Harmonides

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Textdaten
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Autor: Lukian von Samosata
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Titel: Harmonides
Untertitel:
aus: Lucian’s Werke, übersetzt von August Friedrich Pauly, Fünftes Bändchen, Seite 613–618
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum: 2. Jahrhundert
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: J. B. Metzler
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Erscheinungsort: Stuttgart
Übersetzer: August Friedrich Pauly
Originaltitel: Ἁρμονίδης
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scan auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[613]
Harmonides.

1. Der Flötenspieler Harmonides fragte einst seinen Lehrer Timotheus, auf welche Art er durch seine Kunst sich einen berühmten Namen verschaffen könne? „Wie muß ich es angehen, lieber Meister, sagte er, um von allen Griechen gekannt zu werden? Du hattest die Güte für mich, in Allem, was zur Kunst gehört, mich zu unterrichten; du hast mir gezeigt, was zur reinen Stimmung des Instruments erforderlich ist, wie man das Mundstück anblasen muß, um sanfte und melodische Töne zu erhalten, hast mir Geschicklichkeit im Ansetzen der Finger, Festigkeit im Takt, richtige Harmonie meines Spieles mit dem Chor beigebracht, und mir gesagt, wie der Charakter jeder Tonart, das Begeisterte in der Phrygischen, das Bacchischwilde in der Lydischen, das Ernstfeierliche der Dorischen, das Leichte und Gefällige der Ionischen, zu beobachten und auszudrücken ist. Das Alles verdanke ich deiner Unterweisung. Die Hauptsache aber, um deren willen ich diese Kunst erlernt habe, wie soll mir diese [614] zu Theil werden? ich meine Ruhm und Ansehen bei Tausenden, ein gepriesener Name beim Volke, so daß, wo ich mich nur sehen lasse, plötzlich Aller Blicke auf mich gerichtet sind, und Einer dem Andern mich mit dem Finger weist und spricht: Siehe, das ist der berühmte Harmonides, der große Flötenspieler! Wie du, mein Timotheus, das Erstemal deine Heimath, Böotien, verlassen hattest und [zu Athen] im Trauerspiele die Pandionide die Flöte bliesest, und im rasenden Ajax, wozu dein Namensbruder die Musik gesetzt hatte, den Preis davon trugest, da war kein Mensch in Athen, der den Namen Timotheus aus Theben nicht vernommen hätte: und noch jetzt, wo du auch erscheinst, kommen die Menschen herbei und drängen sich um dich her, wie die Vögel um die Nachteule. Das ist’s, warum auch ich ein Flötenspieler werden wollte, und warum ich so viele Mühe auf diese Kunst verwendete. Die blose Geschicklichkeit im Flötenblasen, ohne die Gelegenheit, mir dadurch einen Namen zu erwerben, würde mir sehr gleichgültig seyn, und wenn ich es in meiner Verborgenheit zur hohen Kunst eines Marsyas und Olympus bringen könnte. Denn so wäre mein Flötenspiel um nichts besser als eine stille Musik, wie man sagt. Lehre mich also auch das noch, guter Meister, wie ich meine Kunst geltend machen könne; und du wirst mich zu gedoppeltem Danke verbinden, für die Kunst selbst, und, was mir das Höchste gilt, für den Ruhm, den sie mir erwerben kann.“

2. Hierauf versetzte Timotheus: „In der That, mein lieber Harmonides, dieser Ruhm, nach welchem du verlangst, [615] diese Auszeichnung, dieses allgemeine Bekanntwerden deines Namens, ist ein würdiges Ziel deines Strebens. Uebrigens, wenn du vor dem Volke da und dort auftreten und dich hören lassen wolltest, so wäre dieß ein gar zu langer Weg, um zum Zwecke zu kommen, und es wäre auf diese Art nicht einmal möglich, daß dich alle Leute kennen lernten; wo ist aber ein Theater oder ein Cirkus, in welchem du vor dem gesammten Griechenvolke spielen könntest? Ich will dir einen bessern Rath geben, wie du deines Wunsches theilhaftig und allgemein berühmt werden kannst. Flöte immerhin auch bisweilen in den Theatern, aber kümmere dich nicht viel um die Menge. Der kürzeste und bequemste Weg zum Ruhme ist dieser: wähle dir unter allen Griechen die Gebildetsten, das kleine Häufchen derer aus, die, an der Spitze der Uebrigen, in unbestrittenem Ansehen stehen, und deren Urtheil, es sey lobend oder tadelnd, unbedingten Glauben findet; vor solchen Männern laß deine Flöte hören, und wenn dich diese loben, so sey überzeugt, daß du in Kurzem keinem Griechen mehr unbekannt seyn wirst. Wie das zugehen soll? Siehst du, wenn Männer, die Jedermann kennt und bewundert, dich als einen vortrefflichen Künstler kennen lernen, was brauchst du dich noch um die Menge zu kümmern, die ja doch nur den Urtheilsfähigen nachspricht? Dieser große Haufe, der größtentheils aus gemeinen Handarbeitern besteht, weiß das Bessere und Schlechtere nicht zu unterscheiden. Wenn sie nun hören, daß jene Vornehmern Einen loben, so trauen sie ihnen zu, daß sie es nicht ohne ihre guten Gründe thun, und loben also mit. So ist es bei Preiskämpfen aller Art; [616] die Menge weiß bloß zu klatschen oder zu pfeifen, der Urtheilenden sind etwa sechs oder sieben.“ Allein Harmonides sollte es nicht erleben, diesen Rath zur Ausführung bringen zu können. Als er eben, bei seinem ersten öffentlichen Auftreten als Preisbewerber, im Flötenspielen begriffen war, und aus übertriebener Begierde nach Beifall seiner Lunge zu viel zumuthete, verhauchte er seinen letzten Lebensathem recht eigentlich in seine Flöte, und starb, noch ohne den Siegerkranz gewonnen zu haben, auf der Bühne, die er an diesen Dionysien zum ersten und letztenmale betreten hatte.

