Guter Rath (Hebel)

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Textdaten
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Autor: Johann Peter Hebel
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Titel: Guter Rath
Untertitel:
aus: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes
S. 54-57
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: 1803-1811
Erscheinungsdatum: 1811
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: ULB Düsseldorf und Djvu auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[54]
Guter Rath.

Was ich jetzt sagen will, wird manchen, der es liest, geringfügig und vielleicht lächerlich scheinen; aber es ist nicht lächerlich; und mancher, der es liest, wird meynen, ich habe ihn leibhaftig gesehen und es wäre wohl möglich. Doch weiß ich’s nicht, und will niemand besonders meynen. Es giebt Gegenden hin und wieder, wo die Männer und Jünglinge im Ganzen recht gesund und stark aussehen, wie es bey guter Arbeit und einfacher Nahrung möglich und zu erwarten ist. Sie haben eine gesunde Gesichtsfarbe, eine starke Brust, breite Schultern, guten Wuchs, kurz, der ganze Körperbau ist wohlproportionirt und tadellos, bis unter die Kniee. Da kommts auf einmal so dünn und so schwach bis zu den Füssen hinab, und man meynt, die armen Beine müsen zusammen brechen unter der schweren Last, die sie zu tragen haben. Das wißt ihr wohl: Manchem, [55] der sich vor dem Spiegel einbildet, ein hübscher Knabe zu seyn, geht es wie dem Pfau, wenn er auf seine Füße schaut, und deßwegen zieht ihr die starken ledernnen Riemen, mit welchen ihr die Strümpfe unter dem Knie zu binden pflegt, immer fester an, und setzt ihn in eine Schnalle ein, wo er nie nachgeben kann, damit das Fleisch ein wenig anschwellen, sich heraus heben, und etwas gleichsehen soll, und eben daher kommts. Denn der ganze menschliche Körper und alle seine Glieder erhalten ihre Nahrung von dem Blut. Deswegen lauft das Blut unaufhörlich von dem Herzen weg, zuerst in grossen Adern, die sich nachher immer mehr in unzählig viele kleine Aederlein vertheilen und vervielfältigen, durch alle Theile des Körpers bis in die äußersten Glieder hinaus, und kehrt alsdann durch andere Aederlein, die wieder zusammen gehen, folglich grösser und an der Zahl weniger werden, zu dem Herzen zurück, und das geht unaufhörlich so fort, so lange der Mensch lebt, und auf diesem Wege giebt das Blut dem Fleisch, den Knochen und allen Theilen des Körpers ihre Nahrung, ihre Kraft und Ausfüllung, und wird selber wieder auf eine andere Art durch tägliche Speise und Trank erhalten und ersetzt. Es geht da fast so zu, wie bei einer wohleingerichteten Wasserleitung. Da wird das Wasser aus dem grösseren Strom in kleinere Kanäle fortgeleitet. Aus diesen vertheilt es sich immermehr in kleinere Bäche und Bächlein, dann in Rausen, und endlich findet es jeden Grashalm auf einer Wiese, Klee- und Habermark, Liebfrauen-Mantelein, und was darauf wächst, und giebt ihm seine Erquickung. Aber wo [56] wenig Wasser hinkommt, da bleiben auch die Pflanzen klein und schlecht, und was kann davor seyn? So ist es mit dem menschlichen Körper ungefähr auch, und je weniger derselbe durch die Kleidung gedrückt oder eingeengt wird, desto freier und reichlicher kann sich auch das Blut durch seine Adern bewegen, desto besser werden auch alle Theile des Körpers mit dem Wachsthum zu ihrer Kraft und Vollkommenheit gelangen und darin erhalten werden. Wenn ihr aber einen Arm oder ein Bein unterbindet und den Blutlauf aufhaltet, so wird auch diesem Glied seine Nahrung entzogen. Das geschieht nun, wenn man von früher Kindheit an, die Beine unter dem Knie mit einem ledernen Riemen durch eine Schnalle so fest bindet. Die feinen und größern Adern werden zusammengepreßt, es kann nicht so viel Blut ab- und aufsteigen als nöthig ist, die Knochen kommen daher kaum zu ihrer gehörigen Stärke und es setzt sich nicht genug Fleisch und Fett um dieselben an. Da zieht man nun den Riemen immer fester an, und das hilft ein wenig zum Schein, macht aber eigentlich nur das Uebel Aerger, wie es immer geht, wenn man nur auf den Schein sieht und zur Abhülfe eines Fehlers oder Gebrechens die rechten Mittel nicht zu wissen verlangt, und mit den nächsten besten sich begnügt. Mein guter Rath wäre also der: Ihr sollt’s machen wie andere vernünftige Leute auch. Man binde die Strümpfe mit geschmeidigern Bändern über dem Knie, oder wenn man bey der alten Weise bleiben will; so ziehe man wenigstens die Riemen nicht fester an als nöthig ist, um die Strümpfe oben zu erhalten. Man muß nie mehr Kraft [57] anwenden, und mehr thun als nöthig ist, um seinen vernünftigen Zweck zu erreichen. Besonders müssen die Eltern frühe darauf sehen, daß ihre Kinder die Strümpfe nicht zu fest binden. Alsdann wird das Blut seinen Weg schon finden, und den Gliedern die Nahrung und Stärke geben, die ihnen gebührt. Diß ist mein guter Rath; und wer keinen Glauben daran hat, der frage nur einen Arzt oder den Herrn Pfarrer; die müßens auch wissen. Aber folgen muß man alsdann. Denn wem nicht zu rathen ist, dem ist auch nicht zu helfen.