G. G. Gervinus

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Titel: G. G. Gervinus
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 266-268
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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G. G. Gervinus.

Es gibt wenig Namen, die, wie der Name Gervinus, seit mehr als zwanzig Jahren so eng mit deutscher Wissenschaft und deutschem Leben verwachsen sind; und wenn auch in Gervinus der Gelehrte größer ist als der politische Character, und zwar so, daß er als Gelehrter eine der ersten Zierden Deutschlands ist, so hat er sich doch auch als Politiker die allgemeine Achtung zu erwerben gewußt. Die bei tiefem und gründlichem Wissen stets vorhandene ruhige und leidenschaftslose Auffassung der Dinge fand sich bei ihm in hohem Grade, und mußte ihm selbst die Achtung seiner politischen Gegner – andere hat er nicht – zuziehen.

Geboren am 20. Mai 1805 zu Darmstadt sah sich Georg Gottfried Gervinus, seiner Neigung entgegen, von seinen Aeltern zum Kaufmann bestimmt und erhielt eine in diesem Sinne geleitete Erziehung. Er legte auch in seiner Vaterstadt die Lehrjahre zurück, und schien bereits mit dem Geschick ausgesöhnt, als der höhere Drang zum Studiren heftiger als je in ihm erwachte. Gervinus holte nun meist durch Selbststudium, das Versäumte nach und konnte bald darauf die Universität Heidelberg beziehen. Nach vollendeten Studien begegnen wir dem ehemaligen Kaufmannsdiener als Lehrer einer Erziehungsanstalt in Frankfurt a. M., in welcher Stellung er indeß nicht lange blieb, sondern nach Heidelberg zurückkehrte, um sich gänzlich dem akademischen Lehrberuf zu widmen. Eine außerordentliche Professur wurde ihm 1835 zu Theil, und schon im folgenden Jahre sah er sich als ordentlicher Professor der Geschichte und Literatur, an die Universität Göttingen berufen, wo er mit Dahlmann in ein inniges Freundschaftsverhältniß trat. Seines Bleibens sollte jedoch dort nicht lange sein, denn als der verstorbene Ernst August im Jahre 1837 den hannoverschen Thron bestieg und das bestehende Staatsgrundgesetz aufhob, befand sich Gervinus [267] unter den sieben Göttinger Professoren, welche gegen diesen Schritt protestirten, und wurde dafür durch Cabinetsordre vom 14. December 1837 seines Amts entsetzt, mit der Andeutung, binnen drei Tagen das Land zu verlassen.

G. G. Gervinus.

Schon damals hatte Gervinus seinen Ruf durch die im Jahre 1835 begonnene Herausgabe der „Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen“ fest begründet, und während er von da ab, einige wissenschaftliche Reisen abgerechnet, abwechselnd in Darmstadt und Heidelberg lebte, umgab er durch das Erscheinen der „Neueren Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen“ seinen Namen mit neuem Glanz. Nach seiner abermaligen Anstellung als Professor an der Universität Heidelberg (1844), nahm er an den Bestrebungen der, heutigen Tages sogenannten Alt-Liberalen den lebhaftesten Antheil, und war es, der durch die bekannte Heidelberger Adresse im Juli 1846 ganz Deutschland für die Sache der Schleswig-Holsteiner in Bewegung brachte. Auch das vom König v. Preußen am 3. Febr. 1847 erlassene Patent, [268] womit die Verfassungsgeschichte Preußens beginnt, veranlaßte ihn die Feder zu ergreifen und sich über das Ungenügende des dadurch geschaffenen Zustandes auszusprechen. Noch mehr aber, ja fast ausschließlich, nahm ihn die Tagespolitik in Anspruch, als die badischen Liberalen im Juli 1847 die „Deutsche Zeitung“ gründeten, die unter seiner Leitung mit strenger Consequenz für das constitutionelle Repräsentativsystem und für eine festere einheitlichere Gestaltung des deutschen Bundesstaates kämpfte.

