Gesetz über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung

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Gesetzestext
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Titel: Gesetz über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung.
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Fundstelle: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1885, Nr. 19, Seite 159 - 164
Fassung vom: 28. Mai 1885
Ursprungsfassung:
Bekanntmachung: 6. Juni 1885
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(Nr. 1608.) Gesetz über die Ausdehnung der Unfall- und Krankenversicherung. Vom 28. Mai 1885.

Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden Deutscher Kaiser, König von Preußen etc.

verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesraths und des Reichstags, was folgt:

I. Unfallversicherung.[Bearbeiten]

§. 1. Ausdehnung der Unfallversicherung.[Bearbeiten]

Das Unfallversicherungsgesetz vom 6. Juli 1884 (Reichs-Gesetzbl. S. 69) findet mit den aus nachstehenden Bestimmungen sich ergebenden Abänderungen Anwendung auf
1. den gesammten Betrieb der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverwaltungen, sowie sämmtliche Betriebe der Marine- und Heeresverwaltungen, und zwar einschließlich der Bauten, welche von diesen Verwaltungen für eigene Rechnung ausgeführt werden;
2. den Baggereibetrieb;
3. den gewerbsmäßigen Fuhrwerks-, Binnenschiffahrts-, Flößerei-, Prahm- und Fährbetrieb, sowie den Gewerbebetrieb des Schiffsziehens (Treidelei);
4. den gewerbsmäßigen Speditions-, Speicher- und Kellereibetrieb;
5. den Gewerbebetrieb der Güterpacker, Güterlader, Schaffer, Bracker, Wäger, Messer, Schauer und Stauer.

§. 2. Reichs- und Staatsbetriebe.[Bearbeiten]

Für die Post-, Telegraphen-, Marine- und Heeresverwaltungen, sowie für die vom Reich oder von einem Bundesstaate für Reichs- beziehungsweise [160] Staatsrechnung verwalteten Eisenbahnbetriebe, sämmtlich einschließlich der Bauten, welche von denselben für eigene Rechnung ausgeführt werden, tritt an die Stelle der Berufsgenossenschaft das Reich beziehungsweise der Staat, für dessen Rechnung die Verwaltung geführt wird.
Dasselbe gilt hinsichtlich der vom Reich oder von einem Bundesstaate für Reichs- beziehungsweise Staatsrechnung verwalteten Baggerei-, Binnenschiffahrts-, Flößerei-, Prahm- und Fährbetriebe, sofern nicht die Reichs- beziehungsweise Landesregierung vor der Beschlußfassung des Bundesraths über die Bildung der Berufsgenossenschaften (§§. 12 ff. des Unfallversicherungsgesetzes) erklärt, daß diese Betriebe denselben angehören sollen.
Soweit hiernach das Reich oder ein Bundesstaat an die Stelle der Berufsgenossenschaft tritt, werden die Befugnisse und Obliegenheiten der Genossenschaftsversammlung und des Vorstandes der Genossenschaft durch Ausführungsbehörden wahrgenommen, welche für die Heeresverwaltungen von der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents, im Uebrigen für die Reichsverwaltungen vom Reichskanzler, für die Landesverwaltungen von der Landes-Zentralbehörde zu bezeichnen sind. Dem Reichs-Versicherungsamt ist mitzutheilen, welche Behörden als Ausführungsbehörden bezeichnet worden sind.

§. 3.[Bearbeiten]

Soweit das Reich oder ein Bundesstaat an die Stelle der Berufsgenossenschaft tritt, finden die §§. 10 bis 31, 33 bis 40, 59 Absatz 4, 60, 62 Absatz 1, 71 bis 74, 75 Absatz 2 und 3, 76, 78 bis 86, 87 Absatz 1, 88, 89, 90 Absatz 1 lit. a, d, e, 94, 103 bis 108 des Unfallversicherungsgesetzes keine Anwendung.

§. 4.[Bearbeiten]

Personen des Soldatenstandes sind von der Versicherung ausgeschlossen.
Die Erstreckung der Versicherungspflicht auf Betriebsbeamte mit einem zweitausend Mark übersteigenden Jahresarbeitsverdienst (§. 2 Absatz 1 des Unfallversicherungsgesetzes) kann durch die Ausführungsvorschriften erfolgen, soweit diese Beamten nicht nach §. 4 a. a. O. von der Anwendung des Gesetzes ausgeschlossen sind.

§. 5.[Bearbeiten]

Die Wahl der Vertreter der Arbeiter (§. 41 a. a. O.) erfolgt für den Geschäftsbereich jeder Ausführungsbehörde.
Das Regulativ (§. 43 a. a. O.) wird durch die für den Erlaß der Ausführungsvorschriften zuständige Behörde erlassen. In demselben sind die Zahl der Vertreter und die denselben zu gewährenden Vergütungssätze (§§. 44 Absatz 4, 49 Absatz 2, 55 Absatz 1 a. a. O.) festzustellen.
Ueber Streitigkeiten, welche sich auf die Gültigkeit der vollzogenen Wahlen beziehen, entscheidet das Reichs-Versicherungsamt beziehungsweise das Landes-Versicherungsamt. [161]

§. 6.[Bearbeiten]

Für den Geschäftsbereich jeder Ausführungsbehörde ist mindestens ein Schiedsgericht (§. 46 a. a. O.) zu errichten. Die im §. 47 Absatz 3 a. a. O. bezeichneten Beisitzer werden von der Ausführungsbehörde ernannt.

