Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe

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Titel: Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe.
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Fundstelle: Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1869, Nr. 29, Seite 305–315
Fassung vom: 21. Juni 1869
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Bekanntmachung: 10. Juli 1869
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[305]

(Nr. 323.) Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechtshülfe. Vom 21. Juni 1869.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Norddeutschen Bundes, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages, was folgt:

Erster Abschnitt. Von der Rechtshülfe in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

§. 1.

Die Gerichte des Bundesgebietes haben sich in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten gegenseitig Rechtshülfe zu leisten. Es macht keinen Unterschied, ob das ersuchende und das ersuchte Gericht demselben Bundesstaate, oder ob sie verschiedenen Bundesstaaten angehören.
Das ersuchte Gericht darf die Rechtshülfe selbst dann nicht verweigern, wenn es die Zuständigkeit des ersuchenden Gerichts nicht für begründet hält.

§. 2.

Die Rechtshülfe wird auf Requisition von Gericht zu Gericht geleistet, soweit nicht in den §§. 3. bis 6. ein Anderes bestimmt ist.

§. 3.

Wenn nach dem Rechte des Orts, wo die erforderliche Prozeßhandlung vorzunehmen ist, diese zum Geschäftskreise besonderer Beamten (Gerichtsvollzieher, Gerichtsvögte u. s. w.) gehört oder von der betheiligten Partei bei dem Gerichte unmittelbar zu betreiben ist, so hat das ersuchte Gericht selbst oder die bei ihm bestehende Staatsanwaltschaft einen zuständigen Beamten mit der Vornahme der Prozeßhandlung zu beauftragen oder, soweit es erforderlich ist, die Sache einem Anwalte oder einer sonst geeigneten Person zur Betreibung zu übergeben. [306]

§. 4.

Durch die Vorschriften des §. 3. wird nicht ausgeschlossen, daß die betheiligte Partei unmittelbar einen zuständigen Beamten mit der Vornahme der Prozeßhandlung beauftragt oder die Sache bei dem Gerichte betreibt.

§. 5.

Wird in einem anhängigen oder anhängig zu machenden Rechtsstreite eine Prozeßhandlung erforderlich, welche nach dem für das Prozeßgericht geltenden Rechte nicht von den Gerichten verfügt, sondern im Auftrage der Parteien durch besondere Beamte bewirkt wird, dagegen nach dem Rechte des Orts, wo die Handlung vorzunehmen ist, zu dem Geschäftskreise der Gerichte gehört, so hat das zuständige Gericht dieses Orts auf den von der Partei unter Vorlegung der zuzustellenden oder der sonst erforderlichen Schriftstücke gestellten Antrag die Prozeßhandlung anzuordnen.

§. 6.

Requisitionen und Parteianträge, welche durch Vermittelung der Staatsanwaltschaft an die Gerichte gelangen, sind in derselben Weise zu erledigen, als wenn sie unmittelbar von dem Prozeßgerichte eingesendet oder von der Partei gestellt wären.

§. 7.

Eine im Wege der Rechtshülfe zu bewirkende Zwangsvollstreckung (Exekution) erfolgt nach den am Orte der Vollstreckung geltenden Vorschriften.

§. 8.

Ueber Einwendungen, welche die Zulässigkeit der Rechtshülfe (§. 37.), die Art und Weise der Vollstreckung oder das bei derselben zu beobachtende Verfahren betreffen, hat das Gericht des Vollstreckungsorts zu entscheiden.
Dasselbe gilt von Einwendungen, welche von dritten Personen wegen eines Anspruchs auf den Gegenstand der Vollstreckung erhoben werden.
Alle anderen Einwendungen gegen die Vollstreckung unterliegen der Entscheidung des Prozeßgerichts.

§. 9.

Werden bei dem Vollstreckungsgerichte Einwendungen erhoben, über welche in Gemäßheit des §. 8. das Prozeßgericht zu entscheiden hat, so kann das erstere, wenn ihm die Einwendungen erheblich und in thatsächlicher Beziehung glaubhaft erscheinen, die Vollstreckung vorläufig einstellen. [307]
Im Falle der Einstellung ist für die Beibringung der Anordnung des Prozeßgerichts eine Frist zu bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablaufe die Vollstreckung fortgesetzt wird.

§. 10.

