prediger da ist, welchem man die Erweckung verdankt: denn wer eine Gemeinde erweckt, hat den ersten Preis bei ihr, die erste, eindringlichste Sprache in ihr Herz; aber wenn der Vater weggenommen ist, wenn ein andrer an die Stelle tritt, der nicht dieselben Gaben und bei demselben Worte doch eine andre Art und Weise hat, an die man sich erst gewöhnen muß, die einem schon deshalb nicht mundet, weil sie nicht ganz wie die des vorigen Lehrers ist, – wenn es nun gilt, dem ersten Lehrer zu entsagen, an den nachfolgenden nicht wieder das Herz zu hängen,| sondern dem ewigen Tröster im Worte Gottes, dem puren Worte sich zu vertrauen, das gelernte Wort zu bewahren, es zu seinem Begleiter zu machen – von einem Tag zum andern durch das ganze Leben, – ach da erfährt man, was für ein schweres Wort es ist: „Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren!“ Darum eben wird man zum Bewahren ermahnt, weil es so schwer ist, – darum eben vermahne auch ich euch dazu – vermahne euch in meinem Namen, denn ich habe ja dies Recht an meine Herde, – vermahne euch im Namen eures vormaligen, in diesen Tagen von euch weggegangenen Lehrers, denn er kennt keine größere Freude, als wenn er hört, daß seine Kindlein in der Wahrheit wandeln, – vermahne euch im Namen eures Heilands, welcher euch keine Seligkeit verheißen hat, verheißen konnte, außer ihr bliebet in Seinem Wort und bewahretet es, – vermahne euch in eurem eignen Namen, denn wenn ihr selig werden wollet (und das wollet ihr doch ohne Zweifel alle!), so müßet ihr Gottes Wort hören und bewahren, hört es, bewahren! Ach lasset euch reizen allen Fleiß anzuwenden, ohn Unterlaß zu wachen und zu beten, daß ihr behalten möget, was ihr habet; – wenn ihr nicht das Wort bewahret, so werdet ihr ja nicht bewahrt zum ewigen Leben!
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     Wer Gottes Wort hört und bewahrt, der wird hier schon selig gepriesen – und wahrlich mit Wahrheit! Im Worte Gottes sind alle Schätze der Versöhnung und Erlösung niedergelegt – dein sind alle Schätze der Versöhnung und Erlösung, wofern du das Wort hörst und bewahrst. Im Worte Gottes ist Licht für das Herz, das Wort soll sein des Fußes Leuchte und ein Licht auf dem Wege zum ewigen Leben: wer das Wort hört und bewahrt, hat und behält das Licht des Lebens, kennt und betritt mit festem Fuße die sichern Lebensstege bis ans Ende! Im Wort wird Vergebung der Sünden und ewiges Leben mit voller Gewisheit versichert: wer Gottes Wort hört und bewahrt, hört und bewahrt Gewisheit der Vergebung der Sünden und des ewigen Lebens! Im Worte verheißt und schwört Gott Frieden: höre mit gläubigem Herzen, bewahre mit gläubigem Herzen Gottes Wort, Gottes Friedensschwur, so hast du Frieden; die arme, thörichte Welt, – der Widersacher in deinem Herzen, – das Gesetz, – der Satan protestiere dagegen nach Belieben! In| Seinem Worte verheißt Gott Kraft dem Müden und Stärke genug dem Unvermögenden: ei, müde, tiefgebeugte Seele, halte dich nur an Sein Wort, bleibe an dem nur hangen, so wirst du sehen, wie es hinausgeht, du wirst verjüngt werden zum guten Kampfe wie die Adler, – du wirst Kraft empfangen aufzufahren wie sie; dein Muth wird mit der Erfahrung der Erhörung wachsen – und du wirst einen Sieg um den andern gewinnen! wirst Fleisch und Welt und Tod und Teufel besiegen!

     Wenn solches alles den trifft, der Gottes Wort hört und bewahrt, ists dann nicht wahr, muß dann nicht schon in dieser Welt gesagt werden: Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren?

     Und in jener Welt, wo man zu dem gelangt, der das Wort gesprochen, – dem mans geglaubt hat wider alle Einreden des Teufels, wo man den sieht, dem man hier geglaubt, und alles sieht und schmeckt und erfährt, was man hier geglaubt, – dort sollte nicht selig sein, wer Gottes Wort gehört und bewahrt hat?

     Ach Gott – so gewis einer Gottes Wort hört und bewahrt, so gewis ist ihm das ewige Leben!



  1. Wilh. Tretzel, jetzt Pfarrer zu St. Johannis bei Nürnberg, der eine Weckstimme war allenthalben, wo er als Verweser wirkte.