3. Dieser gute Rath des Timotheus nun paßte, dünkt mich, nicht bloß für den Harmonides, oder überhaupt nur für die Flötenspieler, sondern es haben ihn alle Diejenigen sich gesagt seyn zu lassen, welche durch irgend eine öffentliche Probe ihres Talentes Beifall und Ruhm bei der Menge sich erwerben wollen. Da ich nun dasselbe Verlangen trug und darauf dachte, wie ich mich in der kürzesten Zeit allgemein bekannt machen möchte, so entschloß ich mich, jenem Rathe zufolge, nach dem ausgezeichnetsten Manne dieser Stadt mich umzusehen, dessen Urtheil in einem so allgemeinen Ansehen stände, daß es mir statt aller andern genügen könnte. Als dieser Mann mußtest mit allem Rechte du mir erscheinen, der einsichtsvollste Kenner jegliches Guten und Schönen, dessen Aussprüche in Sachen des Geschmacks allgemein als Norm und Richtschnur gelten. Lege ich, so dachte ich, dir meine Schriften vor, und findest du sie – was der Himmel geben wolle – beifallswürdig, o so bin ich am Ziel meiner Wünsche, so habe ich mit einer einzigen Stimme alle Uebrigen [617] für mich gewonnen. Wie könnte ich auch, ohne die Gesundheit meines Kopfes verdächtig zu machen, irgend einen Andern als dich mir erwählen? Dem Anscheine nach setze ich zwar das Schicksal meiner Werke, wenn ich einen Einzigen darüber richten lasse, auf ein gefährliches Spiel; in der That aber ist es hier, als ob ich sie dem Publikum selbst vorlegte. Denn deine Ueberlegenheit über jeden Einzelnen, so wie über Alle insgesammt, ist erwiesen genug: und wenn die Könige zu Lacedämon jeder zwei Stimmen abgeben durfte, während die Uebrigen jeder nur Eine hatte, so vereinigst auch du zugleich die Stimmen der Ephoren und der Aeltesten in dir, und lenkst überhaupt die Meinung über Dinge aus dem Gebiete der Wissenschaft und Kunst mit überwiegendem Ansehen. Ich fühle, was ich wage, und würde davor erzittern, machte mir nicht der Gedanke Muth, daß du jederzeit auch den weißen Stein der Minerva[1] führst und ihn hülfreich einzulegen pflegst. Zudem dürfte ich ja dir selbst so fremd nicht seyn, da ich aus einer Stadt gebürtig bin, welche schon mehr als einmal, theils einzeln für sich, theils zugleich mit der ganzen Provinz, Beweise deiner Huld erfahren hat. Wenn also auch diesmal, bei meinem öffentlichen Auftreten, die Stimmen ungünstig fallen und nur in der Minderzahl für mich seyn sollten, o so lege du jenen weißen Stein ein, und ersetze wohlwollend das Fehlende, und zeige auch hier wieder, wie die Mängel und Gebrechen zu heilen, deine eigenste Sache sey!

[618] 4. Wenn auch früher schon mehrfacher Beifall mir zu Theil wurde, wenn mein Name auch nicht eben unbekannt ist, und meine Aufsätze von denen, welche sie gehört haben, gerühmt werden, so darf mir daran nicht mehr genügen: das Alles sind nichtige Träume und eitle leere Worte. Jetzt erst muß sich’s zeigen, was an mir ist: jetzt muß über den Werth meiner Arbeiten entschieden werden! Kein schwankendes, zweifelhaftes Urtheil wird hinfort über dieselben bestehen: je nachdem du dich einmal erklärt haben wirst, werde ich entweder für vortrefflich in meinem Fache gelten müssen, oder – doch ferne seyen schlimme Worte, da ich einem so schweren, entscheidenden Kampfe entgegen gehe! Laßt mich, ihr Götter, mit Ehren bestehen, und sichert mir auch dießmal den Beifall, den ich schon anderwärts erworben, damit ich fortan desto zuversichtlicher vor der Welt auftreten möge! Denn wer einmal in den großen Olympien gesiegt hat, dem wird hinfort vor jeglichem Schauplatz minder bange seyn.