Sollen die in einem Rechtsgebiete, in welchem die Zwangsvollstreckung Geschäftskreise besonderer Beamten gehört, erlassenen Erkenntnisse in einem Rechtsgebiete vollstreckt werden, in welchem die Zwangsvollstreckung von den Gerichten geleitet wird, so hat das zuständige Gericht die Zwangsvollstreckung auf Antrag der Partei anzuordnen. Zu diesem Zwecke ist eine mit dem gerichtlichen Zeugnisse der Vollstreckbarkeit versehene Ausfertigung des Erkenntnisses vorzulegen.

§. 11.

Wenn nach dem für das Prozeßgericht geltenden Rechte die Vollstreckung durch Einlegung eines Rechtsmittels gehemmt werden kann, so ist in dem Zeugnisse der Vollstreckbarkeit (§ 10.) zu bemerken, welche Rechtsmittel die Vollstreckung hemmen, und binnen welcher Frist dieselben einzulegen sind.
Wird dem Vollstreckungsgerichte glaubhaft gemacht, daß ein Rechtsmittel, durch welches die Vollstreckung gehemmt wird, binnen der gesetzlichen Frist eingelegt ist, so hat dasselbe die Vollstreckung einzustellen.
Ein solches Rechtsmittel kann bei dem Vollstreckungsgerichte ohne Beobachtung einer besonderen Form eingelegt werden. Diese Einlegung wird jedoch wirkungslos, wenn sie nicht innerhalb der Nothfrist und spätestens binnen vierzehn Tagen seit dem Tage der Einlegung nach den am Orte des Prozeßgerichts geltenden Vorschriften wiederholt wird.
Hat das Vollstreckungsgericht in Gemäßheit der Vorschriften dieses Paragraphen die Einstellung der Vollstreckung angeordnet, so kann die betreibende Partei die Fortsetzung der Vollstreckung nur dann verlangen, wenn sie ein die Fortsetzung anordnendes oder das eingelegte Rechtsmittel verwerfendes Erkenntniß des Prozeßgerichts beibringt.
Die Bestimmungen dieses Paragraphen finden keine Anwendung, wenn für das Prozeßgericht dasselbe Prozeßrecht gilt, wie für das Vollstreckungsgericht

§. 12.

Sollen in einem Rechtsgebiete, in welchem die Zwangsvollstreckung zum Geschäftskreise besonderer Beamten gehört, die in einem anderen Bundesstaate oder in einem Rechtsgebiete, in welchem die Zwangsvollstreckung von den Gerichten geleitet wird, erlassenen Erkenntnisse oder sonstigen richterlichen Verfügungen vollstreckt werden, so sind sie von der zuständigen gerichtlichen Behörde des Orts der Vollstreckung mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Zu diesem Zwecke ist der Behörde eine von dem Prozeßgerichte mit dem Zeugnisse der Vollstreckbarkeit versehene Ausfertigung des Erkenntnisses oder der Verfügung vorzulegen. [308]
Die Vollstreckungsklausel wird ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung oder Verfügung und ohne Anhörung der Parteien ertheilt

§. 13.

Das in einem Bundesstaate eröffnete Konkursverfahren (Falliment, Debitverfahren, konkursmäßige Einleitung u. s. w.) äußert in Bezug auf das zur Konkursmasse gehörige Vermögen seine Wirkung in dem gesammten Bundesgebiete. Dies gilt insbesondere von den Beschränkungen, welche die Verfügungs- und Verwaltungsrechte des Gemeinschuldners erleiden, und von dem Uebergange dieser Rechte auf die Gläubigerschaft.

§. 14.

Auf Ersuchen des Konkursgerichts oder auf Antrag des Konkursvertreters ist das in einem anderen Staats- oder Rechtsgebiete befindliche Vermögen des Gemeinschuldners von den Gerichten des Orts, wo sich dasselbe befindet, nach Maaßgabe der daselbst für den Fall des Konkursverfahrens zur Anwendung kommenden Gesetze sicher zu stellen, zu inventarisiren und zur Konkursmasse abzuliefern.

§. 15.

