Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz

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Titel: Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz.
Abkürzung:
Art:
Geltungsbereich: Deutsches Reich
Rechtsmaterie:
Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1938 Teil I, Nr. 165, Seite 1403–1406
Fassung vom: 27. September 1938
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 14. Oktober 1938
Inkrafttreten:
Anmerkungen: siehe auch Nationalsozialistisches Recht
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[1403]

Fünfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz.
Vom 27. September 1938.

Auf Grund des § 3 des Reichsbürgergesetzes vom 15. September 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1146) wird folgendes verordnet:

Artikel I Ausscheiden der Juden aus der Rechtsanwaltschaft

§ 1

Juden ist der Beruf des Rechtsanwalts verschlossen. Soweit Juden noch Rechtsanwälte sind, scheiden sie nach Maßgabe der folgenden Vorschriften aus der Rechtsanwaltschaft aus.
a) Im alten Reichsgebiet:
Die Zulassung jüdischer Rechtsanwälte ist zum 30. November 1938 zurückzunehmen.
b) Im Lande Österreich:
1. Jüdische Rechtsanwälte sind spätestens bis zum 31. Dezember 1938 auf Verfügung des Reichsministers der Justiz in der Liste der Rechtsanwälte zu löschen.
2. Bei Juden, die in der Liste der Rechtsanwaltskammer in Wien eingetragen sind, kann jedoch, wenn ihre Familie seit mindestens fünfzig Jahren im Lande Österreich ansässig ist und wenn sie Frontkämpfer sind, von der Löschung vorläufig abgesehen werden. Den Zeitpunkt der Löschung bestimmt in diesem Falle der Reichsminister der Justiz.
3. Bis zur Entscheidung darüber, ob eine Löschung in der Rechtsanwaltsliste erfolgt, kann der Reichsminister der Justiz dem Rechtsanwalt die Ausübung seines Berufs vorläufig untersagen.

§ 2

(1) Dienstverträge, die ein nach dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidender Jude als Dienstberechtigter geschlossen hatte, können von beiden Teilen unter Einhaltung einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalendermonats auch dann gekündigt werden, wenn gesetzlich oder vertraglich eine längere Frist bestimmt oder das Dienstverhältnis für bestimmte Zeit eingegangen war.
(2) Die Kündigung nach Abs. 1 kann
a) im alten Reichsgebiet
nur zum 28. Februar 1939,
b) im Lande Österreich
nur für den ersten Termin erklärt werden, für den sie nach dem Zeitpunkt erfolgen kann, an dem der frühere Rechtsanwalt oder sein Angestellter (Dienstnehmer) von der Löschung in der Rechtsanwaltsliste Kenntnis erhält.
(3) Gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen über eine kürzere als die im Abs. 1 vorgesehene Kündigungsfrist bleiben unberührt.

§ 3

(1) Wer auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidet, kann ein Mietverhältnis über Räume, die er für sich oder seine Familie gemietet [1404] hat, trotz entgegenstehender Vereinbarungen über die Dauer des Mietvertrages oder die Kündigungsfrist mit Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist kündigen. Das gleiche gilt für Angestellte (Dienstnehmer) eines Rechtsanwalts, die dadurch stellungslos werden, daß der Rechtsanwalt auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidet.
(2) Eine Kündigung nach Abs. 1 kann durch den Rechtsanwalt
a) im alten Reichsgebiet
nur zu dem ersten Termin erfolgen, zu dem sie nach dem 30. November 1938 zulässig ist,
b) im Lande Österreich
nur zu dem ersten Termin erfolgen, zu dem sie nach dem Zeitpunkt zulässig ist, in dem dem Rechtsanwalt die Löschung in der Rechtsanwaltsliste mitgeteilt wird.
(3) Der Angestellte (Dienstnehmer) kann eine Kündigung nach Abs. 1 nur zu dem ersten Termin aussprechen, für den die Kündigung nach Beendigung des Dienstverhältnisses zulässig ist.
(4) Im übrigen gelten für die Kündigung
a) im alten Reichsgebiet
die Vorschriften des § 6 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933 (Reichsgesetzbl. I S. 188),
b) im Lande Österreich
die Vorschriften des § 13 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 (Reichsgesetzbl. I S. 607)
sinngemäß.