§. 7.[Bearbeiten]

Die Feststellung der Entschädigungen (§. 57 a. a. O.) erfolgt durch die in den Ausführungsvorschriften zu bezeichnende Behörde.

§. 8.[Bearbeiten]

Gegen den Bescheid der zuständigen Behörde, durch welchen ein Entschädigungsanspruch aus dem Grunde abgelehnt wird, weil der Betrieb, in welchem der Unfall sich ereignet hat, für nicht unter den §. 1 fallend erachtet wird, steht dem Verletzten und seinen Hinterbliebenen die Beschwerde an das Reichs-Versicherungsamt beziehungsweise Landes-Versicherungsamt zu, welche bei demselben binnen vier Wochen nach der Zustellung des ablehnenden Bescheides einzulegen ist.

§. 9.[Bearbeiten]

Vorschriften der Ausführungsbehörden über das in den Betrieben von den Versicherten zur Verhütung von Unfällen zu beobachtende Verhalten sind, sofern sie Strafbestimmungen enthalten sollen, vor dem Erlaß mindestens drei Vertretern der Arbeiter zur Berathung und gutachtlichen Aeußerung vorzulegen. Die Berathung findet unter Leitung eines Beauftragten der Ausführungsbehörde statt. Der Beauftragte darf kein unmittelbarer Vorgesetzter der Vertreter der Arbeiter sein.
Die auf Grund solcher Vorschriften verhängten Geldstrafen fließen in die Krankenkasse, welcher der zu ihrer Zahlung Verpflichtete zur Zeit der Zuwiderhandlung angehört.

§. 10.[Bearbeiten]

Die zur Durchführung der Bestimmungen in §§. 2 bis 9 erforderlichen Ausführungsvorschriften sind für die Heeresverwaltungen von der obersten Militärverwaltungsbehörde des Kontingents, im Uebrigen für die Reichsverwaltungen vom Reichskanzler, für die Landesverwaltungen von der Landes-Zentralbehörde zu erlassen.

§. 11. Privatbetriebe.[Bearbeiten]

Soweit nicht die §§. 2 bis 10 Anwendung finden, erfolgt die Versicherung durch Berufsgenossenschaften nach den Bestimmungen des Unfallversicherungsgesetzes. Bei der Errichtung von Berufsgenossenschaften für Eisenbahnen oder die im §. 1 Ziffer 3 bezeichneten Betriebe kann von der Bestimmung des §. 9 des Unfallversicherungsgesetzes abgesehen werden, wonach die für einen bestimmten Bezirk gebildeten Berufsgenossenschaften innerhalb desselben alle Betriebe desjenigen Industriezweiges umfassen müssen, für welchen sie errichtet sind. [162]

§. 12. Gemeinsame Bestimmungen.[Bearbeiten]

Soweit Betriebe der Post-, Telegraphen- und Eisenbahnverwaltungen, sowie Betriebe der Marine- und Heeresverwaltungen bereits auf Grund des Unfallversicherungsgesetzes einer Berufsgenossenschaft zugetheilt sind, scheiden dieselben aus der letzteren mit den aus §. 32 a. a. O. sich ergebenden Rechtswirkungen aus. Dasselbe gilt von Anlagen, welche Bestandtheile eines Binnenschiffahrtsbetriebes sind.
Auf die im §. 1 Absatz 6 a. a. O. bezeichneten Eisenbahn- und Schiffahrtsbetriebe findet diese Bestimmung keine Anwendung.

§. 13.[Bearbeiten]

Ereignet sich ein Unfall auf der Fahrt, so ist die nach §. 51 Absatz 1 a. a. O. zu erstattende Anzeige an diejenige Ortspolizeibehörde im Inlande zu richten, in deren Bezirk sich der Unfall ereignet hat oder der erste Aufenthalt nach demselben genommen wird. Die Untersuchung des Unfalls (§. 53 a. a. O.) erfolgt durch diejenige Ortspolizeibehörde, an welche die Anzeige erstattet ist. Auf Antrag Betheiligter (§. 54 a. a. O.) kann jedoch die der Ortspolizeibehörde vorgesetzte Behörde die Untersuchung durch eine andere Ortspolizeibehörde herbeiführen. Die zur Führung der Untersuchung berufene Ortspolizeibehörde hat der Krankenkasse, welcher der Verletzte angehört, rechtzeitig von dem Zeitpunkte, in welchem die Untersuchung vorgenommen werden wird, Kenntniß zu geben. Der Vorstand hat das Recht, zum Zweck der Theilnahme an den Untersuchungsverhandlungen einen Vertreter für die im §. 54 des Unfallversicherungsgesetzes bezeichneten Bevollmächtigten zu bestellen und ist hierbei nicht auf den Kreis der Kassenmitglieder beschränkt.
Hinsichtlich der unter Reichs- oder Staatsverwaltung stehenden Betriebe bewendet es bei den Vorschriften in §§. 51 Absatz 5, 52, 56 a. a. O.