Insoweit nach den Gesetzen des Staats- oder Rechtsgebietes, in welchem sich abzulieferndes Vermögen (§. 14.) befindet, gewisse Personen für den Fall eines daselbst eröffneten Konkurses berechtigt sind,
1) Vindikationsansprüche in Bezug auf dieses Vermögen oder auf einzelne Theile desselben geltend zu machen,
2) ihre abgesonderte Befriedigung aus diesem Vermögen oder aus einzelnen Theilen desselben zu verlangen, oder
3) auf Grund eines auf bestimmte Gegenstände dieses Vermögens beschränkten dinglichen oder persönlichen Rechts aus diesen Gegenständen ihre vorzugsweise Befriedigung zu beanspruchen,
stehen ihnen diese Rechte in derselben Weise zu, als wenn der Konkurs in diesem Staats- oder Rechtsgebiete eröffnet wäre.
Vorzugsrechte anderer Art bestimmen sich nach dem für das Konkursgericht geltenden Rechte.

§. 16.

Die in §. 15. Ziff. 1. und 2. bezeichneten Rechte können, so lange die Ablieferung der Vermögenstheile, auf welche sich die Rechte beziehen, noch nicht erfolgt ist, bei den Gerichten des Orts geltend gemacht werden, wo sich diese Vermögenstheile befinden.
Nach der Ablieferung sind diese Rechte bei den Gerichten des Orts der Konkurseröffnung geltend zu machen. [309]
Die in §. 15. Ziff. 3. bezeichneten Gläubiger haben sich in den Konkurs einzulassen und ihre Rechte bei dem Konkursgerichte zu verfolgen.

§. 17.

Gläubiger, welche sich kraft eines Pfand- oder Retentionsrechts in dem Besitze eines abzuliefernden Vermögensstücks befinden, sind in keinem Falle verpflichtet, vor ihrer Befriedigung das Vermögensstück zur Konkursmasse abzuliefern.
Inwieweit dieselben berechtigt sind, ihre Forderung im Konkurse anzumelden, ohne gleichzeitig das von ihnen als Pfand oder retentionsweise besessene Vermögensstück der Konkursmasse zur Verfügung zu stellen, entscheidet sich nach Gesetzen des Orts, wo der Konkurs anhängig ist.

§. 18.

Der Verkauf der in einem anderen Staats- oder Rechtsgebiete belegenen unbeweglichen Sachen und die Befriedigung der Gläubiger, welche aus der durch Kaufpreis gebildeten Masse ihre abgesonderte Befriedigung zu verlangen berechtigt sind, erfolgt am Orte der belegenen Sache nach den Vorschriften, welche gelten würden, wenn der Konkurs daselbst eröffnet wäre. Sofern nach den Gesetzen dieses Orts die bezeichneten Gläubiger ihre Rechte bei dem Konkursgericht geltend zu machen hätten, tritt an Stelle des letzteren das zuständige Gericht des Orts der belegenen Sache.
Insoweit nach den Gesetzen des Orts, wo sich abzulieferndes Vermögen befindet, im Falle der daselbst erfolgten Eröffnung des Konkurses ein Spezial- oder Partikular-Konkurs über das abzuliefernde Vermögen oder einzelne Theile desselben zu eröffnen wäre, wird dieser Konkurs eröffnet.
Der Betrag, welcher nach Befriedigung der in Gemäßheit der Bestimmungen dieses Paragraphen zu berücksichtigenden Gläubiger übrig bleibt, ist zur Konkursmasse abzuliefern.

§. 19.

Ist eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit in einem Bundesstaate rechtshängig geworden oder rechtskräftig entschieden, so kann die Rechtshängigkeit oder die Rechtskraft vor jedem Gerichte desselben oder eines anderen Bundesstaates geltend gemacht werden.

Zweiter Abschnitt. Von der Rechtshülfe in Strafsachen.

§. 20.

Die Gerichte eines Bundesstaates haben in Strafsachen den Gerichten der anderen Bundesstaaten auf Requisition dieselbe Rechtshülfe zu leisten, wie den Gerichten des eigenen Staates, insoweit sich nicht aus den §§. 21. bis 33. ein Anderes ergiebt. [310]

§. 21.

Die Gerichte eines Bundesstaates sind verpflichtet, Personen, welche von den Gerichten eines anderen Bundesstaates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt werden oder verurtheilt sind, diesen Gerichten auf Ersuchen auszuliefern, wenn die strafbare Handlung, wegen welcher die Auslieferung beantragt wird, in dem Gebiete des Bundesstaates verübt ist, welchem das ersuchende Gericht angehört.
Bei Anwendung dieser Vorschrift wird angenommen, daß eine mittelst der Presse verübte strafbare Handlung nur an dem Orte verübt sei, an welchem das Preßerzeugniß erschienen ist.