§ 4

a) Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten ist dem auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden nach Maßgabe des Artikels I § 8 des Gesetzes zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung vom 13. Dezember 1935 (Reichsgesetzbl. I S. 1478) untersagt.
b) Im Lande Österreich gilt bis zum Inkraftsetzen des Gesetzes zur Verhütung von Mißbräuchen auf dem Gebiete der Rechtsberatung folgendes:
1. Wer auf Grund dieser Verordnung in der Liste der Rechtsanwälte gelöscht ist, darf fremde Rechtsangelegenheiten nicht mehr geschäftsmäßig besorgen; insbesondere ist ihm die gerichtliche oder außergerichtliche Vertretung, die Rechtsberatung und die Einziehung von Forderungen seiner Auftraggeber nicht gestattet.
2. Gerichte oder sonstige Behörden dürfen dem früheren Rechtsanwalt die Verwaltung oder Verwertung fremden Vermögens nicht übertragen. Ist ihm ein Auftrag dieser Art bereits erteilt, so hat die Stelle, die ihn ernannt hat, den Auftrag zu widerrufen; sie hat einem anderen Rechtsanwalt oder einer sonstigen geeigneten Person den Auftrag zu übertragen, soweit dies zur Verhütung von Rechtsnachteilen für die Beteiligten oder aus einem sonstigen Grunde erforderlich erscheint.
3. Die Vorschriften der Nrn. 1 und 2 gelten nicht für die Wahrnehmung von eigenen Angelegenheiten des früheren Rechtsanwalts und von Angelegenheiten seiner Ehefrau und seiner minderjährigen Kinder, soweit nicht Anwaltszwang besteht.
4. Wer den Vorschriften der Nr. 1 vorsätzlich zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bestraft.
5. Für die Dauer einer vorläufigen Untersagung der Berufsausübung gelten die Vorschriften der Nrn. 1 bis 4 sinngemäß.

§ 5

Den auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden können, soweit sie Frontkämpfer sind, aus den Einnahmen der jüdischen Konsulenten (§ 14) bei Bedürftigkeit und Würdigkeit jederzeit widerrufliche Unterhaltszuschüsse gewährt werden. Nach Maßgabe der eingehenden Beträge können unter den gleichen Voraussetzungen auch anderen auf Grund dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschiedenen Juden, soweit sie seit dem 1. August 1914 in der Rechtsanwaltsliste eingetragen waren, Unterhaltszuschüsse dieser Art gewährt werden.

§ 6

(1) Frontkämpfer im Sinne dieser Verordnung ist, wer im Weltkrieg (in der Zeit vom 1. August 1914 bis 31. Dezember 1918) auf seiten des Deutschen Reichs oder seiner Verbündeten bei der fechtenden Truppe an einer Schlacht, einem Gefecht, einem Stellungskampf oder einer Belagerung teilgenommen hat. Es genügt nicht, wenn sich jemand, ohne vor den Feind gekommen zu sein, während des Krieges aus dienstlichem Anlaß im Kriegsgebiet aufgehalten hat.
(2) Der Teilnahme an den Kämpfen des Weltkriegs steht die Teilnahme an den Kämpfen gleich, die nach ihm im Baltikum, ferner gegen die Feinde der nationalen Erhebung und zur Erhaltung deutschen Bodens geführt worden sind.

Artikel II Löschung der Juden in den Listen der Rechtsanwaltsanwärter und der Verteidiger im Lande Österreich

§ 7

(1) Juden werden in die Listen der Rechtsanwaltsanwärter und der Verteidiger in Strafsachen nicht mehr eingetragen. Soweit Juden in diesen Listen noch eingetragen sind, werden sie spätestens bis zum 31. Dezember 1938 auf Verfügung des Reichsministers der Justiz gelöscht. [1405]
(2) Die Vorschriften des Artikels 1 § 1 Buchstabe b Nr. 3, §§ 2 bis 4 dieser Verordnung gelten sinngemäß.