Um diese Zeit war Gervinus so sehr Politiker geworden, daß als die französische Februarrevolution erschütternd nach Deutschland herüber wirkte, er sich, von den Hansestädten gewählt, unter den, dem Bundestage beigegebenen Vertrauensmännern befand; auch nahm er an den Verfassungsarbeiten der Siebzehner Theil und nahm später einen Sitz im Parlamente der Paulskirche ein, aus dem er indeß schon im August 1848 trat.

Mißmuth über den Gang der Dinge und körperliches Unwohlsein bestimmten ihn gleichviel zu diesem Schritt, doch wandte er sich mit Ausgang des Jahres 1848 noch einmal mit aller Energie den öffentlichen Angelegenheiten zu, indem er in der deutschen Zeitung seine Stimme über die Verfassungsfrage vernehmen ließ. Die bald darauf eintretende Wendung der Dinge verleidete ihm die Politik so sehr, daß er dem publicistischen Wirken fast gänzlich entsagte, auch im Gegensatz zu seinen politischen Freunden, kein Vertrauen auf die durch Preußen eingeschlagene Politik, deren Ausdruck das Dreikönigsbündniß war, setzte, und sich ebenso wenig von den bekannten Verabredungen in Gotha versprach. Dessenungeachtet wurde Gervinus zu der Partei gerechnet, die man von da ab als „Gothaer“ bezeichnete, doch lebte er, dem politischen Treiben so ziemlich fremd, zurückgezogen in Heidelberg, und nur der schleswig-holsteinische Krieg (Juli 1850) sah ihn wiederum sich kraftvoll aber vergeblich für die Sache der Herzogthümer, mit der er seit Jahren sympathisirt, verwenden.

Als Gervinus alle seine Hoffnungen gescheitert sah, wandte er sich mit erneutem Eifer seinen wissenschaftlichen literarischen Arbeiten zu, als deren vieljährige Frucht sein geistreiches Werk über „Shakespeare“ in vier Bänden erschien. Von der politischen Bühne galt er dabei fast für verschollen, als plötzlich zu Anfang dieses Jahres sein Name auch hier wieder auftauchen sollte, und uns den Mann in ganz anderer Gestalt vorführte, seinen Freunden wie seinen Gegnern zur nicht geringen Ueberraschung. Wer hätte nicht von der „Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts“ gehört, der wir hier gedenken müssen. Der Grundgedanke des Buches ist, daß der endliche Sieg der demokratischen Ideen unausbleiblich sei, und trotz der rein wissenschaftlich gehaltenen Ausführung dieses Satzes, zog es gleichwohl dem Buche in fast allen deutschen Bundesstaaten die Confiscation, und dem Verfasser in Baden einen Preßproceß zu, der, weil es sich um eine so bedeutende Persönlichkeit wie Gervinus handelte, allgemeines Aufsehen erregte. Gervinus wurde zu zwei Monate Gefängniß verurtheilt, dieses Urtheil jedoch vom Oberhofgerichte in Mannheim für nichtig erklärt, weil die auf Hochverrath lautende Anklage vor die Geschworenen gehöre, nicht aber vor das Hofgericht, das in dieser Sache ganz unbefugter Weise erkannt habe. War diese Wendung des Processes schon ganz unerwartet, so überraschte es noch mehr, als kurze Zeit darauf der Staatsanwalt ankündigte, wie er höherer Weisung zufolge die Anklage gänzlich zurückziehe, womit die Angelegenheit selbst ihre Erledigung fand.

Das, was wir als den Grundgedanken des genannten Werkes bezeichneten, ist nicht etwa neu, sondern wurde von den demokratischen Zeitschriften bereits in unendlichen Variationen durchgeführt. Neu dabei, und daher so großes Aufsehen erregend, war nur, daß ein Mann wie Gervinus, einer der hervorragendsten unter den sogenannten Gothaern, und der Erste unter den deutschen Geschichtsforschern, das Alles sagte. Das Buch selbst ist übrigens seinem Inhalte nach nur auf gebildete Kreise berechnet, und steht der größern Masse des Volkes, welche die rein wissenschaftlichen Forschungen seiner großen Denker erst in mundgerechter Weise zubereitet haben will, durchaus fern.