§. 22.

Die Verpflichtung zur Auslieferung (§. 21.) erstreckt sich auf die Auslieferung der Theilnehmer, einschließlich der intellektuellen Urheber, der Gehülfen und derjenigen Begünstiger, welche die Begünstigung vor Verübung der That zugesagt haben, auch dann, wenn die denselben zur Last fallenden Handlungen nicht in dem Gebiete des Staates begangen sind, in welchem das ersuchende Gericht sich befindet.

§. 23.

Die Bestimmungen der §§. 21. und 22. finden auch dann Anwendung, wenn die Person, deren Auslieferung verlangt wird, dem Staate angehört, dessen Gericht um die Auslieferung ersucht ist.

§. 24.

Die Auslieferung findet nicht statt, wenn in Ansehung der strafbaren Handlung in dem Staate, welchem das ersuchte Gericht angehört, ein Gerichtsstand begründet und das Strafverfahren früher anhängig geworden ist, als in dem Staate, welchem das ersuchende Gericht angehört.
Befindet sich die Person, deren Auslieferung verlangt wird, in dem Staate, welchem das ersuchte Gericht angehört, wegen einer anderen strafbaren Handlung in Untersuchung oder in Strafhaft, so kann die Auslieferung bis nach Erledigung der Untersuchung oder der Strafhaft abgelehnt werden.

§. 25.

Bis zum Erlasse eines gemeinsamen Strafgesetzbuchs für den Norddeutschen Bund findet die Auslieferung auch dann nicht statt, wenn
1) die Handlung ein politisches Verbrechen oder Vergehen, oder mittelst der Presse verübt worden ist, oder
2) sie nicht mit Strafe bedroht oder in Betreff ihrer die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung durch Verjährung ausgeschlossen ist, oder [311]
3) die Handlung nach den Gesetzen des Staates, welchem das ersuchende Gericht angehört, mit Todesstrafe oder mit körperlicher Züchtigung bedroht ist, während die Anwendung dieser Strafen nach den Gesetzen des Staates, welchem das ersuchte Gericht angehört, nicht zulässig ist.
Ob einer der Fälle unter 1. oder 2. vorhanden, ist nach den Gesetzen des Bundesstaates, in dessen Gebiete der Beschuldigte oder Verurtheilte sich befindet, zu beurtheilen, und bei dieser Beurtheilung die Handlung als im Gebiete dieses Staates verübt anzusehen.

§. 26.

Die Auslieferung kann auch in den, im vorigen Paragraphen bezeichneten Fällen, und zwar sowohl zum Zwecke der Untersuchung, als auch zu dem der Strafvollstreckung, nicht abgelehnt werden, wenn während des Aufenthalts in Staate, welchem das ersuchende Gericht angehört, dem Angeschuldigten der Beschluß oder die Verfügung, durch welche die Untersuchung gegen ihn eröffnet worden ist, persönlich zugestellt oder er als Angeschuldigter über die That verhört oder zum Zwecke der Einleitung der Untersuchung in Haft genommen war.

§. 27.

Wenn in Gemäßheit der Bestimmungen in §. 25. Nr. 1. und 3. eine Auslieferung nicht stattfindet, so ist der Angeschuldigte in dem Staate, in dessen Gebiete er sich befindet, und zwar, falls nach den Gesetzen dieses Staates ein anderer Gerichtsstand nicht begründet ist, von dem Gerichte, in dessen Bezirke er sich aufhält, wegen der ihm zur Last gelegten Handlung zur Untersuchung zu ziehen. Es wird jedoch hierzu in den Fällen des §. 25. Nr. 1. noch der Antrag der zuständigen Behörde des Staates, in dessen Gebiete die Handlung verübt worden, vorausgesetzt.
Bei der Untersuchung und der Aburtheilung ist die Handlung so anzusehen, als ob sie in dem Gebiete des Bundesstaates, welchem das untersuchende Gericht angehört, verübt worden. Sollte jedoch die Handlung in den Gesetzen des Staates, in dessen Gebiete sie verübt worden, mit einer geringeren Strafe bedroht sein, so sind bei der Aburtheilung diese Gesetze zur Anwendung zu bringen.

§. 28.

Dem Ersuchen um Auslieferung ist eine Ausfertigung des gegen den Auszuliefernden erlassenen gerichtlichen Verhaftsbefehls oder des gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Strafurtheils beizufügen.
In dem Verhaftsbefehle ist die Beschuldigung und das auf sie anzuwendende Strafgesetz genau zu bezeichnen, insbesondere Zeit und Ort der That anzugeben.