Artikel III Rechtliche Beratung und Vertretung von Juden

§ 8

Zur rechtlichen Beratung und Vertretung von Juden läßt die Justizverwaltung jüdische Konsulenten zu.

§ 9

(1) Jüdische Konsulenten werden nur zugelassen, soweit ein Bedürfnis besteht.
(2) Die Zulassung erfolgt auf Widerruf. Zum Zwecke der Stellvertretung eines zugelassenen jüdischen Konsulenten kann die Zulassung auch auf Zeit erfolgen.
(3) Die jüdischen Konsulenten und ihre Stellvertreter sollen, soweit angängig, aus der Zahl der nach § 1 dieser Verordnung aus der Rechtsanwaltschaft ausscheidenden Juden entnommen werden; Frontkämpfer sind nach Möglichkeit bevorzugt zu berücksichtigen.

§ 10

Jüdische Konsulenten dürfen nur Rechtsangelegenheiten von Juden sowie von jüdischen Gewerbebetrieben, jüdischen Vereinen, Stiftungen, Anstalten und sonstigen jüdischen Unternehmen geschäftsmäßig besorgen; insbesondere dürfen sie nur für diese die rechtliche Beratung, die gerichtliche oder außergerichtliche Vertretung sowie die Einziehung von Forderungen übernehmen.

§ 11

(1) Den jüdischen Konsulenten wird ein bestimmter Ort für ihre berufliche Niederlassung zugewiesen. Die Unterhaltung von Zweigniederlassungen, auswärtigen Sprechtagen oder ähnlichen ständigen Einrichtungen an einem anderen Ort erfolgt nach näherer Bestimmung der Justizverwaltung.
(2) Soweit die jüdischen Konsulenten Rechtsangelegenheiten besorgen dürfen, können sie in einem von der Justizverwaltung zu bestimmenden Bezirk vor allen Gerichten und Verwaltungsbehörden sowie vor allen diesen übergeordneten Gerichten und Behörden auftreten und als Bevollmächtigte – auch gegenüber den Gegnern ihrer Auftraggeber – tätig werden. Dies gilt auch insoweit, als Rechtsanwälte in einem Verfahren nur tätig werden dürfen, wenn sie bei dem Gericht, vor dem das Verfahren schwebt, zugelassen sind; soweit sonstige einschränkende Vorschriften bestehen, gelten diese sinngemäß.
(3) Im übrigen unterliegt die Berufstätigkeit der jüdischen Konsulenten keinen örtlichen Beschränkungen.

§ 12

Jüdische Konsulenten können im Armenrecht, als Notvertreter (entsprechend § 38 der Reichs-Rechtsanwaltsordnung) oder als Pflichtverteidiger beigeordnet werden. Soweit verfahrensrechtliche Vorschriften, insbesondere § 91 Abs. 2, § 104 Abs.2, §§ 135, 198, 212a der Reichs-Zivilprozeßordnung für Rechtsanwälte Vereinfachungen und sonstige Besonderheiten vorsehen, gelten sie für jüdische Konsulenten sinngemäß.

§ 13

Die jüdischen Konsulenten unterstehen der Aufsicht der Justizverwaltung.