§. 14.[Bearbeiten]

Auf Unfallverhütungsvorschriften, welche sich auf die Sicherheit des Eisenbahnbetriebes beziehen, finden die Bestimmungen des §. 9 dieses Gesetzes, sowie der §§. 79, 81 des Unfallversicherungsgesetzes keine Anwendung.

II. Krankenversicherung.[Bearbeiten]

§. 15. Ausdehnung der Krankenversicherung.[Bearbeiten]

Auf alle im §. 1 bezeichneten Betriebe findet das Gesetz über die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883 (Reichs-Gesetzbl. S. 73) in gleicher Weise wie auf die im §. 1 desselben bezeichneten Betriebe Anwendung. Soweit hierdurch die gesetzliche Verpflichtung zur Krankenversicherung auf Personen ausgedehnt wird, welche in einem Transportbetriebe beschäftigt sind, tritt §. 2 Ziffer 3 des Krankenversicherungsgesetzes außer Kraft. [163]
Personen des Soldatenstandes, sowie solche in Reichs- oder Staatsbetrieben beschäftigte Personen, welche dem Reich oder dem Staate gegenüber in Krankheitsfällen einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehaltes oder des Lohnes oder auf eine den Bestimmungen des §. 6 a. a. O. entsprechende Unterstützung mindestens für dreizehn Wochen nach der Erkrankung haben, sind von der Krankenversicherung ausgeschlossen.
Als Beschäftigungsort gilt im Zweifel der Sitz des Gewerbebetriebes, in welchem die Beschäftigung stattfindet.

§. 16.[Bearbeiten]

Erkrankt ein Versicherter auf der Fahrt im Inlande außerhalb des Bezirks der Orts-, Betriebs- (Fabrik-), Bau-, Innungs-Krankenkasse, der Knappschaftskasse oder der Gemeinde-Krankenversicherung, welcher er angehört, so hat dem Erkrankten die Gemeinde des Ortes, an welchem die Fürsorge für denselben nothwendig wird, diejenigen Unterstützungen zu gewähren, welche er von der Gemeinde-Krankenversicherung oder der Krankenkasse, der er angehört, zu beanspruchen hat. Diese hat der unterstützenden Gemeinde die ihr hieraus erwachsenden Kosten zu erstatten. Bei der Erstattung gilt als Ersatz der im §. 6 Absatz 1 Ziffer 1 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Leistungen die Hälfte des Krankengeldes, sofern nicht höhere Aufwendungen nachgewiesen werden.
Erkrankt ein bei einer Orts-, Betriebs- (Fabrik-), Bau-, Innungs-Krankenkasse, bei einer Knappschaftskasse oder bei einer Gemeinde-Krankenversicherung Versicherter auf der Fahrt im Auslande, so hat dem Erkrankten der Betriebsunternehmer diejenigen Unterstützungen zu gewähren, welche er von der Gemeinde-Krankenversicherung oder der Krankenkasse, der er angehört, zu beanspruchen hat. Diese hat dem Betriebsunternehmer die ihm hieraus nachweislich erwachsenden Kosten zu erstatten. Bei der Erstattung gilt als Ersatz der im §. 6 Absatz 1 Ziffer 1 des Krankenversicherungsgesetzes bezeichneten Leistungen die Hälfte des Krankengeldes.
Streitigkeiten, welche hieraus entstehen, werden, soweit es sich um Unterstützungsansprüche handelt, nach §. 58 Absatz 1 a. a. O., im Uebrigen nach §. 58 Absatz 2 a. a. O. entschieden.

III. Schlußbestimmungen.[Bearbeiten]

§. 17. Gesetzeskraft.[Bearbeiten]

Mit den aus diesem Gesetze sich ergebenden Abänderungen treten die Bestimmungen der Abschnitte II, III, IV, V und VIII des Unfallversicherungsgesetzes, die auf diese Abschnitte bezüglichen Strafbestimmungen und diejenigen Vorschriften, welche zur Durchführung der in diesen Abschnitten getroffenen Anordnungen dienen, in Betreff der im §. 1 bezeichneten Betriebe mit dem Tage der Verkündung dieses Gesetzes in Kraft. [164]
Dasselbe gilt von den Vorschriften des Krankenversicherungsgesetzes, soweit sie die Beschlußfassung über die statutarische Einführung des Versicherungszwanges, sowie die Herstellung der zur Durchführung des Versicherungszwanges dienenden Einrichtungen betreffen.
Im Uebrigen wird der Zeitpunkt, mit welchem die Bestimmungen dieses Gesetzes ganz oder theilweise in Kraft treten, mit Zustimmung des Bundesraths durch Kaiserliche Verordnung bestimmt.
Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beigedrucktem Kaiserlichen Insiegel.
Gegeben Berlin, den 28. Mai 1885.
(L. S.)  Wilhelm.

  Fürst von Bismarck.