§. 29.

In dringenden Fällen kann, unter Vorbehalt unverzüglicher Nachbringung [312] eines vorschriftsmäßigen Auslieferungsantrages, die einstweilige Verhaftung des Auszuliefernden auf dem kürzesten, selbst auf telegraphischem Wege erwirkt werden.

§. 30.

Die Sicherheitsbeamten eines Bundesstaates, insbesondere die Gendarmen sind ermächtigt, die einer strafbaren Handlung verdächtigen Personen unmittelbar nach verübter That, oder unmittelbar nachdem dieselben betroffen worden sind, im Wege der Nacheile bis in benachbarte Staatsgebiete zu verfolgen und daselbst festzunehmen. Der Festgenommene ist unverzüglich an die nächste Gerichts- oder Polizeibehörde des Bundesstaates, in welchem er ergriffen wurde, abzuliefern.
Zur selbstständigen Vornahme von Haussuchungen sind Sicherheitsbeamte des anderen Bundesstaates nicht befugt.

§. 31.

Bei Auslieferung der Person sind zugleich die zum Beweise der strafbaren Handlung dienlichen Gegenstände, vorbehaltlich der Rechte dritter Personen, zu übergeben.

§. 32.

Jeder Bundesstaat ist verpflichtet, die Durchführung von Personen und Gegenständen durch sein Staatsgebiet zum Behuf der Ueberlieferung an einen anderen Bundesstaat zu gestatten.

§. 33.

Zur Vollstreckung eines in einem Bundesstaate erlassenen Strafurtheils sind die Gerichte eines anderen Bundesstaates nur dann verpflichtet, wenn die strafbare Handlung, wegen welcher die Strafe erkannt ist, im Gebiete des Bundesstaates, in welchem sich das ersuchende Gericht befindet, verübt ist (§§. 21. 22.), und wenn außerdem die Strafe entweder nur in das Vermögen des Verurtheilten zu vollstrecken ist oder in einer Freiheitsstrafe besteht, welche die Dauer von sechs Wochen nicht übersteigt.
Ist die Verpflichtung zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe begründet, so findet die Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung nicht statt.
Dem Ersuchen um Vollstreckung ist eine Ausfertigung des rechtskräftigen Strafurtheils beizufügen.

§. 34.

Im Falle der Auslieferung darf die Untersuchung oder Strafvollstreckung auf andere Handlungen oder Strafen, als diejenigen, wegen welcher die Auslieferung erfolgt war, nicht erstreckt werden.
Die vorstehende Bestimmung findet auf die von dem Ausgelieferten nach der Auslieferung im Gebiete des Staates, welchem das ersuchende Gericht angehört, verübten strafbaren Handlungen keine Anwendung. [313]

§. 35.

Ist gegen eine Person von den Gerichten eines Bundesstaates wegen einer in diesem Staate begangenen strafbaren Handlung die Untersuchung eingeleitet, so findet, sofern die Verpflichtung zur Auslieferung durch die Bestimmungen der §§. 24. bis 26. nicht ausgeschlossen war, gegen diese Person in einem anderen Staate wegen derselben strafbaren Handlung eine Untersuchung nicht statt.

§. 36.

Insoweit nach den Vorschriften der Landesgesetze die Requisitionen um Rechtshülfe in Strafsachen zu dem Geschäftskreise der Staatsanwaltschaft gehören, finden in Ansehung der von den Bundesstaaten gegenseitig zu gewährenden Rechtshülfe die Vorschriften, welche für die von den Gerichten erlassenen oder an diese gerichteten Requisitionen gelten, auch auf die von der Staatsanwaltschaft erlassenen oder an dieselbe gerichteten Requisitionen Anwendung. Eine Verhaftung, Haussuchung, Beschlagnahme, Auslieferung oder Strafvollstreckung kann jedoch bei einem Gerichte nur auf Grund eines gerichtlichen Beschlusses verlangt werden und nur auf Grund eines solchen Beschlusses erfolgen.

Dritter Abschnitt. Allgemeine Bestimmungen.

§. 37.