§ 14

(1) Von ihren Auftraggebern erheben die jüdischen Konsulenten im eigenen Namen, jedoch für Rechnung einer vom Reichsminister der Justiz zu bestimmenden Ausgleichsstelle Gebühren und Auslagen nach Maßgabe der für Rechtsanwälte geltenden reichs- und landesrechtlichen Vorschriften. Von dem kostenpflichtigen Gegner des jüdischen Auftraggebers sind diese Beträge in gleicher Weise wie die Kosten eines Rechtsanwalts zu erstatten.
(2) Den jüdischen Konsulenten verbleibt als Vergütung für ihre Berufstätigkeit und als Entschädigung für Kanzleiunkosten – neben der Erstattung der notwendigen baren Aufwendungen für Reisen u. dgl. – ein Anteil an den aus ihrer Berufstätigkeit anfallenden Gebühren.
(3) Aus den der Ausgleichsstelle zufließenden Beträgen werden die nach § 5 dieser Verordnung zu leistenden Unterhaltszuschüsse gezahlt.
(4) Nähere Bestimmungen können durch allgemeine Verwaltungsanordnungen getroffen werden.

Artikel IV Schluß- und Übergangsvorschriften

§ 15

(1) Wird in einer bürgerlichen Rechtssache der Rechtsanwalt einer Partei durch eine auf Grund dieser Verordnung getroffene Maßnahme unfähig, die Vertretung der Partei fortzuführen, so werden auch Verfahren, in denen eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, unterbrochen.
(2) Eine Unterbrechung des Verfahrens tritt jedoch nicht ein, wenn der Rechtsanwalt gleichzeitig mit seinem Ausscheiden aus der Rechtsanwaltschaft als jüdischer Konsulent zugelassen wird und als solcher seinen Auftraggeber weiterhin vertreten darf.

§ 16

Einer Partei, die in einer bürgerlichen Rechtssache oder in einer Strafsache einen Termin (eine Tagsatzung) oder eine befristete Prozeßhandlung versäumt, ist auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch die auf Grund dieser Verordnung getroffenen Maßnahmen am rechtzeitigen Erscheinen zu dem Termin (der Tagsatzung) oder an der rechtzeitigen Vornahme der Prozeßhandlung verhindert worden ist.

§ 17

(1) Tritt in der Besorgung einer Rechtsangelegenheit wegen des Ausscheidens eines Juden aus der Rechtsanwaltschaft auf Grund dieser Verordnung ein [1406] Wechsel des Vertreters ein, so ist der kostenpflichtige Gegner des Auftraggebers des bisherigen jüdischen Rechtsanwalts zur Erstattung der durch den Vertreterwechsel entstehenden Mehrkosten nicht verpflichtet.
(2) Übernimmt ein jüdischer Konsulent eine bisher von einem jüdischen Rechtsanwalt besorgte Rechtsangelegenheit, so hat er seinem Auftraggeber die dem jüdischen Rechtsanwalt geschuldeten Gebühren gutzubringen. Der jüdische Konsulent und der frühere jüdische Rechtsanwalt haben im Wege gütlicher Vereinbarung einen Ausgleich über die dem früheren Rechtsanwalt angefallenen Gebühren herbeizuführen, wenn dies nach dem Umfang der von beiden in der Rechtssache geleisteten Arbeit der Billigkeit entspricht. Kommt eine Einigung nicht zustande, so kann auf Antrag eines Beteiligten über den Ausgleich im Verwaltungswege entschieden werden.

§ 18

Für ein Verfahren, das gegen einen Juden vor einem anwaltlichen Ehrengericht in dem Zeitpunkt anhängig ist, zu dem er nach dieser Verordnung aus der Anwaltschaft ausscheidet, gelten die Bestimmungen des § 2 der Verordnung zur Ergänzung der Vorschriften über das ehrengerichtliche Verfahren gegen Rechtsanwälte vom 31. August 1937 (Reichsgesetzbl. I S. 919) sinngemäß.

§ 19

Der Reichsminister der Justiz wird ermächtigt, die zur Durchführung und Ergänzung dieser Verordnung erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen. Soweit der Reichsminister der Finanzen beteiligt ist, ergehen sie im Einvernehmen mit diesem.
Berlin, den 27. September 1938.
Der Führer und Reichskanzler
Adolf Hitler

Der Reichsminister der Justiz
Dr. Gürtner

Der Reichsminister des Innern
Frick

Der Stellvertreter des Führers
R. Heß

Der Reichsminister der Finanzen
In Vertretung
Reinhardt