Die Rechtshülfe findet nicht statt, wenn die Vornahme der beantragten Handlung nicht zu dem Geschäftskreise des ersuchten Gerichts gehört, oder wenn eine Handlung des Gerichts, einer Partei oder eines Dritten beantragt wird, deren Vornahme nach dem für dieses Gericht geltenden Rechte verboten ist.

§. 38.

Ueber die Zulässigkeit der nach diesem Gesetze zu leistenden Rechtshülfe und über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung derselben wird ausschließlich von den Gerichten des Staates, welchem das ersuchte Gericht angehört, im geordneten Instanzenzuge entschieden.

§. 39.

Bei Anwendung der Civil- und Strafprozeßgesetze, welche Vorschriften zum Nachtheile der Ausländer enthalten, sowie der Gesetze, welche sich auf den Konkurs über das Vermögen der Ausländer beziehen, ist jeder Norddeutsche als Inländer anzusehen.
Insoweit nach Vorschrift der Prozeßgesetze Zustellungen an Personen, welche im Auslande wohnen oder sich aufhalten, an die Staatsanwaltschaft mit derselben Wirkung, wie an diese Personen selbst, erfolgen, ist das Bundesgebiet als Ausland nicht anzusehen. [314]

§. 40.

Jeder Norddeutsche ist verpflichtet, auf Anordnung des Civil- oder Strafgerichts vor demselben zum Zwecke seiner Vernehmung als Zeuge zu erscheinen, auch wenn er einem anderen Bundesstaate angehört. Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf Personen, welche nach dem am Wohnsitze derselben geltenden Rechte nicht verbunden sind, persönlich vor Gericht zu erscheinen oder in der betreffenden Sache Zeugniß abzulegen.
Gehört der Zeuge einem anderen Bundesstaate an, so ist seine Vorladung bei dem Gerichte seines Wohnsitzes zu beantragen. In diesem Falle ist der Zeuge befugt, die Zahlung der Entschädigung für Zeitversäumniß und Reisekosten nach der in dem einen oder dem anderen dieser Staaten geltenden Taxordnung zu fordern. Die Zahlung ist dem Zeugen auf Verlangen vorschußweise zu leisten.

§. 41.

Die Injuriensachen, welche im Wege des Civilprozesses verhandelt werden, gelten in Ansehung der Gewährung der Rechtshülfe als bürgerliche Rechtsstreitigkeiten. Soweit jedoch eine Strafe zu vollstrecken ist, kommen die Vorschriften des §. 33. zur Anwendung.

§. 42.

Ist von dem Strafrichter auf Civilentschädigung erkannt, so bestimmt sich die Gewährung der Rechtshülfe für die Vollstreckung des Erkenntnisses nach den Vorschriften über die Vollstreckung der in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten erlassenen Erkenntnisse.

§. 43.

Die Kosten der Rechtshülfe sind von der ersuchenden Behörde zu bezahlen.
Wenn eine zahlungspflichtige Partei nicht vorhanden, oder wenn die zahlungspflichtige Partei unvermögend ist, so wird die Rechtshülfe kosten- und gebührenfrei geleistet. Es sind jedoch die baaren Auslagen, welche durch eine Auslieferung oder durch eine Strafvollstreckung entstehen, der ersuchten Behörde zu erstatten.

§. 44.

Wird ein Gesuch um Rechtshülfe an eine nicht zuständige Behörde gerichtet, so hat diese das Gesuch an die zuständige Behörde abzugeben.

§. 45.

Die Bestimmungen dieses Gesetzes finden auch auf bereits anhängige Sachen unter folgenden Beschränkungen Anwendung:
1) die Vollstreckung eines Civil- oder Straferkenntnisses, welches in einem Bundesstaate vor dem Zeitpunkte, in welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, im Wege des Kontumazialverfahrens ergangen ist, findet in einem anderen Bundesstaate auf Grund dieses Gesetzes nicht statt; [315]
2) die Bestimmungen der §§. 13. bis 18. finden keine Anwendung, wenn der Konkurs vor dem Zeitpunkte eröffnet ist, in welchem dieses Gesetz in Kraft tritt.

§. 46.

Die zwischen einzelnen Bundesstaaten über Leistung der Rechtshülfe abgeschlossenen Verträge bleiben insoweit in Kraft, als sie mit gegenwärtigem Gesetze nicht im Widerspruche stehen.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Bundes-Insiegel.
Gegeben Berlin, den 21. Juni 1869.
(L. S.)  Wilhelm.

  Gr. v. Bismarck-Schönhausen.